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41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, AsylrechtNorm
AsylG 1997 §7, §8Leitsatz
Verletzung im Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens durch Ausweisung des Beschwerdeführers nach Armenien infolge unsachlicher und tendenziöser Erwägungen und mangels ausreichender Begründung der Prognoseentscheidung betreffend die vom Beschwerdeführer ausgehende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit; kein Entzug des gesetzlichen Richters; Rechtmäßigkeit der seinerzeitigen Aktenzuteilung an den erkennenden Senat des AsylGH mangels Bekämpfung der zunächst ergangenen aufhebenden Entscheidung dieses Senats nicht aufgreifbarSpruch
I. 1. Der Beschwerdeführer ist durch die angefochtene Entscheidung, soweit damit seine Beschwerde gegen die Ausweisung aus dem österreichischen Bundesgebiet abgewiesen worden ist, in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens gemäß Art8 EMRK verletzt worden.
Die Entscheidung wird insoweit aufgehoben.
2. Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.
II. Der Bund (Bundeskanzler) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.620,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren
1. Der Beschwerdeführer, ein im Jahr 1975 geborener armenischer Staatsangehöriger, reiste am 22. Dezember 2001 in das österreichische Bundesgebiet ein und brachte am 19. August 2002 – unter gleichzeitiger Zurückziehung seiner bereits am 27. Dezember 2001 und am 8. Juli 2002 gestellten Anträge – einen Antrag auf internationalen Schutz beim Bundesasylamt (im Folgenden: BAA) ein. Begründend führte der Beschwerdeführer dabei im Wesentlichen aus, dass er seinen Herkunftsstaat verlassen habe, weil er dort ein Unternehmen und mehrere Grundstücke besessen habe und angesichts dieser Eigentumsverhältnisse vom Dorfvorsteher und dessen Sohn verfolgt worden sei.
1.1. Mit Bescheid des BAA vom 8. September 2003 wurde der Antrag auf internationalen Schutz – nach zwischenzeitig erfolgter Einstellung des Asylverfahrens – gemäß §7 AsylG 1997 abgewiesen und festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Armenien gemäß §8 AsylG 1997 zulässig sei. Dieser Bescheid erwuchs am 11. September 2003 in Rechtskraft. Daraufhin brachte der Beschwerdeführer mit Schreiben vom 9. Oktober 2003 einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß §71 AVG und mit diesem eine Berufung gegen den Bescheid des BAA vom 8. September 2003 ein, dem das BAA mit Bescheid vom 24. Oktober 2003 stattgab.
1.2. Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 14. März 2003 wurde der Beschwerdeführer der gewerbsmäßigen Schlepperei nach §104 Abs1 und 3 FrG und der kriminellen Organisation nach §278a Z1 StGB schuldig gesprochen und zu einer Freiheitsstrafe von 18 Monaten verurteilt, wobei die Vollziehung von 12 Monaten der Freiheitsstrafe unter Setzung einer Probezeit von 3 Jahren bedingt nachgesehen wurde. Mit Urteil vom 6. Oktober 2004 wurde der Beschwerdeführer außerdem vom Landesgericht für Strafsachen Korneuburg der kriminellen Organisation gemäß §278a StGB und der teils vollendeten, teils versuchten Schlepperei nach den §§104 Abs1 und Abs3, 1. und 2. Fall FrG iVm §15 StGB, schuldig erkannt und zu einer 18-monatigen Freiheitsstrafe verurteilt. Dabei fasste das Landesgericht Korneuburg den Beschluss auf Widerruf der im Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 14. März 2003 gewährten Strafnachsicht. Anknüpfend an diese Verurteilungen sprach die Bundespolizeidirektion Wien schließlich ein bis 15. Mai 2014 gültiges Rückkehrverbot aus.
