TE UVS Steiermark 2013/05/17 30.14-84/2012

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 17.05.2013
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Spruch

Der Unabhängige Verwaltungssenat für die Steiermark hat durch das Senatsmitglied Dr. Monika Merli über die Berufung der Frau S St, geb. am, U, J, vertreten durch Rechtsanwalt Mag. A K, Kö, G, gegen das Straferkenntnis der Bundespolizeidirektion Graz vom 30.03.2012, Zl: 2/S-57.704/10, wie folgt entschieden:

 

Gemäß § 66 Abs 4 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 (im Folgenden AVG) in Verbindung mit § 24 Verwaltungsstrafgesetz 1991 (im Folgenden VStG) wird die Berufung abgewiesen.

 

Gemäß § 64 Abs 1 und 2 VStG hat die Berufungswerberin als Beitrag zu den Kosten des Berufungsverfahrens den Betrag von ? 38,00 binnen vier Wochen ab Zustellung dieses Bescheides bei sonstigen Zwangsfolgen zu leisten.

Text

Mit dem bekämpften Strafbescheid wurde der Berufungswerberin zu Last gelegt, sie habe am 02.12.2010, um 17:05 Uhr, in G, Kreuzung M - E, das Fahrzeug mit dem Kennzeichen gelenkt. Obwohl ihr Verhalten am Unfallsort in ursächlichem Zusammenhang mit einem Verkehrsunfall mit Sachschaden gestanden sei, habe sie

1.)

ihr Fahrzeug nicht sofort angehalten und

2.)

nicht ohne unnötigen Aufschub die nächste Polizeidienststelle verständigt.

 

Wegen Übertretung der Rechtsvorschriften der §§ 4 Abs 1 lit. a StVO (Punkt 1.) und § 4 Abs 5 StVO (Punkt 2.) verhängte die belangte Behörde unter Verweis auf die einschlägigen Strafbestimmungen (§ 99 Abs 2 lit. a StVO und § 99 Abs 3 lit. b StVO) über die Berufungswerberin zwei Strafen (? 110,00, 2 Tage Ersatzfreiheitsstrafe, ? 80,00, 36 Tage Ersatzfreiheitsstrafe).

 

In ihrer fristgerecht erhobenen Berufung bestritt S St, an der im Strafbescheid genannten Zeit und umschriebenen Ort mit einem Verkehrsunfall mit Sachschaden in ursächlichem Zusammenhang gestanden zu sein. Zwischen dem von der Berufungswerberin gelenkten GVB-Bus und dem von C Gu gelenkten VW Polo sei es zu keiner wie immer gearteten Streifung gekommen. Weder sei ein Schaden am GVB-Bus eingetreten, noch ergebe sich aus dem Beweisverfahren der Nachweis eines allfälligen beim Fahrzeug der C Gu eingetretenen Schadens. Selbst für den Fall, dass es zwischen den beiden Fahrzeugen im Zuge der Vorbeifahrt dennoch zu einer Berührung gekommen sei, könne der Berufungswerberin aus subjektiver Sicht keine Verwaltungsübertretung angelastet werden, weil für sie eine allenfalls leichte Streifung trotz gehöriger Aufmerksamkeit und Sorgfalt nicht wahrnehmbar gewesen sei. Dies ergebe sich schon aufgrund der Größe des Busses, der lauten Geräuschkulisse durch die Fahrgäste im Businneren und dem Straßenlärm. Das ungenügende Ermittlungsverfahren der belangten Behörde (u.a. keinen Nachweis eines Sachschadens, keinen Nachweis der Kausalität) reiche jedenfalls nicht aus, um der Berufungswerberin die ihr angelasteten Übertretungen nachzuweisen. Allein der Verweis auf die Aktenlage sei als Begründung für eine Bestrafung der Berufungswerberin nicht ausreichend. Bei der bestehenden Beweislage hätte das Verwaltungsstrafverfahren gegen die Berufungswerberin in dubio eingestellt werden müssen.

