TE AsylGH Erkenntnis 2013/09/17 E3 410461-2/2011

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Veröffentlicht am 17.09.2013
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Spruch

E3 410.461-2/2011-25E

 

E3 420.059-2/2011-6E

 

IM NAMEN DER REPUBLIK!

 

1) Der Asylgerichtshof hat durch die Richterin Dr. HERZOG als Vorsitzende und die Richterin Mag. GABRIEL als Beisitzerin über die Beschwerde der XXXX, geb. XXXX, StA. Türkei, vertreten durch die Rechtsanwälte Mag. Johann GALANDA und Dr. Anja OBERKOFLER, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 29.09.2011, Zl. 09 01.316-BAW, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Die Beschwerde wird gemäß §§ 3 Abs 1, 8 Abs 1 Z 1 und 10 Abs 1 Z 2 AsylG als unbegründet abgewiesen.

 

2) Der Asylgerichtshof hat durch die Richterin Dr. HERZOG als Vorsitzende und die Richterin Mag. GABRIEL als Beisitzerin über die Beschwerde des XXXX, geb. XXXX, StA. Türkei, vertreten durch die Mutter XXXX, diese vertreten durch die Rechtsanwälte Mag. Johann GALANDA und Dr. Anja OBERKOFLER, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 29.09.2011, Zl. 11 04.890-BAW, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Die Beschwerde wird gemäß §§ 3 Abs 1, 8 Abs 1 Z 1 und 10 Abs 1 Z 2 AsylG als unbegründet abgewiesen.

Text

Entscheidungsgründe:

 

I. Verfahrensgang:

 

1. Die nunmehrigen Beschwerdeführer, gemäß der Reihenfolge ihrer Nennung im Spruch als BF[1] und BF[2] bezeichnet, sind Staatsangehörige der Türkei und der kurdischen Volksgruppe zugehörig. Die BF[1] reiste am 01.02.2009 illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 02.02.2009 einen Antrag auf internationalen Schutz.

 

Bei dem BF[2] handelt es sich um den minderjährigen - in Österreich geborenen - Sohn der BF[1] und deren Gatten (E3 264.809-2/2011).

 

2. Im Rahmen der Erstbefragung am 02.02.2009 gab die BF[1] hinsichtlich ihrer Fluchtgründe an, dass sie im Jahr 2002 mit ihrem Lebensgefährten eine traditionelle/ religiöse Ehe geschlossen habe. Ihr Vater sei stets gegen diese Ehe gewesen. Zudem sei sie einmal gemeinsam mit ihrer jüngeren Schwester auf eine Hochzeit gegangen. Ein Verwandter ihres Ehegatten habe hierbei bei der Abgabe von Freudenschüssen unabsichtlich ihre Schwester am Auge getroffen. Seitdem sei diese an einem Auge erblindet. Durch diesen Vorfall sei ihr Vater noch böser auf ihren Ehegatten und dessen Familie. Vor kurzem habe ihr Vater für sie einen reicheren und älteren Mann gefunden. Mit diesem habe er sie gegen Geld zwangsverheiraten wollen. Ihr Ehegatte könne nicht mehr in die Türkei zurück. Ihr Vater habe sie auch geschlagen und mit dem Umbringen bedroht. Daraufhin hätte sie sich an ihren Schwiegervater gewandt, der zusammen mit einem Freund, ihre Reise zu ihrem Ehegatten organisiert habe.

 

Bei einer Rückkehr befürchte sie, sofort getötet zu werden, um die Ehre der Familie zu wahren.

 

3. Bei der am 08.07.2009 erfolgten Einvernahme vor dem Bundesasylamt führte die Erstbeschwerdeführerin zu ihrem Fluchtgrund befragt aus, dass sie ca. vier od. fünf Monate nach der Abreise ihres Ehegatten mit ihrer jüngeren Schwester eine Hochzeit von Verwandten ihres Ehegatten besucht habe. Einer der Verwandten, XXXX, habe bei der Abfeuerung von Freudenschüssen mit einer Schrotflinte ihre Schwester am Auge getroffen, welche dadurch am linken Auge erblindet sei. Im rechten Auge befänden sich noch Splitterreste. Aufgrund dieses Vorfalls sei ihr Vater mit der Familie des Ehegatten verfeindet, zumal der Schütze auch nicht ins Gefängnis gekommen sei. Ihr Vater habe sie dann schlagend zu sich zurückgeholt und von ihr verlangt, dass sie einen anderen Mann heirate. Da sie sich geweigert habe, habe sie ihr Vater gezwungen, Hilfsarbeiten auf den Feldern durchzuführen. Immer wenn sie sich geweigert habe, einen anderen Mann zu heiraten, habe sie ihr Vater geschlagen. Vor allem ein älterer Mann namens XXXX, dessen Frau bereits verstorben sei, habe ihren Vater bedrängt, sie diesem zur Ehegattin zu geben. Ihr Vater habe ihr mitgeteilt, dass sie diesen Mann heiraten müsse und er sie nicht ewig ernähren würde. Der Mann habe ihrem Vater auch ein Brautgeld versprochen. Ihr Schwiegervater habe dann für sie die Flucht aus der Türkei organisiert. Wegen des Vorfalls mit ihrer Schwester habe sie einen Schock erlitten und sei seither ihre Psyche beeinträchtigt.

 

Ihr Ehegatte habe den Militärdienst nicht ableisten wollen und habe zudem Probleme wegen seines Cousins XXXX gehabt, der sich den Terroristen angeschlossen und sich in die Berge begeben habe. Ihr Ehegatte sei verdächtigt worden mit diesem Cousin zusammenzuarbeiten, da er den Militärdienst verweigert habe. Nur ihr Schwiegervater sei vor langer Zeit in Haft gewesen, weil dieser seine Schwester ermordet habe. Es habe sich um einen Ehrenmord gehandelt.

 

Ihr Vater würde sie und ihren Ehegatten im Falle der Rückkehr töten, da er wegen der Erblindung ihrer Schwester einen großen Zorn habe. Zudem sei sie von zu Hause ausgerissen und werde dies bei ihnen nicht geduldet.

 

Abschließend wurden der BF[1] die Feststellungen des Bundesasylamtes betreffend Frauen bzw. Zwangsheirat zur Kenntnis gebracht und gab die BF[1] diesbezüglich zu Protokoll: "In unserer Provinz sind 80 % der Ehen nur nach islamischem Recht geschlossen worden. In unserer Gegend gibt es keine Frauenhäuser, wo die Mädchen Zuflucht finden können. Ich kenne keine Ehe, wo kein Brautgeld bezahlt worden wäre. Die Mädchen würden sich nie trauen die Stimme gegen Ihren Vater zu erheben. Zwangsehen sind üblich. Viele Mädchen sehen den Bräutigam erst, wenn sie das Brautkleid anhaben."

 

4. Mit Bescheid vom 24.08.2009 wies das Bundesasylamt den Antrag der Erstbeschwerdeführerin auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt I.). Weiters wurde der Antrag der Erstbeschwerdeführerin auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf ihren Herkunftsstaat Türkei gemäß § 8 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt II.) und die BF[1] gemäß § 10 Abs 1 Z 2 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Türkei ausgewiesen (Spruchpunkt III.). Dagegen wurde fristgerecht Beschwerde eingebracht.

 

5. Dieser Bescheid vom 24.08.2009 erwuchs mit 10.09.2009 in Rechtskraft.

 

6. Gegen den Bescheid des BAA vom 24.08.2009 erstattete die Erstbeschwerdeführerin mit Schriftsatz vom 16.11.2009 einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand verbunden mit einer Beschwerde.

 

Im Zuge dieses Schriftsatzes wurden von der BF[1] insbesondere eine ärztliche Bestätigung bezüglich der Verletzung ihrer Schwester am linken Auge sowie ein Foto ihrer Schwester in Vorlage gebracht.

