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19/05 Menschenrechte;Norm
MRK Art8;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Bernegger, die Hofräte Dr. Robl und Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober und den Hofrat Dr. Mayr als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde des A, vertreten durch Dr. Reinhard Schwarzkogler, Rechtsanwalt in 4650 Lambach, Marktplatz 2, gegen den Bescheid des Bürgermeisters der Stadt Salzburg vom 21. August 2012, Zl. 30101/01-1713/1/1-2011, betreffend Aufenthaltstitel, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers, eines serbischen Staatsangehörigen, ihm aus berücksichtigungswürdigen Gründen einen Aufenthaltstitel zu erteilen, gemäß § 41a Abs. 10 iVm § 11 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) ab.
Begründend führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer sei am 29. Juli 2002 unrechtmäßig in das Bundesgebiet eingereist und habe am selben Tag einen Asylantrag gestellt. Über diesen Antrag sei in erster Instanz am 11. November 2002 "negativ entschieden" worden. Das dagegen erhobene Rechtsmittel sei mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 23. August 2011 als unbegründet abgewiesen worden. Seit 25. August 2011, dem Datum der Rechtskraft dieser Entscheidung, halte sich der Beschwerdeführer nicht rechtmäßig im Bundesgebiet auf.
Am 17. Oktober 2011 habe der Beschwerdeführer den hier gegenständlichen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 41a Abs. 10 NAG gestellt. Dazu habe die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Salzburg eine Stellungnahme abgegeben.
Im Weiteren wird im angefochtenen Bescheid der Inhalt dieser Stellungnahme wörtlich wiedergegeben. Daraus ergibt sich zusammengefasst, dass die Sicherheitsdirektion davon ausgeht, dem Beschwerdeführer müsse nach Art. 8 EMRK kein Aufenthaltsrecht zugestanden werden. Dies führte sie tragend darauf zurück, dass sich der bisherige Aufenthalt des Beschwerdeführers auf einen unberechtigten Asylantrag gegründet habe, er nicht selbsterhaltungsfähig sei und kein Familienleben bestehe. Eine "maßgebliche Änderung des Sachverhaltes seit Ergehen des Erkenntnisses des Asylgerichtshofes am 23.08.2011" sei nicht eingetreten.
Nach Auflistung jener Kriterien, die nach § 11 Abs. 3 NAG (bei einer Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK) zu berücksichtigen sind, sowie nach Anführen diesen Kriterien fallbezogen entsprechender Sachverhaltselemente und nach Durchführung einer Würdigung, inwieweit sich diese zu Gunsten oder zu Lasten des Beschwerdeführers auszuwirken hätten, führte die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid abschließend unter der Überschrift "Interessenabwägung" aus, dass das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers umfassend geprüft worden sei. "Den vorliegenden Erkenntnissen und dem Verwaltungsakt" sei "zu entnehmen, dass eine Ausweisung des Antragstellers au(s) dem Bundesgebiet zulässig" sei. Im Verfahren hätten sich keine Anhaltspunkte ergeben, "dass der Antragsteller im Falle einer Abschiebung in sein Heimatland mit einer Gefährdung im Sinne der EMRK zu rechnen" hätte. "Entscheidungsrelevant" sei "das rechtskräftige Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 23.08.2011, die aktuelle Selbsterhaltungsunfähigkeit des Antragstellers, das Fehlen eines Familienlebens und sein rechtswidriger Aufenthalt in Österreich seit dem 23.08.2011 sowie dass der Aufenthalt des Antragstellers öffentlichen Interessen im Sinne des § 11 Abs. 2 Z 1 NAG widerstreitet".
Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen:
Eingangs ist festzuhalten, dass sich die Beurteilung des gegenständlichen Falles im Hinblick auf den Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides (28. August 2012) nach den Bestimmungen des NAG in der Fassung des BGBl. I Nr. 112/2011 richtet.
Die Beschwerde wendet sich gegen den angefochtenen Bescheid mit dem Hinweis auf die für die Integration des Beschwerdeführers sprechenden Umstände. Ihr ist Recht zu geben.