Der belangten Behörde seien aber auch Fehler in der Auswahl der angewendeten Strafnormen unterlaufen. Für den Fall der Bestätigung des Schuldspruches wäre die Tat im Hinblick auf den Adressatenkreis der jeweiligen Norm ausschließlich unter die Bestimmung des § 99 Abs 2 lit a StVO, und nicht (auch) unter die des § 99 Abs 3 lit b StVO zu subsumieren gewesen. Auch habe die belangte Behörde das Strafausmaß nicht entsprechend der gesetzlichen Vorgaben und einschlägigen Judikatur fundiert begründet. Für den Fall, dass die Behörde dem Vorbringen der Berufungswerberin nicht folgen könne, wäre aufgrund der gänzlichen Unbescholtenheit der Berufungswerberin nach § 21 VStG bzw. § 20 VStG vorzugehen gewesen.

 

Die Berufungswerberin beantragte nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung und Aufnahme der beantragten Beweise (u.a. ihre Parteieneinvernahme, Ortsaugenschein, Beiziehung eines KFZ-technischen Sachverständigen, Stellprobe), das Verwaltungsstrafverfahren einzustellen.

 

Mit dem Schriftsatz vom 26.02.2013 legte die Berufungswerberin noch zwei Lichtbilder vom Schaden am Fahrzeug der Zweitbeteiligten vor, die aus Anlass der Fahrzeugreparatur gemacht worden sind. Sollten die abgebildeten Berührungsspuren tatsächlich von dem von ihr gelenkten Bus stammen, so sei für sie die Berührung von ihrer Sitzposition aus nicht wahrnehmbar gewesen. Sie hätte die leichte Berührung weder akustisch, noch aufgrund einer anstoßbedingten Erschütterung bemerken hätte können. Daher habe für sie laut Judikatur der Höchstgerichte auch keine Verpflichtung bestanden, sich durch eine Nachschau von einem allfälligen Schadenseintritt zu vergewissern.

 

Zur mündliche Verhandlung am 14.03.2013 ist die Berufungswerberin ohne nähere Angabe von Gründen nicht erschienen. Als Zeugen wurden C Gu (Zweitbeteiligte) und R T (Fahrgast im GVB-Bus) zur Sache befragt.

 

Die Zeugin C Gu legte farbige Fotokopien von Lichtbildern zum Schadensausmaß an ihrem Fahrzeug vor, die in der Werkstatt Auto F in Ju im Rahmen einer Vorbegutachtung durch einen von der Firma F beauftragten Sachverständigen gemacht worden sind, weiters eine Reparaturrechnung vom 17.12.2010 in Höhe von ? 1.286,88. Diese Rechnung wurde - so die Zeugin - von der Versicherung der GVB (Arbeitgeber der Berufungswerberin) bezahlt, nach dem sie sich einige Tage nach dem Vorfall persönlich mit der GVB in Verbindung gesetzt habe. Der Schaden an ihrem Fahrzeug sei durch den gegenständlichen Vorfall entstanden. Das Fahrzeug sei ein neues Leasingfahrzeug (Erstbesitz) gewesen, das zum Zeitpunkt des Vorfalles überhaupt noch keine Schäden gehabt habe. Dies wisse sie mit Sicherheit.

 

