TE AsylGH Erkenntnis 2013/07/10 C2 425958-1/2012

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 10.07.2013
beobachten
merken
Spruch

Zl. C2 425958-1/2012/14E

 

IM NAMEN DER REPUBLIK!

 

Schriftliche Ausfertigung des am 27.6.2013 mündlich verkündeten Erkenntnisses:

 

Der Asylgerichtshof hat durch den Richter Mag. Marth als Vorsitzenden und die Richterin Dr. Fischer Szilagyi als Beisitzerin über die Beschwerde des XXXX, StA. Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 30.3.2012,

 

FZ. 11 13.523-BAG, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 27.6.2013 zu Recht erkannt:

 

I. Der Beschwerde wird hinsichtlich Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides stattgegeben und XXXX gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt.

 

II. Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 wird XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung für ein Jahr erteilt.

 

III. Der Beschwerde wird hinsichtlich Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheides stattgegeben und dieser gemäß § 66 Abs. 4 AVG ersatzlos behoben.

Text

Entscheidungsgründe:

 

I. Verfahrensgang

 

1. Der Beschwerdeführer stellte am 9.11.2011 einen Antrag auf internationalen Schutz.

 

2. Im Rahmen des Administrativverfahrens wurde der Beschwerdeführer am 9.11.2011 einer Erstbefragung und nach am 14.11.2011 erfolgter Zulassung des Verfahrens am 13.3.2012 einer Einvernahme unterzogen.

 

Der Beschwerdeführer gab im Administrativverfahren an, am XXXX geboren zu sein, der Volksgruppe der Hazara und der islamischen Religion anzugehören und aus der afghanischen Provinz Baghlan zu stammen.

 

Afghanistan habe der Beschwerdeführer verlassen, da sein Vater, der Mitglied der Hezb-e Wahdat gewesen sei, von den Taliban entführt und ein Jahr gefangen gehalten worden sei. Nach der Freilassung des Vaters sei der Beschwerdeführer nach Herat geschickt worden, wo er als Automechaniker gearbeitet habe. Dort habe der Beschwerdeführer zwei Jahre gearbeitet; während dieser Zeit habe er seine Familie nicht gesehen und habe diese das Geld für seine Arbeit erhalten. Nach den zwei Jahren habe die Familie den Beschwerdeführer geholt und seien alle in den Iran geflüchtet; dies habe der Vater beschlossen. Die Familie des Beschwerdeführers halte sich immer noch im Iran auf.

 

3. Nach Durchführung des oben dargestellten Ermittlungsverfahrens wurde der gegenständliche Antrag des Beschwerdeführers mit im Spruch bezeichneten Bescheid vom 30.3.2012, erlassen am 3.4.2012, sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch hinsichtlich des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen. Unter einem wurde dieser aus dem Bundesgebiet nach Afghanistan ausgewiesen.

 

Neben einer Darstellung des Verfahrensganges und Feststellungen zum Herkunftsstaat der beschwerdeführenden Partei wurde begründend ausgeführt, dass der Beschwerdeführer in Baghlan geboren und aufgewachsen sei und zwei Jahre in Herat selbst gearbeitet habe. Der Beschwerdeführer sei gesund und die Familienangehörigen des Beschwerdeführers würden nunmehr im Iran leben. Das Vorbringen des Beschwerdeführers sei nicht glaubhaft, er habe in Afghanistan keine Verfolgung zu befürchten. Ebenso drohe ihm im Falle der Rückkehr keine Bedrohungssituation und sei sein Antrag auf internationalen Schutz daher abzuweisen. Auch stehe das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers seiner Ausweisung nicht entgegen.

 

Mit Verfahrensanordnung des Bundesasylamtes vom 30.3.2012, Fz.: 11 13.523, wurde dem Beschwerdeführer eine Rechtsberatung amtswegig zur Seite gestellt.

 

5. Mit am 5.4.2012 zur Post gegebenem Schriftsatz wurde gegen den im Spruch bezeichneten Bescheid Beschwerde erhoben und mit näherer Begründung beantragt, der Beschwerde stattzugeben und dem Beschwerdeführer den Status des Asylberechtigten, in eventu des subsidär Schutzberechtigten zuzuerkennen, in eventu die Ausweisung ersatzlos zu beheben, den angefochtenen Bescheid zu beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Entscheidung an das Bundesasylamt zurückzuverweisen sowie eine mündliche Verhandlung vor dem Asylgerichtshof anzuberaumen.

