TE Vwgh Erkenntnis 2013/8/27 2012/06/0147

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Veröffentlicht am 27.08.2013
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Index

L37151 Anliegerbeitrag Aufschließungsbeitrag Interessentenbeitrag
Burgenland;
L82000 Bauordnung;
L82001 Bauordnung Burgenland;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §59 Abs1;
BauG Bgld 1997 §26;
BauG Bgld 1997 §29;
BauRallg;
VVG §4;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pallitsch und die Hofrätin Dr. Bayjones, den Hofrat Dr. Moritz, die Hofrätin Mag. Merl sowie den Hofrat Mag. Haunold als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Zöchling, über die Beschwerde der Stadtgemeinde P, vertreten durch die Bichler Zrzavy Rechtsanwälte GmbH in 1030 Wien, Weyrgasse 8, gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Eisenstadt-Umgebung vom 2. Mai 2012, Zl. EU-02-04-139-2, betreffend einen Beseitigungsauftrag (mitbeteiligte Partei: D H, vertreten durch die Bollmann & Bollmann Rechtsanwaltspartnerschaft in 1010 Wien, Weihburggasse 9), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird, soweit er sich auf den in Spruchpunkt 2. des erstinstanzlichen Bescheides vom 2. Dezember 2011 erteilten Auftrag bezieht (Entfernung der Ableitung des anfallenden Regenwassers über die Dachrinnen auf die Liegenschaft Grundstück Nr. 281), wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Im Übrigen wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.

Das Land Burgenland hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Am 4. Oktober 2011 (in den Bescheiden der Baubehörden mit Datum 20. Oktober 2011 angegeben) fand eine baupolizeiliche Überprüfung statt, bei der ein Organ der Beschwerdeführerin folgende bescheid- und gesetzwidrige Bauausführungen bzw. Zustände an dem im Eigentum des Mitbeteiligten stehenden Gebäudes feststellte:

"1. Bescheidwidrige Bauausführung des mit Bescheid der Baubehörde erster Instanz vom 08.08.1978, Zl: 27/1-1978 genehmigten Umbaus des bestehenden Gebäudes in der B-zeile 8, und zwar dahingehend, dass die im Westen gelegene Außenmauer über die Grundstücksgrenze auf die Liegenschaft Grundstück Nr. 281 (Hgasse 29) gebaut wurde. Dieser Überbau entspricht nicht den dem Bescheid vom 08.08.1978 beigelegten Einreichplänen. Sowohl eine Bewilligung der Baubehörde erster Instanz als auch eine Zustimmung des damaligen Liegenschaftseigentümers der Liegenschaft Grundstücks Nr. 281, nämlich der Gemeinde P, und des neuen Eigentümers (…) liegen diesbezüglich nicht vor.

2. Bescheidwidrige Ableitung des Abwassers: Aus dem Baubescheid vom 08.08.1978 ergibt sich eindeutig, dass die Fäkalien und anfallenden Niederschlagswässer in die örtliche Kanalisation einzuleiten sind. Im Gegensatz zur baubehördlichen Bewilligung wird das anfallende Regenwasser nicht in die örtliche Kanalisation eingeleitet. Das anfallende Regenwasser wird auf die im Eigentum (des Nachbarn) stehende Liegenschaft Grundstück Nr. 281 konsenswidrig abgeleitet. Ein entsprechendes Recht wurde (der mitbeteiligten Partei) weder durch den bisherigen Eigentümer der Liegenschaft Grundstück Nr. 281 noch durch den (Nachbarn) eingeräumt. Im Einreichplan der dem Bescheid vom 08.08.1978 zugrunde liegt, ist die Regenrinne derart eingezeichnet, als ob sie sich auf dem Dach des Hauses B-zeile 9 befinde. In welcher Form die Ableitung des Regenwassers in weiterer Folge erfolgt, ist jedoch nicht erkennbar.

3. Verletzung der Brandschutzbestimmungen: Sowohl die Mauer, die teilweise die Grenze zur Liegenschaft Grundstücks Nr. 281 überragt, als auch die Mauer an der Grenze zum Hof der Liegenschaft Grundstück Nr. 281 enthalten Fensteröffnungen. Aus dem Einreichplan, der den Bescheid vom 08.08.1978 zugrunde lag, ist nicht eindeutig erkennbar, ob Öffnungen an der nach Westen ausgerichteten Mauer ausgeführt werden sollen bzw. ist die Bejahung dieser den Einreichunterlagen in weiterer Folge nicht zu entnehmen, in welcher Qualität diese Fensteröffnungen ausgebildet werden. Die in der Natur an der bezeichneten Mauer ausgebildeten Fensteröffnungen weisen jedoch in keiner Weise jene brandhemmenden Eigenschaften auf, die das Gesetz erfordert.

