Der Unabhängige Verwaltungssenat für die Steiermark hat durch das Senatsmitglied Dr. Kundegraber über die Beschwerde des A M, geb. am, vertreten durch AR R - D und V, wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt bzw. Polizeihandeln nach § 88 Abs 2 SPG, wie folgt entschieden:
Die Abschiebung des Beschwerdeführers am 27. November 2012 war rechtswidrig.
Rechtsgrundlagen:
Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRC)
§ 88 Abs 2 Sicherheitspolizeigesetz (SPG)
§ 17 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz (AVG)
§ 85 Abs 4 Fremdenpolizeigesetz (FPG)
Der Bund (Bundesministerin für Inneres) hat dem Beschwerdeführer gemäß § 79 a AVG in Verbindung mit der UVS-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 456/2008, die Kosten des Verfahrens in der Höhe von ? 751,90 binnen zwei Wochen ab Zustellung des Bescheides bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Das Mehrbegehren in der Höhe von ? 922,00 wird abgewiesen.
I.1.In der Beschwerde vom 14. Dezember 2012 wird im Wesentlichen vorgebracht, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers am 27. November 2012 rechtswidrig gewesen sei, da der Beschwerdeführer im Recht auf rechtliche Beratung und Vertretung durch Beistellung eines Rechtsberaters verletzt wurde. Die erteilte Vollmacht umfasse auch eine Zustellvollmacht und wurde der Beschwerdeführer damit nicht rechtsgültig über die bevorstehende Abschiebung informiert.
Es wurde der Antrag gestellt, dass der Unabhängige Verwaltungssenat für die Steiermark feststellen möge, dass die Abschiebung rechtswidrig war. Zudem wurde ein Kostenbegehren gestellt.
2. Die Landespolizeidirektion Steiermark legte als belangte Behörde am 11. Jänner 2013 eine Gegenschrift vor, in der im Wesentlichen ausgeführt wird, dass der Beschwerdeführer am 23. November 2012, um 16:25 Uhr, auf Grund seiner eigenen Bitte den Bescheid (Zl. 1012116/Fr/12-Einreiseverbot auf die Dauer von 18 Monaten) ausgehändigt bekam. Dem Beschwerdeführer sei die Möglichkeit eingeräumt worden sich mit dem ausgewiesenen Rechtsvertreter telefonisch in Verbindung zu setzen, wobei er die Möglichkeit nicht in Anspruch genommen habe. Die Rechtsberatung beinhaltete Schubhaft aber auch die Rückkehrentscheidung in Verbindung mit dem Einreiseverbot. Der Bescheid wurde jedoch auf Grund der Erklärung des Beschwerdeführers rechtmäßig und rechtswirksam zugestellt. Es wurde der Antrag gestellt die Beschwerde als unbegründet abzuweisen und den Kostenersatz zuzusprechen.
Beigelegt wurde der Fremdenakt, Zl. 1012116/Fr/12, in Kopie sowie die Stellungnahme der Landespolizeidirektion Steiermark, Polizeikommissariat Leoben vom 27. Dezember 2012.
3. In weiterer Folge gab der Beschwerdeführer am 11. März 2013 eine Replik zur Gegenschrift, wobei nochmals auf die Zustellvollmacht verwiesen wurde und daher auszugehen sei, dass die Information über die bevorstehende Abschiebung dem Beschwerdeführer nicht rechtswirksam zugestellt worden sei.
II.1. Nach Durchführung einer Verhandlung am 13. März 2013, wobei die Zeugen ADir. K Vi, GI W G und GI Mi Gr einvernommen wurden sowie aus dem vorliegenden Akteninhalt, wird nachstehender entscheidungsrelevanter Sachverhalt festgestellt:
Der Beschwerdeführer wurde am 22. November 2012 vom Landesgericht L nach § 231 Abs 1 StGB zu sechs Monaten Freiheitsstrafe bedingt auf drei Jahre Probezeit verurteilt. Auf Grund des Festnahmeauftrages der Landespolizeidirektion Steiermark, Polizeikommissariat Leoben, Zl. 1012116/Fr/12, wurde der Beschwerdeführer am 22. November 2012 von der Untersuchungshaft in die Schubhaft im Polizeianhaltezentrum L überstellt.