 

6. Nach entsprechendem Auftrag des Asylgerichtshofes erstattete das XXXX am 29.6.2012 ein gerichtsmedizinisches Gutachten zur forensischen Altersschätzung, nach dem der Beschwerdeführer zum Untersuchungszeitpunkt am 25.5.2012 ein Mindestalter von 17 Jahren aufgewiesen habe.

 

Mit Schriftsatz vom 22.10.2012 wurden vom Beschwerdeführer folgende Beweismittel vorgelegt:

 

eine Bestätigung über den Besuch eines Deutschkurses A1 vom 5.8.2012 und

 

eine Bestätigung über den Besuch eines UMF-Deutschkurses A1 und A2 vom 22.10.2012.

 

Mit Schriftsatz vom 20.3.2012 wurde vom Beschwerdeführer eine weitere Bestätigung über den Besuch eines Deutschkurses A2.1 vom 13.12.2012 vorgelegt.

 

Vom entscheidenden Senat des Asylgerichtshofes wurde am 27.6.2013 eine mündliche Verhandlung unter Beiziehung einer Dolmetscherin abgehalten.

 

In dieser gab die beschwerdeführende Partei einleitend an, gesund zu sein und im Verfahren vor dem Bundesasylamt die Wahrheit gesagt zu haben.

 

Die weitere Verhandlung nahm folgenden Gang:

 

"...

 

III. Zur Situation der beschwerdeführenden Partei in Österreich:

 

VR: Sind Sie in Österreich verheiratet oder leben Sie hier in einer Lebensgemeinschaft, haben Sie in Österreich lebende Kinder oder andere nahe Verwandte oder Verwandte, von denen Sie finanziell abhängig sind?

 

BF: Nein.

 

VR: Sprechen Sie deutsch?

 

BF: Ja.

 

Anmerkung: Der VR hat vor der Verhandlung mit dem BF ein kurzes Gespräch geführt, das war auf Deutsch möglich.

 

Anmerkung: Die BFV legt mehrere Bestätigungen, Urkunden, Unterstützungsschreiben und einen Zeitungsartikel vor, der als Anlage 1 zum Akt genommen wird. Angemerkt wird, dass der BF im XXXX Fußball spielt. Am XXXX hat er ein Spiel in Wien.

 

VR: Haben Sie Arbeit in Österreich?

 

BF: Nein.

 

VR: Besuchen Sie in Österreich Kurse, Vereine, eine Schule oder Universität?

 

BF: Ich besuche derzeit einen Vorbereitungskurs für eine externe Hauptschule. Ansonsten verweise ich auf die vorgelegten Bestätigungen.

 

VR: Haben Sie einen Freundeskreis oder bisher nicht genannte Verwandte in Österreich?

 

BF: Ich habe einige Freunde hier, die meisten sind Österreicher.

 

VR. Sind Sie legal in das Bundesgebiet eingereist?

 

BF: Nein.

 

VR: Hatten Sie jemals ein nicht auf das Asylverfahren gegründetes Aufenthaltsrecht in Österreich?

 

BF: Nein.

 

VR: Wurden Sie in Österreich jemals von einem Gericht verurteilt oder mit einem Aufenthaltsverbot oder einer Ausweisung belegt?

 

BF: Nein.

 

Eine SA wird als Anlage 2 zum Akt genommen.

 

VR: Haben Sie eine andere, besondere Bindung an Österreich?

 

BF: Nein.

 

Den Parteien wird Möglichkeit zur Stellungnahme zu den Angaben des Beschwerdeführers gegeben.

 

Keine Stellungnahme der Parteien.

 

IV. Zur Identität der beschwerdeführenden Partei:

 

VR: Ich belehre Sie, dass eine wissentliche Falschaussage vor dem Asylgerichtshof zu Identität oder Herkunft gemäß § 119 FPG mit einer Geldstrafe bestraft werden kann. Nach dieser Belehrung frage ich Sie, ob der oben angeführte Name, Geburtsdatum und Herkunftsstaat der Wahrheit entsprechen, Sie diesen Namen seit Ihrer Geburt tragen und Sie mit diesem Namen in Ihrem Herkunftsstaat bekannt sind?