 

7. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 19.11.2009, Zl. 09 01.316/1-BAE, wurde dem Antrag der Erstbeschwerdeführerin vom 16.11.2009 auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 71 Abs. 1 AVG 1991, BGBl. Nr. 51/1991 idgF stattgegeben.

 

8. Der mj. Zweitbeschwerdeführer wurde am XXXX in Österreich geboren und stellte sodann am 19.05.2011, vertreten durch seine Mutter, einen Antrag auf internationalen Schutz. Im Zuge der diesbezüglich durchgeführten Erstbefragung gab die BF[1] zu Protokoll, dass für den BF[2] die gleichen Flucht- und Asylgründe gelten würden wie für sie. Deswegen stelle sie diesen Asylantrag.

 

9. Mit Bescheid vom 15.06.2011 wies das Bundesasylamt den Antrag des Zweitbeschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt I.). Weiters wurde der Antrag des Zweitbeschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Türkei gemäß § 8 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt II.) und der BF[2] gemäß § 10 Abs 1 Z 2 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Türkei ausgewiesen (Spruchpunkt III.). Dagegen wurde fristgerecht Beschwerde eingebracht.

 

10. In Erledigung der Beschwerde der BF[1] wurde der bekämpfte Bescheid mit Erkenntnis des Asylgerichtshofs vom 20.06.2011, Zl. E3 410.461-1/2009-6E behoben und die Angelegenheit gemäß § 66 Abs 2 AVG zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an die Erstbehörde zurückverwiesen. Begründend für die Kassationsentscheidung wurde seitens des entscheidenden Senats des AsylGH im Wesentlichen ausgeführt, dass sich die erfolgte Beweiswürdigung des BAA zur Unglaubwürdigkeit der BF[1] als grob mangelhaft erweise; dies insbesondere unter Berücksichtigung der doch relativ umfangreichen Schilderung der BF[1] zu den ihr widerfahrenen Geschehnissen im Heimatland. Das Bundesasylamt begründe die Unglaubwürdigkeit der BF[1] mit einem angeblichen Widerspruch hinsichtlich des Einverständnisses ihres Vaters zur islamischen Trauung sowie mit dem Umstand, dass ihr Lebensgefährte sie bei seiner Asylantragstellung im Jahr 2004 nicht erwähnt habe. Auch die Ausführungen des Bundesasylamtes, dass die BF[1] nicht in der Lage gewesen wäre Angaben zum Zeitpunkt der Hochzeit, bei welcher ihre Schwester verletzt worden wäre, zu tätigen, würden sich als verfehlt bzw. aktenwidrig erweisen, habe diese doch angegeben, dass ihr Lebensgefährte die Türkei im Sommer 2004 verlassen hätte und die Hochzeit ca. vier oder fünf Monate nach seiner Ausreise stattgefunden habe. Ferner sei anzumerken, dass die BF[1] stets gleichlautende Angaben, sowohl zu ihrem Reiseweg als auch was das Fluchtvorbringen betrifft, getätigt habe und hätten sich ihre Angaben in den einzelnen Einvernahmen aus Sicht des Asylgerichtshofes weitgehend widerspruchsfrei und äußerst umfangreich dargestellt.

 

Das Bundesasylamt habe auch nicht hinreichend dargetan, warum bzw. inwiefern eine Überprüfung der Angaben nicht möglich gewesen sei; dies wäre aber vor allem aufgrund des detaillierten und widerspruchsfreien Vorbringens der BF[1] grundsätzlich erforderlich gewesen. Es wäre eine einzelfallbezogene nähere Beweiswürdigung sowie rechtliche Würdigung des individuellen Vorbringens der BF[1], basierend auf aktuellen Feststellungen erforderlich gewesen.

 

Das BAA werde sich im fortgesetzten Verfahren mit dem individuellen Vorbringen der BF[1] hinreichend auseinanderzusetzen haben und werde insbesondere auch eine zeugenschaftliche Einvernahme des Ehegatten der Erstbeschwerdeführerin stattzufinden haben. Für den Fall, dass sich keine groben Widersprüche im Vorbringen der BF[1] und ihres Ehegatten ergeben würden, so werde das Bundesasylamt jedenfalls eingehende Ermittlungen zu tätigen haben; dies insbesondere unter Berücksichtigung des Umstandes, dass einem Vorbringen wie es von der BF[1] erstattet wurde, unter Berücksichtigung der dem erstinstanzlichen Bescheid zugrunde gelegten Länderfeststellungen zur Thematik Ehrenmord und Zwangsheirat, jedenfalls nicht von vornherein die Asylrelevanz abgesprochen werden könne.

 

Ferner werde auch das vom Beschwerdeführervertreter dem Beschwerdeschriftsatz beigefügte ärztliche Attest über die Augenverletzung der Schwester - welches an das Bundesasylamt in Kopie samt Übersetzung weitergeleitet wird - entsprechend zu würdigen sein.

 

11. In Erledigung der Beschwerde des BF[2] wurde auch dessen Bescheid mit Erkenntnis des Asylgerichtshofs vom 07.07.2011, Zl. E3 420.059-1/2011-4E behoben und die Angelegenheit gemäß § 66 Abs 2 AVG iVm § 34 Abs 4 AsylG zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an die Erstbehörde zurückverwiesen. Begründend für die Kassationsentscheidung wurde seitens des entscheidenden Senats des AsylGH im Wesentlichen ausgeführt, dass der BF[2] der minderjährige Sohn des XXXX und der BF[1] sei, deren erstinstanzliche Bescheide mit Erkenntnissen des Asylgerichtshofes vom 20.06.2011 gemäß § 66 Absatz 2 AVG behoben und die Angelegenheiten zur neuerlichen Durchführung der Verfahren und Erlassung neuer Bescheide an das Bundesasylamt zurückverwiesen worden seien. Insoweit könne im Sinne des § 34 Absatz 4 AsylG, wonach die Verfahren "unter einem zu führen" sind, auch der den Antrag auf internationalen Schutz abweisende angefochtene Bescheid bezüglich des BF[2] keinen Bestand haben (vgl. VwGH v. 18.10.2005, 2005/01/0402 bis 0404).

 

12. In der Folge fand am 01.09.2011 eine weitere Einvernahme des Erstbeschwerdeführerin seitens der Erstbehörde statt, in welcher sie zunächst ausführte, die gesetzliche Vertreterin für den BF[2] zu sein. Dessen Asylantrag beziehe sich auf ihre Gründe im Familienverfahren.

 

Im Falle der Rückkehr würde sie ihr Vater nicht am Leben lassen. Bei einer Hochzeit im Jahr 2005 hätten ihr Schwiegervater und der Sohn von dessen Tante XXXX absichtlich auf das Auge ihrer Schwester XXXX geschossen. Diese sei an einem Auge erblindet, im anderen Auge befänden sich noch Splitter vom Schrotgewehr. Deshalb gebe es zwischen ihrem Vater und ihrem Schwiegervater jetzt eine Feindschaft. Ihr Schwiegervater habe Militärangehörige bestochen, die Tatwaffe versteckt, den Soldaten eine andere Waffe gezeigt und die Tat bestritten. Es sei dann die Tatwaffe gefunden worden und so habe man sie überführt. Die Polizei sei auf der Hochzeit erschienen und es sei auch ein Gerichtsverfahren eingeleitet worden. XXXX sei einige Tage in Haft gewesen, aber ihr Schwiegervater habe die Gendarmen bestochen, woraufhin dieser nach drei oder vier Tagen aus der Haft entlassen worden sei.

 

Der ausschlaggebende Grund für die Ausreise sei gewesen, dass ihr Vater von ihr verlangt habe, einen alten Mann namens XXXX gegen Geld zu heiraten.

