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41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, AsylrechtNorm
B-VG Art137 / sonstige KlagenLeitsatz
Zurückweisung von Staatshaftungsklagen wegen behaupteter unionsrechtswidriger Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofs betreffend die Ablehnung der Beschwerdebehandlung in Asylsachen infolge Unterlassung der Durchführung einer mündlichen Verhandlung und Nichteinleitung eines Vorabentscheidungsverfahrens; keine Darlegung eines offenkundigen Verkennens von UnionsrechtSpruch
I. Die Klagen werden zurückgewiesen.
II. Die Anträge auf Bewilligung der Verfahrenshilfe werden abgewiesen.
Begründung
Begründung
1. Der Kläger, ein türkischer Staatsangehöriger, dessen vierter Antrag auf internationalen Schutz gemäß §68 Abs1 AVG zurückgewiesen und der gemäß §10 Abs1 Z1 Asylgesetz 2005 aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Türkei ausgewiesen wurde, sowie die Klägerin, eine armenische Staatsangehörige, deren Antrag auf internationalen Schutz gemäß §3 Abs1 Asylgesetz 2005 abgewiesen und die gemäß §10 Abs1 Z2 Asylgesetz 2005 aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Armenien ausgewiesen wurde, begehren in ihren gegen den Bund gerichteten – gleichlautenden – Klagen nach Art137 B-VG die Zahlung von € 6.659,28 bzw. € 9.718,92 s.A. aus dem Titel der Staatshaftung wegen der ihrer Ansicht nach unionsrechtswidrigen Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofes vom 27. Juni 2012, U1256/12-3, sowie vom 14. März 2012, U267/12-3, weil der Verfassungsgerichtshof in den Asylverfahren des Klägers und der Klägerin
"- in Verletzung von Art47 der Grundrechtecharta (GRC) keine öffentliche, mündliche Verhandlung durch Aufhebung des vom Kläger bekämpften Erkenntnisses des Asylgerichtshofes veranlasst hat und auch selbst – alternativ – keine Verhandlung durchgeführt hat und (eventualiter)
- in Verletzung Art267 Abs3 AEUV (und auch Art47 GRC) kein Vorabentscheidungsersuchen beim EuGH zur Frage eingeleitet hat, ob Art47 GRC §41 Abs4 AsylG und (allenfalls) §41 Abs7 AsylG in Bezug auf die Voraussetzungen, die die Abstandnahme öffentlicher, mündlicher Verhandlungen erlauben, entgegensteht".
Zur näheren Begründung des Staatshaftungsanspruches bringen der Kläger und die Klägerin im Wesentlichen vor, der Verfassungsgerichtshof habe in seinen Entscheidungen, in denen er hinsichtlich der Frage der Verletzung des Art47 GRC durch die Unterlassung einer mündlichen Verhandlung auf seine – offenkundig unrichtige – Entscheidung VfSlg 19.632/2012 (VfGH 14.3.2012, U466/11, U1836/11), verwiesen habe, die Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union durch die Nichtbeachtung des Art47 GRC offenkundig verkannt, weshalb ein hinreichend qualifizierter Verstoß gegen Unionsrecht vorliege.
Art47 GRC sei offenkundig anzuwenden. Die Nichtanwendung von Unionsrecht widerspreche dem geltenden Unionsrecht und der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union sowie der nationalen Gerichte. Der Verfassungsgerichtshof behaupte zwar diesen Anwendungsvorrang anzuerkennen, ohne jedoch die entsprechenden Schlussfolgerungen zu ziehen. Im Gegensatz zur Ansicht des Verfassungsgerichtshofes habe Art47 GRC "offenkundig" eine eigenständige Bedeutung, die über die Wiederholung von Art6 und Art13 EMRK weit hinausgehe. Die anderslautende Behauptung des Verfassungsgerichtshofes sei eklatant unzutreffend. Selbst wenn – der Ansicht des Verfassungsgerichtshofes folgend – nicht Art47 GRC, sondern Art6 EMRK zur Anwendung käme, lasse sich aus der von ihm zitierten Judikatur des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte keineswegs ableiten, dass in den Fällen des Klägers und der Klägerin keine öffentliche mündliche Verhandlung hätte stattfinden müssen. In Wahrheit bestätige die vom Verfassungsgerichtshof zitierte Judikatur den Standpunkt des Klägers und der Klägerin, dass Verhandlungen immer dann durchzuführen seien, wenn die Glaubwürdigkeit des Betroffenen einzuschätzen sei, die Angelegenheit wichtig sei und sich, wie im Strafrecht, der Einzelne und der Staat gegenüberstünden, somit Kriterien vorlägen, die in den Fällen des Klägers und der Klägerin exemplarisch gegeben seien.