Den Unfallhergang schilderte die Zeugin anhand der sich im erstinstanzlichen Akt befindlichen Skizze zur Kreuzung M-E im Wesentlichen wie im erstinstanzlichen Verfahren. So sei sie zur Tatzeit mit ihrem Pkw auf der E stadteinwärts gefahren und habe sie an der besagten Kreuzung nach links in die M abbiegen wollen. Aufgrund der Verkehrslage habe sie vor dem Abbiegen im Kreuzungsbereich anhalten müssen. Vor ihr hätten sich noch zwei andere Pkw befunden und hätte sich dann auch noch vom Geradeausstreifen her ein kroatischer Pkw vor ihr auf den Linksabbiegestreifen gedrängt. Dann sei es sich mit dem Abbiegen vor dem Umschalten der Ampel nicht mehr ausgegangen und hätte sie in der Kreuzungsmitte stehen bleiben müssen. Von der Universität sei ein GVB-Bus gekommen, der in die Kreuzung eingefahren und nach links auf der E in Richtung stadtauswärts abbiegen habe wollen. Dies sei aufgrund ihrer Fahrzeugstellung nicht möglich gewesen. Die Buslenkerin habe sie daraufhin aufgefordert, ein Stück zurück zu fahren. Da sich hinter ihr bereits eine Kolonne gebildet habe, hätten die Lenker dieser Fahrzeuge auch zurückfahren müssen. Trotzdem habe sich nicht genügend Platz für ihr Verlassen der Kreuzung ergeben. Deshalb habe sie ihren Pkw leicht quer auf die Fahrstreifen gestellt. Die Buslenkerin sei dann im engen Bogen nach links eingebogen. Sie - die Zeugin - habe gesehen, dass sich das Fahrmanöver aufgrund des Kurvenradius nicht ausgehen könne. Auch die hinter ihr stehenden Fahrzeuglenker seien ausgestiegen und hätten der Buslenkerin zugerufen, dass sie nicht weiterfahren könne. Trotzdem habe diese ihre Fahrt fortgesetzt und mit der linken Busseite ihren Pkw im Bereich des linken Scheinwerfers gestreift, sodass dort Lackabschürfungen entstanden seien. Ein Fahrgast habe sehr interessiert auf ihr Fahrzeug gesehen. Daher habe sie ihm gedeutet, dass er zur Buslenkerin nach vor gehen solle, um ihr die Streifung zu melden. Sie habe noch gesehen, wie der Fahrgast nach vor zur Lenkerin gegangen sei. Sie habe sein Verhalten so interpretiert, dass er sie verstanden habe.

 

Zur Wahrnehmbarkeit des Schadenseintrittes befragt, gab die Zeugin an, sie habe die Touchierung im Fahrzeug als einen leichten Stoß bemerkt. Zu diesem Zeitpunkt habe sie keinen Blickkontakt mit der Lenkerin des Busses gehabt, weil der Bus bereits zur Hälfte in die Elisabethstraße eingebogen gewesen sei.

 

Der Zeuge R T gab an, er sei damals als Gast im Bus Nr. 41 ziemlich weit hinten auf der linken Seite an einem Fensterplatz gesessen. Es seien wenige Fahrgäste im Bus gewesen. Die M sei verstopft gewesen, sodass die Pkw-Lenkerin ihr beabsichtigtes Linksabbiegemanöver in die M nicht mehr zu Ende führen habe können. Zwischen der Pkw-Lenkerin und der Buslenkerin habe es vor dem Anstoß auch einen Kontakt gegeben. Es sei dabei darum gegangen, dass die Pkw-Lenkerin den Weg für den Bus frei geben solle. Was die Buslenkerin mit der Pkw-Lenkerin vorne im Kreuzungsbereich gesprochen habe, habe er nicht gehört. Die Tochierung zwischen den beiden Fahrzeugen, die glaublich auf der linken Busseite etwa in der Mitte des Busses stattgefunden habe, habe er gehört, aber nicht gesehen. Er bilde sich ein, es sei ein Geräusch wie ein Vorbeischrammen gewesen. Heute könne er sich nicht mehr erinnern, dass er - wie im erstinstanzlichen Verfahren ausgesagt - den Schadeneintritt direkt gesehen habe. Er habe in der Folge nur gesehen, wie die Lenkerin des Pkw ihm etwas gedeutet habe. Er habe ihr Deuten so verstanden, dass er diesen Vorfall bei der Polizei melden soll.

 

Als der Bus bei der nächsten Ampel stadtauswärts (Kreuzung am Beginn des Te) angehalten habe, sei er zur Buslenkerin nach vorne gegangen, um sich zu vergewissern, ob sie die Touchierung mit dem Pkw bemerkt habe. Nach Vorhalt der Aussagen der Zeugin Gu, wonach sie noch gesehen hätte, dass der Fahrgast im Bus nach vor gegangen sei, meinte der Zeuge, es könne auch sein, dass er sich schon zuvor auf den Weg nach vorn gemacht habe, die Buslenkerin aber erst angesprochen habe, als die Ampel auf Rot geschaltet gewesen sei. Er habe die Buslenkerin gefragt, ob sie die Touchierung mit dem Pkw bemerkt habe. Sie habe auf seine Frage sinngemäß geantwortet: Ja, sie brauche aber nicht stehen zu bleiben, sie melde das bei einem eigenen Dienst. Die Antwort der Buslenkerin habe er jedenfalls so aufgefasst, dass sie die Streifung bemerkt habe und dass diese Sache gemeldet werde. Er sei nun beruhigt gewesen, weil er nun gewusst habe, dass jetzt die Dinge ihren Lauf nehmen werden. Von den übrigen Fahrgästen gab es zum Vorfall keine bemerkenswerte Reaktion.

