TE AsylGH Erkenntnis 2013/09/16 S23 428872-1/2012

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Veröffentlicht am 16.09.2013
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Spruch

S23 428.872-1/2012/19E

 

IM NAMEN DER REPUBLIK!

 

Der Asylgerichtshof hat durch den Richter Mag. Nowak als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX, StA. Syrien, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 17.08.2012, FZ. 12 08.820-EAST West, zu Recht erkannt:

 

Der Beschwerde wird gemäß § 41 Abs. 3 AsylG 2005 idgF stattgegeben und der bekämpfte Bescheid behoben.

Text

Entscheidungsgründe:

 

I. Verfahrensgang und Sachverhalt:

 

1. Der Beschwerdeführer, syrischer Staatsangehöriger, gelangte unter Umgehung der Grenzkontrolle in das österreichische Bundesgebiet und stellte am 13.07.2012 einen Antrag auf internationalen Schutz. Ein Eurodac-Treffer ergab, dass der Beschwerdeführer am 11.07.2012 in Italien angehalten wurde.

 

1.1. Im Verlauf der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 13.07.2012 gab der Beschwerdeführer zu seiner Reiseroute befragt an, dass er am 25.06.2012 seine Heimat mit dem PKW verlassen habe und in die Türkei bis nach Istanbul und von dort weiter in einem LKW bis nach Österreich gefahren sei.

 

In Österreich würde ein Onkel mütterlicherseits leben.

 

Zu seinem Fluchtgrund führte er an, dass er bei Demonstrationen der Regime-Gegner teilgenommen habe. Da das Regime gewusst habe, dass sie an diesen Demonstrationen teilgenommen hätten, seien sie mit dem Tod bedroht worden.

 

Auf den Vorhalt eines Eurodac-Treffers zu Italien und warum er hinsichtlich seiner Reise durch einen EU-Staat falsche Angaben gemacht habe, führte der Beschwerdeführer aus, dass er nicht in Italien habe bleiben wollen. Er sei für 1,5 Tage dort gewesen, wie die Stadt geheißen habe, wisse er nicht. Von Mailand aus seien sie nach Österreich gebracht worden.

 

Der Beschwerdeführer würde in Österreich bleiben wollen, weil auch sein Onkel in Österreich leben würde. Bei einer Rückkehr in seine Heimat befürchte er, dass ihn das Regime töten würde.

 

1.2. Aufgrund der Angaben des Beschwerdeführers und des Eurodac-Treffers richtete das Bundesasylamt am 16.07.2012 ein auf Art. 10 Abs. 1 der Verordnung Nr. 343/2003 (EG) des Rates vom 18. Februar 2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist (im Folgenden: "Dublin II VO"), gestütztes Aufnahmeersuchen an Italien.

 

1.3. Am 16.07.2012 wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 29 Abs. 3 AsylG 2005 mitgeteilt, dass beabsichtigt sei, seinen Antrag auf internationalen Schutz zurückzuweisen und dass seit 16.07.2012 Konsultationen mit Italien geführt würden.

 

1.4. Mit Schreiben vom 19.07.2012 stimmte Italien der Aufnahme des Beschwerdeführers gemäß Art. 10 Abs. 1 Dublin II VO zu.

 

1.5. Im Verlauf seiner niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 24.07.2012 brachte der Beschwerdeführer nach erfolgter Rechtsberatung ergänzend zusammengefasst vor, dass sich sein Bruder ebenfalls in Österreich befinde und einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt habe. Weiters würden der Bruder seiner Mutter und insgesamt fünf Cousins bzw. Cousinen in Österreich wohnen. Der Onkel habe ihn in seinem Quartier besucht. Die Verwandten würden sich zwischen drei und zehn Jahren in Österreich befinden. Während dieser Zeit hätten sie fast täglich telefoniert. Mit seinem Bruder habe er in einem Haus gelebt, dieser sei nur einmal kurz in D. arbeiten gewesen. Der Bruder habe dort ab und zu im Sommer gearbeitet, er sei auch gelegentlich beim Bruder in D. gewesen.

