TE Vfgh Erkenntnis 2013/6/27 G34/2013

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Veröffentlicht am 27.06.2013
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Index

16/02 Rundfunk

Norm

ORF-G §4f Abs2 Z25
EMRK Art10

Leitsatz

Aufhebung der Regelung des ORF-Gesetzes über das Verbot von Verlinkungen zu und sonstigen Kooperationen mit sozialen Netzwerken (sog. "Facebook-Verbot") wegen Verstoßes gegen das Recht auf Meinungsäußerungs- und Rundfunkfreiheit; Verbot der Bereitstellung eines (eigenen) sozialen Netzwerks durch den ORF jedoch sachlich gerechtfertigt im Hinblick auf das Ziel des Schutzes privater Mitbewerber am Rundfunkmarkt

Spruch

I.              1.              Die Wortfolge "sowie Verlinkungen zu und sonstige Kooperationen mit diesen, ausgenommen im Zusammenhang mit der eigenen tagesaktuellen Online-Überblicksberichterstattung" in §4f Abs2 Z25 des Bundesgesetzes über den Österreichischen Rundfunk (ORF-Gesetz, ORF-G), BGBl Nr 379/1984 idF BGBl I Nr 15/2012, wird als verfassungswidrig aufgehoben.

              2.              Frühere gesetzliche Bestimmungen treten nicht wieder in Kraft.

              3.              Der Bundeskanzler ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Bundesgesetzblatt I verpflichtet.

II.              Im übrigen Umfang wird die in Prüfung gezogene Bestimmung nicht als verfassungswidrig aufgehoben.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Anlassverfahren, Prüfungsbeschluss und Vorverfahren

1. Beim Verfassungsgerichtshof ist zur Zahl B484/2012 eine auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde anhängig, der folgender Sachverhalt zugrunde liegt:

Mit Bescheid der Kommunikationsbehörde Austria vom 25. Jänner 2012 stellte diese gemäß §§35, 36 Abs1 Z3 lita, §37 Abs1 ORF-G fest, dass die beschwerdeführende Partei durch die Bereitstellung bestimmter Online-Angebote, nämlich von 39 Auftritten (etwa von Hitradio Ö3, Radio Wien, Willkommen Österreich ua.) in dem sozialen Netzwerk "Facebook" seit 21. Juli 2011 die Bestimmung des §4f Abs2 Z25 ORF-G verletzt habe, wonach der ORF im Rahmen des öffentlich-rechtlichen Auftrags keine Online-Angebote in Form der Kooperation mit sozialen Netzwerken bereitstellen dürfe. Mit Bescheid des Bundeskommunikationssenats vom 25. April 2012 wurde die dagegen erhobene Berufung abgewiesen.

2. Bei der Behandlung der gegen diesen Bescheid gerichteten Beschwerde sind beim Verfassungsgerichtshof Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit der Bestimmung des §4f Abs2 Z25 des Bundesgesetzes über den Österreichischen Rundfunk (ORF-Gesetz, ORF-G), BGBl 379/1984 idF BGBl I 15/2012, entstanden. Der Verfassungsgerichtshof hat daher am 26. Februar 2013 beschlossen, diese Gesetzesbestimmung von Amts wegen auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu prüfen.

3. Der Verfassungsgerichtshof legte seine Bedenken, die ihn zur Einleitung des Gesetzesprüfungsverfahrens bestimmt haben, in seinem Prüfungsbeschluss wie folgt dar:

"3. Der Verfassungsgerichtshof hat das Bedenken, dass die Regelung über das Verbot der Bereitstellung von sozialen Netzwerken sowie von Verlinkungen und Kooperationen mit diesen gegen das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Meinungsäußerungs- und Rundfunkfreiheit verstößt.