 

In der Fortsetzungsverhandlung am 15.05.2013 wurde die Berufungswerberin als Partei vernommen, die das Geschehen aus ihrer Sicht unter zu Hilfenahme einer von ihr angefertigten Handskizze folgendermaßen schilderte:

 

Ich war die Buslenkerin des Busses der Linie 41, die von der Universität kommend die Kreuzung M/E nach links passieren muss. Ziel dieser Fahrt war das LKH Graz. Nach Passieren des Querverkehrs wollte ich mit meinen Bus links in die E stadtauswärts einbiegen. Die Dame stand mit ihrem Pkw ziemlich mitten in der Kreuzung, sodass ich mit meinem Bus dieses beabsichtigte Linksabbiegemanöver nicht vornehmen konnte. Dann ist sie nervös geworden und hat wieder zurückgeschoben. In dieser Situation hatte ich Blickkontakt mit der Pkw-Lenkerin. Es war sehr viel Verkehr, ich musste schauen, ob ich jetzt um die Kurve komme mit meinem Bus. Für mich war das eigentlich keine Stresssituation. Dies ist für mich eine alltägliche Begebenheit. Während des Blickkontaktes war ich einige Meter räumlich von der Pkw-Lenkerin entfernt. Mein Fahrzeug war vor dem Einbiegevorgang ja noch in einer geraden Position, die sich erst durch den Linkseinbiegevorgang veränderte. Die anderen Fahrzeuglenker hinter ihr mussten meines Wissens nicht zurückschieben. Ich könnte jedenfalls nicht sagen, dass da wer zurückgeschoben hätte, außer sie. Der Ausweichvorgang der Pkw-Lenkerin gestaltete sich nach hinten hin leicht schräg, sie ist nicht gerade zurückgestoßen. Dadurch hat sie mir dann den Weg freigemacht und konnte ich abbiegen. Die Position der Pkw-Lenkerin, wie sie letztendlich gestanden ist, bevor sie einbiegen konnte, kann ich nicht mehr angeben. Ich bin langsam mit meinem Bus nach links eingebogen. Ob sich das Vorbeifahren an dem Pkw knapp gestaltet hat, kann ich heute nicht mehr sagen. Als ich das erste Mal in den Seitenspiegel sah, habe ich gesehen, dass die Pkw-Lenkerin weitergefahren ist. Zu diesem Zeitpunkt war der Linksabbiegevorgang schon beendet. Ich habe auch während des Linksabbiegemanövers in den Seitenspiegel geschaut und habe sehr wohl auch im Seitenspiegel beobachtet, was die Pkw-Lenkerin tut bzw. dass ich an ihr Fahrzeug knapp heranfahre. Eine solche Situation kommt aber oft vor, dass ich knapp an einem Fahrzeug vorbeifahre. Eine Berührung hat es meines Wissens nicht gegeben. Die angebliche Berührung war ja ganz hinten. Mein Bus ist 12 Meter lang. Es ist ein Zwei-Achser. Von einer Berührung habe ich jedenfalls nichts bemerkt, daher nehme ich auch an, dass es keine gegeben hat.

 

Nach diesem ganzen Vorfall bin ich dann weiter gefahren in Richtung LKH. Dort habe ich den Bus abgegeben und bin nach Hause gegangen. Auf dieser Fahrt hat es keinen Kontakt mit einem Fahrgast gegeben. Von einem solchen habe ich erst von der Polizei erfahren, an die sich ein Fahrgast hingewendet hat, um eine Anzeige zu machen.