 

Zum Verlassen des Herkunftsstaates führte der Beschwerdeführer im Wesentlichen aus, dass er am 25.06.2012 zu Fuß illegal in die Türkei gegangen sei. Anschließend sei er mit dem Auto nach Istanbul gefahren, wo er eine Woche geblieben sei. Dann seien sie mit dem Boot, dieses sei etwa 15m lang gewesen, in ein ihm unbekanntes Land gefahren, wo sie 1,5 Tage geblieben seien. In diesem Land, glaublich Italien, hätten sie Fingerabdrücke abgeben müssen. Dies sei unter Zwang gewesen, sie seien sogar geschlagen worden. Sein Bruder habe seine Fingerabdrücke nicht abgegeben, er sei zuvor geflüchtet. Er habe dann seinen Bruder am nächsten Tag wieder getroffen und sie seien mit einem Araber nach Österreich gefahren. Die Fahrt habe etwa fünf Stunden gedauert. Auf Nachfrage gab der Beschwerdeführer an, dass sie in der Nacht von Bord des Bootes gegangen seien und in der Früh sei ihnen dann die Fingerabdrücke abgenommen worden. Sie hätten aber nicht gewusst, dass sie in Italien seien, das hätten sie erst in Österreich erfahren. Auf der ganzen Reise habe ihn sein Bruder und ein Bekannter begleitet.

 

Auf den Vorhalt, dass Italien für die Prüfung des Asylantrages zuständig sei, gab der Beschwerdeführer im Wesentlichen an, dass sie in Italien keinen Asylantrag gestellt hätten. Sie würden hier bei ihren Angehörigen bleiben wollen. In Italien hätten sie keine Rechte gehabt. Sie hätten in dieser einen Nacht kein Essen bekommen, man habe sie auch geschlagen. Dort gebe es auch keine Arbeit. Österreich sei schön, es gebe Arbeit und Demokratie. Die Polizei habe ihn geschlagen, da er seine Fingerabdrücke nicht habe abgeben wollen. Zwei Polizisten hätten ihn festgehalten, wobei ihm einer die Fingerabdrücke abgenommen habe.

 

Der Rechtsberater führte abschließend aus, dass es zu keiner Trennung der beiden Brüder kommen solle. Dieser Grundgedanke finde sich auch in den humanitären Klauseln der Dublin-II-Verordnung. In diesem Fall müsse eine Antwort aus Italien abgewartet werden. Dem Beschwerdeführer wurde daraufhin mitgeteilt, dass die Antwort der italienischen Behörden seinen Bruder betreffend auf alle Fälle abgewartet würde.

 

1.6. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 17.08.2012 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz ohne in die Sache einzutreten gemäß

 

§ 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass für die Prüfung des gegenständlichen Asylantrages gemäß Art. 10 Abs. 1 der Dublin II VO Italien zuständig sei. Gleichzeitig wurde der Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Italien ausgewiesen und gemäß § 10 Abs. 4 AsylG 2005 festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Italien zulässig sei.

 

Begründend wurde hervorgehoben, dass im Verfahren kein im besonderen Maße substantiiertes, glaubhaftes Vorbringen betreffend das Vorliegen besonderer, bescheinigter außergewöhnlicher Umstände, die die Gefahr einer Verletzung der EMRK im Falle einer Überstellung ernstlich möglich erscheinen lassen, hervorgekommen sei. Die Regelvermutung des § 5 Abs. 3 AsylG 2005 treffe daher zu.

 

Begründend wurde weiters ausgeführt, dass der Angabe des Beschwerdeführers in Italien von der Polizei geschlagen worden zu sein, kein Glauben geschenkt würde. Selbst wenn die Angabe stimmen würde, würde ihm die Möglichkeit offen stehen aufgrund der in Italien vorhandenen Rechtsschutzmöglichkeiten gegen Übergriffe der Polizei vorzugehen. Der Angabe kein Essen erhalten zu haben, wurde seitens des Bundesasylamtes entgegengehalten, dass der Beschwerdeführer in Italien keinen Asylantrag gestellt habe. An diesem Umstand sei es wohl gelegen, dass er in Italien keine Unterstützung erhalten habe.