3.1. Nach Art10 Abs1 EMRK hat jedermann Anspruch auf freie Meinungsäußerung. Vom Schutzumfang dieser Bestimmung, die das Recht der Freiheit der Meinung und der Freiheit zum Empfang und zur Mitteilung von Nachrichten und Ideen ohne Eingriffe öffentlicher Behörden einschließt, werden sowohl reine Meinungskundgaben als auch Tatsachenäußerungen, aber auch Werbemaßnahmen erfasst. Art10 Abs2 EMRK sieht allerdings im Hinblick darauf, dass die Ausübung dieser Freiheit Pflichten und Verantwortung mit sich bringt, die Möglichkeit von Formvorschriften, Bedingungen, Einschränkungen oder Strafdrohungen vor, wie sie in einer demokratischen Gesellschaft im Interesse der nationalen Sicherheit, der territorialen Unversehrtheit oder der öffentlichen Sicherheit, der Aufrechterhaltung der Ordnung und der Verbrechensverhütung, des Schutzes der Gesundheit und der Moral, des Schutzes des guten Rufes und der Rechte anderer, zur Verhinderung der Verbreitung von vertraulichen Nachrichten oder zur Gewährleistung des Ansehens und der Unparteilichkeit der Rechtsprechung notwendig sind.

Ein verfassungsrechtlich zulässiger Eingriff in die Freiheit der Meinungsäußerung muss sohin, wie auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte ausgesprochen hat (s. zB EGMR 26.4.1979, Fall Sunday Times, EuGRZ1979, 390; 25.3.1985, Fall Barthold, EuGRZ1985, 173), gesetzlich vorgesehen sein, einen oder mehrere der in Art10 Abs2 EMRK genannten rechtfertigenden Zwecke verfolgen und zur Erreichung dieses Zweckes oder dieser Zwecke "in einer demokratischen Gesellschaft notwendig" sein (vgl. VfSlg 12.886/1991, 14.218/1995, 14.899/1997, 16.267/2001 und 16.555/2002).

3.2. Träger des Grundrechts der Meinungsäußerungs- und Rundfunkfreiheit dürfte hier der ORF (als Stiftung öffentlichen Rechts) selbst sein, weil der angefochtene Hoheitsakt (auch) seine Rechtssphäre betreffen dürfte und Art10 Abs2 EMRK verfassungsrechtliche Schranken für die gesetzliche Begrenzung der Ausübung der Rechte nach Art10 Abs1 EMRK enthält (VfSlg 16.468/2002; 19.586/2011).

3.3. Das in §4f Abs2 Z25 ORF-G festgelegte Verbot der Bereitstellung von sozialen Netzwerken sowie von Verlinkungen und sonstigen Kooperationen mit sozialen Netzwerken dürfte in das Grundrecht auf Meinungsäußerungs- und Rundfunkfreiheit insoweit eingreifen, als es der beschwerdeführenden Partei – ausgenommen im Zusammenhang mit der tagesaktuellen Online-Überblicksberichterstattung – damit verwehrt ist, soziale Netzwerke zur Kommunikation mit den auf diesen Plattformen registrierten Personen zu nutzen.

3.4. Der Verfassungsgerichtshof geht vorläufig davon aus, dass dieser Eingriff die beschwerdeführende Partei in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Meinungsäußerungs- und Rundfunkfreiheit verletzen dürfte. Die Regelung dürfte zwar – im Hinblick auf die Finanzierung des ORF durch Programmentgelt – offenbar dem Ziel, private Mitbewerber am Rundfunkmarkt zu schützen und Wettbewerbsverzerrungen zu vermeiden (vgl. 611 BlgNR 24. GP, 5 f.), dienen und damit ein in Art10 Abs2 EMRK genanntes legitimes Ziel, nämlich den Schutz der Rechte anderer, verfolgen. Auch dürfte dem Gesetzgeber nicht entgegenzutreten zu sein, wenn dieser die in Prüfung gezogene Regelung für geeignet erachtet, dieses Ziel zu erreichen, zumal die beschwerdeführende Partei in Österreich eine besondere Stellung im Wettbewerb mit privaten Rundfunkveranstaltern innehat (vgl. VfSlg 16.911/2003 und 17.006/2003).