4. Verletzung der Bestimmungen der Statik: Aufgrund von vorliegenden statischen Gutachten im Bauverfahren Zl. 30/18-2011, über den Teilabbruch der Mauer in der Bodenzeile zwischen der Liegenschaft H-gasse 29 und B-zeile 9, und der in diesem Verfahren geäußerten statischen Bedenken zu den geplanten Arbeiten (Mauerabbruch und Abgrabung des dahinter befindlichen Erdreichs zur Durchführung von Sanierungs- und Renovierungsarbeiten) konnte zum Gebäude auf der Liegenschaft B-zeile 9 keine Präzise abschließende Aussage gegenüber der Baubehörde erster Instanz getätigt werden, ob das Gebäude im Sinn der gesetzlich geregelten Erfordernisse und Anforderungen des Bgld. Baugesetzes standsicher ausgebildet ist.

5. Fehlen der Benützungsbewilligung: Das Gebäude auf der Liegenschaft Bodenzeile wird bereits benutzt. Eine Mitteilung über die Fertigstellung des Umbaus erfolgte an die Baubehörde erster Instanz nicht. Auch wurde kein Schlussüberprüfungsprotokoll vorgelegt bzw. eine Benützungsbewilligung durch die Baubehörde erteilt."

Mit Bescheid des Bürgermeisters der Beschwerdeführerin vom 2. Dezember 2011 wurde dem Mitbeteiligten sodann gemäß § 26 Abs. 1 Burgenländisches Baugesetz (Bgld. BauG) der Auftrag erteilt, nachfolgend dargestellte Abweichungen vom konsentierten Bauvorhaben und die festgestellten Mängel hinsichtlich der bescheid- und gesetzwidrigen Bauausführung zu beheben bzw. zu beseitigen:

"Ad 1:

Hinsichtlich des erfolgten Überbaus der Grundstücksgrenze der Liegenschaft Grundstück Nr.281 ist der Konsens mit dem Liegenschaftseigentümer (…) unbeschadet weitergehender zivilrechtlicher Verpflichtungen herzustellen, allenfalls jener Verlauf der gegenständlichen Außenmauer herzustellen ist, der in dem baubehördlichen Bescheid vom 08.08.1978 zugrunde gelegenen Einreichplan dargestellt ist. Zur Vorlage der Zustimmung des Eigentümers der Liegenschaft Grundstück Nr. 281 wird eine Frist von drei Wochen eingeräumt. Zur Herstellung des mit Bescheid vom 08.08.1978 genehmigten Mauerverlaufs wird eine Frist von drei Monaten ab Rechtskraft des gegenständlichen Mängelbehebungsauftrages eingeräumt.

Ad 2:

Die im Bescheid der Baubehörde der (Beschwerdeführerin) vom 08.08.1978 eindeutige Vorgabe der Entsorgung der Fäkalien und Regenwässer ist herzustellen. Die Entsorgung hat über die eigene Liegenschaft zu erfolgen. Die bestehende Ableitung des anfallenden Regenwassers über die Dachrinnen auf die Liegenschaft Grundstück Nr. 281 ist umgehend zu entfernen. Für die Beseitigung dieser Mängel wird eine Mängelbehebungsfrist von zwei Wochen ab Rechtskraft des gegenständlichen Mängelbehebungsauftrages eingeräumt.

Ad 3:

Sämtliche in der gegenständlichen Mauer ausgebildeten Fensteröffnungen sind gemäß den technischen Anforderungen für Öffnungen in einer Feuermauer brandhemmend zu verschließen. Diesbezüglich ist vor Beginn der Arbeiten eine Bauanzeige an die Baubehörde erster Instanz zu erstatten bzw. um Erteilung einer baubehördlichen Bewilligung anzusuchen. Für die Behebung dieser Mängel wird eine Mängelbehebungsfrist von sechs Wochen eingeräumt.