 

BF: Die richtige Schreibweise meines Familiennamens wäre XXXX. Wenn ich das allerdings ändern lassen wollte, wäre das mit vielen

Schwierigkeiten verbunden. Zum Geburtsdatum: Ich bin am XXXX geboren.

 

VR: Können Sie Dokumente, insbesondere Identitätsausweise, aus Ihrem Heimatstaat vorlegen bzw. beibringen?

 

BF: Nein.

 

Vorgehalten wird die forensische Altersschätzung im gerichtsmedizinischen Gutachten vom 29.06.2012, die sich mit den Angaben des BF in Einklang bringen lässt.

 

VR: Welcher Volksgruppe gehören Sie an?

 

BF: Ich bin Hazara.

 

VR: Welcher Religionsgemeinschaft gehören Sie an?

 

BF: Ich bin Schiit.

 

Den Parteien wird Möglichkeit zur Stellungnahme zu den Angaben des Beschwerdeführers gegeben.

 

Keine Stellungnahme der Parteien.

 

V. Zur aktuellen Situation im Herkunftsstaat der beschwerdeführenden Partei:

 

Der VR bringt die im Akt einliegenden Berichte über das Herkunftsland der beschwerdeführenden Partei in das Verfahren ein. Der beschwerdeführenden Partei wird die Bedeutung dieser Berichte erklärt, insbesondere, dass auf Grund dieser Berichte die Feststellungen zu seinem Herkunftsstaat getroffen werden, sowie deren Zustandekommen. Der VR gibt den Parteien die Möglichkeit, in die Länderberichte Einsicht zu nehmen, diese zu kopieren und allenfalls dazu Stellung zu nehmen oder für eine Stellungnahme eine Frist zu beantragen.

 

Dem BF werden folgende Länderberichte zur Stellungnahme vorgehalten:

 

(Deutsches) Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan (Stand Jänner 2012), 10.01.2012;

 

Human Rights Watch: World Report 2012; Afghanistan, Jahresbericht zur Menschenrechtssituation im Jahr 2011, 22. Januar 2012;

 

Afghanistan NGO Safety Office, Quarterly Data Report, Q. 1 2013, April 2013;

 

United Kingdom Home Office, Afghanistan, Country of Origin Report, 15.2.2013;

 

United Kingdom Home Office, Afghanistan, Operational Guidance Note, 20.2.2012 und

 

International Organization for Migration, Länderinformationsblatt Afghanistan, Oktober 2012.

 

Der BFV werden die Länderberichte ausgefolgt und wird ihr eine Frist von 14 Tagen zur Abgabe einer allfälligen Stellungnahme gewährt.

 

VI. Ermittlungsermächtigung:

 

VR: Sind Sie damit einverstanden, dass wir in Ihrem Herkunftsstaat Erhebungen unter Verwendung Ihrer personenbezogenen Daten durchführen, wobei diese jedenfalls nicht an staatliche Stellen weitergegeben werden?

 

BF: Ja, Sie können gerne Erhebungen machen.

 

VII. Wohnorte und Familienangehörige der beschwerdeführenden Partei

 

VR: Nennen Sie Ihren letzten Wohnort im Herkunftsstaat, den Namen Ihrer Eltern, allfälliger Geschwister und Kinder sowie den Namen Ihrer allfälligen Ehefrau genau wie möglich. Nennen Sie zu den jeweiligen Personen auch den Namen des jeweiligen Vaters und deren Geburtsdatum.

 

Anmerkung: Die Angaben des BF werden von der D transkribiert und als Anlage 3 zum Akt genommen.

 

VR: Haben Sie Ihr gesamtes Leben in Afghanistan an dieser Adresse verbracht?

 

BF: Nein, ich war ca. 12 Jahre alt, als mein Vater mich nach Herat (Stadt) schickte, dort lebte ich 2 Jahre lang.

 

VR: Was haben Sie in Herat gemacht?

 

BF: Ich habe als Mechaniker gearbeitet.

 

VR: Haben Sie sich diese Arbeit selbst gesucht?

 

BF: Nein. Mein Vater vermittelte mir diese Stelle bei seinen Freunden.

 

VR: Welche Tätigkeiten haben Sie da gemacht?