 

Nach Vorhalt der Angaben des Zeugen T im erstinstanzlichen Verfahren und in der mündlichen Berufungsverhandlung (Kontakt zwischen Buslenkerin in Pkw-Lenkerin, Hinweis auf die Streifung durch den Zeugen) sowie der Aussage der Zeugin Gu (Die Lenkerin forderte mich daraufhin auf, ein Stück zurück zu fahren) gab die Berufungswerberin an, sie könne dazu nur sagen, dass sie mit der Pkw-Lenkerin nie gesprochen habe und dass zu ihr kein Fahrgast gekommen sei. Ob sie der Pkw-Lenkerin mit der Hand gedeutet habe, dass sie die Kreuzung freimachen soll, könne sie heute nicht mehr sagen. Aus dem Verhalten der Pkw-Lenkerin - Fortsetzung der Fahrt in Form eines Einbiegemanövers nach links in die M - habe sie geschlossen, dass keine Streifung stattgefunden haben könne, ansonsten wäre die Pkw-Lenkerin nicht weitergefahren. Nach dem Abbiegen der Pkw-Lenkerin sei sie sich sicher gewesen, dass es zu keiner Streifung gekommen sei, zuvor sei sie sich eigentlich auch sicher gewesen. Es sei sich ausgegangen.

 

Der Schadenseintritt und die Schadenskausalität wurde von der Berufungswerberin im Hinblick auf die Schadenswiedergutmachung durch die GVB nicht mehr bestritten.

 

Aufgrund der Ergebnisse des Beweisverfahrens werden im Rahmen der freien Beweiswürdigung folgende Feststellungen getroffen:

 

Am 02.12.2010, gegen 17.05 Uhr - es war bereits dunkel, es schneite leicht und herrschte starkes Verkehrsaufkommen mit Staubildung - fuhr C Gu mit ihrem Pkw, Kennzeichen, einen VW Polo schwarz, in G, auf der E stadteinwärts, in der Absicht, an der Kreuzung E - M links in die M stadtauswärts abzubiegen. Aufgrund der Verkehrslage war es ihr nicht möglich, innerhalb ihrer Grünphase den beabsichtigten Linksabbiegevorgang in die M zu Ende zu führen. Sie war gezwungen, mit ihrem Pkw - die Ampel war mittlerweile für sie auf Rot geschaltet - im Kreuzungsbereich stehen zu bleiben.

 

Zu diesem Zeitpunkt beabsichtigte die Berufungswerberin als Lenkerin eines 12 Meter langen GVB-Busses der Linie Nr. 41, die M in Richtung E befahrend, nach links in die E Richtung stadtauswärts (LKH G) einzubiegen. Die Verkehrssignalanlage strahlte ihr grünes Licht aus. Nachdem aber C Gu mit ihrem Pkw in ihre beabsichtigte Fahrlinie hineinragte, konnte die Berufungswerberin das Linksabbiegemanöver nicht durchführen. Sie nahm mit der Pkw-Lenkerin Sichtkontakt auf und deutete ihr, sie möge ihr Platz machen. C Gu versuchte durch entsprechende Fahrmanöver (Zurückfahren, seitliches Ausweichen und Schrägstellen des Pkw), den für den Einbiegevorgang des Busses nötigen Platz zu schaffen. Die Berufungswerberin führte in der Folge das beabsichtigte Linksabbiegemanöver durch, in dem sie mit dem GVB-Bus in engem Bogen nach links in die E einbog. Im Zuge dieses Einbiegemanövers streifte der GVB-Bus auf der linken Seite im hinteren Bereich den noch stehenden Pkw der C Gu im Bereich des linken hinteren Kotflügels und am Seitenteil links hinten, wodurch an den Kontaktstellen Lackabschürfungen entstanden. Die Berufungswerberin bemerkte den Schadenseintritt nicht und setzte ihre Fahrt Richtung stadtauswärts fort, übergab an der Endhaltestelle LKH den Bus und beendete ihren Dienst. Sie erstattete auch keine Unfallmeldung. Am Bus war kein Schaden feststellbar.

