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41/02 Passrecht Fremdenrecht;Norm
FrG 1997 §10 Abs2 Z3;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Handstanger, Dr. Bayjones und Dr. Enzenhofer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Ferchenbauer, über die Beschwerde des J, (geb.17.5.1962), vertreten durch Dr. Wolfgang Weber, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Wollzeile 12/1/27, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 1. Februar 1999, Zl. SD 690/98, betreffend Ausweisung gemäß § 34 Abs. 1 des Fremdengesetzes, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
I.
1. Mit dem Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom 1. Februar 1999 wurde der Beschwerdeführer, ein jugoslawischer Staatsangehöriger, gemäß § 34 Abs. 1 Z. 1 des Fremdengesetzes 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, ausgewiesen.
Aktenkundig sei erstmals ein Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet im Frühjahr 1992. Er habe zunächst im Oktober 1992 nach Vorlage von Verpflichtungserklärungen einen Sichtvermerk bis April 1993 und dann bis Dezember 1993 erhalten. Im Anschluss daran habe er eine Aufenthaltsbewilligung bis 16. Juni 1994 mit dem Aufenthaltszweck "Familiennachzug" erhalten, die sodann bis 28. November 1994 verlängert worden sei. Ein im November 1996 gestellter Antrag sei zunächst abgewiesen worden, weil die unterhaltspflichtige Ehegattin über keine Aufenthaltsbewilligung verfügt habe, doch habe er dann doch eine Verlängerung zum Zweck "Familiengemeinschaft mit Fremden" bis 29. Dezember 1997 und anschließend vom 24. März (nach der Aktenlage: 1998) bis 30. Oktober 1999 erhalten.
Der Beschwerdeführer sei bereits ein Jahr nach seiner Einreise in das Bundesgebiet am 16. April 1993 vom Landesgericht für Strafsachen Wien wegen Vergehens der Hehlerei zu einer bedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von fünf Monaten rechtskräftig verurteilt worden. Daraufhin sei er von der Erstbehörde im September 1993 ermahnt und darauf hingewiesen worden, dass er im Fall einer neuerlichen Verurteilung mit fremdenpolizeilichen Maßnahmen zu rechnen hätte. Ungeachtet dessen sei der Beschwerdeführer kurze Zeit später, und zwar am 1. Dezember 1993, wegen Verdachts des Diebstahls festgenommen und zur Anzeige gebracht worden. Das gegen ihn anhängige Verfahren wegen §§ 127 ff StGB sei am 17. Dezember 1993 vom Jugendgerichtshof Wien gemäß § 109 Abs. 1 und § 34 Abs. 2 StPO erledigt worden.
Am 13. Mai 1998 sei der Beschwerdeführer vom Landesgericht für Strafsachen Wien wegen Beteiligung an einer Urkundenfälschung (§§ 223 Abs. 1, 224 StGB) zu einer bedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von zwei Monaten rechtskräftig verurteilt worden. Er habe im Jahr 1994 als Verbindungsglied einer Kette von Mittätern gegen Entgelt durch Weitergabe und Rückstellung eines jugoslawischen Reisepasses eine "total gefälschte Aufenthaltsbewilligung" für einen anderen beschafft.
Angesichts des Gesamtfehlverhaltens könne kein Zweifel bestehen, dass der Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährden würde, weshalb der Sichtvermerksversagungsgrund des § 10 Abs. 2 Z. 3 FrG gegeben sei. Daher erweise sich die Ausweisung des Beschwerdeführers - vorbehaltlich der Bestimmungen der §§ 37 und 35 FrG - im Grund des § 34 Abs. 1 leg. cit. als gerechtfertigt.