 

BF: Das war eine Autowerkstatt, in der Autos repariert wurden. Ich habe an den Autos gearbeitet, z.b. musste ich den Motor reinigen. Dort habe ich nur als Hilfsarbeiter ausgeholfen.

 

VR: Konnten Sie sich während Ihrer 2 Jahre in Herat frei bewegen oder waren Sie immer in dieser Werkstatt?

 

BF: Ich hielt mich die ganze Zeit in der Werkstatt auf, weil ich das musste. Man hat mir nicht erlaubt, die Werkstatt zu verlassen. Wir hatten sehr viel Arbeit und mussten ständig arbeiten.

 

VR: D.h. Sie kennen sich in Herat nicht aus?

 

BF: Nein, ich kenne mich sonst in Herat nicht aus, ich weiß nur, dass ich in einem Gebiet namens XXXX aufgehalten habe.

 

VR: Würden Sie dieses Gebiet in Herat wiederfinden?

 

BF: Ja, wenn ich selbst dorthin gehe, dann schon.

 

VR: Wo befindet sich Ihre Familie jetzt?

 

BF: Im Iran, vor ca. 4 Monaten hatte ich sie das letzte Mal angerufen. Ich habe sie nicht mehr angerufen, weil ich mit ihnen gestritten habe. Anfangs sprach ich mit meiner Mutter, danach mit meinem Vater. Mein Vater fragte mich, warum ich nicht arbeiten und ihnen kein Geld schicken würde, das hat mich aufgeregt. Ich habe dann geschimpft und aufgelegt.

 

VR: Haben Sie noch andere Verwandte in Afghanistan?

 

BF: Nein, ich habe sonst niemanden. Mein Onkel väterlicherseits lebt in Pakistan. 2 Tanten väterlicherseits leben im Iran und eine Tante mütterlicherseits auch.

 

VR unterbricht auf Wunsch der BFV die Verhandlung von 13.50h bis 13.55h.

 

BF: Nach Beratung mit meiner Vertreterin ziehe ich die Beschwerde gegen Spruchpunkt I des gegenständlichen Bescheides zurück, die Beschwerden gegen die Spruchpunkte II und III bleiben aufrecht.

 

Ende der Beweisaufnahme."

 

Nach dem Abschluss des Beweisverfahrens wurde das nunmehr auszufertigende Erkenntnis mündlich verkündet.

 

II. Zum entscheidungsrelevanten Sachverhalt:

 

i. Festgestellt wird, dass der Beschwerdeführer ein nunmehr volljähriger, zum Antragszeitpunkt minderjähriger afghanischer Staatsangehöriger ist, dessen Identität nicht feststeht.

 

ii. Weiters wird festgestellt, dass der Beschwerdeführer in Österreich unbescholten ist.

 

iii. Festgestellt wird, dass der Beschwerdeführer keine Verwandten in Afghanistan hat, über keine in Afghanistan mit hinreichender Sicherheit nachgefragte Schul- oder Berufsausbildung bzw. Berufserfahrung verfügt und sich in Afghanistan auch nicht das Wissen angeeignet hat, wie er in einer afghanischen Großstadt seine Grundbedürfnisse befriedigen kann ("Kabul-Erfahrung") und somit das reale Risiko besteht, dass der Beschwerdeführer im Falle der Rückkehr nach Afghanistan in eine hoffnungslose Lage kommen würde.

 

iv. Festgestellt wird, dass in Bezug auf den Beschwerdeführer weder Asylausschlussgründe erkennbar sind noch diesem eine innerstaatliche Fluchtalternative zukommt.

 

Zu. 1.: Die Staatsangehörigkeit ergibt sich aus den Angaben des Beschwerdeführers, hinsichtlich derer keine Hinweise hervorgetreten sind, die deren Unrichtigkeit indizieren. Die Feststellungen zum Alter des Beschwerdeführers ergeben sich einerseits aus dessen Angaben und andererseits aus dem gerichtsmedizinischen Gutachten zur forensischen Altersschätzung, das mit diesen Angaben in Einklang zu bringen ist. Mangels eines Identitätsausweises konnte die Identität des Beschwerdeführers nicht festgestellt werden.

 

Zu 2.: Dies ergibt sich aus einer am 24.6.2013 eingeholten Strafregisterauskunft.