 

Am 02.11.2010, um 17.20 Uhr suchte R T als ein Fahrgast im Bus der Linie Nr. 41, der die gegenständliche Streifung Bus-Pkw von seiner Sitzposition aus mitbekommen hatte, die PI Ri auf, und schilderte dort seine Wahrnehmungen. Die Zweitbeteiligte C Gu erstattete am 02.11.2010 um 18.05 Uhr eine Unfallanzeige bei der PI Ri. Die Lenkereigenschaft der Berufungswerberin konnte erst nach einigen betriebsinternen Recherchen am Tag der Unfallmeldung der GVB an die Haftpflichtversicherung am 06.12.2010 geklärt werden. Der Schaden aus dem Unfallereignis wurde der Zweitbeteiligten ersetzt.

 

Diese Feststellungen sind im Ergebnis unstrittig, weshalb sich dazu eine nähere Beweiswürdigung erübrigt. Ob die Berufungswerberin vom Fahrgast R T auf den Unfall aufmerksam gemacht worden ist oder nicht, kann hier mangels Entscheidungsrelevanz, wie die Ausführungen zur rechtlichen Beurteilung noch zeigen werden, dahingestellt bleiben.

 

Die rechtliche Beurteilung ergibt Folgendes:

 

Gemäß § 4 Abs 1 lit. a StVO haben alle Personen, deren Verhalten am Unfallsort mit einem Verkehrsunfall in ursächlichem Zusammenhang steht, wenn sie ein Fahrzeug lenken, sofort anzuhalten.

 

Gemäß § 4 Abs 5 StVO haben, wenn bei einem Verkehrsunfall nur Sachschaden entstanden ist, die im Abs 1 genannten Personen die nächste Polizeidienststelle vom Verkehrsunfall ohne unnötigen Aufschub zu verständigen. Eine solche Verständigung darf jedoch unterbleiben, wenn die im Abs 1 genannten Personen oder jene, in deren Vermögen der Schaden eingetreten ist, einander ihren Namen und ihre Anschrift nachgewiesen haben.

 

Voraussetzung für die Anhalte- und Meldepflicht ist als objektives Tatbestandsmerkmal der Eintritt wenigstens eines Sachschadens und in subjektiver Hinsicht das Wissen von dem Eintritt eines derartigen Schadens, wobei der Tatbestand schon dann gegeben ist, wenn dem Täter objektive Umstände zu Bewusstsein gekommen sind oder bei gehöriger Aufmerksamkeit zu Bewusstsein hätten kommen müssen, aus denen die Möglichkeit eines Verkehrsunfalls mit einer Sachbeschädigung zu erkennen vermochte.

 

Gerade letzteres wird von der Berufungswerberin in Abrede gestellt, im wesentlichen mit dem Hinweis auf die Größe des Busses, der lauten Geräuschkulisse durch die Fahrgäste im Businneren und dem Straßenlärm, ihrer Sitzposition im Fahrzeug, der leichten Streifung, die sich weder akustisch noch durch eine Erschütterung bemehrkbar gemacht haben kann, und dem Verhalten der Zweitbeteiligten nach der Streifung (Fortsetzung der Fahrt).

 

Dieses Vorbringen vermag die Berufungswerberin nicht zu exkulpieren. Auch wenn ihr Glauben geschenkt werden kann, dass sie als Lenkerin des GVB-Busses die Streifung weder akustisch, noch durch einen Ruck im Fahrzeuginneren (aufgrund der unterschiedlichen Massen der beteiligten Fahrzeuge) wahrgenommen hat, so ist der Berufungswerberin dennoch vorzuwerfen, dass sie nicht jene Umsicht und Aufmerksamkeit aufgebracht hat, die der konkreten Verkehrssituation geschuldet gewesen ist. Die Fahrbedingungen waren von vornherein durch ein starkes Verkehrsaufkommen, leichten Schneefall, und schlechte Sichtverhältnisse belastet. Durch den im Kreuzungsbereich stehenden Pkw war die Berufungswerberin faktisch nicht in der Lage, ihr beabsichtigtes Fahrmanöver durchzuführen, weil hiefür nicht ausreichend Platz vorhanden war. Diese räumliche Beengtheit, aus der heraus leicht Verkehrsunfälle entstehen können, verlangen von einem Fahrzeuglenker eine erhöhte Aufmerksamkeit und Sorgfalt in der Beobachtung des Verkehrsgeschehens und in der Ausführung der eigenen Fahrbewegungen. Wie der Schadenseintritt zeigt, reichte der von der Pkw-Lenkerin gemachte Platz für den Linksabbiegevorgang der Berufungswerberin nicht aus, den die Berufungswerberin auch nicht mit der nötigen Umsicht im Seitenspiegel des Busses mit verfolgte. Dazu wäre es notwendig gewesen, die potenziellen Kontaktstellen zwischen Bus und Pkw so lange im Auge zu behalten, bis sich die Berufungswerberin sicher sein konnte, dass es sich tatsächlich (und nicht nur angenommenerweise) ausgegangen ist, weil bei der bestehenden Ausgangslage ein Schadenseintritt nicht nur möglich, sondern sehr wahrscheinlich gewesen ist.