1.3. In weiterer Folge wies der Unabhängige Bundesasylsenat (im Folgenden: UBAS) die Berufung des Beschwerdeführers nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit Bescheid vom 30. November 2006 als unbegründet ab. Der dagegen erhobenen Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof wurde mit Erkenntnis vom 24. März 2011, 2011/23/0061, Folge gegeben und der Bescheid des UBAS wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
1.4. Im fortgesetzten Verfahren vor dem zwischenzeitig zuständig gewordenen Asylgerichtshof (im Folgenden: AsylGH) wurde die Beschwerdesache gemäß §61 AsylG 2005 einem Senat zugeteilt. Dieser behob mit Erkenntnis vom 1. Juni 2011, E13 244.217-1/2011-33E, den Bescheid des BAA gemäß §66 Abs2 AVG und verwies die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an das BAA zurück.
1.5. Nach Durchführung eines ergänzenden Ermittlungsverfahrens wies das BAA den Asylantrag des Beschwerdeführers mit Bescheid vom 29. November 2011 in Spruchpunkt I gemäß §7 AsylG 1997 ab. Die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Armenien wurde in Spruchpunkt II gemäß §8 Abs1 AsylG 1997 für zulässig erklärt. Gemäß §10 Abs1 Z2 AsylG 2005 wurde der Beschwerdeführer in Spruchpunkt III aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Armenien ausgewiesen.
2. Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wurde mit der angefochtenen Entscheidung des AsylGH als unbegründet abgewiesen.
2.1. Der AsylGH begründet seine Entscheidung hinsichtlich der Abweisung des Antrages auf Gewährung von Asyl im Wesentlichen damit, dass dem Vorbringen des Beschwerdeführers keine Asylrelevanz zukomme und es dem Beschwerdeführer nicht gelungen sei, eine Verfolgungsgefahr glaubhaft darzutun.
2.2. Hinsichtlich der Feststellung der Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in den Herkunftsstaat sei die Beschwerde abzuweisen gewesen, weil eine Rückführung des Beschwerdeführers kein "reales Risiko" einer Verletzung von Art2 und 3 EMRK sowie des 6. bzw. des 13. ZPEMRK nach sich ziehe und sich der Herkunftsstaat auch nicht im Zustand willkürlicher Gewalt befinde. Auch in der Person des Beschwerdeführers gelegene Rückkehrhindernisse könnten nicht festgestellt werden.
2.3. Die in Spruchpunkt III des BAA-Bescheides verfügte Ausweisung greife zwar in das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht des Beschwerdeführers auf Achtung des Familienlebens gemäß Art8 EMRK ein, da der Beschwerdeführer mit einer russischen Staatsangehörigen, die in Österreich zum dauernden Aufenthalt berechtigt ist, verheiratet sei und mit dieser im gemeinsamen Haushalt lebe. Da es der Gattin des Beschwerdeführers jedoch möglich und zumutbar sei, das Familienleben in Armenien fortzuführen, werde Art8 EMRK durch die Ausweisung des Beschwerdeführers nicht verletzt. Angesichts der langen Aufenthaltsdauer des Beschwerdeführers in Österreich, seiner guten Deutschkenntnisse, seiner seit dem Jahr 2007 ausgeübten Tätigkeit im Baugewerbe, seiner weitergehenden Ausbildung zum Staplerfahrer und des vorgelegten Konvoluts an Unterstützungserklärungen sei außerdem ein Eingriff in das durch Art8 EMRK garantierte Recht auf Achtung des Privatlebens zu konstatieren. Dieses Recht werde durch die verfügte Ausweisung allerdings nicht verletzt, da sich der Beschwerdeführer – bezogen auf sein Lebensalter – erst relativ kurze Zeit in Österreich aufhalte, überwiegend in Armenien sozialisiert worden sei und dort nach wie vor über familiäre Anknüpfungspunkte verfüge. Hinzu komme, dass sein Aufenthalt nur durch einen – letztlich unbegründeten – Asylantrag legitimiert gewesen sei und der Beschwerdeführer erst im Jahr 2007 eine Arbeit in einem – konjunkturabhängigen – Gewerbe aufgenommen habe. Anzulasten sei dem Beschwerdeführer außerdem, dass er über die Tätigkeit eines Staplerfahrers hinaus keine weitergehende Ausbildung in Angriff genommen habe.
