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41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, AsylrechtNorm
BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1Leitsatz
Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Abweisung des Antrags auf internationalen Schutz eines minderjährigen afghanischen Beschwerdeführers mangels Berücksichtigung seines jugendlichen Alters, seiner mangelnden Schulbildung und seiner mangelnden Begleitung durch Angehörige bei der Beurteilung der Glaubwürdigkeit des FluchtvorbringensSpruch
I. Der Beschwerdeführer ist durch die angefochtene Entscheidung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander gemäß ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung verletzt worden.
Die Entscheidung wird aufgehoben.
II. Der Bund (Bundeskanzler) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2400,- bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt, Beschwerde, Vorverfahren
1. Der Beschwerdeführer wurde am 20. Oktober 1996 in der Provinz Kapisa, Afghanistan, geboren. Er reiste am 12. Juni 2011 mit Hilfe eines Schleppers ohne Angehörige in das Bundesgebiet ein. Am 13. Juni 2011 stellte er einen Antrag auf internationalen Schutz. Als Grund für seine Verfolgung gab der Beschwerdeführer im Wesentlichen an, sein Vater sei Kämpfer der Hezb-e Islami gewesen. Als die Taliban die Macht übernahmen, seien wichtige Vertreter der Hezb-e Islami umgebracht und einfache Anhänger inhaftiert worden. Sein Vater sei deswegen vor den Taliban in den Iran und von dort weiter in die Türkei geflohen; auf der Flucht habe der Vater der Familie telefonisch mitgeteilt, nach Europa reisen zu wollen. Dies sei vor zirka drei Jahren gewesen. Die Taliban hätten vom Beschwerdeführer verlangt, für sie als Spion zu arbeiten; er hätte ihnen jene Personen preisgeben sollen, die für die Regierung arbeiteten. Sie hätten gedroht, ihn umzubringen, wenn er diesem Verlangen nicht nachkomme. Zudem hätten die Taliban nach dem Aufenthaltsort des Vaters des Beschwerdeführers gefragt. Auch sei der Beschwerdeführer aufgefordert worden, fortan keine herkömmliche Schule, sondern eine Koranschule zu besuchen. Etwa drei oder vier Tage vor seiner Flucht sei der Beschwerdeführer von den Taliban angesprochen worden. Da er nicht für sie habe arbeiten wollen, habe seine Mutter aus Angst, es könne ihm etwas zustoßen, seine Flucht aus Afghanistan organisiert. Im Mai 2011 habe er Afghanistan verlassen.
2. Mit Bescheid vom 11. Jänner 2012 wies das Bundesasylamt den Antrag auf Gewährung von internationalem Schutz ab und erkannte dem Beschwerdeführer den Status eines subsidiär Schutzberechtigten zu. Begründend führte das Bundesasylamt aus, der Beschwerdeführer habe keine an asylrelevante Merkmale anknüpfende Verfolgung glaubhaft machen können; denn das Vorbringen des Beschwerdeführers sei nicht plausibel und unglaubwürdig.
3. Gegen die Abweisung des Antrags auf Gewährung von internationalem Schutz führte der Beschwerdeführer Beschwerde beim Asylgerichtshof. Mit Entscheidung vom 31. Mai 2012 wies der Asylgerichtshof die Beschwerde als unbegründet ab. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, der Beschwerdeführer habe sich in den verschiedenen Befragungen und Einvernahmen in Widersprüche verstrickt. Selbst unter Berücksichtigung des jungen Alters und der nicht vorhandenen Schulbildung des Beschwerdeführers sei sein Fluchtvorbringen nicht glaubwürdig.
4. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144a B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander gemäß ArtI des BVG über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung der angefochtenen Entscheidung beantragt wird.
5. Begründend wird dazu im Wesentlichen Folgendes ausgeführt:
5.1. Der Beschwerdeführer sei zum Zeitpunkt seiner Einvernahme erst 14 Jahre alt gewesen. Er habe keinerlei Schulausbildung genießen dürfen und sei Analphabet. Der Asylgerichtshof habe bei der Beurteilung der Glaubwürdigkeit des Vorbringens des Beschwerdeführers einen Maßstab angelegt, der ausschließlich für Erwachsene angemessen erscheine. Das minderjährige Alter des Beschwerdeführers, sein Entwicklungsstand und seine mangelnde Schulbildung seien vom Asylgerichtshof in der Beweiswürdigung nicht hinreichend berücksichtigt worden. Im Zeitpunkt der geschilderten Flucht seines Vaters vor den Taliban sei der Beschwerdeführer erst zehn oder elf Jahre alt gewesen. Qualifiziere der Asylgerichtshof die Schilderungen des Beschwerdeführers über die Flucht seines Vaters und die Versuche der Taliban, den Beschwerdeführer als Spitzel anzuwerben, als widersprüchlich, so lege er an die notwendige Detailliertheit der Schilderungen des Beschwerdeführers einen Maßstab an, der dem Entwicklungsstand eines 11- bzw. 14-jährigen Kindes – so alt war der Beschwerdeführer als sich die geschilderten Vorgänge zutrugen – nicht gerecht werde. Denn der Beschwerdeführer habe – allenfalls zeitlich und örtlich leicht widersprüchlich – seine konkrete Situation in Afghanistan und die Gründe seiner Flucht stets gleichlautend geschildert.
5.2. Der Asylgerichtshof spreche dem Beschwerdeführer die Glaubwürdigkeit auf Grund einer Beweiswürdigung ab, die seinen Entwicklungsstand nicht berücksichtige. Deswegen verletze die angefochtene Entscheidung den Beschwerdeführer in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander gemäß ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung.
6. Der Asylgerichtshof legte die Verwaltungsakten vor und sah von der Erstattung einer Gegenschrift ab.
II. Rechtslage
Die im vorliegenden Fall maßgebliche Rechtslage stellt sich wie folgt dar:
Asylgesetz 2005, BGBl I Nr 100/2005 idF BGBl I. Nr 87/2012:
1. Hauptstück
Anwendungsbereich und Begriffsbestimmungen
Anwendungsbereich
§1. Dieses Bundesgesetz regelt
1. die Zuerkennung und die Aberkennung des Status des Asylberechtigten […];
2. […]
3. das Verfahren zur Erlangung einer Entscheidung nach den Z1 und 2.
Begriffsbestimmungen
§2. (1) Im Sinne dieses Bundesgesetzes ist
[…]
1. die Genfer Flüchtlingskonvention: die Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951, BGBl Nr 55/1955, in der durch das Protokoll über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 31. Jänner 1967, BGBl Nr 78/1974, geänderten Fassung;
13. ein Antrag auf internationalen Schutz: das - auf welche Weise auch immer artikulierte - Ersuchen eines Fremden in Österreich, sich dem Schutz Österreichs unterstellen zu dürfen; […]
14. ein Asylwerber: ein Fremder ab Einbringung eines Antrags auf internationalen Schutz bis zum rechtskräftigen Abschluss, zur Einstellung oder Gegenstandslosigkeit des Verfahrens;
15. der Status des Asylberechtigten: das dauernde Einreise- und Aufenthaltsrecht, das Österreich Fremden nach den Bestimmungen dieses Bundesgesetzes gewährt;
[…]
2. Hauptstück
Status des Asylberechtigten und des subsidiär Schutzberechtigten
1. Abschnitt
[…]
Status des Asylberechtigten
§3. (1) Einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, ist, soweit dieser Antrag nicht wegen Drittstaatsicherheit oder Zuständigkeit eines anderen Staates zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art1 Abschnitt A Z2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.
[…]
4. Hauptstück
Verfahrensrecht
1. Abschnitt
Allgemeines Verfahren
Handlungsfähigkeit
§16. (1) Für den Eintritt der Handlungsfähigkeit nach diesem Bundesgesetz ist ungeachtet der Staatsangehörigkeit des Fremden österreichisches Recht maßgeblich.
(2) […] Ein Minderjähriger, dessen Interessen von seinem gesetzlichen Vertreter nicht wahrgenommen werden können, ist berechtigt Anträge auf internationalen Schutz zu stellen.
(3) Ein mündiger Minderjähriger, dessen Interessen von seinem gesetzlichen Vertreter nicht wahrgenommen werden können, ist berechtigt, Anträge zu stellen und einzubringen. Gesetzlicher Vertreter für Verfahren nach diesem Bundesgesetz ist mit Einbringung des Antrags auf internationalen Schutz (§17 Abs2) der Rechtsberater (§64) in der Erstaufnahmestelle, nach Zulassung des Verfahrens und nach Zuweisung an eine Betreuungsstelle der örtlich zuständige Jugendwohlfahrtsträger jenes Bundeslandes, in dem der Minderjährige einer Betreuungsstelle zugewiesen wurde. Widerspricht der Rechtsberater (§64) vor der ersten Einvernahme im Zulassungsverfahren einer erfolgten Befragung (§19 Abs1) eines mündigen Minderjährigen, ist diese in seinem Beisein zu wiederholen.
(4) Entzieht sich der mündige Minderjährige dem Verfahren (§24 Abs1) oder lässt sich aus anderen Gründen nach Abs3 kein gesetzlicher Vertreter bestimmen, ist der Jugendwohlfahrtsträger, dem die gesetzliche Vertretung zuletzt zukam, gesetzlicher Vertreter bis nach Abs3 wieder ein gesetzlicher Vertreter bestimmt wurde. Hatte im bisherigen Verfahren nur der Rechtsberater (§64) die gesetzliche Vertretung inne, bleibt dieser gesetzlicher Vertreter, bis die gesetzliche Vertretung nach Abs3 erstmals einem Jugendwohlfahrtsträger zufällt.
(5) Bei einem unmündigen Minderjährigen, dessen Interessen von seinen gesetzlichen Vertretern nicht wahrgenommen werden können, ist der Rechtsberater (§64) ab Ankunft in der Erstaufnahmestelle gesetzlicher Vertreter. Solche Fremde dürfen nur im Beisein des Rechtsberaters (§64) befragt (§19 Abs1) werden. Im Übrigen gelten die Abs3 und 4.
[…]
III. Erwägungen
1. Die Beschwerde ist zulässig und begründet.
2. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s. etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsbestimmung enthält ein auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.
ArtI Abs1 leg.cit. widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl. zB VfSlg 16.214/2001), wenn der Asylgerichtshof dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s. etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn er bei Fällung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).
Ein willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außer-Acht-Lassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).
3. Ein solcher Fehler ist dem Asylgerichtshof unterlaufen:
3.1. Der Asylgerichtshof ist bei der Beurteilung der Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers zur umfassenden Auseinandersetzung mit allen relevanten Gesichtspunkten verpflichtet. Dazu gehört beispielsweise auch seine psychische Gesundheit, bei deren Beeinträchtigung ein großzügigerer Maßstab an die Detailliertheit seines Vorbringens anzulegen ist (vgl. VfSlg 18.701/2009). Wie der Verfassungsgerichtshof im Erkenntnis U98/12 vom 27. Juni 2012 ausführt, sind auch das Alter und der Entwicklungsstand des Beschwerdeführers zu berücksichtigen.
3.2. Der Asylgerichtshof verweist darauf, dass sich die Angaben des Beschwerdeführers hinsichtlich des Zeitpunktes der Flucht seines Vaters zwischen vor einem Jahr und vor bis zu drei Jahren bewegen; weiters führt der Asylgerichtshof aus, der Beschwerdeführer habe sich in Widersprüche verstrickt, ob und von welchem Land aus – in Frage kommen die Türkei oder der Iran – der auf der Flucht befindliche Vater angerufen habe, um der Familie mitzuteilen, er wolle sich nach Europa begeben. Zutreffend verweist der Asylgerichtshof darauf, dass bei der Beurteilung der Glaubwürdigkeit der Angaben des Beschwerdeführers auch sein jugendliches Alter, seine nicht vorhandene Schulbildung und seine mangelnde Begleitung durch Angehörige zu berücksichtigen sei. Dennoch kommt der Asylgerichtshof zum Schluss, dem Fluchtvorbringen des Antragstellers sei die Glaubwürdigkeit abzusprechen; aus diesem dem Entwicklungsstand des Beschwerdeführers angemessenen Maßstab sei angesichts gravierender Widersprüche in seinen Angaben nichts zu gewinnen. Damit übt der Asylgerichtshof Willkür.
Statt eines allgemeinen Hinweises auf die Relevanz des Entwicklungsstandes des Beschwerdeführers wäre dieser festzustellen und inhaltlich zu berücksichtigen gewesen. Der Asylgerichtshof berücksichtigt nicht, dass der Beschwerdeführer über Vorkommnisse berichtet, die er in einem jugendlichen Alter von etwa 11 Jahren erlebt hat und über die er im ebenso jugendlichen Alter von etwa 14 Jahren berichtet. Ferner ist zu berücksichtigen, dass es sich um Widersprüche handelt, die lediglich Details der Fluchtgründe des Beschwerdeführers betreffen; den wesentlichen Handlungsablauf schildert er gleichbleibend.
3.3. Wegen der mangelnden Berücksichtigung des jugendlichen Alters des Beschwerdeführers, seiner mangelnden Schulbildung und seiner mangelnden Begleitung durch Angehörige übt der Asylgerichtshof Willkür, wenn er bloß mit der von ihm gegebenen Begründung dem Beschwerdeführer die Glaubwürdigkeit seines Fluchtvorbringens abspricht.
IV. Ergebnis
1. Der Beschwerdeführer ist somit durch die angefochtene Entscheidung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander gemäß ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung verletzt worden.
2. Die angefochtene Entscheidung ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.
3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 400,– sowie eine Eingabengebühr gemäß §17a VfGG in der Höhe von € 220,– enthalten.
Schlagworte
Asylrecht, Bescheidbegründung, KinderEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2013:U1343.2012Zuletzt aktualisiert am
12.11.2013