 

Die BF[1] legte im Rahmen dieser Einvernahme mehrere medizinische Unterlagen bezüglich ihrer psychotherapeutischen Behandlung, Internetberichte betreffend Ehrenmorde und ihren türkischen Personalausweis vor.

 

13. Bezüglich der dem Beschwerdeführervertreter bei der Einvernahme vor dem BAA am 01.09.2011 übergebenen aktuellen Feststellungsunterlagen des Bundesasylamtes zur Lage in der Türkei langte am 22.09.2011 fristgemäß eine schriftliche Stellungnahme ein. Hierin wurde ausgeführt, dass der Ehegatte der BF[1] bzw. Vater des BF[2] glaubwürdig und nachvollziehbar angegeben habe, aufgrund einer vermeintlichen Unterstützung der PKK in asylrechtlich relevanter Weiser verfolgt zu werden und er seinen Militärdienst nicht abgeleistete habe. Ferner habe die BF[1] glaubwürdig und nachvollziehbar angegeben, dass ihr ein sog. "Ehrenmord" drohe. Diese Ausführungen der BF[1] und ihres Ehegatten würden auch durch die vom BAA übermittelten Länderberichte dokumentiert. Insoweit wurde daher auszugsweise aus diesen Unterlagen und bezüglich des Vorbringens des Ehegatten zusätzlich aus einem - der Stellungnahme beigefügten - Länderbericht zur Türkei von Amnesty International (Stand: Dezember 2010) zitiert.

 

Weiters wurde ausgeführt, dass es weiterhin zu unfairen Gerichtsverfahren komme, wobei von solchen Verfahren vor allem Personen betroffen seien, denen eine Unterstützung/ Sympathie zur PKK vorgeworfen werde. Überdies sei zu berücksichtigen, dass dem Ehegatten auch aufgrund seiner Wehrdienstverweigerung eine Verhaftung und Verurteilung drohe.

 

Abschließend wurde zum Beweis, dass der BF[1] in der Türkei eine asylrelevante Verfolgung drohe, ausdrücklich die Einholung eines länderkundlichen Sachverständigengutachtens beantragt.

 

14. Am 22.09.2011 erfolgte in Österreich die standesamtliche Eheschließung mit XXXX (OZ 2).

 

15. Mit dem angefochtenen Bescheid vom 29.09.2011 wies das Bundesasylamt den Antrag der Erstbeschwerdeführerin auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt I.). Weiters wurde der Antrag der Erstbeschwerdeführerin auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf ihren Herkunftsstaat Türkei gemäß § 8 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt II.) und die BF[1] gemäß § 10 Abs 1 Z 2 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Türkei ausgewiesen (Spruchpunkt III.).

 

Die Identität, Staatsangehörigkeit und Volksgruppenzugehörigkeit der BF[1] konnte verifiziert werden. Weiters wurde festgestellt, dass sie die Mutter des mj. BF[2] sei und für diesen ein Familienverfahren betreibe. Sie würde an keinen lebensbedrohlichen Erkrankungen leiden.

 

Es könne nicht festgestellt werden, dass die BF[1] die Türkei aus asylrelevanten Gründen verlassen habe oder dass sie im Falle einer Rückkehr in die Türkei derartige Gründe zu gewärtigen hätte.

 

Es bestünden keine Hinderungsgründe dahingehend, dass die BF[1] ihr Familienleben mit ihrem Ehegatten und dem BF[2] in der Türkei fortsetzt. Darüber hinaus verfüge sie in der Türkei über verwandtschaftliche Beziehungen, auf die sie bei der Ausreise aus der Türkei zurückgreifen konnte und die sie auch in Österreich unterstützen. Ferner bestünden keine Hinderungsgründe dahingehend, dass die BF[1] nicht auch in der Türkei auf diese familiäre Unterstützung zurückgreifen könnte.

 

Sie habe demnach, soweit es die notwendige Existenzgrundlage für sich angehe - auch vor dem Hintergrund der allgemeinen Lage in der Türkei - in materieller Hinsicht keine aussichtslose Lage zu gewärtigen.

 

Die BF[1] sei illegal in das Bundesgebiet eingereist und lediglich aufgrund der Asylantragstellung vorübergehend zum Aufenthalt im Bundesgebiet berechtigt. Sie lebe an einer gemeinsamen Adresse mit ihrem Ehegatten XXXX. Der Genannte betreibe ebenfalls ein Asylverfahren. Am XXXX sei der gemeinsame Sohn XXXX in Wien geboren worden und betreibe sie ein Familienverfahren für diese Person. Die Asylverfahren der Genannten seien gleichlautend dem Verfahren der BF[1] mit heutigem Tage entschieden worden. Die BF[1] finanziere ihren Aufenthalt im Bundesgebiet aus finanziellen Mitteln der staatlichen Grundversorgung und finanzieller Unterstützung ihres Schwiegervaters aus der Türkei. Sie spreche kaum Deutsch, besuche keine Kurse und halte überwiegenden Kontakt zu türkischen Landsleuten. Es habe daher nicht festgestellt werden können, dass die BF[1] in Österreich aufenthaltsverfestigt sei.

 

Zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Türkei traf das Bundesasylamt insbesondere Feststellungen zur allgemeinen Lage, zur Politik/ Wahlen/ Opposition, zur Lage der Kurden, zu den Menschenrechten, zur innerstaatlichen Fluchtalternative, zur Justiz/ Sicherheitsbehörden, zur Meinungs- und Pressefreiheit, zur Lage der Frauen, zu Zwangsehen und häuslicher Gewalt und zu Rückkehrfragen sowie zur - medizinischen - Grundversorgung (Seite 22 bis 56 des erstinstanzlichen Bescheides).

 

In der Beweiswürdigung und der rechtlichen Beurteilung wurde ausführlich dargelegt, warum das Bundesasylamt zur Schlussfolgerung gelangt, dass das Vorbringen der Erstbeschwerdeführerin unglaubwürdig ist, diesem keine Asylrelevanz zukommt, warum auch nicht vom Vorliegen einer Gefahr iSd § 8 Abs. 1 AsylG ausgegangen werden könne und warum die Ausweisung in die Türkei zulässig sei.

 

16. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid bezüglich des BF[2] vom 29.09.2011, Zahl: 11 04.890-BAW, wies das Bundesasylamt den Antrag auf internationalen Schutz des Zweitbeschwerdeführers ebenfalls ab, gewährte auch keinen subsidiären Schutz und sprach die Ausweisung in die Türkei aus.

 

Der BF[2] gehöre zur Kernfamilie seiner Eltern. Den Angehörigen des BF[2] sei weder Asyl noch subsidiärer Schutz gewährt worden und seien diese in die Türkei ausgewiesen worden.

 

Der BF[2] habe weder Asylgründe, noch Gründe, die subsidiären Schutz rechtfertigen würden, geltend gemacht. Der Zweitbeschwerdeführer würde gemeinsam mit den erwähnten Familienmitgliedern aus Österreich in die Türkei ausgewiesen.

 

Begründend führte das BAA sinngemäß aus, dass der mj. Zweitbeschwerdeführer keine Flucht- oder Refoulementgründe vorgebracht habe und sich aus dem Familienverfahren weder der Status des Asyl- noch des subsidiär Schutzberechtigten ableiten lasse.

 

Zu Spruchpunkt III. wurde ausgeführt, dass kein Familienbezug zu einem dauernd aufenthaltsberechtigten Fremden vorliege und die Ausweisung daher keinen Eingriff in Art 8 EMRK darstelle.