2.3.1. Diesen Feststellungen über die Integration des Beschwerdeführers fügt der AsylGH bei:
"Auch ist davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer die deutsche Sprache im Großen und Ganzen beherrscht, ansonsten geht aber aus dem Akteninhalt nicht hervor, dass sich der Beschwerdeführer in zusätzlicher Weise in besonderem Maße im Bereich des sozialen Lebens in Österreich engagiert hätte, weshalb er im Falle der Ausweisung [k]eine nicht mehr zu schließende Lücke hinterlassen würde. […] Weiters ist zu berücksichtigen, dass sich insbesondere die Eltern, Geschwister und Verwandten des Beschwerdeführers im Herkunftsstaat aufhalten, worin zusätzlich neben dem oben Ausgeführten (Sozialisierung in Armenien) eine weiterhin aufrechte Bindung zum Herkunftsstaat zu erblicken ist. Auch der Besuch der armenischen Kirche zeugt nicht von Integration, zumal der einzige Unterschied darin besteht, dass sich die Kirche auf österreichischem Boden befindet, in der der armenische Glaube gelebt wird. Weitergehende Engagements in Österreich hat der Beschwerdeführer verneint. Auch die Unterstützungserklärungen vermögen keine besondere Integration oder über das normale Ausmaß hinausgehende besondere persönliche Bindungen zu bescheinigen. Dass sich Einzelne für ihn einsetzen, mag durchaus für ihn sprechen, jedoch handelt es sich dabei dem Inhalt nach um Sympathiepersonen des BF und es kann auch nicht negiert werden, dass diese Unterstützer im Verhältnis zur –ihn nicht derart unterstützenden – Gesamtbevölkerungszahl in Österreich verschwindend gering sind."
2.3.2. Gegen eine Verletzung von Art8 EMRK spreche nach Ansicht des AsylGH außerdem, dass dem Beschwerdeführer die lange Verfahrensdauer anzulasten sei. Der AsylGH begründet dies im Einzelnen wie folgt:
"Zur Aufenthaltsdauer bzw. der Dauer des Asylverfahrens ist anzuführen, dass sich die hier zu Grunde liegenden Umstände zum überwiegenden Teil aus dem Verhalten des BF ergeben. Der Beschwerdeführer hat insgesamt unter verschiedenen Identitäten drei Asylanträge gestellt und sich dazwischen immer wieder dem Verfahren entzogen. Auch beim dritten und gegenständlichen Asylantrag am 19.08.2002 hat sich der Beschwerdeführer dem Verfahren entzogen, indem er weder dem BAA eine Abgabestelle mitteilte, noch seinen melderechtlichen Verpflichtungen nachkam, weshalb das Verfahren am 26.08.2002 eingestellt werden musste. Das hatte zur Folge, dass der Beschwerdeführer erstmalig am 01.07.2003 vor dem BAA einer niederschriftlichen Einvernahme unterzogen werden konnte. Darüber hinaus hat der Beschwerdeführer unwahre Angaben über seine Identität erstattet, was das Verfahren erschwerte. Auch unterließ es der Beschwerdeführer den ersten Bescheid vom 08.09.2003, erstmalig durch Hinterlegung zugestellt am 10.09.2003 zu beheben, was wiederum zu einem weiteren Verfahren (Wiederaufnahme) führte, welchem mit Bescheid vom 24.10.2003 statt gegeben wurde. Neben der unbegründeten Stellung eines Asylantrages in Österreich erstattete er ein Vorbringen, welches nicht den Tatsachen entspricht. Obwohl das BAA das Vorbringen der bP als unglaubwürdig qualifizierte, brachte der BF im vollen Bewusstsein darüber, oder bei zumutbarer Sorgfalt hätte bewusst sein müssen, dass sein Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht, womit die Asylbehörden und insbesondere die RM-Behörde [hier: das Gericht] aufgrund deren Auslastung auch ohne Organisationsverschulden der Behörde einen erheblichen Zeitraum benötigt, um über den Antrag bzw. das Rechtsmittel zu entscheiden, ein Rechtsmittel ein. Aufgrund seiner strafrechtlichen Verurteilung in Zusammenhang mit einer kriminellen Organisation wies der unabhängige Bundesasylsenat die Berufung gem. §13 Abs2 AsylG 1997 am 30.11.2006 ab. Einzig die fünfjährige Verfahrensdauer vor dem VwGH könnte ein Indiz für ein mögliches Organisationsverschulden sein, wobei aber zu berücksichtigen ist, dass der Beschwerdeführer im vollen Bewusstsein der Stellung eines unbegründeten Asylantrages trotzdem das Rechtsmittel der Berufung gegen den ablehnenden Bescheid des BAA vom 08.09.2003 ergriff und somit die Verfahrensverzögerung zur Gänze auf ihn durchschlägt, weshalb nach Meinung des erkennenden Senates im gegenständlichen Verfahren kein Organisationsverschulden vorliegt. Aber auch bei Annahme eines Organisationsverschuldens handelt es sich dabei lediglich um einen Zeitraum von fünf Jahren, der im Gegensatz zu drei unbegründeten Asylanträgen, sowie der mehrmaligen Entziehung des Verfahrens nicht ins Gewicht fällt, bzw. ist der erkennende Senat der Meinung, dass das Verhalten des Beschwerdeführers deutlich die Verfahrensdauer überwiegt."