Der Beschwerdeführer sei seit Frühjahr 1992 in Österreich und seit Oktober 1992, somit seit mehr als sechs Jahren, im Bundesgebiet rechtmäßig niedergelassen. In Österreich lebten seine Gattin und ein gemeinsames Kind. Zweifelsfrei sei daher von einem mit der Ausweisung verbundenen Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers auszugehen. Dieser Eingriff sei jedoch zulässig, weil er zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten sei. Angesichts der der zuletzt erfolgten gerichtlichen Verurteilung zu Grunde liegenden Straftat und der damit zum Ausdruck kommenden Missachtung strafgesetzlicher Bestimmungen zu einem fremdenrechtlich verpönten Zweck sei die genannte Maßnahme zum Schutz der öffentlichen Ordnung und zur Verhinderung weiterer strafbarer Handlungen des Beschwerdeführers zulässig im Sinn des § 37 Abs. 1 FrG. Bei der gemäß § 37 Abs. 2 FrG durchzuführenden Interessenabwägung sei auf den mehrjährigen rechtmäßigen Inlandsaufenthalt des Beschwerdeführers und die daraus ableitbare Integration Bedacht zu nehmen. Gleichzeitig sei jedoch zu berücksichtigen, dass dieser Integration insofern kein entscheidendes Gewicht zukomme, weil die dafür erforderliche soziale Komponente durch das strafbare Verhalten des Beschwerdeführers wesentlich gemindert worden sei, zumal der Beschwerdeführer deutlich gezeigt habe, dass er sich nicht einmal durch eine bereits erfolgte Verurteilung und eine diesbezügliche Verwarnung davon habe abhalten lassen, neuerlich straffällig zu werden und sich somit den Rechtsvorschriften seines Gastlandes anzupassen. In Abwägung aller Umstände sei die belangte Behörde daher zu dem Schluss gelangt, dass die Auswirkungen der Ausweisung auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers und seiner Familie nicht schwerer wögen als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von dieser Maßnahme.
Vor diesem Hintergrund und unter Bedachtnahme auf das Gewicht, das den genannten maßgeblichen öffentlichen Interessen zukomme, könne ein weiterer Aufenthalt des Beschwerdeführers auch nicht im Rahmen des der Behörde zustehenden Ermessens in Kauf genommen werden.
Was den Vorwurf des Beschwerdeführers betreffe, es sei völlig unberücksichtigt geblieben, dass ihm im März 1998 eine Niederlassungsbewilligung, gültig bis Oktober 1999, erteilt worden sei, so sei dem entgegenzuhalten, dass gerade zu diesem Zeitpunkt eben noch keine rechtskräftige Verurteilung des Beschwerdeführers hinsichtlich einer Anzeige wegen des Verdachtes der Fälschung besonders geschützter Urkunden vorgelegen sei.
2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die Abweisung der Beschwerde beantragt.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1. Der Beschwerdeführer wendet gegen den angefochtenen Bescheid unter anderem ein, dass er das Fehlverhalten, das seiner Verurteilung vom Mai 1998 zu Grunde liege, bereits im November 1994 begangen und sich seither wohlverhalten habe. Im Verwaltungsverfahren hat der Beschwerdeführer weiters ins Treffen geführt, dass der Landeshauptmann von Wien vor Erteilung der Niederlassungsbewilligung im März 1998 "bei der Fremdenpolizei" angefragt habe, und diese der Erteilung der Niederlassungsbewilligung zugestimmt bzw. dagegen keine Einwendungen erhoben habe, wobei ihr das damals offene Verfahren beim Landesgericht für Strafsachen Wien bekannt gewesen sei (vgl. Blatt 77 der vorgelegten Verwaltungsakten). Dieses Vorbringen ist - im Ergebnis - zielführend.
2. Die belangte Behörde hat den angefochtenen Bescheid auf § 34 Abs. 1 Z. 1 FrG gestützt. Diese Bestimmung lautet auszugsweise:
"(1) Fremde, die sich auf Grund eines Aufenthaltstitels ... im Bundesgebiet aufhalten, können mit Bescheid ausgewiesen werden, wenn
1. nachträglich ein Versagungsgrund eintritt oder bekannt wird, der der Erteilung des zuletzt erteilten Aufenthaltstitels entgegengestanden wäre."