 

17. Gegen diese Bescheide wurde innerhalb offener Frist jeweils mit Schriftsatz vom 21.10.2011 Beschwerde erhoben. Hinsichtlich des Inhaltes der Beschwerden wird auf den Akteninhalt (VwGH 16. 12. 1999, 99/20/0524) verwiesen. In den Beschwerden wurde jedoch kein hinreichend substantiiertes Vorbringen erstattet, welches geeignet wäre der schlüssigen und umfassenden Beweiswürdigung der Erstbehörde entgegen zu treten.

 

Im Rahmen des Schriftsatzes bezüglich der BF[1] wurde vom Beschwerdeführervertreter zunächst moniert, dass es das BAA unberücksichtigt lasse, dass die BF[1] aufgrund ihrer psychischen Probleme nicht in der Lage sei, die von ihr erlebten Geschehnisse im tatsächlichen Ausmaß wiederzugeben.

 

Insbesondere würden die Angaben der BF[1] bezüglich Zwangsheirat auch durch die vom BAA herangezogenen Länderfeststellungen bestätigt.

 

Zur Ausweisungsentscheidung sei auszuführen, dass die BF[1] nunmehr seit 2009 mit ihrem Ehegatten und dem BF[2] gemeinsam im österreichischen Bundesgebiet lebe. Ferner befinde sich die BF[1] in kontinuierlicher medizinischer Behandlung, deren Fortsetzung unbedingt geboten sei. Folglich sei die Ausweisung der BF[1] unzulässig.

 

Darüber hinaus weise das Verfahren des BAA auch einen wesentlichen Verfahrensmangel auf, da das beantragte länderkundliche Sachverständigengutachten zum Beweis, dass der BF[1] in ihrer Heimat eine asylrelevante Verfolgung drohe, nicht eingeholt worden sei. Das BAA habe daher gegen ihre Verpflichtung zur vollständigen Sachverhaltsermittlung verstoßen. Überdies habe es das BAA vollständig unterlassen die Frage, ob die psychische Erkrankung der BF[1] in der Türkei einer Behandlung zugänglich sei, aufzunehmen.

 

Im Rahmen des Schriftsatzes bezüglich des BF[2] wurde vom Beschwerdeführervertreter auf die zeitgleich erhobenen Beschwerden der Eltern verwiesen, in denen die abweisenden Entscheidungen des BAA hinsichtlich der Kindeseltern bekämpft worden seien. Insoweit den Anträgen der Kindeseltern auf Gewährung von internationalem Schutz stattgegeben hätte werden müssen, hätte das BAA im Rahmen des Familienverfahrens auch dem Antrag auf Gewährung von internationalem Schutz des BF[2] Folge geben müssen.

 

18. Mit Beschluss vom 19.12.2012 wurde XXXX durch die vorsitzende Richterin gem. § 52 Abs. 2 AVG zur Erstellung eines Ländergutachtens in der gegenständlichen Beschwerdesache zum Sachverständigen bestellt.

 

19. Im Rahmen des von XXXX am 24.01.2013 erstatteten Gutachtens wurde insbesondere ausgeführt, dass der vorliegende Fall bezüglich Zwangsheirat nicht der Wahrheit entspreche. Eine nach religiösem Ritus geschlossene Ehe werde nicht wegen der geschilderten Probleme aufgelöst. Nach der Eheschließung sei eine Zwangsheirat nicht mehr vollziehbar. Ferner sei dem Sachverständigen ein solcher Vorfall nicht bestätigt worden. Im Gegenteil die beiden Familien lebten in XXXX und würden nach wie vor gut miteinander auskommen. Es gebe überhaupt keine Indizien, dass die Familie bzw. der Vater nach seiner Tochter suche oder sie bestrafen würde. Zudem könne bestätigt werden, dass die BF[1] und ihr Ehegatte Kontakt zu ihren Verwandten hätten.

 

Im Übrigen könne mit hoher Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass der von der BF[1] geschilderte Vorfall bei der Hochzeit im Jahr 2005 nicht stattgefunden habe bzw. im Umfeld nicht bekannt sei. Es gebe darüber auch kein gerichtliches anhängiges Verfahren und sei auch kein Gerichtsverfahren durchgeführt bzw. keine Anzeige erstattet worden.

 

Nach den ausgeführten Recherchen sei zudem festzustellen, dass kein gerichtlich anhängiges offenes Verfahren wegen eines politischen Delikts gegen den Ehegatten der BF[1] vorliege. Weiters sei weder der Ehegatte der BF[1] noch ein anderer Familienangehöriger wegen illegaler politischer Betätigung inhaftiert worden. Ebenso wenig habe ein nahes familiäres Verhältnis zu XXXX bestätigt werden können. Der Ehegatte der BF[1] werde jedoch wegen eines nicht geleisteten Wehrdiensts von der örtlich zuständigen Gendarmerie gesucht. Wenn der Refraktär bzw. Deserteur nicht gefunden werden könne, werde er im GBTS landesweit zur Fahndung ausgeschrieben und einem Passverbot unterstellt. Ab diesem Zeitpunkt erfolge die Fahndung nicht nur durch die Militärpolizei, sondern auch durch zivile Polizeieinheiten. Außerdem seien Refraktäre/ Deserteure an den Grenzposten als gesucht registriert. In den dem Sachverständigen aus jüngster Zeit bekannten Fällen von Refraktären, die in die Türkei zurückgeschickt worden sind, sei niemand bei der Rückkehr sofort verhaftet und an ein Militärgericht überwiesen oder sogleich in den Militärdienst geschickt worden.

 

Nach den durchgeführten Recherchen seien weder der Ehegatte der BF[1] noch seine nahen Angehörigen in einer in der Türkei als illegal geltenden politischen Szene aktiv. Aufgrund der angeblichen Haft seines Cousins, die jedoch nicht bestätigt werden konnte, befinde sich der Ehegatte der BF[1] mit Sicherheit nicht speziell im Blickfeld der Sicherheitsbehörden.

 

Nach genauer Überprüfung und durchgeführten aktuellen Recherchen sei festzustellen, dass dem Ehegatten der BF[1] im Falle einer Ableistung seines Militärdiensts keine Repressalien drohen, weil der Cousin seines Vaters aufgrund einer angeblich politischen Betätigung - was der Sachverständige nicht bestätigen konnte - eine Strafe abgesessen habe. Eine aktive politische Tätigkeit liege beim Ehegatten der BF[1] nicht vor.

 

20. Mit Schreiben vom 18.03.2013 wurde der Sachverständige seitens der vorsitzenden Richterin um Bekanntgabe der Quellen für das übermittelte Gutachten ersucht, um nachvollziehen zu können, wie das Ergebnis zustande gekommen sei.

 

In Erledigung dieses Ersuchens wurde seitens des Sachverständigen sodann mitgeteilt, dass er nach der Richtigstellung der Personaldaten der Betroffenen versuche, direkten Kontakt mit Personen aus der Dorfgemeinschaft bzw. der dem Dorf nahegelegenen politischen Verwaltungseinheit aufzunehmen. Diesen Menschen sei die politische Szene vertraut. Zusätzlich würden Gespräche mit Personen aus der politischen Szene im Heimatland und Ausland, nahen Organisationen, mit Personen aus dem Meldeamt und Funktionären aus der politischen Szene in der Türkei geführt. Für all diese Tätigkeiten müsse er die Anonymität und Vertraulichkeit gegenüber den Personen gewährleisten. Für seine Feststellungen bezüglich des konkreten Falles würden alle erhaltenen Informationen gegenseitig verglichen und noch einmal überprüft werden. Informationen und Daten würden ihm nur unter der Voraussetzung mitgeteilt werden, wenn er als Sachverständiger seine Informationsquellen gegenüber Dritten nicht nenne. Bei einer Bekanntgabe der Quellen würde er das Vertrauen seiner Informanten verlieren sowie deren Sicherheit gefährden.

 

21. Da die erstinstanzlichen Bescheide bereits vor rund zwei Jahren erlassen wurden, wurde seitens des Asylgerichtshofes mit Schreiben vom 03.04.2013 gem. § 45 (3) AVG Beweis erhoben, dh. den Parteien des Verfahrens Länderfeststellungen zur Türkei zugestellt und ihnen die Möglichkeit zur Abgabe einer schriftlichen Stellungnahme binnen zwei Wochen ab Zustellung des Schreibens eingeräumt; somit wurde aufgrund der vorliegenden aktuelleren Feststellungen zur Türkei (zu den Anforderungen an die Aktualität einer Quelle vgl. etwa Erk. d. VwGHs. vom 9. März 1999, Zl. 98/01/0287 und sinngemäß -im Zusammenhang mit Entscheidungen nach § 4 AsylG 1997- das E. vom 11. November 1998, 98/01/0284, bzw. auch E. vom 7. Juni 2000, Zl. 99/01/0210) bestätigt, dass die Feststellungen des BAA nach wie vor gültig sind (zur Zulässigkeit dieser Vorgangsweise in diesem speziellen Fall einer sonst schlüssigen und umfassenden Beweiswürdigung des Bundesasylamtes siehe Erkenntnis des VwGH vom 17.10.2006, Zahl: 2005/20/0459-5, ebenso Beschluss des VwGH v. 20.6.2008, Zahl 2008/01/0286-6; vgl. auch Erk d. VfGH v. 10.12.2008,

U 80/08-15, wo der unterlassene schriftliche Vorhalt an den BF nach dem Verstreichen eines mehrjährigen Zeitraumes seit der Einbringung eines Rechtsmittels gegen den angefochtenen Bescheid in Bezug auf die aktuelle asyl- und abschiebungsrelevante Lage im Herkunftsstaat und die Einräumung der Möglichkeit, hierzu Stellung zu nehmen [neben dem zusätzlichen Unterlassen der Durchführung einer Verhandlung] ausdrücklich als Akt der behördlichen Willkür bezeichnet wurde und hieraus e contrario ableitbar ist, dass aus der Sicht des VfGH die Durchführung einer schriftlichen Beweisaufnahme gem. § 45 AVG im hier erörterten Umfang einen tauglichen Ermittlungsschritt darstellen kann, welcher das erkennende Gericht von der Verpflichtung zur Durchführung einer Verhandlung in gewissen Fällen befreien kann. Ein solcher Fall liegt hier vor.).

 

Darüber hinaus wurden die Beschwerdeführer eingeladen, alle ihnen zur Verfügung stehenden und ihnen zugänglichen Bescheinigungsmittel, Dokumente und Gegenstände, welche für das Verfahren relevant sind, das Vorbringen bescheinigen können und im erstinstanzlichen Verfahren noch nicht vorgelegt wurden bzw. deren Kenntnisnahme bis dato im Verfahren nicht erfolgte innerhalb einer Frist von zwei Wochen ab Zustellung des Schreibens dem Asylgerichtshof vorzulegen. Gleichzeitig wurden die Beschwerdeführer, binnen selbiger Frist, um Bekanntgabe ersucht, ob hinsichtlich ihres Privat- oder Familienlebens in Österreich seit Erlassung der erstinstanzlichen Bescheide eine Änderung eingetreten ist und wurden sie aufgefordert, ihre nähere derzeitige Lebenssituation in Österreich darzustellen. Ebenso wurden die Beschwerdeführer ersucht, binnen einer Frist von zwei Wochen anzugeben, ob hinsichtlich des Gesundheitszustandes eine Änderung eingetreten ist und etwaige medizinische Befunde dazu vorzulegen.

 

Darüber hinaus wurde den Beschwerdeführern auch die gutachterliche Stellungnahme des Ländersachverständigen XXXX vom 24.01.2013 als Beilage zu diesem Schreiben übermittelt.

 

22. Während von Seiten des Bundesasylamtes keine Stellungnahme zur obigen Mitteilung erfolgte, langte am 22.04.2013 beim Asylgerichtshof, Außenstelle Linz, eine Stellungnahme des Beschwerdeführervertreters ein. Hinsichtlich des konkreten Inhaltes der Stellungnahme wird auf den Akteninhalt (VwGH 16. 12. 1999, 99/20/0524) verwiesen.

 

Der Ehegatte der BF[1] bzw. der Vater des BF[2] halte sich seit fast neun Jahren und die BF[1] seit mehr als vier Jahren ununterbrochen im Bundesgebiet auf. Deren gemeinsamer Sohn (BF[2]) sei am XXXX im Bundesgebiet geboren worden. Der Lebensmittelpunkt der Familie befinde sich in Österreich und hätten die BF[1] und ihr Ehegatte das Sprachzertifikat Deutsch auf Niveau A2 erworben. Die Familie der Beschwerdeführer verfüge über eine Reihe von nahen Angehörigen im Bundegebiet und könne der Ehegatte der BF[1] bzw. der Vater des BF[2] unverzüglich nach Erhalt des Aufenthaltstitels einer regelmäßigen Beschäftigung nachgehen. Derzeit bestreite dieser seinen Unterhalt durch die Unterstützung seiner Angehörigen. Dem österreichischen Staat falle er nicht zur Last. Ferner würden die Beschwerdeführer über eine ortsübliche Unterkunft verfügen.

 

Betreffend die Fluchtgründe wurde auf das bisherige Vorbringen verwiesen. Weiters wurde beantragt, das Gutachten des Sachverständigen dahingehend zu ergänzen, ob die aktenkundigen psychischen Probleme der BF[1] in der Türkei hinreichend behandelbar seien.

 

Dem Schreiben wurden die beiden Sprachzertifikate der BF[1] und ihres Ehegatten sowie ein Konvolut an Aufenthaltstiteln bezüglich der in Österreich befindlichen Verwandten beigelegt.

 

23. Beweis wurde erhoben durch Einsichtnahme in die erstinstanzlichen Verwaltungsakte der BF[1] und des mj. BF[2] unter zentraler Berücksichtigung der niederschriftlichen Angaben der Erstbeschwerdeführerin vor dem BAA, der bekämpften Bescheide, der Beschwerdeschriftsätze, des ergänzenden Ermittlungsverfahrens, der Stellungnahme der Erst- und des Zweitbeschwerdeführers sowie des Verwaltungsaktes des Ehegatten/ Vaters der Beschwerdeführer (Zl. E3 264.809-2/2011).

 

24. Hinsichtlich des Verfahrensherganges und Parteienvorbringens im Detail wird auf den Akteninhalt verwiesen.

 

II. DER ASYLGERICHTSHOF HAT ERWOGEN:

 

1. Mit 01.01.2006 ist das Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl in Kraft getreten (AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005, zuletzt geändert mit BGBl. I Nr. 87/2012) und ist auf die ab diesem Zeitpunkt gestellten Anträge auf internationalen Schutz, sohin auch auf die vorliegenden, anzuwenden.

 

Gemäß § 61 AsylG 2005 idgF entscheidet der Asylgerichtshof über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesasylamtes.

 

Gemäß § 23 Absatz 1 des Bundesgesetzes über den Asylgerichtshof, BGBl. I, Nr. 4/2008 (Asylgerichtshofgesetz - AsylGHG) idF BGBL. I Nr. 147/2008, sind, soweit sich aus dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100, nicht anderes ergibt, auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 (AVG), BGBl. Nr. 51, mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffs "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt, weshalb im gegenständlichen Fall im hier ersichtlichen Umfang das Allgemeine Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 - AVG, BGBl. Nr.51 zur Anwendung gelangt.

 

Anzuwenden war das AsylG 2005 idF BGBl. I Nr. 38/2011, das AVG, BGBl. Nr. 51/1991 in der geltenden Fassung, und das ZustG, BGBl. Nr. 200/1982 in der geltenden Fassung.

 

Gemäß § 9 Abs. 1 AsylGHG, BGBl. I Nr. 4/2008 in der geltenden Fassung entscheidet der Asylgerichtshof in Senaten, soweit eine Entscheidung durch einen Einzelrichter oder Kammersenat nicht bundesgesetzlich vorgesehen ist. Gemäß § 61 Abs. 3 AsylG 2005 entscheidet der Asylgerichtshof über Beschwerden gegen zurückweisende Bescheide nach den §§ 4 und 5 AsylG 2005 und nach § 68 AVG durch Einzelrichter. Gemäß § 42 AsylG 2005 entscheidet der Asylgerichtshof bei Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung oder Rechtsfragen, die sich in einer erheblichen Anzahl von anhängigen oder in naher Zukunft zu erwartender Verfahren stellt, sowie gemäß § 11 Abs. 4 AsylGHG, wenn im zuständigen Senat kein Entscheidungsentwurf die Zustimmung des Senates findet durch einen Kammersenat. Im vorliegenden Verfahren liegen weder die Voraussetzungen für eine Entscheidung durch einen Einzelrichter noch die für eine Entscheidung durch den Kammersenat vor.

 

Familienverfahren

 

§ 34 AsylG 2005 lautet:

 

"(1) Stellt ein Familienangehöriger (§ 2 Abs. 1 Z 22) von

 

1. einem Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden ist;

 

2. einem Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten (§ 8) zuerkannt worden ist oder

 

3. einem Asylwerber

 

einen Antrag auf internationalen Schutz, gilt dieser als Antrag auf Gewährung desselben Schutzes.

 

(2) Die Behörde hat auf Grund eines Antrages eines Familienangehörigen eines Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden ist, dem Familienangehörigen mit Bescheid den Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn

 

1. dieser nicht straffällig geworden ist (§ 2 Abs. 3);

 

2. die Fortsetzung eines bestehenden Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK mit dem Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde, in einem anderen Staat nicht möglich ist und

 

3. gegen den Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde, kein Verfahren zur Aberkennung dieses Status anhängig ist (§ 7).

 

(3) Die Behörde hat auf Grund eines Antrages eines Familienangehörigen eines Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt worden ist, dem Familienangehörigen mit Bescheid den Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn

 

1. dieser nicht straffällig geworden ist (§ 2 Abs. 3);

 

2. die Fortsetzung eines bestehenden Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK mit dem Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde, in einem anderen Staat nicht möglich ist;

 

3. gegen den Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde, kein Verfahren zur Aberkennung dieses Status anhängig ist (§ 9) und

 

4. dem Familienangehörigen nicht der Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen ist.

 

(4) Die Behörde hat Anträge von Familienangehörigen eines Asylwerbers gesondert zu prüfen; die Verfahren sind unter einem zu führen; unter den Voraussetzungen der Abs. 2 und 3 erhalten alle Familienangehörigen den gleichen Schutzumfang. Entweder ist der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wobei die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten vorgeht, es sei denn, alle Anträge wären als unzulässig zurückzuweisen oder abzuweisen. Jeder Asylwerber erhält einen gesonderten Bescheid. Ist einem Fremden der faktische Abschiebeschutz gemäß § 12a Abs. 4 zuzuerkennen, ist dieser auch seinen Familienangehörigen zuzuerkennen.

 

(5) Die Bestimmungen der Abs. 1 bis 4 gelten sinngemäß für das Verfahren beim Asylgerichtshof.

 

(6) Die Bestimmungen dieses Abschnitts sind nicht anzuwenden:

 

1. auf Familienangehörige, die EWR-Bürger oder Schweizer Bürger sind;

 

2. auf Familienangehörige eines Fremden, dem der Status des Asylberechtigten oder der Status des subsidiär Schutzberechtigten im Rahmen eines Verfahrens nach diesem Abschnitt zuerkannt wurde, es sei denn es handelt sich bei dem Familienangehörigen um ein minderjähriges lediges Kind."

 

Gemäß § 2 Absatz 1 Z 22 leg. cit. ist somit ein Familienangehöriger, wer Elternteil eines minderjährigen Kindes, Ehegatte oder zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjähriges lediges Kind eines Asylwerbers oder eines Fremden ist, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten zuerkannt wurde, sofern die Ehe bei Ehegatten bereits im Herkunftsstaat bestanden hat; dies gilt weiters auch für eingetragene Partner, sofern die eingetragene Partnerschaft bereits im Herkunftsstaat bestanden hat.

 

Im gegenständlichen Fall liegt ein Familienverfahren mit den oa. Familienangehörigen (BF[1] und [2] und bezüglich des mj. BF[2] auch mit dessen Vater (Zl. E3 264.809-2/2011)) vor.

 

2. Gemäß § 66 Abs. 4 AVG hat die erkennende Behörde, sofern die Beschwerde nicht als unzulässig oder verspätet zurückzuweisen ist, immer in der Sache selbst zu entscheiden. Sie ist berechtigt, im Spruch und in der Begründung ihre Anschauung an die Stelle jener der Unterbehörde zu setzen und demgemäß den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern.

 

2.1. Zur Lage in der Türkei und insbesondere zur Situation der Kurden sowie zum Wehrdienst werden folgende, - im Zuge der vorgenommenen Beweisaufnahme (siehe oben, Punkt I.21.) in das Verfahren eingeführte -, Länderfeststellungen dem Verfahren zugrunde gelegt:

 

Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Türkei, 26.08.2012, 08.04.2011, 11.04.2010 sowie 29.06.2009

 

Kommission der Europäischen Gemeinschaften: Fortschrittsbericht Türkei vom 10.10.2012

 

Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Türkei, Amnestien, Strafnachlass,Verjährung, Begnadigung, 01.02.2008.

 

Bundesamt für Migration und Flüchtlinge , Glossar islamische Länder, Band 23 Türkei, Seite 3, Amnestiegesetze, Feber 2009

 

Gutachterliche Stellungnahme von Sedef Dearing vom 12.11.2009 im AGH-Verfahren, GZ E3 314.889, samt Ergänzungsgutachten (beim AGH eingelangt am 07.09.2010)

 

Gutachterliche Stellungnahme von Sedef Dearing vom 05.01.2010 im AGH-Verfahren, GZ E3 241.386

 

Auswärtiges Amt: Innenpolitik; Stand Oktober 2011;

http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Tuerkei/Innenpolitik_node.html Zugriff 09.01.2011 (Frauen)

 

FH - Freedom House: Freedom in the World 2011, Turkey, Mai 2011 (Frauen)

 

Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Türkei (Sozialpolitischer Jahresbericht, Staatsangehörigkeitsrecht, Strafnachrichtenaustausch, Justiz, Menschenrechte, medizinische Versorgung, Migration, Uiguren, Wirtschaft), November 2009

 

Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Türkei, (Medizinische Versorgung, Soziales, Änderung Militärgesetz, Rückführung türkischer Staatsangehöriger, Staatsangehörigkeitsgesetz), Juli 2009

 

Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Briefing Notes, Verbot der DTP, 14.12.2009

 

Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Bericht über das Eurasil Meeting zur Türkei vom 24. Juni 2008, Oktober 2008

 

BMI, BVT, Verfassungsschutzbericht 2006, DHKP-C

 

Annual Report of the United States Commission on International Religious Freedom, Mai 2008.