Am 23. November 2012, um 11:00 Uhr, wurde eine niederschriftliche Einvernahme mit dem Beschwerdeführer unter Beiziehung eines Dolmetschers durchgeführt. Gegenstand war die Schubhaft und Erlassung einer Rückkehrentscheidung in Verbindung mit einem Einreiseverbot. Um 12:50 Uhr des gleichen Tages wurde dem Beschwerdeführer der Schubhaftbescheid zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung gem. §§ 52 iVm 53 FPG, der Abschiebung (§ 46 FPG) ausgehändigt. Sodann wurde um 13:00 Uhr den Beamten der Fremdenpolizei die AR R - D und V als Vertretung des Beschwerdeführers in den Angelegenheiten Schubhaft, Rückkehrentscheidung in Verbindung mit Einreiseverbot, Abschiebung bekanntgegeben. Zu dem Zweck wurde von der AR R - D und V mit dem Beschwerdeführer von 13:00 Uhr bis 13:30 Uhr eine Rechtsberatung durchgeführt und vom Beschwerdeführer eine Vollmacht unterfertigt, die um 13:35 Uhr von der Rechtsvertreterin den Beamten der Fremdenpolizei überreicht wurde. In der Vollmacht war festgehalten, dass keine Zustellung per Fax, sondern eine elektronische Zustellung über BRZ möglich sei.
Noch am 23. November 2012 wurde um ca. 15:00 Uhr die Fremdenpolizei in Kenntnis gesetzt, dass der Abschiebetermin und damit der Flug am 27. November 2012 gebucht sei. Daraufhin wurde noch am gleichen Tag ein Abschiebeauftrag von der Fremdenpolizei erlassen und der Beschwerdeführer um 16:25 Uhr über die bevorstehende Abschiebung informiert, indem er das Informationsblatt gegen Unterschriftsleistung ausgehändigt bekommen hat. Auch wurde ihm der Bescheid der Landespolizeidirektion Steiermark, Polizeikommissariat Leoben, vom 23. November 2012 über die Rückkehrentscheidung und das 18 Monate befristete Einreiseverbot gegen Unterschriftleistung um 16:25 Uhr ausgehändigt. Der Rechtsvertreter wurde nicht über den Abschiebetermin informiert.
Hierüber befindet sich im Akt ein Aktenvermerk mit nachfolgendem Text: M bedankte sich anlässlich der Zustellung des Bescheides betr. die Erlassung einer Rückkehrentscheidung iVm. Einreiseverbot sowie betr. Information über die bevorstehende Abschiebung für die rasche Außerlandesschaffung. Bei der Zustellung waren die Bediensteten des PAZ L, GI G und GI Gr anwesend. Der Aktenvermerk war weder unterschrieben noch datiert. Die beiden genannten Polizisten konnten sich an den Vorfall nicht erinnern. Eine Niederschrift mit dem Beschwerdeführer hierüber wurde nicht aufgenommen.
Die Vertreterin der AR R - D und V hat bereits am 23. November 2012 bei der persönlichen Vorsprache (Übergabe der Vollmacht) um eine Akteneinsicht ersucht. Mit Schreiben vom 26. November 2012 an die belangte Behörde wurde von Seiten der Rechtsvertretung gebeten diese von den weiteren Verfahrensschritten in Kenntnis zu setzen. Am 27. November 2012 verwies die Rechtsvertreterin in einem Schreiben darauf, dass sie bereits am 23. November 2012 um Akteneinsicht ersuchte, jedoch bis dato keine Verständigung hierüber erhalten habe. Es wurde via E-Mail von Seiten der Fremdenpolizei mitgeteilt, dass eine Akteneinsicht am 28. November 2012, um 12:00 Uhr, erfolgen könne.