Nach den Erläuterungen zur Regierungsvorlage (685 Blg. NR 20. GP) wird mit § 34 Abs. 1 Z. 1 FrG dem Umstand Rechnung getragen, dass entweder die Behörde - aus welchem Grund auch immer - vom Bestehen eines Versagungsgrundes (erst nachträglich) Kenntnis erlangt hat, der der Erteilung eines Aufenthaltstitels bereits zum Zeitpunkt der ursprünglichen Erteilung entgegengestanden wäre, oder nachträglich ein Versagungsgrund eintritt, der die Versagung des Aufenthaltstitels rechtfertigt (vgl. das hg. Erkenntnis vom 3. August 2000, Zl. 99/18/0259).
Als Versagungsgrund für die Erteilung eines weiteren Aufenthaltstitels hat die Behörde § 10 Abs. 2 Z. 3 FrG herangezogen. Diese Regelung lautet:
"(2) Die Erteilung eines Einreise- oder Aufenthaltstitels kann wegen Gefährdung öffentlicher Interessen (§ 8 Abs. 3 Z 2) insbesondere versagt werden, wenn ...
3. der Aufenthalt des Fremden die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit gefährden würde."
3. Zu der von der Behörde ihrer Beurteilung nach § 10 Abs. 2 Z. 3 FrG zu Grunde gelegten Verurteilung des Beschwerdeführers im Mai 1998 (vgl. oben I.1.) ist Folgendes festzuhalten: Dem bekämpften Bescheid lässt sich entnehmen, dass es nach Auffassung der belangten Behörde bei der Beurteilung, ob der Versagungsgrund des § 10 Abs. 2 Z. 3 FrG gegeben ist, darauf ankomme, dass eine rechtskräftige gerichtliche Verurteilung vorliege. Damit übersieht die Behörde aber, dass für das Vorliegen einer Gefahr nach dieser Bestimmung nicht eine solche Verurteilung, sondern ein (allenfalls einer solchen zugrundeliegendes) Fehlverhalten des Fremden maßgeblich ist (vgl. in diesem Sinn aus der hg. Rechtsprechung das zur vergleichbaren Regelung des § 10 Abs. 1 Z. 4 AufG ergangene Erkenntnis vom 18. Juni 1998, Zl. 95/18/0711). Nach den vorgelegten Verwaltungsakten (Blatt 24 und 28) wurde das der besagten Verurteilung ex 1998 zugrundeliegende Fehlverhalten schon im Jahr 1994 gesetzt. Es kann somit keine Rede davon sein, dass der Versagungsgrund erst nach der Erteilung des weiteren Aufenthaltstitels im März 1998, also im Sinn des § 34 Abs. 1 Z. 1 FrG "nachträglich", eingetreten sei. Wenn die belangte Behörde die in Rede stehende Verurteilung des Beschwerdeführers im Jahr 1998 als nachträglich eingetretenen Versagungsgrund im Sinn der genannten Bestimmung gewertet hat, so hat sie die Rechtslage verkannt und schon deshalb den angefochtenen Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet.
4. Angemerkt sei noch, dass es im Verfahren zur Erteilung einer weiteren Niederlassungsbewilligung der hiezu zuständigen Behörde dann, wenn ein (gerichtliches) Strafverfahren betreffend ein Fehlverhalten des Antragstellers schon anhängig ist oder gleichzeitig anhängig gemacht wird, gemäß § 38 AVG offen steht, angesichts der sich bei ihr stellenden Vorfrage der strafrechtlichen Beurteilung dieses Fehlverhaltens das Erteilungsverfahren auszusetzen. Entsprechendes gilt für die von der Niederlassungsbehörde gemäß § 15 Abs. 2 FrG befasste, zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme zuständige Fremdenpolizeibehörde, die mit einer solchen Maßnahme den Antrag auf Erteilung einer weiteren Niederlassungsbewilligung im Ergebnis negativ erledigt (vgl. § 15 Abs. 3, § 31 Abs. 4 zweiter Satz FrG).
5. Nach dem Gesagten war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
6. Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am 14. November 2000
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2000:1999180060.X00Im RIS seit
20.02.2001