2.3.3. Das öffentliche Interesse an der Aufenthaltsbeendigung des Beschwerdeführers überwiege auch angesichts der strafrechtlichen Verurteilungen des Beschwerdeführers. Hiezu führt der AsylGH Folgendes aus:
"In Bezug auf die strafrechtliche Verurteilung eines Asylwerbers ist über das Wohlverhalten des strafrechtlich in Erscheinung getretenen Asylwerbers eine Prognose zu erstellen. Der Beschwerdeführer hat sich nach seiner Entlassung aus der Strafanstalt wohl verhalten, was zu Gunsten des Beschwerdeführers zu werten ist. Der Beschwerdeführer ist verheiratet und arbeitet Teilzeit, womit er sich seinen Lebensunterhalt verdient. Es ist also im Großen und Ganzen – soweit sich die Bedingungen (Heirat und Arbeit) – nicht ändern davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer nicht wieder straffällig wird. Anders sieht es aus, wenn der Beschwerdeführer keine Arbeitsbewilligung mehr erhält, arbeitslos wird oder sich scheiden lässt und damit auf sich allein gestellt wäre. Bei dieser Konstellation ist es durchaus möglich und denkbar, dass der Beschwerdeführer seine Kontakte zu den Schleppern aktiviert, wie er dies bereits in der Vergangenheit aufgrund seiner finanziellen Nöte getan hat."
Gegen diese Entscheidung des AsylGH richtet sich die vorliegende, auf Art144a B-VG gestützte Beschwerde, in der eine Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter, auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander, auf Achtung des Privat- und Familienlebens, auf eine wirksame Beschwerde sowie auf ein Verfahren vor einem unabhängigen und unparteiischen Gericht im Sinne des Art47 GRC geltend gemacht wird. Es wird darin die kostenpflichtige Aufhebung der Entscheidung beantragt.
3. Der AsylGH legte die Verwaltungs- und Gerichtsakten vor, sah von der Erstattung einer Gegenschrift aber ab.
II. Erwägungen
Die Beschwerde ist zulässig.