Fraglich ist aber, ob die in Prüfung gezogene Regelung notwendig zur Erreichung des Zwecks iSd Art10 Abs2 EMRK, private Mitbewerber am Rundfunkmarkt zu schützen, ist. Der Verfassungsgerichtshof vermag vorläufig keine Gründe zu finden, die es rechtfertigen dürften, dem ORF jegliche Nutzung sozialer Netzwerke zu untersagen, zumal er im Zusammenhang mit der eigenen tagesaktuellen Berichterstattung sogar ein soziales Netzwerk betreiben dürfte. Der Verfassungsgerichtshof geht daher vorläufig davon aus, dass die in Prüfung gezogene Regelung die Schranken des Art10 Abs2 EMRK überschreitet.

4. Ob die Prozessvoraussetzungen gegeben sind und die angeführten Bedenken zutreffen, wird im Gesetzesprüfungsverfahren zu klären sein. Insbesondere wird der Frage nachzugehen sein, ob dem Gesetzgeber bei der Regelung eines wettbewerbsintensiven Bereichs wie jenes der Online-Aktivitäten von Rundfunkveranstaltern ein rechtspolitischer Gestaltungsspielraum zukommt, in dessen Rahmen die in Prüfung gezogene Bestimmung – allenfalls zum Teil – liegt (vgl. zum Gestaltungsspielraum im Rundfunkrecht VfSlg 16.911/2003).

5. Im Gesetzesprüfungsverfahren wird zu prüfen sein, ob die in Prüfung gezogene Bestimmung einer Auslegung dahingehend zugänglich ist, dass lediglich das Bereitstellen eines eigenen sozialen Netzwerks sowie Verlinkungen vom Online-Angebot des ORF auf soziale Netzwerke untersagt sind.

Auch wird der Frage nachzugehen sein, ob der Umstand, dass der Regelungskomplex der §§4a ff. ORF-G in Umsetzung der sich aus der Einigung zwischen der EU-Kommission und der Republik Österreich ergebenden Maßnahmen (s. oben III.2.) erlassen wurde, im Zusammenhang mit der Rechtfertigung des oben beschriebenen Eingriffs in die Meinungsäußerungs- und Rundfunkfreiheit von Bedeutung ist."

4. Die Bundesregierung beschloss in ihrer Sitzung am 7. Mai 2013, von der Erstattung einer Äußerung zum Prüfungsbeschluss des Verfassungsgerichtshofes abzusehen.

II. Rechtslage

1. Die Bestimmung des §4f ORF-G, BGBl 379/1984 idF BGBl I 15/2012, lautet wie folgt (die in Prüfung gezogene Gesetzesstelle ist hervorgehoben):

"Bereitstellung weiterer Online-Angebote

§4f. (1) Der Österreichische Rundfunk hat nach Maßgabe der technischen Entwicklung und der wirtschaftlichen Tragbarkeit über das Angebot nach §4e hinaus weitere Online-Angebote bereitzustellen, die einen wirksamen Beitrag zur Erfüllung des öffentlich-rechtlichen Kernauftrags (§4) leisten. Darunter fallen auch Abrufdienste. Solche Angebote dürfen nur nach Erstellung eines Angebotskonzepts (§5a) erbracht werden; sind die Voraussetzungen des §6 erfüllt, ist eine Auftragsvorprüfung (§§6 bis 6b) durchzuführen.