 

Zum verwandtschaftlichen Anknüpfungspunkt führte das Bundesasylamt aus, dass zu seinem Bruder ein familiäres Verhältnis zwischen erwachsenen Geschwistern vorliege, wobei nichts darauf hindeuten würde, dass der Beschwerdeführer im Speziellen von seinem Bruder abhängig sei. Abgesehen davon habe der Bruder in Österreich lediglich den Status eines Asylwerbers, für dessen Antrag auf internationalen Schutz zwar Österreich zuständig sei, über diesen Antrag jedoch noch nicht abgesprochen worden sei. Es erscheine auch nicht unmöglich, dass etwaige Kontakte auf Grundlage gegenseitiger Besuche im Rahmen der fremdenrechtlichen Bestimmungen gehalten werden könnten. Auch die Beziehung zum Onkel und den Cousins bzw. Cousinen reiche nicht aus, um es als Privat- und Familienleben im Sinne des Art. 8 Abs. 1 EMRK zu qualifizieren.

 

Weiters enthält der Bescheid gestützt auf eine Zusammenstellung der Staatendokumentation iSd § 60 AsylG 2005 auch eine ausführliche Darstellung zum italienischen Asylverfahren, zu Dublin-II Rückkehrern und zur Versorgung von Asylwerbern.

 

1.7. Am 20.08.2012 langte beim Bundesasylamt ein Bescheid ein, aus dem hervorgeht, dass gegen den Beschwerdeführer die Schubhaft verhängt wurde.

 

1.8. Gegen den Bescheid des Bundesasylamtes erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde, in der im Wesentlichen zusammengefasst vorgebracht wird, dass dieser und sein Bruder vor der Flucht aus Syrien in gemeinsamen Haushalt gelebt hätten. Die Geschwister seien gemeinsam ausgereist. Der Bruder habe denselben Reiseweg gehabt und sei vom Bundesasylamt jedoch nicht angenommen worden, dass Italien für die Prüfung des Antrages auf internationalen Schutz zuständig sei und habe sein Verfahren zugelassen. Der einzige Unterschied zum Beschwerdeführer sei, dass im Falle des Bruders offensichtlich keine erkennungsdienstliche Behandlung in Italien vorliege und somit die Beweislage unterschiedlich sei. Dies ändere aber grundsätzlich nichts am zuständigkeitsbegründendem Sachverhalt. Zudem könne aufgrund der vorliegenden Beweismittel und der geographischen Gegebenheiten davon ausgegangen werden, dass der Beschwerdeführer (und sein Bruder) von der Türkei kommend zuerst die Grenze zu Griechenland überschritten hätten müssen bevor sie mit dem Boot nach Italien gekommen seien. Somit hätte die Behörde feststellen müssen, dass die Beweislage dafür spreche, dass der Beschwerdeführer von der Türkei kommend in Griechenland das Gebiet der Europäischen Union betreten habe.

 

Die Beweiswürdigung im angefochtenen Bescheid, dass das Vorbringen der Beschwerdeführer sei von der Polizei in Italien geschlagen worden der allgemeinen Lebenserfahrung widerspreche, sei nicht nachvollziehbarer oder schlüssiger als das Vorbringen des Beschwerdeführers. Es erscheine nachvollziehbar, dass der Beschwerdeführer, der gerade als Flüchtling in Italien gestrandet gewesen sei, nicht gewagt habe, den Polizeiübergriff in seiner Situation zur Anzeige zu bringen.

 

Die von der Asylbehörde getroffenen Länderfeststellungen zu Italien würden sich kaum mit den tatsächlichen Verhältnissen in Italien auseinandersetzen. Die Aufnahmekapazitäten in Italien seien völlig überlastet und würde die große Mehrheit der Asylsuchenden und Personen, denen subsidiärer Schutz oder ein humanitärer Aufenthaltstitel erteilt worden sei, keine Unterkunft und Versorgung erhalten. Zur Untermauerung des Vorbringens wird auf verschiedene Länderberichte verwiesen. Es bestehe somit ein ernsthaftes Risiko, dass der Beschwerdeführer bei einer Rückführung nach Italien keine Unterkunft und keine Versorgung erhalten würde. Italien verletze auch laufend das Verbot von Refoulement.

 

Aus dem glaubwürdigen Vorbringen des Beschwerdeführers gehe hervor, dass er und sein um ein Jahr jüngerer Bruder nicht nur zusammen aufgewachsen, sondern bis zur Flucht im gemeinsamen Haushalt gewohnt hätten und noch keine eigenen Familien gegründet hätten. Die Geschwister seien noch niemals für längere Zeit getrennt gewesen und seien gerade in der prekären Situation der Flucht besonders auf die gegenseitige Unterstützung angewiesen. Die Ausweisung des Beschwerdeführers stelle somit einen Eingriff in das durch Art. 8 EMRK geschützte Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers und seines Bruders dar.