 

Home Office, Country of Origin Information Report, Turkey, 09.08.2010

 

USDOS: Country Reports on Human Rights Practices 2009, 11.03.2010 Country Report on Human Rights Practices 2010, 08.04.2011 Country Report on Human Rights Practices 2011, 24.05.2012

 

USDOS: International Religious Freedom Report Turkey 2011, 30.07.2012

 

ÖB Ankara; Asylbericht Türkei, März 2011

 

die im Text genannten Quellen

 

Allgemeines

 

Die Türkei erlebt bereits seit mehreren Jahren einen tiefgreifenden Reformprozess, der auch wesentliche Teile der Rechtsordnung erfasst hat und auf große Teile der Gesellschaft ausstrahlt. Das im Januar 2012 vorgestellte 3. Justizreformpaket fokussiert auf die Beschleunigung von Verfahren und die Verkürzung der Untersuchungshaft, sieht aber auch Verbesserungen im Bereich der Meinungsfreiheit vor. Seit 2010 hat die Regierung auf der Grundlage eines erfolgreichen Verfassungsreferendums substanzielle Reformen verwirklicht (u.a. Stärkung der Gewerkschaftsrechte, Ombudsmann-Gesetz, Gleichstellung, Datenschutz). Die Verfassungsbeschwerde soll nach intensiver Vorarbeit im Herbst 2012 eingeführt werden.

 

Glaubensfreiheit:

 

Die individuelle Religionsfreiheit ist weitgehend gewährt; individuelle nicht-staatliche Repressionsmaßnahmen und staatliche Diskriminierungen (z.B. bei Anstellungen im öffentlichen Dienst) kommen vereinzelt vor. Das Kopftuchverbot an Universitäten, Schulen sowie generell für Staatsbedienstete im Dienst besteht indes fort.

 

Fälle von Muslimen, die zum Christentum konvertiert sind, sind besonders aus den großen Städten bekannt. Rechtliche Hindernisse beim Konvertieren bestehen nicht. Allerdings begegnet die große muslimische Mehrheit sowohl der Hinwendung zu einem anderen als dem muslimischen Glauben als auch jeglicher Missionierungstätigkeit mit großem Misstrauen und Intoleranz.

 

Politik:

 

Die Auseinandersetzung zwischen den politischen Lagern ist geprägt von großer pola- risierender Härte; der Gemeinsinn über die Parteigrenzen hinweg ist wenig ausgeprägt. Immer wieder werden Konflikte bis zur versuchten Ausschaltung des politischen Gegners getrieben. Das politische System insgesamt hat sich in den letzten Jahren verändert und weiter demokratisiert. Die politische Bedeutung des in der Vergangenheit sehr mächtigen Militärs ist deutlich zurückgegangen. Die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Justiz sowie die rechtsstaatlichen Garantien in Strafverfahren werden nicht immer konsequent respektiert.

 

Seit den Wahlen im Juni 2011 kommt es immer wieder zu Gewalteskalationen zwischen den türkischen Sicherheitskräften und kurdischen Nationalisten, insbesondere in den kurdisch geprägten Regionen im Südosten. Die 2009 gestartete Politik der sogenannten "Demokratischen Öffnung" wurde vorerst eingefroren, die weitere Stärkung der Rechte für die kurdische Bevölkerung nicht weiter umgesetzt. Im Zuge der Verfolgung der PKK haben die türkischen Justizbehörden ihr Vorgehen gegen deren politische Dachorganisation KCK (Union der Gemeinschaften Kurdistans) ausgeweitet.

 

Politisch Oppositionelle werden in der Türkei nicht systematisch verfolgt. Die Arbeit der oppositionellen pro-kurdischen und in Teilen PKK-nahen DTP (Demokratik Toplum Partisi) wird jedoch teilweise von Seiten der Justiz durch Verfahren behindert, die die Meinungsfreiheit oder die politische Betätigungsfreiheit der DTP-Abgeordneten oder -Mitglieder einschränken.

 

Das Verbotsverfahren gegen die kurdisch orientierte "Demokratische Volkspartei" (DEHAP), die Nachfolge- bzw. Schwesterpartei der HADEP, das 2003 eingeleitet wurde, hat sich erledigt. Die Partei hat sich am 19.11.2005 selbst aufgelöst. Ihre Nachfolge trat die am 25.10.2005 gegründete "Partei für eine demokratische Gesellschaft" (DTP) an, zu der sich viele führende kurdische Politiker zusammengeschlossen haben und die zumindest teilweise noch mit der PKK sympathisiert. Ziel der DTP sei die friedliche Lösung des Kurdenkonflikts, verlautet aus der Partei, an deren Spitze einige der ehemaligen kurdischen Parlamentsabgeordneten stehen, die enge Kontakte zur Menschenrechtspreisträgerin Leyla Zana unterhalten.

 

Nach zwei vornehmlich gegen DTP-und DTP-nahe Gewerkschaftsmitglieder gerichteten Verhaftungswellen am 15. und 28.05.2009 folgten im September, Oktober, Dezember 2009 und Januar 2010 weitere Verhaftungen. Dabei wurden über 800 Personen wegen angeblich terroristischer Aktivität im Rahmen der PKK-nahen Organisation (Kurdistan-Parlament, KCK) in Gewahrsam genommen. Das 2007 gegen die Partei eingeleitete Verbotsverfahren wurde am 11.12.2009 abgeschlossen. Die Partei wurde wegen ihrer Verbindungen zur terroristischen PKK verboten, gegen 37 DTP-Mitglieder (Antrag betraf 221 Personen) wurde wegen "Unterstützung einer terroristischen Vereinigung" ein politisches Betätigungsverbot ausgesprochen. Zwei der betroffenen DTP-Mitglieder sind Abgeordnete im Parlament.

 

Das türkische Verfassungsgericht hat am 11.12.2009 die DTP verboten. Einstimmig entschieden die elf Richter des Obersten Verfassungsgerichtes in Ankara, dass die pro-kurdische DTP - die wichtigste politische Interessenvertretung der Kurden in der Türkei - gegen die Verfassung verstößt. Gegen 37 Politiker der Partei soll nun ein fünfjähriges Politikverbot verhängt werden. Dass sich die Partei nie klar von der PKK distanzieren wollte - oder konnte, wie sie es oft selbst sagte - haben ihr die Verfassungsrichter nun zur Last gelegt. Die Gründung der Partei, so heißt es in der Anklageschrift des Generalstaatsanwaltes sei noch direkt auf Anweisung des inhaftierten PKK-Führers Abdullah Öcalan geschehen.

 

Die nach Verbietung der DTP neu gegründete Partei heißt BDP - Partei des Friedens und der Demokratie.

 

Von den Verfahren gegen Parteien vor dem Verfassungsgericht sind grundsätzlich die Verfahren gegen ihre Amtsträger vor Straf- oder Sicherheitsgerichten zu unterscheiden. Letztere werden in der Regel wegen Meinungsdelikten oder des Vorwurfs der Unterstützung einer illegalen Organisation geführt.

 

Dem dt. Auswärtige Amt ist kein Fall bekannt geworden, in dem die einfache Mitgliedschaft in der HADEP oder in der DEHAP - ohne besondere, z.B. strafrechtlich relevante Verdachtsmomente - zu Repressalien gegen die Betreffenden geführt hätte (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Türkei, 11.09.2008).

 

Der Ländersachverständige XXXX (Qualifikationsprofil liegt in Form eines Lebenslaufes zur Einsichtnahme auf) vertritt im Rechercheergebnis vom 22.1.2009 im Asylverfahren E10 225.082, sowie vom 22.1.2009 zum Asylverfahren E10 227.684 die Auffassung, dass der bloße Kontakt zur HADEP/DEHAP bzw. die bloße ehemalige Mitgliedschaft beim Fehlen eines weiteren qualifizierten Sachverhaltes zu keinen staatlichen Verfolgungshandlungen führt(e). Auch wurde nur gegen einige wenige besonders prominente (ehemalige) Mitglieder der DEP strafrechtlich vorgegangen.

 

Die HADEP war bis zum Verbot eine legale Partei, ergo waren auch ihre Veranstaltungen bis zum Zeitpunkt ihres Verbots legal.

 

Aus einer Auskunft der ÖB Ankara, basierend auf eine Auskunft eines türkischen Vertrauensanwaltes vom 14.8.2008 an das Bundesasylamt, Az.: 3000.300/77/2008 geht hervor, dass die Regierung zwar im Jahr 2000 eine relativ strenge Haltung gegenüber der HADEP einnahm, dies heute gegenüber der Nachfolgepartei DTP nicht der Fall ist. Die Haltung der Regierung gegenüber den Mitgliedern der DTP sei "sehr gemäßigt, wenn nicht gar locker."

 

Das Auswärtige Amt Berlin geht auch davon aus, dass gegenwärtig prokurdische Demonstrationen, so lange sie friedliche verlaufen von den Sicherheitskräften grundsätzlich nicht aufgelöst werden (Punkt

1.2. des Bericht des AA Berlin zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Türkei vom 11.9.2008)

 

Versammlungs- Vereinigungsfreiheit, Meinungs- und Pressefreiheit:

 

Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, Meinungs- und Pressefreiheit sind verfassungsrechtlich garantiert.

 

Beeinträchtigungen der Meinungs- und der Pressefreiheit resultieren nach wie vor aus verschiedenen, teils unklaren Rechtsbestimmungen, erstinstanzlicher Nichtbeachtung der Rechtsprechung des EGMR und u. a. auch höchstrichterlicher Rechtsprechung. Die vielfäl- tige Presselandschaft berichtet zwar insgesamt kritischer als vor 2005, aber immer noch wenig regierungskritisch. Seit März 2011 kam es zu zahlreichen Verhaftungen von Journalisten. Ehemalige Tabu-Themen (Kurden, Armenien, Militär) können inzwischen offener diskutiert werden, wurden jedoch durch neue ersetzt (u.a. Person des Ministerpräsi- denten, islamische Ordensgemeinschaften). Ob die im Rahmen des 3. Justizreformpakets geplanten Änderungen zu einer durchgreifenden Verbesserung führen, bleibt abzuwarten.

 

Die Freiheit, auch ohne vorherige Genehmigung unbewaffnet und gewaltfrei Versammlungen abzuhalten, unterliegt Einschränkungen, soweit Interessen der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung, die Vorbeugung von Straftaten, die allgemeine Gesundheit oder Moral betroffen sind.

 

Fälle von polizeilichen Ingewahrsamnahmen und strafrechtlichen Ermittlungen bei der Teilnahme an nicht genehmigten oder durch Auflösung unrechtmäßig werdenden Demonstrationen kommen vor; in manchen Fällen kommt es bei diesen Versammlungen auch zur Anwendung von Gewalt durch Demonstranten.

 

Nach der Reform des Artikel 301 StrafG im April 2008 (in Kraft getreten am 08.05.2008) können Ermittlungen nur noch nach Zustimmung des Justizministers aufgenommen werden. Zudem ist der Tatbestand "Beleidigung des Türkentums" durch die Formulierung "Beleidigung der Türkischen Nation" abgeändert, der Strafrahmen von drei auf zwei Jahre heruntergesetzt sowie für im Ausland begangene Taten an das Inlandsstrafmaß angepasst worden. In der großen Mehrzahl der Fälle wurde es von der Justiz seither abgelehnt, Gerichtsverfahren einzuleiten.

 

Strafverfolgungs- und Strafzumessungspraxis:

 

Das türkische Recht sichert die grundsätzlichen Verfahrensgarantien im Strafverfahren. Die Unabhängigkeit der Justiz ist in der Verfassung verankert (Art. 138). Für Entscheidungen u. a. über Verwarnungen, Versetzung oder den Verbleib im Beruf ist der Hohe Rat der Richter und Staatsanwälte unter Vorsitz des Justizministeriums zuständig (Verhandlung in geschlossenen Verfahren; ohne gerichtliche Überprüfungsmöglichkeit).

 

Untersuchungshaft wird regelmäßig mit schwacher rechtlicher Begründung verbunden mit sehr langen Haftzeiten verhängt. Die Untersuchungshaftzeiten wurden zum 01.01.2011 durch eine Gesetzesänderung des Art. 102 tStPO eingeschränkt. Während für Vergehen eine maximale Untersuchungshaft von eineinhalb Jahren vorgesehen ist, beträgt diese für Verbrechen bis zu fünf, bei Verbrechen mit Terrorbezug bis zu zehn Jahren.

 

Seit 2008 hat sich die vormals zögerliche Haltung bezüglich der Verfolgung von Soldaten, Gendarmen und Polizeibeamten nachweisbar verbessert. Allerdings kommt es vor allem mangels Kooperation der Behörden bei der Tatsachenfeststellung nur in wenigen Einzelfällen tatsächlich zu Verurteilungen.

 

In Bezug auf die Verfolgung und den Schutz bei Gewaltdelikten gegen Frauen hat der EGMR den türkischen Staat am 09.06.2009 in der Rechtssache Opuz zu einer Zahlung von Schadenersatz in Höhe von 30.000 ¿ verurteilt. Der türkische Staat war trotz einer offensichtlichen Bedrohungssituation im Jahr 2002 nicht zum Schutz einer Frau und ihrer Mutter vor ihrem ehemaligen Ehemann eingeschritten. Der Gerichtshof stellte ein allgemeines Klima staatlicher Toleranz gegenüberhäuslicher Gewalt gegen Frauen, insb. eine diesbezügliche Teilnahmslosigkeit der Verfolgungsbehörden und der Justiz fest. Die Türkei reagierte nach 2002 bereits mit Gesetzesänderungen, es bestehen jedoch weiter Defizite.

 

Das Recht auf sofortigen Zugang zu einem Rechtsanwalt innerhalb von 24 Stunden ist grundsätzlich gewährleistet. Nach spätestens 24 Stunden (in bestimmten Fällen organisierter Kriminalität bis 48 Stunden, Art. 250 Abs. 1 lit. a und c tStPO) zuzüglich 12 Stunden Transportzeit muss der Betroffene dem zuständigen Haftrichter vorgeführt werden.

 

Dem Auswärtigen Amt sind in jüngster Zeit keine Gerichtsurteile auf Grundlage von durch die Strafprozessordnung verbotenen, erpressten Geständnissen bekannt geworden.

 

Durch Änderungen des Anti-Terror-Gesetzes und weiterer Gesetze am 28.07.2010 wurde die Rechtslage für über 16-jährige Minderjährige, die wegen Terrordelikten beschuldigt werden, an das UN-Protokoll für Kinderrechte (1995 unterzeichnet) sowie das Kinderschutzgesetz von 2005 angepasst. 16- und 17-jährige Personen können nun nicht mehr bei terrorbezogenen Delikten der Gerichtsbarkeit speziell autorisierter Gerichte (özel yetkili ihtisas mahkemesi) unterstellt werden, sondern sind der Jugendgerichtsbarkeit unterworfen. Minderjährige, die wegen Terror, Propaganda bzw. Widerstand gegen die Staatsgewalt schuldig befunden werden, können nicht mehr zusätzlich wegen Mitgliedschaft in einer Terrororganisation verurteilt werden.

 

Zudem werden die Möglichkeiten für Bewährungsstrafen und Strafaussetzungen erweitert und es greifen eine Reihe von Strafmaßreduzierungen.

 

Die Todesstrafe ist in der Türkei vollständig abgeschafft.

 

Polizeiliche Gewahrsame/Haftanstalten:

 

Der Menschenrechtskommissar des Europarats, Thomas Hammarberg, erkennt in seinem Bericht vom 10. Januar 2012 zwar Fortschritte im Bereich der Justiz an, stellt jedoch das Fortbestehen erheblicher Defizite fest. Dies gilt insbesondere in Bezug auf die teilweise exzessiv lange Dauer der Strafverfahren und der Untersuchungshaft.

 

Die AK

Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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