 

Zu 3.: Die Feststellung zum Fehlen von Angehörigen in Afghanistan beruht auf den diesbezüglich nachvollziehbaren Angaben des Beschwerdeführers, dem auch die zur Glaubhaftmachung unbewiesener Tatsachen notwendige persönliche Glaubwürdigkeit zukommt.

 

Hinsichtlich der Schul- und Berufsausbildung ist auf die diesbezüglich nachvollziehbaren Angaben des Beschwerdeführers zu verweisen. Zwar hat der Beschwerdeführer in Herat zwei Jahre lang in einer Autowerkstatt gearbeitet, kann jedoch trotzdem keine entsprechende Berufsausbildung oder -erfahrung vorweisen, da er während dieser Zeit nur Hilfsarbeiten durchgeführt hat; dies ist auch mit dem Alter des Beschwerdeführers, der zwischen seinem 12. und 14. Lebensjahr in der Autowerkstatt gearbeitet hat, in Einklang zu bringen. Alleine eine Tätigkeit als Hilfsarbeiter ohne entsprechende Kenntnis in einem nachgefragten Beruf reicht jedoch nicht mit hinreichender Sicherheit zur Befriedigung der Grundbedürfnisse im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan. Beim Beschwerdeführer kommt diesbezüglich hinzu, dass er sich diesen Beruf nicht selbst gesucht hat sondern als "Kinderhilfsarbeiter" von seinen Eltern weitergegeben wurde, die auch den Lohn für die Arbeit des Beschwerdeführers erhalten haben. Daher fehlt ihm auch jegliche Erfahrung im Bereich der Arbeitssuche in einer afghanischen Großstadt. Hinsichtlich der fehlenden "Kabul-Erfahrung" ist darauf zu verweisen, dass der Beschwerdeführer zwar zwei Jahre in Herat gelebt hat, sich jedoch in dieser Zeit weder in der Stadt bewegen konnte noch selbst Erfahrung mit den sozialen Mechanismen, die zur Befriedigung der Grundbedürfnisse benutzt werden können, gesammelt hat, da er sich die ganze Zeit in der Werkstatt des Arbeitgebers aufhalten musste. Dies ist in Anbetracht dessen, dass der Beschwerdeführer in dieser Zeit zwischen 12 und 14 Jahre alt war und sein "Einkommen" direkt an seine Familie bzw. seinen Vater weitergeleitet wurde, durchaus glaubhaft und mit der tatsächlichen Lage in Afghanistan in Einklang zu bringen.

 

Da der Beschwerdeführer kein soziales Netz in einem sicheren Teil Afghanistans hat, über keine entsprechend nachgefragte Schul- oder Berufsausbildung bzw. Berufserfahrung verfügt und auch keine "Kabul-Erfahrung" gesammelt hat, besteht auf Grund der sozialen Lage in Afghanistan, die sich aus den Länderberichten ergibt, das reale Risiko, dass der Beschwerdeführer im Falle seiner Rückkehr in eine hoffnungslose Lage kommen würde.

 

Zu 4.: Weder hinsichtlich relevanter Asylausschlussgründe noch hinsichtlich einer dem Beschwerdeführer zukommenden innerstaatlichen Fluchtalternative fanden sich Hinweise.

 

III. Rechtlich folgt daraus:

 

1. Der gegenständliche Antrag auf internationalen Schutz wurde am 9.11.2011 gestellt.

 

Gemäß §§ 73 und 75 des Bundesgesetzes über die Gewährung von Asyl, BGBl. I Nr. 100/2005 in der Fassung BGBl. I Nr. 50/2012 und BGBl. Nr. 67/2012 (im Folgenden: "AsylG 2005") ist dieses anzuwenden. Hinsichtlich des Verfahrens vor dem Asylgerichthof sind die einschlägigen Bestimmungen des AsylG 2005 und das Bundesgesetz über den Asylgerichtshof, BGBl. I Nr. 4/2008 in der Fassung BGBl I Nr. 140/2011 (in Folge: "AsylGHG") sowie subsidiär das Allgemeine Verwaltungsverfahrensgesetz 1991, BGBl. Nr. 51/1991 in der Fassung BGBl. I Nr. 100/2011 (in Folge: "AVG") anzuwenden.

 

Schließlich ist das Bundesgesetz über die Zustellung behördlicher Dokumente, BGBl. Nr. 200/1982 in der Fassung BGBl. I Nr. 100/2011 (im Folgenden: ZustG) anzuwenden.