 

Die gegenständliche Verkehrssituation ist nicht - wie dies die Berufungswerberin tat - zu vergleichen mit einem knappen Heranfahren an ein anderes Fahrzeug, das in ihrem dienstlichen Alltag als Berufskraftfahrerin des Öfteren vorkommt. Wie oben schon ausgeführt, lag hier ein besonders knappes, nicht alltägliches Fahrmanöver vor, bei dem sich die Berufungswerberin davon überzeugen hätte müssen, dass die Pkw-Lenkerin hiefür tatsächlich ausreichend Platz gemacht hat.

 

Die Berufungswerberin hat auch nicht nachvollziehbar erklären können, weshalb es ihr nicht möglich gewesen ist, mit den von ihr zur Verfügung stehenden Mitteln (Beobachtung der potenziellen Anstoßstelle in einem der Fahrzeugspiegel) sich zu vergewissern, dass sie das Linksabbiegemanöver ohne Berührung des Pkw zu Ende führen hat können. Von ihrer Sitzposition auf der linken Fahrzeugseite - und dies ist eine allgemeine Erfahrungstatsache - hätte sie beim Linksabbiegemanöver im linken Seitenspiegel die gesamte linke Busflanke, und damit auch die potenzielle Anstoßstelle, im Blick haben können.

 

Allein aus der Weiterfahrt der Pkw-Lenkerin nach dem Verkehrsunfall konnte die Berufungswerberin nicht darauf schließen, dass keine Streifung stattgefunden hat.

 

Aus dem Gesagten folgt, dass der Berufungswerberin bei gehöriger Aufmerksamkeit objektive Umstände (Räumliche Nähe zum Pkw) zu Bewusstsein kommen hätten müssen, aus denen sie nicht nur die Möglichkeit, sondern sogar eine hohe Wahrscheinlichkeit eines Verkehrsunfalls mit einer Sachbeschädigung zu erkennen vermocht hätte. Nachdem somit auch die subjektive Tatseite der in Rede stehenden Übertretungen zu bejahen ist, hat der bei der Streifung entstandene Sachschaden für die Berufungswerberin die in § 4 Abs 1 lit. a StVO und § 4 Abs 5 StVO normierten Lenkerpflichten (Anhalte- und Meldepflicht) ausgelöst, denen sie nicht nachgekommen ist. Ihr wurden daher zu Recht die unter den Punkten 1.) und 2.) zur Last gelegten Übertretungen vorgehalten, die kumulativ vorliegen. Ein Fehler der Behörde in der Auswahl der angewendeten Strafnormen, wie von der Berufungswerberin vorgebracht, ist nicht zu erkennen.

 

Von der Aufnahme der beantragten Beweise Abstand genommen werden, zum einen weil der Schadenseintritt und die Schadenskausalität von der Berufungswerberin nicht mehr bestritten worden sind, zum anderen, weil die Berufungswerberin in ihren Ausführungen zur behaupteten mangelnden subjektiven Tatkomponente nichts Konkretes vorgebracht hat, dass im Rahmen einer weiteren Beweisaufnahme (u.a. eines Sachverständigengutachtens) zu überprüfen gewesen ist.

 

Zur Strafbemessung bleibt noch auszuführen:

 

Gemäß § 19 Abs 1 VStG ist Grundlage für die Bemessung der Strafe stets das Ausmaß der mit der Tat verbundenen Schädigung oder Gefährdung derjenigen Interessen, deren Schutz die Strafdrohung dient, und der Umstand, inwieweit die Tat sonst nachteilige Folgen nach sich gezogen hat.