Der Beschwerdeführer wurde am 27. November 2012, um 20:30 Uhr, auf dem Luftweg nach Bosnien-Herzegowina abgeschoben.
2. Die getroffenen Feststellungen gründen sich im Wesentlichen auf den Akteninhalt sowie der Zeugeneinvernahme des Amtsdirektor Vi in der Verhandlung. In der Verhandlung wurde auch geklärt, dass der Aktenvermerk von dem Zeugen stammt. Die beiden anderen einvernommenen Polizisten konnten sich an die Amtshandlung nicht mehr erinnern.
III. Die Rechtsbeurteilung ergibt Folgendes:
1. Gemäß § 67 a Abs 1 Z 2 AVG entscheiden die Unabhängigen Verwaltungssenate in den Ländern über Beschwerden von Personen, die behaupten, durch die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt in ihren Rechten verletzt zu sein, ausgenommen in Finanzstrafsachen des Bundes.
Die Beschwerde langte beim Unabhängigen Verwaltungssenat für die Steiermark am 14. Dezember 2012 ein, wodurch die sechswöchige Beschwerdefrist gemäß § 67 c Abs 1 AVG gewahrt wurde. Auch ist die örtliche Zuständigkeit des Unabhängigen Verwaltungssenates für die Steiermark gegeben, da die von dem Organ der belangten Behörde vorgenommene Handlung im Sprengel des Unabhängigen Verwaltungssenates für die Steiermark durchgeführt wurde.
Umstände des Schubhaftvollzuges als auch Vorkommnisse während des Schubhaftvollzuges könne mit einer Maßnahmenbeschwerde im Sinne des § 67 a Abs 1 Z 2 AVG angefochten werden (VwGH 14.04.2011, 2007/21/0322). Im Hinblick darauf, dass die Abschiebung im Rahmen der Fremdenpolizei (§ 2 Abs 2 SPG) stattfindet, war eine Beschwerde wegen Verletzung subjektiver Rechte im Sinne des § 88 Abs 1 bzw. Abs 2 SPG iVm § 67 a Z 2 AVG statthaft. Das Unterbleiben einer Gewährung einer erbetenen Akteneinsicht (VfSlg. 11445/1987, 11532/1987) stellt als Untätigkeit der Behörde zwar keinen Akt unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt dar (VfSlg. 11533/1987, VwGH 15.11.2000, 99/01/0427), jedoch kann eine derartige Untätigkeit nach § 88 Abs 2 SPG (... auf andere Weise durch die Besorgung der Sicherheitsverwaltung) bekämpft werden. Es ist zwar noch nicht jede sicherheitsbehördliche Unterlassung nach § 88 Abs 2 SPG zulässig, jedoch wird diese auf Grund garantierter Rechte der Charta der Grundrechte der Europäischen Union abzuleiten sein. Ein Recht auf Akteneinsicht bei einer bevorstehenden Maßnahme - nämlich einer Abschiebung - ist sicherlich zu gravierend, dass es bei nicht begründeter Verweigerung das Grundrecht eines fairen Verfahrens verletzt.
2. Gemäß Art. 47 GRC hat jede Person, deren durch das Recht der Union garantierte Rechte oder Freiheiten verletzt worden sind, das Recht, nach Maßgabe der in diesem Artikel vorgesehenen Bedingungen bei einem Gericht einen wirksamen Rechtsbehelf einzulegen. Jede Person hat ein Recht darauf, dass ihre Sache von einem unabhängigen, unparteiischen und zuvor durch Gesetz errichteten Gericht in einem fairen Verfahren, öffentlich und innerhalb angemessener Frist verhandelt wird. Jede Person kann sich beraten, verteidigen und vertreten lassen.
Personen, die nicht über ausreichende Mittel verfügen, wird Prozesskostenhilfe bewilligt, soweit diese Hilfe erforderlich ist, um den Zugang zu den Gerichten wirksam zu gewährleisten.