Ad 4:

Der Baubehörde erster Instanz ist darzulegen, dass das auf der Liegenschaft B-zeile 9 befindliche Gebäude den gesetzlichen Erfordernissen und Voraussetzungen hinsichtlich Festigkeit und Standsicherheit entspricht. Bei Nichterfüllung ist der Baubehörde erster Instanz gegenüber darzulegen, welche Maßnahmen zur Erreichung der Festigkeit und Standsicherheit umgesetzt werden. Diesbezüglich ist eine Bauanzeige zu erstatten bzw. um Erteilung einer baubehördlichen Bewilligung anzusuchen. Zur Behebung dieses Mangels wird eine Frist von vier Wochen ab Rechtskraft des gegenständlichen Mängelbehebungsauftrages eingeräumt.

Ad 5:

Der Bauträger hat gemäß § 27 die Fertigstellung des Gebäudes anzuzeigen. Dieser Fertigstellungsanzeige sind Rauchfangbefunde und ein Schlussüberprüfungsprotokoll einer gewerberechtliche oder nach dem Ziviltechnikergesetz befugten Fachkraft, eines gerichtlich oder von der Gemeinde beeideten Bausachverständigen oder eines Amtssachverständigen, die an der Ausführung des Gebäudes nicht beteiligt gewesen sein dürfen, anzuschließen, in dem diese mit ihrer Unterschrift die bewilligungsgemäße Ausführung des Bauvorhabens bestätigen. Zur Vorlage der angeführten Unterlagen wird eine Frist von drei Wochen festgesetzt. Bei fruchtlosem Verstreichen der angeführten Frist wird seitens der Baubehörde die Schlussüberprüfung veranlasst."

In der Begründung zu Spruchpunkt 1 (Überbau an der Grundstücksgrenze) bezog sich die Behörde 1. Instanz ergänzend zu den Ergebnissen der baupolizeilichen Überprüfung auf die vom Nachbarn des Mitbeteiligten in Auftrag gegebene Naturbestandsaufnahme vom 12. Mai 2011, die ungarische Grenzskizze von 1904, die Unterlagen zum Baubewilligungsverfahren des Mitbeteiligten aus dem Jahr 1978 sowie Fotos von 1976, und kam zu dem Ergebnis, dass 1976 noch ein Zwischenraum zwischen dem Gebäude des Mitbeteiligten und der westlichen Mauer seines Nachbarn bestanden habe, der durch die Umbaumaßnahmen des Mitbeteiligten verbaut worden sei. Dabei sei die Grundgrenze überschritten worden.

Der Mitbeteiligte berief mit Schriftsatz vom 20. Dezember 2011 gegen den Beseitigungsauftrag und brachte im Wesentlichen vor, dieser sei hinsichtlich des vermeintlichen Überbaus nicht ausreichend bestimmt. Es sei nicht ersichtlich, inwieweit ein Umbau bzw. Rückbau vorzunehmen sei; der genaue Umfang der durchzuführenden Baumaßnahmen sei unklar. Das Haus stehe seit seiner Errichtung vor über 200 Jahren unverändert, die Außenmauer des Hauses gebe vielmehr den wahren Grenzverlauf wieder. Die Baubehörde erster Instanz hätte den wahren Grenzverlauf feststellen müssen.

Die Regenrinne bestehe seit 33 Jahren und sei bis dato noch nie beanstandet worden. Nur bei Starkregen (sommerliche Gewitter) könne es zu einem Überschießen des Regenwassers bzw. einem Übergehen der Regenrinne kommen. Diese sei jedoch nach den gesetzlichen Baubestimmungen sach- und fachgerecht ausgeführt worden. Im Baubewilligungsbescheid aus dem Jahr 1978 seien diesbezüglich auch keine Auflagen erteilt worden.

Die Öffnungen in der Feuermauer seien aus dem Einreichplan aus dem Jahr 1978 eindeutig ersichtlich; diesbezüglich seien keine Auflagen erteilt worden. Der Mitbeteiligte habe daher darauf vertrauen können, dass beim Umbau alle relevanten Bauvorschriften eingehalten worden seien.

Hinsichtlich der Statik habe die Baubehörde erster Instanz selbst keine Erhebungen durchgeführt. Der Mitbeteiligte habe hingegen am 28. Oktober 2011 ein Gutachten vorgelegt, wonach die Standfestigkeit des Gebäudes gegeben sei. Dem hätte die Behörde ein "amtswegiges" Sachverständigengutachten entgegenhalten müssen.

Es sei richtig, dass der Mitbeteiligte keine Fertigstellungsanzeige eingebracht bzw. keine Benützungsbewilligung beantragt habe. Die Fertigstellung der Bauarbeiten sei jedoch vor über 33 Jahren erfolgt, was der Behörde auch bekannt gewesen sei. Es sei somit Verjährung eingetreten, sodass zumindest vermuteter Konsens vorliege.