Dass der Verfassungsgerichtshof die Geltung der EMRK "offenkundig" ignoriere, zeige sich auch in der Nichtbehandlung der von dem Kläger und der Klägerin in ihren Beschwerden relevierten Verstöße des Asylgerichtshofes gegen Art3 und 8 EMRK und in der Nichteinleitung eines Vorabentscheidungsverfahrens, das gemäß Art6 und 13 EMRK sowie Art47 GRC zwingend geboten sei. Da die genannten Bestimmungen der EMRK (auch) Unionsrecht darstellten, lägen weitere "offenkundige" Fehler in der Rechtsanwendung iSd Rechtssache Köbler (EuGH 30.9.2003, Rs. C-224/01, Köbler) vor.
Die geltend gemachten Staatshaftungsansprüche seien auch auf Grund des Versäumnisses des Verfassungsgerichtshofes begründet, dem Gerichtshof der Europäischen Union das Vorabentscheidungsersuchen vorzulegen, ob Art47 GRC den restriktiven Bestimmungen des Asylgesetzes 2005 (§41 Abs4 und 7 Asylgesetz 2005), die die Abstandnahme von der Durchführung öffentlicher, mündlicher Verhandlungen erlaubten, entgegensteht. Die Einleitung eines Vorabentscheidungsverfahrens wäre deshalb angezeigt gewesen, da §41 Abs4 Asylgesetz 2005 die Judikatur des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte, die auch für die Interpretation des Art47 GRC von Bedeutung sein könnte, "auf den Kopf stelle". Der Wortlaut des Art47 GRC und des Art6 EMRK sowie unzählige einschlägige Entscheidungen zu beiden Bestimmungen ließen keinen vernünftigen Zweifel offen, dass die Durchführung einer Verhandlung die Regel darstelle und deren Nichtdurchführung die (seltene) Ausnahme. Der Verfassungsgerichtshof verkenne durch die Nichteinleitung eines Vorabentscheidungsverfahrens die "unionsrechtliche Säule des effektiven Individualrechtsschutzes", auf die sich der Kläger und die Klägerin stützen könnten.
2. Der Verfassungsgerichtshof hat bereits in seinen Entscheidungen zu A4/10 (VfSlg 19.361/2011) und A13/10 (VfSlg 19.428/2011) seine Judikatur bestätigt, dass es nicht seine Aufgabe ist, in einem Staatshaftungsverfahren wie dem hier vorliegenden – ähnlich einem Rechtsmittelgericht – die Richtigkeit der Entscheidungen anderer Höchstgerichte zu prüfen. Der Verfassungsgerichtshof ist nur zur Beurteilung berufen, ob ein qualifizierter Verstoß gegen Unionsrecht im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union (vgl. u.a. EuGH 30.9.2003, Rs. C-224/01, Köbler) vorliegt (vgl. VfSlg 17.214/2004, 17.095/2003). Wie sich aus dieser Rechtsprechung ergibt, hat der Verfassungsgerichtshof seine Zuständigkeit gemäß Art137 B-VG auf jene Fälle beschränkt, in denen sich ein Staatshaftungsanspruch unmittelbar auf Grund des Unionsrechts ergibt. Soweit ein Schadenersatzanspruch nach den österreichischen Vorschriften über das Amtshaftungsrecht begründet wird, ist die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte gegeben (vgl. VfSlg 16.107/2001).