 

Der den oben genannten Antrag erledigende Bescheid des Bundesasylamtes wurde laut Aktenlage am 3.4.2012 rechtmäßig zugestellt und daher zu diesem Zeitpunkt erlassen. Die Beschwerde wurde am 5.4.2012, also binnen der Rechtsmittelfrist von zwei Wochen eingebracht, ist also rechtzeitig und auch aus anderen Gründen nicht unzulässig.

 

Gemäß § 9 Abs. 1 AsylGHG entscheidet der Asylgerichtshof in Senaten, soweit eine Entscheidung durch einen Einzelrichter oder Kammersenat nicht bundesgesetzlich vorgesehen ist. Im vorliegenden Verfahren liegen weder die Voraussetzungen für eine Entscheidung durch einen Einzelrichter nach § 61 Abs. 3 AsylG 2005 noch die für eine Entscheidung durch den Kammersenat nach § 42 AsylG 2005 oder § 11 AsylGHG vor, daher war im Senat zu entscheiden.

 

2. Gemäß § 3 AsylG 2005 ist Asylwerbern auf Antrag der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft gemacht wurde, dass diesen im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A

Z 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955 in der Fassung des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974 (in Folge: GFK), droht und dem Fremden keine innerstaatliche Fluchtalternative gemäß § 11 AsylG 2005 offen steht und dieser auch keinen Asylausschlussgrund gemäß § 6 AsylG 2005 gesetzt hat.

 

Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I (Abweisung des Antrages hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten) wurde in der Verhandlung am 27.6.2013 zurückgezogen, sodass der gegenständliche Spruchteil zum genannten Zeitpunkt in Rechtskraft erwuchs und keinen Gegenstand des Beschwerdeverfahrens mehr darstellte.

 

3. Ist ein Antrag auf internationalen Schutz in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, so ist gemäß § 8 AsylG 2005 in Erledigung des Eventualantrages auf Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten festzustellen, ob dem Antragsteller dieser Status zuzuerkennen ist. Dieser ist dann zuzuerkennen, wenn die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in den Herkunftsstaat wegen des realen Risikos einer Verletzung der Art. 2 und 3 EMRK oder des 6. oder 13. Zusatzprotokolls zur EMRK nicht zulässig ist.

 

Der Beschwerdeführer würde im Falle seiner Rückkehr nach Afghanistan dem realen Risiko unterliegen, in eine hoffnungslose Lage zu geraten. Daher würde die Zurückschiebung, Zurückweisung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Afghanistan eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen.

 

Daher und da der Beschwerdeführer in Österreich unbescholten ist, keine Asylausschlussgründe gesetzt hat und auch keine ihm zukommende innerstaatliche Fluchtalternative zu erkennen ist, war der Beschwerde gegen Spruchpunkt II stattzugeben und dem Beschwerdeführer der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen.

 

4. Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 ist einem Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wird, von der zuerkennenden Behörde gleichzeitig eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter zu erteilen. Die Aufenthaltsberechtigung gilt ein Jahr.

 

Daher war dem Beschwerdeführer gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung für ein Jahr - also bis zum 26.6.2014 - zu erteilen.

 

5. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 ist die Entscheidung, mit der ein Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird, mit einer Ausweisung zu verbinden, sofern diese nicht gemäß § 10 Abs. 2 AsylG 2005 unzulässig ist, weil der beschwerdeführenden Partei ein nicht auf das Asylgesetz gegründetes Aufenthaltsrecht zusteht oder die Ausweisung eine Verletzung von Art. 8 EMRK darstellen würde.

 

Da der Beschwerde gegen Spruchpunkt II des im Spruch bezeichneten Bescheides stattzugeben war, war Spruchpunkt III des im Spruch bezeichneten Bescheides pro forma wegen Wegfallens der gesetzlichen Voraussetzungen zu beheben.

 

6. Es war daher nach Durchführung einer öffentlichen Verhandlung spruchgemäß zu entscheiden und ist nunmehr die schriftliche Ausfertigung des mündlich verkündeten Bescheides zu erlassen.

Schlagworte
alleinstehend, befristete Aufenthaltsberechtigung, individuelle Verhältnisse, subsidiärer Schutz
Zuletzt aktualisiert am
17.07.2013
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten