TE Vfgh Erkenntnis 2013/6/26 B1579/2012

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Veröffentlicht am 26.06.2013
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Index

34/01 Monopole

Norm

GlücksspielG §1, §2 Abs4, §52 Abs1, Abs2
StGB §168
B-VG Art83 Abs2

Leitsatz

Verletzung im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter durch die Verhängung einer Verwaltungsstrafe wegen Organisierens verbotener Ausspielungen nach dem GlücksspielG infolge verfassungswidriger Auslegung der Regelung über die Abgrenzung der Zuständigkeit der Verwaltungsstrafbehörden und der Strafgerichte

Spruch

I.              Die Beschwerdeführerin ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

II.              Der Bund (Bundesministerin für Finanzen) ist schuldig, der Beschwerdeführerin zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 2.620,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerdevorbringen, Vorverfahren

1. Im Zuge einer Kontrolle fanden Organe der Polizeiinspektion Hohenems am 7. Juni 2011 in einem näher bezeichneten Lokal zwei betriebsbereite und eingeschaltete Glücksspielgeräte der Marke ACT Internet Terminal mit der Seriennummer 400802002 und einer unbekannten Seriennummer, welche jeweils mit einem festgestellten Mindesteinsatz von € 0,25 und einem festgestellten Höchsteinsatz von € 15,– pro Spiel bespielbar waren.

2. Mit Straferkenntnis vom 21. Oktober 2011 erkannte der Bezirkshauptmann von Dornbirn die Beschwerdeführerin für schuldig, als Inhaberin des Lokals zur Teilnahme vom Inland aus verbotene Ausspielungen im Sinne des §2 Abs4 des Bundesgesetzes zur Regelung des Glücksspielwesens (Glücksspielgesetz – GSpG), BGBl 620/1989, in der Fassung BGBl I 111/2010, unternehmerisch zugänglich gemacht zu haben. Aus diesem Grund verhängte der Bezirkshauptmann von Dornbirn über sie eine Geldstrafe in bestimmter Höhe und eine Ersatzfreiheitsstrafe.

3. Gegen dieses Straferkenntnis erhob die Beschwerdeführerin Berufung an den Unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Vorarlberg (im Folgenden: UVS Vorarlberg) und führte im Wesentlichen aus, mit den gegenständlichen Automaten würde nicht in das Glücksspielmonopol des Bundes eingegriffen, weil das österreichische Glücksspielrecht gegen unionsrechtliche Vorschriften verstoße und die Bestimmungen des österreichischen Glücksspielgesetzes aus diesem Grund nicht anwendbar wären. Die österreichische Monopolregelung im Glücksspielbereich könne daher zu keinen strafrechtlichen Konsequenzen führen.

4. Der UVS Vorarlberg wies die Berufung der Beschwerdeführerin ab und präzisierte den Spruch des erstinstanzlichen Straferkenntnisses. Er begründete seine Entscheidung im Wesentlichen damit, dass auf die (im Rechtshilfeweg eingeholte) Aussage eines Zeugen, der an den gegenständlichen Glücksspielautomaten auch Spiele mit Einsätzen in der Höhe von € 15,- gespielt haben soll, im Hinblick auf das Erkenntnis des VwGH vom 22.8.2012, 2012/17/0156, nicht mehr einzugehen sei, weil die Zuständigkeit des Gerichts nur für Spiele gegeben sei, bei denen der geleistete Einsatz € 10,- übersteige und im Übrigen die Zuständigkeit der Verwaltungsstrafbehörde gegeben sei. Auf Grund der von Beamten der Polizeiinspektion Hohenems durchgeführten Probespiele sei die Zuständigkeit der Verwaltungsbehörde gegeben gewesen. Es hätte – so der UVS Vorarlberg – nicht festgestellt werden können, dass der Zeuge zum Tatzeitpunkt tatsächlich einen Einsatz von über € 10,- geleistet hätte. Zum Vorwurf der Unionsrechtswidrigkeit des Glücksspielgesetzes verweist der UVS Vorarlberg auf die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes und des Gerichtshofs der Europäischen Union.

5. In der vorliegenden, auf Art144 B-VG gestützten Beschwerde bringt die Beschwerdeführerin im Wesentlichen vor, der angefochtene Bescheid verstoße gegen das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht gemäß Art4 Abs1 des 7. ZPEMRK, wegen derselben Sache nicht zweimal bestraft zu werden, sowie gegen das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter gemäß Art83 Abs2 B-VG. Weiters wird in der Beschwerde behauptet, die Bestimmungen der §52 bis §54 Glücksspielgesetz seien im Lichte der durch Art49 AEUV gewährleisteten Niederlassungsfreiheit und der durch Art56 AEUV gewährleisteten Dienstleistungsfreiheit verfassungswidrig. Dazu wird auf die Judikatur des EuGH (C-64/08, Engelmann; C-316/07, Markus Stoß; C-409/06, Winner Wetten; C-347/09, Dickinger und Ömer) verwiesen.

Das Aufstellen mehrerer Spielapparate bzw. das Bereitstellen mehrerer Spielmöglichkeiten stelle ein fortgesetztes Delikt dar und sei daher als eine (einheitliche) Ausspielung zu werten. Sowohl §52 Abs1 GSpG als auch §168 StGB zielten auf Spiele ab, die ausschließlich oder vorwiegend vom Zufall abhängten und bestraften deren Veranstaltung bzw. sonstige Formen der Förderung. Gemäß §52 Abs2 GSpG trete jedoch eine Strafbarkeit nach dem Glücksspielgesetz hinter eine allfällige Strafbarkeit nach §168 StGB zurück. Der UVS Vorarlberg als Verwaltungsbehörde habe somit seine Zuständigkeit zu Unrecht in Anspruch genommen, weil sich aus dem verwirklichten Delikt gemäß §168 StGB die Zuständigkeit der Strafgerichte ergäbe.

6. Der UVS Vorarlberg legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift, in der er den Vorbringen der Beschwerdeführerin mit näherer Begründung entgegentritt.

II. Rechtslage

1. §52 GSpG in der Fassung der Novelle BGBl I 54/2010 (für den Tatzeitpunkt relevante Fassung) lautete:

"§52. (1) Es begeht eine Verwaltungsübertretung und ist von der Behörde mit Geldstrafe bis zu 22 000 Euro zu bestrafen,

1. wer zur Teilnahme vom Inland aus verbotene Ausspielungen im Sinne des §2 Abs4 veranstaltet, organisiert, anbietet oder unternehmerisch zugänglich macht oder sich als Unternehmer im Sinne des §2 Abs2 daran beteiligt;

2. wer gewerbsmäßig ohne Berechtigung Spielanteile eines von diesem Bundesgesetz erfassten Glücksspieles oder Urkunden, durch welche solche Spielanteile zum Eigentum oder zum Gewinnbezug übertragen werden, veräußert oder an andere überlässt;

3. wer die Bewilligungsbedingungen eines genehmigten Glücksspieles nicht einhält;

4. wer ein Glücksspiel trotz Untersagung oder nach Zurücknahme der Spielbewilligung durchführt;

5. wer gegen eine Bestimmung der in §2 Abs3 oder §4 Abs2 vorgesehenen Verordnung, gegen die Auflageverpflichtung von Spielbeschreibungen, die Anzeigeverpflichtung gemäß §4 Abs6 oder eine Duldungs- oder Mitwirkungspflicht nach §50 Abs4 verstößt;

6. wer die Teilnahme an verbotenen Ausspielungen im Sinne des §2 Abs4 – insbesondere durch die Vermittlung der Spielteilnahme, das Bereithalten von anderen Eingriffsgegenständen als Glücksspielautomaten oder die unternehmerische Schaltung von Internet-Links – fördert oder ermöglicht;

7. wer technische Hilfsmittel (z.B. eine entsprechend geeignete Fernbedienung) bereit hält, mit sich führt oder einsetzt, die geeignet sind, sich selbst oder anderen einen unlauteren Spielvorteil zu verschaffen oder den Spielablauf zu beeinflussen;

8. wer die Pflichten der Geldwäschevorbeugung gemäß §25 Abs6 und 7 oder §25a verletzt;

9. wer verbotene Ausspielungen (§2 Abs4) im Inland bewirbt oder deren Bewerbung ermöglicht, es sei denn es liegt eine Bewilligung des Bundesministers für Finanzen gemäß §56 Abs2 vor;

10. wer als Kreditinstitut wissentlich die vermögenswerte Leistung eines Spielers an den Veranstalter oder Anbieter verbotener Ausspielungen weiterleitet, wenn dies im vorsätzlichen unmittelbaren Zusammenwirken mit dem Veranstalter oder Anbieter geschieht;

11. wer bei der Durchführung von Ausspielungen Trinkgelder direkt annimmt.

(2) Werden in Zusammenhang mit der Teilnahme an Ausspielungen vermögenswerte Leistungen für ein Spiel von über 10 Euro von Spielern oder anderen geleistet, so handelt es sich nicht mehr um geringe Beträge und tritt insoweit eine allfällige Strafbarkeit nach diesem Bundesgesetz hinter eine allfällige Strafbarkeit nach §168 StGB zurück. Die Befugnisse der Organe der öffentlichen Aufsicht gemäß §50 Abs2 sowie die Befugnisse im Rahmen der behördlichen Sicherungsmaßnahmen nach §§54 und 56a bleiben davon unberührt.

(3) Werden Verwaltungsübertretungen nach Abs1 nicht im Inland begangen, gelten sie als an jenem Ort begangen, von dem aus die Teilnahme im Inland erfolgt. Gegenstände, mit deren Hilfe eine verbotene Ausspielung im Sinne des §2 Abs4 durchgeführt oder auf andere Weise in das Glücksspielmonopol des Bundes eingegriffen wird, unterliegen, sofern sie nicht gemäß §54 einzuziehen sind, dem Verfall.

(4) Die Teilnahme an Elektronischen Lotterien, für die keine Konzession des Bundesministers für Finanzen erteilt wurde, ist strafbar, wenn die erforderlichen Einsätze vom Inland aus geleistet werden. Der Verstoß gegen dieses Verbot wird bei vorsätzlicher Begehung mit einer Geldstrafe bis zu 7 500 Euro, ansonsten mit einer Geldstrafe bis zu 1 500 Euro geahndet.

(5) Die Verjährungsfrist (§31 Abs2 VStG) für Verwaltungsübertretungen gemäß Abs1 beträgt ein Jahr."

2. §52 GSpG wurde durch die Novelle BGBl I 110/2012 insoweit geändert, als die verwaltungsrechtliche Strafsanktion erhöht wurde, die Straftatbestände und die Regelung betreffend die Abgrenzung der Zuständigkeit der Verwaltungsstrafbehörde und der Strafgerichte wurden nicht geändert.

3. Der seit Erlassung des Strafgesetzbuches, BGBl 60/1974, unveränderte §168 StGB lautet:

"Glücksspiel

§168. (1) Wer ein Spiel, bei dem Gewinn und Verlust ausschließlich oder vorwiegend vom Zufall abhängen oder das ausdrücklich verboten ist, veranstaltet oder eine zur Abhaltung eines solchen Spieles veranstaltete Zusammenkunft fördert, um aus dieser Veranstaltung oder Zusammenkunft sich oder einem anderen einen Vermögensvorteil zuzuwenden, ist mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen zu bestrafen, es sei denn, daß bloß zu gemeinnützigen Zwecken oder bloß zum Zeitvertreib und um geringe Beträge gespielt wird.

(2) Wer sich gewerbsmäßig an einem solchen Spiel beteiligt, ist mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen zu bestrafen."