Wie der Verfassungsgerichtshof daher in den eingangs genannten Entscheidungen ausgesprochen hat, ist eine auf den Titel der Staatshaftung gestützte Klage unter anderem nur unter der Voraussetzung zulässig, dass ein Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht (nunmehr das Unionsrecht) geltend gemacht wird, der iSd Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union offenkundig und somit hinreichend qualifiziert ist. Wie der Gerichtshof der Europäischen Union in der Rechtssache Köbler (EuGH, Köbler, Rz 51 ff.) festhält, liegt ein hinreichend qualifizierter Verstoß gegen Unionsrecht durch ein nationales letztinstanzliches Gericht unter Berücksichtigung der Besonderheit der richterlichen Funktion und der berechtigten Belange der Rechtssicherheit insbesondere dann vor, wenn gegen eine klare und präzise Vorschrift verstoßen oder eine einschlägige Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union offenkundig verkannt wird.
Ein Kläger im Staatshaftungsverfahren hat daher begründet darzulegen, dass eine dieser Voraussetzungen erfüllt ist. Der behauptete Verstoß muss also der Art nach möglich sein. Lässt eine Klage dies jedoch vermissen oder werden lediglich Auslegungsfragen aufgeworfen, so wird dadurch dieser Anforderung nicht Genüge getan. Eine solche Klage ist unzulässig.
3. Der Kläger und die Klägerin behaupten nun zwar durch die Ablehnung ihrer Beschwerden gemäß Art144a B-VG mit Beschlüssen vom 27. Juni 2012, U1256/12-3, sowie vom 14. März 2012, U267/12-3, einen die Staatshaftung auslösenden Verstoß gegen Unionsrecht, den sie damit begründen, dass die in diesen Entscheidungen zitierte Entscheidung VfSlg 19.632/2012 unrichtig sei. Wie aber bereits aus der oben (zusammengefasst) wiedergegebenen Begründung der Klagen ersichtlich ist, führen der Kläger und die Klägerin lediglich Bedenken gegen die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes VfSlg 19.632/2012 aus, wobei sie übersehen, dass eine Verletzung der Vorlagepflicht allein noch nicht zur Bejahung eines Staatshaftungsanspruches führt (vgl. VfSlg 18.448/2008, S 731).
Soweit in den Klagen in ausführlicher Weise die Begründung der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes VfSlg 19.632/2012 sowie (indirekt) der Beschlüsse des Verfassungsgerichtshofes vom 27. Juni 2012, U1256/12-3, sowie vom 14. März 2012, U267/12-3, bemängelt und – unter unrichtiger Wiedergabe bzw. verfehlter Interpretation des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes VfSlg 19.632/2012 – behauptet wird, dass diese unrichtig seien, ist darüber hinaus auf die oben wiedergegebene Judikatur des Verfassungsgerichtshofes zu verweisen, wonach im Wege des Staatshaftungsanspruches nicht die Richtigkeit der Entscheidungen von Höchstgerichten zu überprüfen, sondern lediglich das offenkundige Verkennen von Unionsrecht aufzugreifen ist. Eine solche Offenkundigkeit legen der Kläger und die Klägerin nicht einmal im Ansatz dar.
4. Die Klagen sind daher zurückzuweisen.
Die unter einem gestellten Anträge auf Bewilligung der Verfahrenshilfe sind sohin mangels der Voraussetzungen des §63 Abs1 ZPO (§35 Abs1 VfGG) abzuweisen.
Dies konnte gemäß §19 Abs3 Z2 VfGG bzw. §72 Abs1 ZPO (§35 Abs1 VfGG) ohne vorangegangene Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.
Schlagworte
VfGH / Klagen, Staatshaftung, Asylrecht, Verhandlung mündliche, EU-Recht, EU-Recht VorabentscheidungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2013:A2.2013Zuletzt aktualisiert am
08.08.2014