Mit Bescheid vom 21. Februar 2012 (Beschluss vom 1. Februar 2012) wies der Gemeinderat der Beschwerdeführerin die Berufung des Mitbeteiligten ab.

Der gegen diesen Bescheid eingebrachten Vorstellung des Mitbeteiligten vom 8. März 2012 wurde mit dem angefochtenen Bescheid (vom 2. Mai 2012) Folge gegeben, der Bescheid des Gemeinderates der Beschwerdeführerin vom 21. Februar 2012 behoben und die Angelegenheit zur neuerlichen Entscheidung an diesen verwiesen. Begründend führte die belangte Behörde aus, für das genehmigte Bauvorhaben liege keine Benützungsbewilligung vor; die Untätigkeit der Bauaufsichtsbehörde könne weder die fehlende Baubewilligung ersetzen noch liege ein vermuteter Konsens vor.

Hinsichtlich der Verletzung der Grundstücksgrenze durch den Überbau sei der baupolizeiliche Auftrag nicht ausreichend bestimmt. Aus der Baubeschreibung zur Genehmigung aus dem Jahr 1978 (diese ist den vorgelegten Verwaltungsakten nicht zu entnehmen) ergebe sich kein Hinweis darauf, dass durch den Bau die Grenze zum Nachbargrundstück überbaut worden sei. Die Berufungsbehörde habe zunächst eine verbindliche Grenzfestlegung von Amts wegen zu veranlassen und - im Fall eines Grenzüberbaus - exakt festzustellen, welche Teile des Gebäudes zu entfernen seien. Dabei sei zu berücksichtigen, dass für einen Grenzüberbau, soweit er nur einen Teil des Bauwerkes auf fremdem Boden betreffe, die allgemeinen Regeln der §§ 415 und 416 ABGB anzuwenden seien.

Der Beseitigungsauftrag hinsichtlich der Ableitung von Abwässern entspreche den gesetzlichen Voraussetzungen. Da jedoch im Bescheid der Berufungsbehörde über alle fünf Punkte des Beseitigungsauftrages in einem Spruchpunkt abgesprochen worden sei, könne nur der gesamte Spruchpunkt behoben werden.

Hinsichtlich der Öffnungen in der Feuermauer hätten die Baubehörden den konsensgemäßen Zustand gar nicht festgestellt, sondern offen gelassen, ob im Jahr 1978 Öffnungen genehmigt worden seien. Weiters sei fraglich, ob die Mauer überhaupt Gegenstand des Verfahrens im Jahr 1978 gewesen sei oder zu diesem Zeitpunkt bereits bestanden habe. Dem Einreichplan sei nicht zu entnehmen, welche Gebäudeteile neu errichtet würden. Die Berufungsbehörde habe im Folgeverfahren zu erheben, was zum Zeitpunkt der Erteilung der Genehmigungen im Jahr 1978 genehmigter Bestand gewesen sei. Sollte die Mauer erst im Jahr 1978 genehmigt worden seien, sei festzustellen, dass sich aus den Genehmigungsunterlagen nicht ergebe, dass diese Mauer Öffnungen aufweise.

Im Hinblick auf die Statik des Gebäudes führte die belangte Behörde aus, die Klärung der Frage, ob das Gebäude den gesetzlichen Erfordernissen hinsichtlich Festigkeit und Standsicherheit entspreche, könne nicht dem Mitbeteiligten übertragen werden. Die Baubehörden hätten dies vielmehr entsprechend der Offizialmaxime von Amts wegen festzustellen.

Die in der Vorstellung geltend gemachte Befangenheit des Bausachverständigen und weiterer Verfahrensmängel sah die belangte Behörde nicht als gegeben an.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und beantragte in ihrer Gegenschrift - ebenso wie der Mitbeteiligte - die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Im vorliegenden Fall ist das Burgenländische Baugesetz 1997 (Bgld. BauG), LGBl. Nr. 10/1998, in der Fassung LGBl. Nr. 7/2010 anzuwenden. Dessen §§ 26, 27 und 29 lauten (auszugsweise):

"§ 26

Mangelhafte und nichtgenehmigte Bauführung

(1) Werden bei einer Überprüfung Mängel festgestellt, hat die Baubehörde deren Behebung innerhalb angemessener Frist anzuordnen. Werden die Mängel innerhalb dieser Frist nicht behoben, hat die Baubehörde die Herstellung des vorschriftsmäßigen und konsensgemäßen Zustandes oder die teilweise oder gänzliche Beseitigung des Baues zu verfügen.