A. Die Beschwerde ist, soweit sie sich gegen die Ausweisung des Beschwerdeführers richtet, begründet:
1. Der Beschwerdeführer wendet sich zunächst dagegen, dass seine Rechtssache, die ursprünglich einem Einzelmitglied des UBAS zugeteilt war, nach Aufhebung des Bescheides durch den Verwaltungsgerichtshof im fortgesetzten Verfahren vor dem AsylGH einem beliebigen Senat des AsylGH zugeteilt worden ist, nicht aber jenem Senat, dem das ursprüngliche Mitglied des UBAS angehört. Dadurch habe der AsylGH nach Ansicht des Beschwerdeführers Art83 Abs2 B-VG verletzt:
Die vorliegende Rechtssache sei nämlich eine Annexsache iSd §2 der Geschäftsverteilung des AsylGH. Eine solche sei gemäß §17 Abs2 der Geschäftsverteilung des AsylGH stets jenem Richter zuzuteilen, dem jene Rechtssache zugeteilt worden war, zu der die Rechtssache annex ist, und zwar unter der Voraussetzung, dass die Rechtssache auch in seinen Zuständigkeitsbereich fällt. Im vorliegenden Fall sei die Rechtssache nach Ansicht des Beschwerdeführers deshalb dem ursprünglich zuständigen Mitglied des UBAS in seiner nunmehrigen Funktion als Senatsmitglied zuzuteilen gewesen. Jedoch falle diese Rechtssache –anders als dies §17 Abs2 der Geschäftsverteilung des AsylGH verlangt – nicht in dessen Zuständigkeitsbereich. Diese, in §17 Abs2 der Geschäftsverteilung des AsylGH normierte Einschränkung auf den "Zuständigkeitsbereich" verstoße gegen §10 Abs1 AsylGHG. Denn nach dieser Vorschrift dürfe die Entscheidung nach Stattfinden einer mündlichen Verhandlung nur von jenen Richtern des AsylGH getroffen werden, die auch an der Verhandlung teilgenommen haben. Schließlich ermächtige auch §13 Abs5 AsylGHG zur Änderung der Geschäftsverteilung während des Kalenderjahres und dabei seien Rechtssachen, in denen bereits eine mündliche Verhandlung stattgefunden hat, tunlichst vom bisherigen Einzelrichter oder Senat zu Ende zu führen. Somit hätte die Beschwerdesache dennoch jenem Senat zugeteilt werden müssen, dem das ursprüngliche Mitglied des UBAS angehört.
1.1. Mit der Behauptung, in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden zu sein, ist der Beschwerdeführer nicht im Recht:
1.2. Das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter wird durch den Bescheid einer Verwaltungsbehörde verletzt, wenn die Behörde eine ihr gesetzlich nicht zukommende Zuständigkeit in Anspruch nimmt (zB VfSlg 15.372/1998, 15.738/2000, 16.066/2001, 16.298/2001 und 16.717/2002) oder wenn sie in gesetzwidriger Weise ihre Zuständigkeit ablehnt, etwa indem sie zu Unrecht eine Sachentscheidung verweigert (zB VfSlg 15.482/1999, 15.858/2000, 16.079/2001 und 16.737/2002).
1.3. Das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter wird insbesondere dann verletzt, wenn eine an sich zuständige, aber nicht dem Gesetz entsprechend zusammengesetzte Kollegialbehörde entschieden hat (zB VfSlg 10.022/1984, 14.731/1997, 15.588/1999, 15.668/1999, 15.731/2000, 16.572/2002). Für Entscheidungen des AsylGH gelten sinngemäß dieselben verfassungsrechtlichen Schranken. Dies bedeutet, dass das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter dann verletzt wird, wenn statt einem Senat ein Einzelrichter entscheidet oder umgekehrt (zB VfSlg 18.755/2009).
1.4. §35 der Geschäftsverteilung des AsylGH ist mit der Überschrift "Annexität zu Rechtssachen, die vom unabhängigen Bundesasylsenat abgeschlossen worden sind" versehen und bestimmt, dass für Rechtssachen, die nach dem 30. Juni 2008 anhängig werden, §2 der Geschäftsverteilung – mit bestimmten Maßgaben –auch im Verhältnis zu Rechtssachen gilt, die vom UBAS abgeschlossen worden sind. Gemäß §2 Abs1 der Geschäftsverteilung sind Annexsachen Rechtssachen, die im Verhältnis zu einer oder mehreren anderen, früher zugeteilten Rechtssachen im Verhältnis der Annexität stehen. §17 Abs2 der Geschäftsverteilung ordnet außerdem an, dass eine Annexsache stets jenem Richter zuzuteilen ist, dem jene Rechtssache zugeteilt worden war, zu der die Rechtssache annex ist, vorausgesetzt, sie fällt in seinen Zuständigkeitsbereich.