Die im Art. 47 GRC angesprochenen Verfahrensgarantien werden im Gegensatz zu Art. 6 EMRK nicht auf zivil- und strafrechtliche Angelegenheiten beschränkt, sondern das Recht auf gerichtliche Behandlung für jede Art von Rechtsstreitigkeit garantiert (Meyer, Charta der Grundrechte der Europäischen Union, 3. Auflage, S 580 ff, Nomos Verlag). Zur Gewährleistung eines fairen Verfahrens wird auch das Recht, sich beraten, verteidigen und vertreten zu lassen hinzuzuzählen sein. Dieses Beratungs- und Vertretungsrecht ist in concreto auf Grund des § 85 Abs 4 FPG auch für verschiedene Organisationen vorgesehen.
Gemäß § 17 Abs 2 AVG muss allen an einem Verfahren beteiligten Parteien, auf Verlangen die Akteneinsicht in gleichem Umfang gewährt werden.
Es ist wohl unbestritten, dass der AR R - D und V auf Grund der belangten Behörde vorgelegten Vollmacht Akteneinsicht zu gewähren war. Im Rahmen der Übergabe der Vollmacht wurde am 23. November 2012 das Ansuchen um Akteneinsicht bei der Fremdenpolizei mündlich vorgebracht. Auch wurde der Fremdenpolizei mitgeteilt, über alle relevanten Verfahrensschritte informiert zu werden. Das Datum der Abschiebung war der Fremdenpolizei am 23. November 2012 bekannt. Wenn das Unterbleiben der Akteneinsicht von Seiten der Fremdenpolizei vor dem Abschiebetermin am 27. November 2012 damit begründet wird, weil dringende aufenthaltsbeendende Maßnahmen notwendig waren, so ist die Nichtgewährung der Akteneinsicht bis zur Abschiebung keinesfalls nachvollziehbar. Unabhängig von dem tatsächlichen Verfahrensausgang über die Abschiebung, stellt die Nichterteilung der Akteneinsicht die Verletzung der Gewährleistung eines fairen Verfahrens dar. Die Abschiebung ist für den Beschwerdeführer unbestrittenermaßen ein schwerer Eingriff im Rahmen der Ausübung der staatlichen Zwangsgewalt (zwangweises Außerlandesschaffen einer Person) und wurde von Seiten der belangten Behörde kein wie immer gearteter Grund vorgebracht, die einer Akteneinsicht und damit dem Anspruch auf Durchführung eines fairen Verfahrens bezüglich der Abschiebung entgegenstehen. Allein der Umstand, dass sich der Beschwerdeführer in Schubhaft befunden hat und laut Fremdenpolizei selbst die schnelle Außerlandesschaffung seiner Person befürwortete, lässt das Vertretungsrecht der AR R - D und V unberührt. Bemerkt wird hiezu noch, dass diesbezüglich keine Niederschrift mit dem Beschwerdeführer aufgenommen wurde und es gerade bei einer in Haft befindlichen Person empfehlenswert wäre, derartige Äußerungen des Verhafteten auch mit einer Niederschrift zu dokumentieren.
Die Rechtsvertreterin des Beschwerdeführers hat somit durch die unterlassene Akteneinsicht als auch der unterlassenen Information über den Abschiebetermin keine Möglichkeit gehabt, im Rahmen eines fairen Verfahrens die Rechte des Beschwerdeführers in dem ihm zustehenden Ausmaß wahrzunehmen. Die erfolgte Abschiebung war daher - ohne auf die tatsächlich Zulässigkeit näher einzugehen - rechtswidrig.
IV.Als Kosten wurden gemäß § 79 a AVG in Verbindung mit der UVS-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 456/2008, dem Beschwerdeführer ein Betrag von ? 751,90 zugesprochen. Der Betrag setzt sich aus ? 737,60 Schriftsatzaufwand und ? 14,30 Stempelgebühr zusammen. Das Mehrbegehren für den Verhandlungsaufwand von ? 922,00 wurde abgewiesen, da die AR R - D und V an der Verhandlung nicht teilnahm.