(2) Wird ein bewilligungspflichtiges oder anzeigepflichtiges Bauvorhaben ohne Baubewilligung bzw. Baufreigabe ausgeführt oder im Zuge der Bauausführung vom Inhalt der Baubewilligung oder Baufreigabe wesentlich abgegangen, hat die Baubehörde die Einstellung der Arbeiten schriftlich zu verfügen und den Bauträger, sofern dieser über das Objekt nicht mehr verfügungsberechtigt ist, den Eigentümer aufzufordern, binnen vier Wochen um nachträgliche Baubewilligung anzusuchen bzw. die Bauanzeige zu erstatten. Kommt der Bescheidadressat dieser Aufforderung innerhalb der Frist nicht nach oder wird die Baubewilligung bzw. die Baufreigabe nicht erteilt, hat die Baubehörde die Herstellung des rechtmäßigen Zustandes zu verfügen.

§ 27

Fertigstellungsanzeige, Schlussüberprüfung, Benützungsfreigabe

(1) Der Bauträger hat die Fertigstellung des Gebäudes der Baubehörde anzuzeigen.

(2) Der Fertigstellungsanzeige sind Rauchfangbefunde und ein Schlussüberprüfungsprotokoll einer gewerberechtlich oder nach dem Ziviltechnikergesetz befugten Fachkraft, eines gerichtlich oder von der Gemeinde beeideten Bausachverständigen oder eines Amtssachverständigen, die an der Ausführung des Gebäudes nicht beteiligt gewesen sein dürfen, anzuschließen, in dem diese mit ihrer Unterschrift die bewilligungsgemäße Ausführung des Bauvorhabens bestätigen.

(3) ...

(5) Wird ein solches Schlussüberprüfungsprotokoll nicht beigebracht, hat die Baubehörde die Schlussüberprüfung durch eine gewerberechtlich oder nach dem Ziviltechnikergesetz befugte Fachkraft, einen gerichtlich oder von der Gemeinde beeideten Bausachverständigen oder einen Amtssachverständigen binnen drei Wochen zu veranlassen.

(6) Die Baubehörde hat binnen drei Wochen nach Erhalt eines positiven Schlussüberprüfungsprotokolles schriftlich die Benützungsfreigabe zu erteilen. Vor der Benützungsfreigabe darf das Gebäude nicht benützt werden.

§ 29

Nachträgliche Vorschreibung von Auflagen

Ergibt sich nach bewilligungsgemäßer Fertigstellung eines Bauvorhabens, daß durch dessen bestimmungsgemäße Benützung eine Gefährdung von Personen oder eine das ortsübliche Ausmaß übersteigende Beeinträchtigung für die Nachbarn eintritt, hat die Baubehörde nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung an Ort und Stelle unter Beiziehung der erforderlichen Sachverständigen dem Eigentümer entsprechende Auflagen mit Bescheid vorzuschreiben, die geeignet sind, die Gefährdung oder Beeinträchtigung zu beseitigen. Soweit solche Auflagen nicht dem Schutz des Lebens, der Gesundheit oder Sicherheit von Personen dienen, müssen sie wirtschaftlich zumutbar sein."