(2) Folgende Online-Angebote dürfen nicht im Rahmen des öffentlich-rechtlichen Auftrags bereitgestellt werden:

1. Anzeigenportale, Anzeigen oder Kleinanzeigen,

2. Branchenregister und -verzeichnisse,

3. Preisvergleichsportale sowie Berechnungsprogramme (z. B. Preisrechner, Versicherungsrechner),

4. Bewertungsportale für Dienstleistungen, Einrichtungen und Produkte, soweit kein Bezug zu einer konkreten Sendung oder zu einem konkreten Angebotsinhalt besteht,

5. Partner-, Kontakt- und Stellenbörsen,

6. Tauschbörsen, sofern sie nicht wohltätigen Zwecken dienen,

7. Business-Networks,

8. Telekommunikationsdienstleistungen (einschließlich Access Providing),

9. Erotikangebote,

10. Billing für Dritte (ausgenommen Konzerngesellschaften des Österreichischen Rundfunks),

11. Glücksspiele und Wetten,

12. Softwareangebote, soweit nicht zur Wahrnehmung des eigenen Angebots erforderlich,

13. Routenplaner, ausgenommen im Zusammenhang mit Verkehrsinformation,

14. Musikdownload von kommerziellen Fremdproduktionen,

15. Spiele und Unterhaltungsangebote, sofern sie nicht einen über §4 Abs1 Z8 ORF-G hinausgehenden Bezug zum öffentlich-rechtlichen Kernauftrag haben; jedenfalls unzulässig sind Spiele und Unterhaltungsangebote, die keinen Sendungs- oder Angebotsbezug haben,

16. SMS-Dienste, ausgenommen solche, die sich auf das eigene Programm oder Angebot beziehen oder sendungsbegleitend im Sinne des §4e Abs3 sind,

17. Suchdienste, ausgenommen solche, die sich auf die eigenen Programme oder Angebote beziehen;

18. Online-Auktionen, ausgenommen nicht-kommerzielle Auktionen für gemeinnützige Zwecke;

19. E-Commerce und E-Banking;

20. Klingeltöne und E-Cards;

21. Fotodownload ohne Sendungsbezug;

22. Veranstaltungskalender, soweit sie nicht Angebote nach §4e Abs1 und §4f Abs1 begleiten und nicht ein umfassendes und eigenständiges Angebot darstellen;

23. Foren, Chats und sonstige Angebote zur Veröffentlichung von Inhalten durch Nutzer; zulässig sind jedoch redaktionell begleitete, nicht-ständige Angebote zur Übermittlung oder Veröffentlichung von Inhalten durch Nutzer in inhaltlichem Zusammenhang mit österreichweit gesendeten Fernseh- oder Hörfunkprogrammen. Voraussetzung für die Veröffentlichung von Nutzerinhalten in solchen Angeboten ist die Registrierung des Nutzers unter Angabe von Vorname und Familienname oder Nachname und der Wohnadresse. Die Registrierung ist nur zulässig, wenn der Nutzer ohne Zwang und in Kenntnis der Sachlage für den konkreten Fall in die Verwendung seiner Daten ausdrücklich eingewilligt hat. Der Österreichische Rundfunk hat Nutzer bei begründetem Verdacht auf unrichtige Registrierungsangaben zum Nachweis der Richtigkeit der Angaben binnen angemessener Frist bei sonstiger Löschung des Registrierungsprofils aufzufordern und Nutzer mit offenkundig unrichtigen Angaben von vornherein von der Registrierung auszuschließen. Die bei der Registrierung übermittelten Daten dürfen zu keinem über die Registrierung hinausgehenden Zweck verwendet werden. Auf Verlangen des Nutzers sind sämtliche Daten, einschließlich des Registrierungsprofils, zu löschen;

24. Verlinkungen, die nicht der Ergänzung, Vertiefung oder Erläuterung eines Eigeninhalts (auch von Beteiligungsunternehmen) dienen; diese dürfen nicht unmittelbar zu Kaufaufforderungen führen;

25. soziale Netzwerke sowie Verlinkungen zu und sonstige Kooperationen mit diesen, ausgenommen im Zusammenhang mit der eigenen tagesaktuellen Online-Überblicksberichterstattung;

26. Fach- und Zielgruppenangebote, die in Form und Inhalt über ein nicht-spezialisiertes Angebot von allgemeinem Interesse hinausgehen, soweit es sich nicht um sendungsbegleitende Angebote handelt; zulässig sind jedenfalls Angebote zu wohltätigen Zwecken;

27. Ratgeberportale ohne Sendungsbezug;

28. eigens für mobile Endgeräte gestaltete Angebote."

