TE Vfgh Erkenntnis 2013/6/26 B915/2011

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Veröffentlicht am 26.06.2013
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27/01 Rechtsanwälte

Norm

B-VG Art144 Abs1 / Anlassfall

Leitsatz

Aufhebung des angefochtenen Bescheides in einem dem Anlassfall gleichzuhaltenden Fall

Spruch

I.              Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes sowie wegen Anwendung einer gesetzwidrigen Verordnung in seinen Rechten verletzt worden.

II.              Der Bescheid wird aufgehoben.

III.              Die Rechtsanwaltskammer Wien ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.620,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe

1. Der Beschwerdeführer war zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung Rechtsanwaltsanwärter in Wien. Mit Bescheid des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer Wien vom 22. März 2011 wurde dem Beschwerdeführer die Umlage zur Versorgungseinrichtung Teil A gemäß der Umlagenordnung 2011 der Rechtsanwaltskammer Wien, beschlossen in der Plenarversammlung am 29. April 2010, kundgemacht auf der Internetseite der Rechtsanwaltskammer Wien am 30. Juni 2010 (im Folgenden: Umlagenordnung 2011), der Kammerbeitrag und der Beitrag zur Prämie für die Unfallversicherung, beides gemäß der Beitragsordnung 2011 der Rechtsanwaltskammer Wien, beschlossen in der Plenarversammlung am 29. April 2010, kundgemacht auf der Internetseite der Rechtsanwaltskammer Wien am 30. Juni 2010 (im Folgenden: Beitragsordnung 2011), für das 1. Quartal 2011 vorgeschrieben.

2. Der Ausschuss der Rechtsanwaltskammer Wien (Plenum) wies die dagegen gerichteten Vorstellungen mit dem angefochtenen Bescheid vom 16. Juni 2011 ab.

3. In der vorliegenden, auf Art144 B-VG gestützten Beschwerde bringt der Beschwerdeführer im Wesentlichen vor, durch den angefochtenen Bescheid in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Unversehrtheit des Eigentums und auf Gleichbehandlung aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt worden zu sein, weil in der Umlagenordnung 2011 keine Anrechnungsvorschriften für Versicherungszeiten, die in einem anderen Pensionsversicherungssystem erworben wurden, enthalten seien. Ebenso seien in der genannten Verordnung keine Regelungen vorgesehen, nach denen Beiträge, die in die Versorgungseinrichtung einbezahlt wurden, bei einem allfälligen Austritt aus der Rechtsanwaltskammer und einem anschließenden Eintritt in ein anderes Pensionsversicherungssystem übertragen werden könnten. Dies führe zu einer Schlechterstellung von Rechtsanwaltsanwärtern gegenüber anderen Pensionsversicherten. Daraus ergäbe sich auch ein verfassungswidriger Eingriff in das Eigentumsrecht des Beschwerdeführers.

4. Der Verfassungsgerichtshof hat über die – zulässige – Beschwerde erwogen:

4.1. Der Verfassungsgerichtshof hat mit Erkenntnis vom 11. Juni 2013, G31-33/2013, V20-28/2013, in §24 Abs3 RAO, RGBl. 96/1868, in der Fassung BGBl I 141/2009 die Wortfolge "; Entsprechendes gilt bei einer im Rahmen einer Plenarversammlung vorgenommenen Abstimmung" als verfassungswidrig aufgehoben und weiters unter anderem erkannt, dass der Abschnitt "A. II. RECHTSANWALTSANWÄRTER" der Umlagenordnung 2011 und der Abschnitt "B. RECHTSANWALTSANWÄRTER" in §1 sowie §3 Z2 und die Wortfolge "und der Beitrag für Rechtsanwaltsanwärter gemäß §1 B. P. 1 lita)" in §4 Z2 der Beitragsordnung 2011 gesetzwidrig waren.

4.2. Gemäß Art139 Abs6 B-VG wirkt die Aufhebung einer Verordnung auf den Anlassfall zurück. Es ist daher hinsichtlich des Anlassfalles so vorzugehen, als ob die als gesetzwidrig erkannte Norm bereits zum Zeitpunkt der Verwirklichung des dem Bescheid zugrunde liegenden Tatbestandes nicht mehr der Rechtsordnung angehört hätte.

Dem in Art139 Abs6 B-VG genannten Anlassfall (im engeren Sinn), anlässlich dessen das Verordnungsprüfungsverfahren tatsächlich eingeleitet worden ist, sind jene Beschwerdefälle gleichzuhalten, die zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung im Verordnungsprüfungsverfahren (bei Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung zu Beginn der nichtöffentlichen Beratung) beim Verfassungsgerichtshof bereits anhängig waren (vgl. VfSlg 10.616/1985, 10.736/1985, 10.954/1986). Im – hier allerdings nicht gegebenen – Fall einer Beschwerde gegen einen Bescheid, dem ein auf Antrag eingeleitetes Verwaltungsverfahren vorausgegangen ist, muss dieser verfahrenseinleitende Antrag überdies vor Bekanntmachung des dem unter Pkt. 2.1. genannten Erkenntnis zugrunde liegenden Prüfungsbeschlusses des Verfassungsgerichtshofes eingebracht worden sein (VfSlg 17.687/2005).

4.3. Die nichtöffentliche Beratung im Gesetzes- und Verordnungsprüfungsverfahren begann am 11. Juni 2013. Die vorliegende Beschwerde ist beim Verfassungsgerichtshof am 29. Juli 2011 eingelangt, war also zu Beginn der nichtöffentlichen Beratung schon anhängig; der ihr zugrunde liegende Fall ist somit einem Anlassfall gleichzuhalten.

Die belangte Behörde wendete bei Erlassung des angefochtenen Bescheides die als gesetzwidrig festgestellten Teile der Umlagenordnung 2011 und der Beitragsordnung 2011 an. Es ist nach Lage des Falles offenkundig, dass dadurch die Rechtssphäre des Beschwerdeführers nachteilig beeinflusst wurde. Der Beschwerdeführer wurde somit wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes und einer gesetzwidrigen Verordnung in seinen Rechten verletzt.

Der Bescheid ist daher aufzuheben.

5. Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung wurde gemäß §19 Abs4 Z3 VfGG abgesehen.

6. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 400,– sowie eine Eingabengebühr gemäß §17a VfGG in der Höhe von € 220,– enthalten.

Schlagworte

VfGH / Anlassfall

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2013:B915.2011

Zuletzt aktualisiert am

06.08.2013
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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