1.5. Da die Rechtssache nach der Aufhebung des Bescheides des UBAS durch den Verwaltungsgerichtshof im fortgesetzten Verfahren vor dem AsylGH einem Senat zugeteilt worden ist, dem das ursprüngliche Mitglied des UBAS nicht angehört hat, jedoch die in der Folge zunächst ergangene, den erstinstanzlichen Bescheid gemäß §66 Abs2 AVG aufhebende Entscheidung dieses Senates trotz der abweichenden Gerichtsbesetzung vom Beschwerdeführer unbekämpft geblieben ist, kann die Frage der Rechtmäßigkeit der seinerzeitigen Aktenzuteilung in der Folge nicht mehr mit Erfolg aufgeworfen werden. Zweck des §35 der Geschäftsverteilung des AsylGH ist es nämlich nur, eine Entscheidung des gleichen Organwalters in bereits von ihm behandelten oder mit der aktuellen zusammenhängenden Rechtssachen auch in fortgesetzten Verfahren, in denen zwischenzeitig der AsylGH zuständig geworden ist, sicherzustellen. Dieser Zweck kann nach einer zwischenzeitig anderen Zuteilung nicht mehr erfüllt werden.
1.6. Bereits aus diesem Grund trifft somit die Behauptung des Beschwerdeführers, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt zu sein, nicht zu.
2. Die Beschwerde ist jedoch, soweit sie sich gegen die Ausweisung des Beschwerdeführers aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Armenien richtet, begründet:
2.1. Ein Eingriff in das durch Art8 EMRK verfassungsgesetzlich garantierte – unter Gesetzesvorbehalt stehende – Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens ist dann verfassungswidrig, wenn der ihn verfügende Bescheid ohne jede Rechtsgrundlage ergangen ist, auf einer dem Art8 EMRK widersprechenden Rechtsvorschrift beruht oder wenn die Behörde bei Erlassung des Bescheides eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Rechtsgrundlage in denkunmöglicher Weise angewendet hat; ein solcher Fall liegt nur vor, wenn die Behörde einen so schweren Fehler begangen hat, dass dieser mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe zu stellen ist, oder wenn sie der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen verfassungswidrigen, insbesondere einen dem Art8 Abs1 EMRK widersprechenden und durch Art8 Abs2 EMRK nicht gedeckten Inhalt unterstellt hat (vgl. VfSlg 11.638/1988, 15.051/1997, 15.400/1999, 16.657/2002).
2.2. Ein derartiger, in die Verfassungssphäre reichender Fehler ist dem AsylGH unterlaufen:
2.2.1. Der AsylGH bezieht zunächst in die von ihm anzustellende Abwägung die Überlegung ein, dass der Beschwerdeführer – abgesehen von dessen guten Sprachkenntnissen – keinerlei sonstiges Engagement im Bereich des sozialen Lebens in Österreich gezeigt hätte, weshalb er im Falle der Ausweisung keine "nicht mehr zu schließende Lücke" hinterlasse. Die mangelnde Integration des Beschwerdeführers zeige sich außerdem daran, dass er nach wie vor die armenische Kirche besuche und dass er im Verfahren zwar Unterstützungserklärungen vorgelegt habe, die darin aufscheinenden "Unterstützer im Verhältnis zur – ihn nicht derart unterstützenden – Gesamtbevölkerung in Österreich verschwindend gering" seien.
Diese Erwägungen, mit denen der AsylGH im Zuge der nach Art8 EMRK anzustellenden Abwägung im Ergebnis die Religionsausübung in der armenischen Kirche und damit die Ausübung des Grundrechts auf Religionsfreiheit zum Kriterium fehlender Integration macht, das durch die Unterstützung zum Ausdruck kommende Maß an Integration durch den Vergleich mit der Gesamtzahl der Bevölkerung geradezu ins Lächerliche zieht und dem Beschwerdeführer angesichts dessen in geradezu zynischer Weise bescheinigt, dass sein Weggang aus Österreich keine Lücke hinterlassen würde, sind nicht nur in nicht hinzunehmender Weise unsachlich und tendenziös, sondern verfehlen auch den rechtlichen Maßstab der Integration.
2.2.2. Vergleichbares trifft schließlich auch auf die Erwägungen im Zusammenhang mit dem Gewicht der einem weiteren Aufenthalt des Beschwerdeführers in Österreich entgegenstehenden öffentlichen Interessen zu: Angesichts der – wenngleich schon längere Zeit zurückliegenden – zwei strafgerichtlichen Verurteilungen des Beschwerdeführers hatte der AsylGH eine Prognoseentscheidung darüber zu treffen, ob vom Beschwerdeführer eine Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit ausgehen wird. Dazu hat der AsylGH die Auffassung vertreten, dass angesichts seines sechsjährigen Wohlverhaltens seit der Haftentlassung "im Großen und Ganzen" davon auszugehen sei, dass der Beschwerdeführer nicht mehr straffällig werde. Hier endet die auf Tatsachen beruhende Prognose. In der Folge nimmt der AsylGH jedoch eine Umkehr in eine für den Beschwerdeführer nachteilige Prognose dadurch vor, dass er es im Falle einer künftigen Arbeitslosigkeit und gleichzeitigen familiären Entwurzelung des Beschwerdeführers für durchaus "möglich und denkbar" hält, dass der Beschwerdeführer seine Kontakte zu den Schleppern wieder aktivieren werde. Diesem Teil fehlen aber entsprechende Begründungselemente: Es handelt sich um Annahmen künftiger Entwicklungen, deren Eintrittswahrscheinlichkeit vom Asylgerichtshof nicht anhand konkreter Tatsachen dargetan wird. Es ist vielmehr unerfindlich, aufgrund welcher Umstände der Asylgerichtshof meint, dass derartige Ereignisse im Leben des Beschwerdeführers in einem überschaubaren Zeitraum eintreten werden.
Mit all diesen Ausführungen legt der AsylGH seiner Abwägung einen Maßstab zugrunde, der Art8 EMRK nicht entnommen werden kann und insoweit mit diesem unvereinbar ist (s. dazu bereits VfSlg 19.612/2011). Der AsylGH hat dadurch den Beschwerdeführer in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens verletzt.
B. Soweit die an den Verfassungsgerichtshof erhobene Beschwerde die Abweisung des Antrages auf Gewährung von Asyl und die Feststellung der Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in den Herkunftsstaat bekämpft, wird ihre Behandlung aus folgenden Gründen abgelehnt:
1. Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer Beschwerde gemäß Art144a B-VG ablehnen, wenn sie keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat oder von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist (Art144a Abs2 B-VG). Eine solche Klärung ist dann nicht zu erwarten, wenn zur Beantwortung der maßgebenden Fragen spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen nicht erforderlich sind.
2. Die vorliegende Beschwerde behauptet die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten. Zur behaupteten Verletzung des Art47 GRC durch die Unterlassung einer mündlichen Verhandlung wird auf VfSlg 19.632/2012 verwiesen.
3. Soweit die Beschwerde des Weiteren unter Bezugnahme auf Art13 EMRK verfassungsrechtlich relevante Fragen aufwirft, lässt auch dieses Vorbringen die behauptete Rechtsverletzung als so wenig wahrscheinlich erkennen, dass sie keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat.
4. Die im Übrigen gerügten Rechtsverletzungen wären im vorliegenden Fall nur die Folge einer – allenfalls grob – unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen sind zur Beantwortung der aufgeworfenen Fragen nicht anzustellen.
III. Ergebnis
1. Der Beschwerdeführer ist somit durch die angefochtene Entscheidung, soweit damit die Beschwerde gegen die Ausweisung aus dem österreichischen Bundesgebiet abgewiesen wird, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens gemäß Art8 EMRK verletzt worden.
2. Die angefochtene Entscheidung ist daher insoweit aufzuheben.
3. Im Übrigen wird von der Behandlung der Beschwerde abgesehen.
4. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz iVm §31 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
5. Die Kostenentscheidung beruht auf §§88a iVm 88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 400,– sowie der Ersatz der Eingabengebühr in Höhe von € 220,– enthalten.
Schlagworte
Asylrecht, Ausweisung, Privat- und Familienleben, Bescheidbegründung, BehördenzusammensetzungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2013:U222.2012Zuletzt aktualisiert am
08.08.2014