 

1.9. Am 30.08.2012 langte ein Bescheid ein, aus dem hervorgeht, dass gegenüber dem Beschwerdeführer ein gelinderes Mittel angeordnet wurde, mit dem Auftrag zur Entlassung aus der Schubhaft.

 

1.10. Am 04.09.2012 langte eine ergänzende Stellungnahme des Beschwerdeführers ein. Darin wird im Wesentlichen vorgebracht, dass der Beschwerdeführer neben seinem Bruder, dessen Asylverfahren in Österreich zugelassen worden sei, auch andere Anknüpfungspunkte in Österreich habe. Der Onkel des Beschwerdeführers sei bereit gewesen diesen bei sich wohnen zu lassen, allerdings sei dem Beschwerdeführer aufgetragen worden, sich in einer bestimmten Unterkunft aufzuhalten. Weitere Verwandte würden noch in Österreich leben. Insbesondere drohe die Trennung des Beschwerdeführers von seinem Bruder, mit dem er aufgewachsen und gemeinsam aus Syrien geflohen sei.

 

1.11. Die gegenständliche Beschwerde samt Verwaltungsakt langte der Aktenlage nach am 30.08.2012 beim Asylgerichtshof ein.

 

1.12. Mit Beschluss des Asylgerichtshofes vom 06.09.2012 wurde der Beschwerde gemäß § 37 Abs. 1 AsylG 2005 die aufschiebende Wirkung zuerkannt.

 

1.13. Am 12.09.2012 langte im Asylgerichtshof eine weitere ergänzende Stellungnahme des Beschwerdeführers ein, in der vorgebracht wird, dass beim Gerichtshof der Europäischen Union ein Vorabentscheidungsersuchen anhängig sei, dessen Ergebnis für gegenständliches Beschwerdeverfahren relevant sei. Es werde daher beantragt, das Beschwerdeverfahren bis zum Einlangen der Vorabentscheidung auszusetzen.

 

1.14. Am 06.11.2012 langten im Asylgerichtshof Unterlagen betreffend die Abänderung des gelinderen Mittels ein.

 

1.15. Am 21.11.2012 langte eine Vertretungsbekanntgabe ein.

 

1.16. Am 30.11.2012 langte eine Stellungnahme des Vertreters des Beschwerdeführers ein, in der im Wesentlichen zusammengefasst ausgeführt wird, dass der Beschwerdeführer unmöglich mit einem 15m langen Boot ohne Zwischenaufenthalt in Griechenland nach Italien gelangt sein könne, die Entfernung sei ohne Zwischenaufenthalt nicht bewältig bar. Außerdem habe er zwingend griechisches Gewässer durchquert, woraus sich seiner Ansicht nach bereits die Dublin II Zuständigkeit ergebe. Obwohl davon auszugehen sei, dass eine Dublin-Zuständigkeit Italiens gar nicht vorliege, wäre die Anwendung derselben eine grobe Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes, da das Asylverfahren seines Bruders in Österreich geführt werde. Wenn das Asylverfahren seines Bruders in Österreich geführt werde, so sei dies auch ihm zu gestatten, da ihr Reiseweg völlig gleich sei, sie aus denselben Gründen Syrien verlassen hätten und daher idente Fluchtgründe vorzubringen hätten.

 

Es werde zur Abklärung des Reisewegs die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragt.

 

1.17. Am 05.04.2013 langten im Asylgerichtshof Unterlagen betreffend die Aufhebung des gelinderen Mittels ein.

 

1.18. Am 02.05.2013 langte eine weitere ergänzende Stellungnahme des Beschwerdeführers ein, in der bekannt gegeben wird, dass seinem Bruder zwischenzeitlich mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 18.12.2012 der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden sei. Nach nochmaligen Hinweis auf die Verbindung zum Bruder wird weiters vorgebracht, dass auch verfahrensökonomische Überlegungen, dass praktisch idente Fluchtgründe nicht in zwei verschiedenen Mitgliedstaaten geprüft würden, für eine Zuständigkeit Österreichs sprechen würden.

 

II. Der Asylgerichtshof hat erwogen:

 

1. Gemäß §§ 73 und 75 des Bundesgesetzes über die Gewährung von Asyl, BGBl. I Nr. 100/2005 in der Fassung BGBl. I Nr. 38/2011 (im Folgenden: "AsylG 2005") ist dieses anzuwenden.

 

Hinsichtlich des Verfahrens vor dem Asylgerichtshof sind die einschlägigen Bestimmungen des AsylG 2005 und das Bundesgesetz über den Asylgerichtshof, BGBl. I Nr. 4/2008 in der Fassung BGBL I Nr. 147/2008 (in Folge: "AsylGHG") sowie subsidiär das Allgemeine Verwaltungsverfahrensgesetz 1991, BGBl. Nr. 51/1991 in der Fassung BGBl. I Nr. 20/2009 (in Folge: "AVG") anzuwenden. Schließlich war das Bundesgesetz über die Zustellung behördlicher Dokumente, BGBl. Nr. 200/1982 in der geltenden Fassung (im Folgenden: ZustG) maßgeblich.

 

Gemäß § 9 Abs. 1 AsylGHG, BGBl. I Nr. 4/2008 entscheidet der Asylgerichtshof in Senaten, soweit eine Entscheidung durch einen Einzelrichter oder Kammersenat nicht bundesgesetzlich vorgesehen ist. Gemäß § 61 Abs. 3 AsylG 2005 entscheidet der Asylgerichtshof über Beschwerden gegen zurückweisende Bescheide nach den §§ 4 und 5 AsylG 2005 und nach § 68 AVG durch Einzelrichter. Gemäß § 42 AsylG 2005 entscheidet der Asylgerichtshof bei Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung oder Rechtsfragen, die sich in einer erheblichen Anzahl von anhängigen oder in naher Zukunft zu erwartender Verfahren stellt, sowie gemäß § 11 Abs. 4 AsylGHG, wenn im zuständigen Senat kein Entscheidungsentwurf die Zustimmung des Senates findet, durch einen Kammersenat. Im vorliegenden Verfahren liegt eine Beschwerde gegen eine Entscheidung nach § 5 AsylG 2005 vor, sodass der erkennende Richter als Einzelrichter zur Entscheidung zuständig war.

 

2. § 41 Abs. 3 AsylG 2005 besagt, dass in einem Verfahren über eine Beschwerde gegen eine zurückweisende Entscheidung und die damit verbundene Ausweisung § 66 Abs. 2 AVG nicht anzuwenden ist. Ist der Beschwerde gegen die Entscheidung des Bundesasylamtes im Zulassungsverfahren statt zu geben, ist das Verfahren zugelassen. Der Beschwerde gegen die Entscheidung im Zulassungsverfahren ist auch statt zu geben, wenn der vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint.

 

Der Gesetzgeber hat für das Verfahren über Beschwerden gegen zurückweisende Bescheide sehr kurze Fristen (§ 41 Abs. 2, § 37 Abs. 3 AsylG 2005) vorgesehen, andererseits aber den Asylgerichtshof dazu verpflichtet, bei einem "mangelhaften Sachverhalt" der Beschwerde stattzugeben, ohne § 66 Abs. 2 AVG anzuwenden (§ 41 Abs. 3 AsylG 2005). Aus den Materialien (Erläut. zur RV, 952 BlgNR 22. GP, 66) geht hervor, dass "im Falle von Erhebungsmängel die Entscheidung zu beheben, das Verfahren zuzulassen und an das Bundesasylamt zur Durchführung eines materiellen Verfahrens zurückzuweisen" ist. Diese Zulassung stehe einer späteren Zurückweisung nicht entgegen. Daraus und aus den erwähnten kurzen Entscheidungsfristen ergibt sich, dass der Gesetzgeber den Asylgerichtshof im Verfahren über Beschwerden gegen zurückweisende Bescheide von einer Ermittlungstätigkeit möglichst entlasten wollte. Die Formulierung des

 

§ 41 Abs. 3 AsylG 2005 letzter Satz ("wenn der vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint") schließt somit nicht aus, dass eine Stattgabe ganz allgemein in Frage kommt, wenn dem Asylgerichtshof - auf Grund erforderlicher zusätzlicher Erhebungen - eine unverzügliche Erledigung der Beschwerde unmöglich ist.

 

2.1. Das Bundesasylamt hat es verabsäumt, sich ausreichend mit der Intensität des Familienlebens des Beschwerdeführers zu seinem in Österreich lebenden Bruder auseinander zu setzen. Im vorliegenden Fall scheinen dem Asylgerichtshof Umstände vorzuliegen, die jedenfalls eine weitere Einvernahme des Beschwerdeführers und eventuell auch eine zeugenschaftliche Einvernahme seines Bruders unumgänglich erscheinen lassen. Darüber hinaus ist auf das Judikat des Verwaltungsgerichtshofes vom 17.11.2009, Zl. 2007/20/0955 - hinsichtlich der Erwägungen zum Vorteil der gemeinsamen Führung inhaltlicher Verfahren von Asylwerbern - zu verweisen. Der vom VwGH in dem zitierten Erkenntnis herausgearbeitete Aspekt des Vorteils einer gemeinsamen Erledigung verwandter Vorgänge in einem Land ist also in die Abwägung nach Art. 8 EMRK einzubeziehen und kann im vorliegenden Fall nicht ohne weiteres von fehlender Entscheidungsmaßgeblichkeit dieses Umstandes ausgegangen werden, wie dies das Bundesasylamt jedoch getan hat, indem es diesem Umstand bei den würdigenden Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden keine Beachtung zukommen hat lassen.

 

Um die eben genannten Aspekte rechtsrichtig beurteilen zu können, bedürfte es der Beischaffung des Asylaktes des Bruders sowie einer ergänzenden Befragung des Beschwerdeführers zu möglichen Zusammenhängen der Fluchtgründe.

 

Erst nach den beschriebenen Ergänzungen des Beweisverfahrens wird sich abschließend beurteilen lassen, ob das Bundesasylamt, vor allem unter dem Blickwinkel des Art. 8 EMRK, im gegenständlichen Fall von seinem Selbsteintrittsrecht gemäß Art. 3 Abs. 2 Dublin-Verordnung Gebrauch machen hätte müssen.

 

Auch wenn erst in der Beschwerde vorgebracht, wird sich das Bundesasylamt im weiteren Verfahren mit dem Reiseweg des Beschwerdeführers genauer auseinandersetzen müssen.

 

Gemäß Art 129c B-VG erkennt der Asylgerichtshof nach Erschöpfung des Instanzenzuges (unter anderem) über Bescheide der Verwaltungsbehörden in Asylsachen. Bereits aus dieser Bestimmung ist einleuchtend, dass es dem Bundesasylamt als erster und einziger Instanz im Asylverfahren zukommt, den gesamten entscheidungsrelevanten Sachverhalt zu ermitteln und den Asylwerber dazu persönlich zu vernehmen. Dies hat der VwGH in seinem Erkenntnis vom 30.09.2004, 2001/20/0315, bereits im Zusammenhang mit dem unabhängigen Bundesasylsenat ausgeführt und hat sich an diesem Grundsatz nichts geändert. Vielmehr würde die Beschwerdemöglichkeit des Asylwerbers an den Asylgerichtshof andernfalls zu einer bloßen Formsache degradiert werden, wenn letzterer, statt seine "umfassende und letztinstanzliche" Kontrollbefugnis wahrnehmen zu können, jene Instanz ist, die erstmals den gesamten entscheidungswesentlichen Sachverhalt ermittelt und einer Beurteilung unterzieht. Dies gilt umso mehr nachdem der Verwaltungsgerichtshof in Asylsachen grds. keine einzelfallbezogene Kontrollbefugnis mehr hat und diese hinsichtlich einfachgesetzlicher Verletzungen nunmehr dem Asylgerichtshof zukommt. Würde man gegenteilige Ansicht vertreten, - nämlich dass der Asylgerichtshof jenes Organ ist, das erstmals den gesamten maßgeblichen Sachverhalt feststellt, so würde dem Asylwerber im Hinblick auf einfachgesetzliche Verletzungen eine Kontrollinstanz de facto entzogen werden.

 

2.2. Es war in einer Gesamtschau der zuvor dargestellten Umstände in Bezug auf die Beschwerdeführer gemäß § 41 Abs 3 3. Satz AsylG vorzugehen, da ergänzende Beweisaufnahmen erforderlich sind

 

3. Gemäß § 41 Abs. 4 AsylG 2005 konnte von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen werden.

 

Es war somit spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte
Befragung, Ermittlungspflicht, familiäre Situation, Kassation, mangelnde Sachverhaltsfeststellung
Zuletzt aktualisiert am
19.09.2013
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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