III. Erwägungen

Der Verfassungsgerichtshof hat über die – zulässige – Beschwerde erwogen:

1. Das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter wird durch den Bescheid einer Verwaltungsbehörde verletzt, wenn die Behörde eine ihr gesetzlich nicht zukommende Zuständigkeit in Anspruch nimmt (zB VfSlg 15.372/1998, 15.738/2000, 16.066/2001, 16.298/2001 und 16.717/2002) oder wenn sie in gesetzwidriger Weise ihre Zuständigkeit ablehnt, etwa indem sie zu Unrecht eine Sachentscheidung verweigert (zB VfSlg 15.482/1999, 15.858/2000, 16.079/2001 und 16.737/2002).

2. Die belangte Behörde hat §52 Abs2 (iVm §52 Abs1 Z1 GSpG) einen verfassungswidrigen Inhalt unterstellt, indem sie nicht auf den maximal möglichen Einsatz der von der Beschwerdeführerin betriebenen Glücksspielautomaten, sondern auf den jeweils von Spielern in einem bestimmten Tatzeitpunkt tatsächlich geleisteten Einsatz von über oder unter € 10,– pro Spiel abstellte. Da die Beschwerdeführerin unbestrittenermaßen Ausspielungen mit zwei Glücksspielautomaten, welche einen Höchsteinsatz von € 15,– pro Spiel ermöglichten, unternehmerisch zugänglich machte, wird der Tatbestand des §168 StGB verwirklicht und eine strafgerichtliche Zuständigkeit begründet. Eine doppelte Bestrafung wegen ein und derselben Tat nach §52 Abs1 Z1 (iVm §52 Abs2) GSpG und §168 StGB scheidet aus.

2.1. Aus der dargelegten verfassungskonformen Interpretation der Abgrenzungsregelung des §52 Abs2 GSpG ergibt sich im Übrigen die Verpflichtung der Verwaltungsstrafbehörde – auch nach Maßgabe der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz gemäß Art7 B-VG bzw. Art2 StGG und auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter gemäß Art83 Abs2 B-VG – stets zu ermitteln, welcher mögliche Höchsteinsatz an einem Glücksspielautomat geleistet werden kann (bzw. ob Serienspiele veranlasst werden können), um derart beurteilen zu können, ob eine Gerichtszuständigkeit gemäß §168 StGB oder die Zuständigkeit der Verwaltungsstrafbehörden gemäß §52 Abs1 GSpG besteht.

3. Im Übrigen wird auf die Ausführungen des Verfassungsgerichtshofs in seinem Erkenntnis vom 13. Juni 2013, B422/2013, zum Verstoß der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH 22.8.2012, 2012/17/0156) gegen Doppelbestrafungsverbot gemäß Art4 Abs1 7. ZPEMRK verwiesen. Zum Beschwerdevorbringen, die Regelungen des Glücksspielgesetzes seien im Lichte der durch Art49 AEUV gewährleisteten Niederlassungsfreiheit und der durch Art56 AEUV gewährleisteten Dienstleistungsfreiheit unionrechtswidrig und daher nicht anwendbar, wird auf die ständige Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (vgl. VfSlg 19.077/2010, VfGH vom 6.12.2012, B1337/11 ua., und VfGH vom 16.3.2013, G82/12 ua.) verwiesen.

IV. Ergebnis und damit zusammenhängende Ausführungen

1. Die Beschwerdeführerin ist somit durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.

Der angefochtene Bescheid ist daher aufzuheben.

2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 400,– sowie eine Eingabengebühr gemäß §17a VfGG in der Höhe von € 220,– enthalten.

Schlagworte

Glücksspiel, Verwaltungsstrafrecht, Strafen, Wetten, Unabhängiger Verwaltungssenat, Behördenzuständigkeit, Auslegung verfassungskonforme, Gericht Zuständigkeit - Abgrenzung von Verwaltung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2013:B1579.2012

Zuletzt aktualisiert am

09.08.2013
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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