Gemäß § 41a Abs. 10 NAG kann im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen trotz Vorliegen eines Erteilungshindernisses gemäß § 11 Abs. 1 Z 3 oder 5 NAG in besonders berücksichtigungswürdigen Fällen auf begründeten Antrag, der bei der örtlich zuständigen Behörde im Inland einzubringen ist, ein Aufenthaltstitel "Rot-Weiß-Rot - Karte plus" erteilt werden, wenn der Drittstaatsangehörige nachweislich seit dem 1. Mai 2004 durchgängig im Bundesgebiet aufhältig ist (Z 1), mindestens die Hälfte des Zeitraumes des festgestellten durchgängigen Aufenthalts im Bundesgebiet rechtmäßig gewesen ist (Z 2) und der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung (§ 14a NAG) erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine Erwerbstätigkeit ausübt (Z 3). Die Behörde hat dabei den Grad der Integration des Drittstaatsangehörigen, insbesondere die Selbsterhaltungsfähigkeit, die schulische und berufliche Ausbildung und die Art und Dauer der Erwerbstätigkeit zu berücksichtigen. Hinsichtlich des Vorliegens der Voraussetzungen gemäß § 11 Abs. 2 Z 1 und 5 NAG einschließlich fremdenpolizeilicher Maßnahmen hat die Behörde unverzüglich eine begründete Stellungnahme der der zuständigen Fremdenpolizeibehörde übergeordneten Sicherheitsdirektion einzuholen. Bis zum Einlangen dieser Stellungnahme bei der Behörde ist der Ablauf der Fristen gemäß § 74 und § 73 AVG gehemmt. Ein einem bereits rechtskräftig erledigten Antrag nachfolgender weiterer Antrag (Folgeantrag) ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn aus dem begründeten Antragsvorbringen ein maßgeblich geänderter Sachverhalt nicht hervorkommt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner Rechtsprechung bereits darauf hingewiesen, dass zwar bei der Prüfung, ob ein besonders berücksichtigungswürdiger Fall iSd NAG vorliegt, auch die in § 11 Abs. 3 NAG genannten, bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinn des Art. 8 EMRK zu beachtenden Gesichtspunkte in die Beantwortung der Frage einfließen können, ob ein "besonders berücksichtigungswürdiger Fall" vorliegt. Dies aber nur in dem Maße, als sie auf den Integrationsgrad des betreffenden Fremden Auswirkungen haben. Daran kann schon deshalb kein Zweifel bestehen, weil § 41a Abs. 10 NAG (ebenso wie § 43 Abs. 4 NAG) erkennbar vor allem jene Konstellationen erfassen soll, in denen die Schwelle des Art. 8 EMRK, sodass gemäß § 11 Abs. 3 NAG ein Aufenthaltstitel zu erteilen wäre, noch nicht erreicht wird (vgl. das zur gleichgelagerten früher geltenden Rechtslage nach § 44 Abs. 4 NAG idF vor dem FrÄG 2011 ergangene hg. Erkenntnis vom 29. April 2010, Zl. 2009/21/0255).
Somit kommt es für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 41a Abs. 10 NAG gerade nicht darauf an, ob die Erteilung eines Aufenthaltstitels im Hinblick auf Art. 8 EMRK geboten wäre (vgl. etwa zur Rechtslage vor dem FrÄG 2011 weiters das hg. Erkenntnis vom 29. Februar 2012, Zl. 2010/21/0255, und zur Rechtslage nach dem FrÄG 2011 vgl. etwa das - ebenfalls die belangte Behörde betreffende - hg. Erkenntnis vom 14. März 2013, Zl. 2012/22/0185).
Vor diesem Hintergrund gehen die Ausführungen der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid und in ihrer Gegenschrift, die allesamt - nach dem Gesagten in Verkennung der Rechtslage - auf eine Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK abzielen und den während der Anhängigkeit des Asylverfahrens unsicheren Aufenthaltsstatus des Beschwerdeführers sowie das hohe öffentliche Interesse an der Einhaltung fremdenrechtlicher Vorschriften in den Vordergrund rücken, am von ihr zur beurteilenden Gegenstand vorbei.
Des Weiteren ist festzuhalten, dass der unrechtmäßige Aufenthalt allein die auf § 11 Abs. 2 Z 1 iVm Abs. 4 Z 1 NAG (nach § 11 Abs. 2 Z 1 NAG dürfen Aufenthaltstitel einem Fremden nur erteilt werden, wenn der Aufenthalt des Fremden nicht öffentlichen Interessen widerstreitet; der Aufenthalt eines Fremden widerstreitet nach § 11 Abs. 4 Z 1 NAG dem öffentlichen Interesse, wenn er die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährden würde) gestützte Versagung des vom Beschwerdeführer begehrten Aufenthaltstitels schon deswegen nicht zu tragen vermag, weil mit § 41a Abs. 10 NAG die Möglichkeit der Erlangung eines Aufenthaltstitel gerade auch jenen Personen eingeräumt werden soll, die sich (im Zeitpunkt der Entscheidung über diesen Antrag) unrechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten (vgl. aber im Übrigen aus der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, wonach auch hinsichtlich anderer Aufenthaltstitel ein unrechtmäßiger Aufenthalt für sich allein nicht zum Fehlen der Erteilungsvoraussetzung nach § 11 Abs. 2 Z 1 NAG führt, etwa das hg. Erkenntnis vom 19. September 2012, Zl. 2011/22/0161, mwN).
Somit war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufzuheben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008. Wien, am 9. September 2013
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2013:2012220164.X00Im RIS seit
02.10.2013Zuletzt aktualisiert am
01.04.2014