Ein Beseitigungsauftrag setzt voraus, dass die Bewilligungspflicht sowohl im Zeitpunkt der Errichtung des Bauwerkes als auch im Zeitpunkt der Erteilung des Auftrages zu bejahen ist. Vorschriftswidrig ist ein Bau, für den im Zeitpunkt seiner Errichtung ein baubehördlicher Konsens erforderlich war und weiterhin erforderlich ist, für den aber ein solcher Konsens nicht vorliegt (vgl. dazu die bei Pallitsch/Pallitsch, Burgenländisches Baurecht, zweite Auflage, Rzen 57 und 58 zu § 26 Bgld. BauG zitierte hg. Judikatur). Die Erlassung eines baupolizeilichen Auftrages hat einwandfreie Feststellungen über den Inhalt des baubehördlichen Konsenses zur Voraussetzung, weil zwecks Ermittlung allfälliger Abweichungen der tatsächliche Bauzustand mit dem baubehördlichen Konsens verglichen werden muss (vgl. die in Pallitsch/Pallitsch, aaO, E 69 zu § 26 Bgld. BauG zitierte Judikatur zu § 109 Abs. 4 NÖ BO). Bei Pflichten begründenden individuellen Verwaltungsakten hat die Behörde den Gegenstand und den Umfang der ausgesprochenen Verpflichtung so hinreichend zu umschreiben, dass der Bescheid jederzeit auch einer Vollstreckung im Wege einer behördlichen Ersatzvornahme zugänglich ist (vgl. die in Pallitsch/Pallitsch, aaO, Rz 90 zu § 26 Bgld. BauG zitierte hg. Judikatur). Wurden im Zuge der Bauausführung wesentliche Abweichungen von einem Baubewilligungsbescheid oder von einer Baufreigabe vorgenommen, ist - sofern die bauliche Maßnahme noch nicht abgeschlossen wurde - zunächst ein Auftrag zur Baueinstellung mit gleichzeitiger Aufforderung zu erlassen, binnen vier Wochen um nachträgliche Baubewilligung anzusuchen bzw. die nachträgliche Bauanzeige zu erstatteten, und anschließend, wenn der Aufforderung zur nachträglichen Einholung einer Baubewilligung oder Erstattung einer Bauanzeige nicht nachgekommen wurde oder die beantragte nachträgliche Baubewilligung bzw. nachträgliche Baufreigabe nicht erteilt wurde, die Herstellung des rechtmäßigen Zustandes bescheidmäßig zu verfügen. Steht bereits von vornherein fest, dass für die vorgenommenen konsenslosen oder konsenswidrigen Bauausführungen eine nachträgliche Baubewilligung bzw. Freigabe nicht erteilt werden kann, hat - wenn noch erforderlich - eine Baueinstellung zu erfolgen, gleichzeitig ist aber die Herstellung des rechtmäßigen Zustandes zu verfügen (vgl. die Ausführungen in Pallitsch/Pallitsch, E 7 zu § 26 Bgld. BauG).

Aus den Verwaltungsakten geht nicht hervor, dass die Baubehörden den Mitbeteiligten gemäß § 26 Abs. 2 Bgld. BauG aufgefordert hätten, binnen angemessener Frist um eine nachträgliche Baubewilligung anzusuchen.

Hinsichtlich des Auftrages zur Beseitigung des Überbaus bringt die Beschwerdeführerin vor, aus der Naturbestandsaufnahme vom 12. Mai 2011, der ungarischen Grenzskizze von 1904, den Unterlagen zum Baubewilligungsverfahren aus dem Jahr 1978 und den Fotos von 1976 ergebe sich, dass ein Überbau der Grundgrenze erfolgt sei. Dem klaren Wortlaut des baupolizeilichen Auftrages der Baubehörde erster Instanz zufolge habe der Mitbeteiligte entweder den Konsens mit dem Nachbarn herzustellen oder den der Baubewilligung aus dem Jahr 1978 entsprechenden Verlauf der Außenmauer herzustellen. Mit Zustimmung des Nachbarn bestehe für den Mitbeteiligten die Möglichkeit, um nachträgliche Baubewilligung für den bereits errichteten Bau anzusuchen. Der Beschwerdeführerin sei es auch nicht möglich, eine verbindliche Grenzfestlegung von Amts wegen zu veranlassen, weil ein Antrag auf Vermessung der Grenze nur von einem der beteiligten Grundeigentümer gestellt werden könne. Die Behörde habe jedoch die Frage der Grenzüberschreitung im gegebenen Fall als Vorfrage im Sinn des § 38 AVG selbst lösen können.

Zunächst ist der Beschwerde zuzustimmen, dass die Baubehörde im Bauauftragsverfahren die Frage, ob ein Gebäude die Grundgrenze überragt und deshalb aus baurechtlicher Sicht konsenswidrig ist, grundsätzlich selbst zu beurteilen hat. Zutreffend hat aber die belangte Behörde erkannt, dass weder die Baubehörde erster noch jene zweiter Instanz ausreichende Feststellungen über den Inhalt des baubehördlichen Konsenses trafen und in keiner Weise konkret ausführten, welche Gebäudeteile der Mitbeteiligte zu entfernen hat. Als tragenden Aufhebungsgrund sah die belangte Behörde zutreffend die mangelnde Konkretisierung des Beseitigungsauftrages durch die Formulierung "…, allenfalls jener Verlauf der gegenständlichen Außenmauer herzustellen ist, der in den dem baubehördlichen Bescheid vom 08.08.1978 zugrunde gelegenen Einreichplan dargestellt ist." Im gegenständlichen Fall ist gerade strittig, ob die Außenmauer verändert wurde. Auf die Ausführungen in der Berufung, dass schon auf Grund der Bausubstanz des Hauses keine Grenzverschiebung erfolgt sei, sondern dieses Haus vielmehr seit seiner Errichtung vor über 200 Jahren unverändert stehe, ging die Berufungsbehörde nicht ein. Weder aus dem Beseitigungsauftrag noch aus dem diesem zugrunde liegenden Protokoll über die baupolizeiliche Überprüfung geht hervor, welche Bauteile nach Ansicht der Baubehörden erster und zweiter Instanz konkret die Grundstücksgrenze überragten und zu beseitigen seien. Bemerkt wird, dass im Übrigen ein mit dem Nachbarn erzielter Konsens hinsichtlich des Überbaus auch keine Auswirkungen darauf haben kann, dass dieser allenfalls nach wie vor nicht der Baubewilligung entspricht und daher zu beseitigen ist.

Der im angefochtenen Bescheid genannte tragende Aufhebungsgrund der mangelnden Konkretisierung des Beseitigungsauftrages hinsichtlich der Verletzung der Grundstücksgrenze durch den Überbau liegt somit vor.

Im Hinblick auf die Ableitung von Abwässern führte die belangte Behörde aus, der darauf bezugnehmende Spruchpunkt des erstinstanzlichen Bescheides entspreche den gesetzlichen Voraussetzungen. Da jedoch im Berufungsbescheid über alle fünf Punkte in einem Spruchpunkt abgesprochen worden sei, könne nur der gesamte Berufungsbescheid behoben werden.

Dem hält die Beschwerde entgegen, dass gemäß § 59 Abs. 1 AVG bei Trennbarkeit des Gegenstandes über jeden Punkt einzeln abzusprechen sei, wenn dies zweckmäßig erscheine. Auch der Vorstellungsbehörde seien eine teilweise Aufhebung und eine teilweise Abweisung der Vorstellung möglich (Hinweis auf das hg. Erkenntnis vom 21. Jänner 1999, Zl. 97/06/0190). Trennbarkeit liege vor, wenn jeder Punkt für sich allein ohne inneren Zusammenhang mit anderen Punkten einem gesonderten Abspruch zugänglich sei. Es könne nicht darauf ankommen, ob in dem Bescheid, welcher der Vorstellung zugrunde liege, in mehreren Spruchpunkten abgesprochen werde oder nicht.

Dieses Vorbringen ist berechtigt. Ein Beseitigungsauftrag kann sich nur dann bloß auf Teile eines Bauvorhabens beziehen, wenn die konsenswidrigen oder konsenslosen Teile des Bauvorhabens von diesem trennbar sind; entscheidungswesentlich ist dabei die Frage der technischen Durchführbarkeit des auf den konsenslos errichteten Bauteil beschränkten Beseitigungsauftrages (vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis vom 16. März 2012, Zl. 2009/05/0102, mwN). Ist ein Bau teilbar (zB nach Objekten), so ist durch konsenslose Ausführungen bei einem Teil nicht auch automatisch der (konsensgemäße) andere Teil von baupolizeilichen Aufträgen zu umfassen (vgl. dazu die bei Pallitsch/Pallitsch, E 52 zu § 26 Bgld. BauG angeführte hg. Judikatur).

Die belangte Behörde führte nicht aus, aus welchen Gründen die insgesamt fünf Spruchpunkte des erstinstanzlichen Beseitigungsauftrages aus ihrer Sicht sachlich-technisch oder rechtlich nicht trennbar seien. Aus den Verwaltungsakten ergeben sich keine Hinweise dafür, dass die bestehende Ableitung des anfallenden Regenwassers über die Dachrinnen auf die Nachbarliegenschaft nicht unabhängig von einer allfälligen Beseitigung des Überbaus oder der Schließung der Maueröffnungen entfernt werden könnte. Das rein formale Argument, die Berufungsbehörde habe ihre Entscheidung nicht in Spruchpunkte geteilt, vermag keine Untrennbarkeit zu bewirken.

Hinsichtlich des zweiten Auftrages im erstinstanzlichen Bescheid, wonach die bestehende Ableitung des anfallenden Regenwassers über die Dachrinnen auf die Liegenschaft Grundstück Nr. 281 umgehend zu entfernen sei, war der angefochtene Bescheid daher aufzuheben.

Betreffend die Öffnungen in der Feuermauer begründete die belangte Behörde die Aufhebung des Berufungsbescheides damit, dass die Berufungsbehörde den konsensgemäßen Zustand nicht festgestellt habe. Es sei auch fraglich, ob die Mauer überhaupt Gegenstand des Verfahrens im Jahr 1978 gewesen sei.

Die Beschwerde führt dazu aus, § 26 Abs. 1 Bgld. BauG setze nicht voraus, dass eine Konsenswidrigkeit festgestellt werde; auch die Verletzung baurechtlicher Vorschriften (etwa die des im Jahr 1978 in Geltung gestandenen § 38 Burgenländische Bauordnung betreffend die Verpflichtung zur Errichtung von Außenwänden an der Grundstücksgrenze als Feuermauern) rechtfertige die Erlassung eines Beseitigungsauftrages. Ein Verstoß gegen Brandschutzbestimmungen sei - entgegen der Rechtsansicht der belangten Behörde - trotz einer rechtskräftigen Baubewilligung aus dem Jahr 1978 aufzugreifen.

Dieses Vorbringen bringt die Beschwerde schon deshalb nicht zum Erfolg, weil ein Bauauftrag dann nicht in Betracht kommt, wenn durch einen (vermuteten) Konsens die bestehende Ausführung des gegenständlichen Bauwerks gerechtfertigt wäre. Eine Änderung des bestehenden Konsenses hätte allenfalls durch eine nachträgliche Vorschreibung von Auflagen gemäß § 29 Bgld. BauG zu erfolgen.

Angesichts dieser relevanten Feststellungsmängel hob die belangte Behörde zutreffend den Auftrag, die Fensteröffnungen brandhemmend zu verschließen, auf.

Die Aufhebung des Bauauftrages (Spruchpunkt 4 der Verpflichtung des Mitbeteiligten, darzulegen, dass das Gebäude den gesetzlichen Erfordernissen und Voraussetzungen hinsichtlich Festigkeit und Standsicherheit entspreche), begründete die belangte Behörde im Wesentlichen mit dem Hinweis auf die Offizialmaxime.

Dem hält die Beschwerde entgegen, der Mitbeteiligte sei dem in einem anderen Bauverfahren erteilten Auftrag zur Darstellung der statischen Funktion einer Stützmauer zwischen seinem Haus und dem seines Nachbarn, die abgetragen werden sollte, nicht ausreichend nachgekommen.

Abgesehen davon, dass dieser Auftrag zur Darlegung der statischen Funktion einer Mauer in einem anderen Verfahren erteilt wurde, vermag der Umstand, dass der Mitbeteiligte diesem Auftrag allenfalls mangelhaft nachkam, nichts daran zu ändern, dass § 26 Bgld. BauG keine Rechtsgrundlage dafür bietet, dem Mitbeteiligten im Rahmen eines Beseitigungsauftrages einen solchen Auftrag zu erteilen. Auch in diesem Punkt erfolgte die Aufhebung daher zu Recht.

Der Mitbeteiligte bestritt während des Verwaltungsverfahrens nicht, die Fertigstellung der im Jahr 1978 genehmigten Bauarbeiten nicht angezeigt zu haben. Darauf gingen weder die belangte Behörde noch die Beschwerde ein. Die Aufhebung auch dieses Spruchpunktes durch den angefochtenen Bescheid begegnet keinen Bedenken, weil als Konsequenz bei Nichtvorlage einer Fertigstellungsanzeige nur die Veranlassung einer Schlussüberprüfung seitens der Baubehörde in Frage kommt.

Zusammenfassend erweist sich die Beschwerde daher hinsichtlich der in den Spruchpunkten 1 sowie 3 bis 5 des erstinstanzlichen Bescheides genannten Aufträgen als unberechtigt, hinsichtlich des in Spruchpunkt 2 formulierten Auftrages aber als berechtigt. Der angefochtene Bescheid war daher in diesem Umfang gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben; im Übrigen war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.

Wien, am 27. August 2013

Schlagworte

Trennbarkeit gesonderter AbspruchInhalt des Spruches DiversesBaupolizei Baupolizeiliche Aufträge Baustrafrecht Kosten Konsenslosigkeit und Konsenswidrigkeit unbefugtes Bauen BauRallg9/2

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2013:2012060147.X00

Im RIS seit

25.09.2013

Zuletzt aktualisiert am

04.05.2015
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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