 

Die von der Berufungswerberin verletzten Rechtsvorschriften sollen gewährleisten, dass nach einem Verkehrsunfall mit Sachschaden die Schadensfeststellung vor Ort, insbesondere auch die Ursachen des Unfallsherganges bei Strittigkeit durch Beweisaufnahme an der Unfallsstelle wenn nicht geklärt, so doch durch Beweissicherung einer späteren Befassung zugänglich sind. Letztendlich sollen auch die Geschädigten in die Lage versetzt werden, ihre Schadenersatzforderungen an den schuldtragenden Lenker zu stellen.

 

Dadurch, dass die Berufungswerberin schuldhaft vom Schadenseintritt keine Kenntnis erlangt, sohin das von ihr gelenkte Fahrzeug an der Unfallsstelle nicht angehalten und in der Folge auch ihrer Verpflichtungen nach § 4 Abs 5 StVO nicht nachgekommen ist, hat sie gegen den oben dargestellten Schutzzweck der Normen verstoßen. Durch ihr situationsinadäquates Verhalten wurden Interessen der Zweitbeteiligten im Sinne der obigen Ausführungen gefährdet.

 

Gemäß § 19 Abs 2 VStG sind die nach dem Zweck der Strafdrohung in Betracht kommenden Erschwerungs- und Milderungsgründe, soweit sie nicht schon die Strafdrohung bestimmen, gegeneinander abzuwägen. Auf das Ausmaß des Verschuldens ist besonders Bedacht zu nehmen. Unter Berücksichtigung der Eigenart des Verwaltungsstrafrechtes sind die Bestimmungen der §§ 32 bis 35 des Strafgesetzbuches sinngemäß anzuwenden. Die Einkommens-, Vermögens- und Familienverhältnisse des Beschuldigten sind bei der Bemessung von Geldstrafen zu berücksichtigen.

 

Im Sinne dieser Bestimmung wertete die Berufungsbehörde als mildernd die bisherige Unbescholtenheit der Berufungswerberin. Erschwerungsgründe sind keine zu nennen. Mit der Verhängung von Strafen, die im untersten Bereich des jeweils anzuwendenden Strafrahmens angesiedelt sind (hinsichtlich Punkt 1.): § 99 Abs 2 lit a StVO, Geldstrafe von ? 36,00 bis ? 2.180,00, im Fall ihrer Uneinbringlichkeit Ersatzarrest von 24 Stunden bis sechs Wochen, hinsichtlich Punkt 2.) § 99 Abs 3 lit b StVO, Geldstrafe bis zu ? 726,00, im Fall ihrer Uneinbringlichkeit mit Arrest bis zu zwei Wochen), hat die belangte Behörde, auch unter Einbezug des bestehenden Milderungsgrundes, im Ergebnis tat und schuldangemessene Strafen verhängt.

 

Die von der Berufungswerberin bekannt gegebenen persönlichen Verhältnisse (monatliches Nettoeinkommen ? 1.800,00, keine Sorgepflichten, kein Vermögen, keine Belastungen) sind für sich genommen nicht geeignet, eine Strafherabsetzung zu begründen, sollen die verhängten Strafen zumindest noch einen spürbaren Nachteil darstellen, um die Berufungswerberin in Hinkunft zur Aufbringung der den Verkehrserfordernissen entsprechenden Sorgfalt zu ermahnen.

 

Die Festsetzung des Kostenbeitrages zum Verwaltungsstrafverfahren zweiter Instanz ergibt sich aus § 64 VStG, wonach im Fall der vollinhaltlichen Bestätigung des Straferkenntnisses erster Instanz durch die Berufungsbehörde dieser Betrag mit 20 Prozent der verhängten Strafe festzusetzen ist.

 

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte
Verkehrunfall; Sachschaden; Wahrnehmbarkeit; Aufmerksamkeit; Linkseinbiegen; Gefahrenlage
Zuletzt aktualisiert am
13.08.2013
Quelle: Unabhängige Verwaltungssenate UVS, http://www.wien.gv.at/uvs/index.html
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