2. Zum beihilfenrechtlichen Hintergrund der mit der Novelle BGBl I 50/2010 erlassenen Bestimmungen der §§4a ff. ORF-G (vgl. dazu auch die Erläuterungen zur Regierungsvorlage 611 BlgNR 24. GP, 6 f. und 31 ff.) führte der Verfassungsgerichtshof in seinem Prüfungsbeschluss Folgendes aus:

"[…] Die mit der Novelle BGBl I 50/2010 neu erlassenen Bestimmungen der §§4a ff. ORF-G ergingen in Umsetzung der Anforderungen, welche sich aus der zwischen der Europäischen Kommission und der Republik Österreich im Bei-
hilfenverfahren E2/2008 zustande gekommenen Einigung ergaben (s. die Kommissionsentscheidung vom 28. Oktober 2009, K[2009]8113). Die Kommission hatte dabei die Finanzierung der Online-Dienste des ORF als bestehende Beihilfe qualifiziert, da diese keine wesentliche Änderung des öffentlich-rechtlichen Auftrags des ORF bewirken würden.

Die mit der Kommission getroffene Einigung sah – u.a. gestützt auf die Rundfunkmitteilung (Mitteilung der Kommission über die Anwendung der Vorschriften über staatliche Beihilfen auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, 27.10.2009, ABl. C2009/257) – bestimmte Maßnahmen vor, um die Vereinbarkeit mit den EG-Beihilfevorschriften zu gewährleisten. Dazu zählte insbesondere die genauere Definition des öffentlich-rechtlichen Auftrags für Online-Tätigkeiten durch folgende Maßnahmen: Erschöpfende Aufzählung der im ORF-G zu übertragenden Online-Dienste (tagesaktuelle, sendungsbezogene Online-Überblicksberichterstattung; Begleitung der Fernseh- und Hörfunksendungen mit bestimmten Online-Inhalten; zeitlich beschränkter Abruf ausgestrahlter Inhalte), Ausschluss bestimmter, eindeutig kommerzieller Online-Dienste vom öffentlich-rechtlichen Auftrag ('schwarze Liste'), Beurteilung neuer Angebotskonzepte vor dem Hintergrund der Bedürfnisse der sozialen, kulturellen und demokratischen Bedürfnisse der österreichischen Gesellschaft im Rahmen einer Vorabprüfung sowie Verpflichtung zur Vorlage von Angebotskonzepten für bestimmte, zum Teil schon bestehende Online-Dienste. Dienste, die am Stichtag 31. Jänner 2008 bestanden hatten, und solche, die sich nicht wesentlich vom bereits bestehenden Angebot unterschieden, sollten weiterhin vom ORF erbracht werden können, wobei diesbezüglich Angebotskonzepte vorzulegen wären, um die Auftragskontrolle durch die Regulierungsbehörde zu erleichtern. Neue, dh. erstmals bereitgestellte oder in wesentlichen Aspekten geänderte Angebote hingegen sollten einer Vorabprüfung (Public-Value-Prüfung) unterzogen werden."

III. Erwägungen

1. Das Gesetzesprüfungsverfahren ist zulässig. Es haben sich keine Anhaltspunkte ergeben, die gegen die vorläufige Annahme des Verfassungsgerichtshofes über die Zulässigkeit der Beschwerde und die Präjudizialität der in Prüfung gezogenen Bestimmung sprechen würden. Auch sonst sind keine Prozesshindernisse hervorgekommen.

2. Die im Prüfungsbeschluss aufgeworfenen Bedenken des Verfassungsgerichtshofes erweisen sich als zutreffend.

2.1. Nach Art10 Abs1 EMRK hat jedermann Anspruch auf freie Meinungsäußerung. Vom Schutzumfang dieser Bestimmung, die das Recht der Freiheit der Meinung und der Freiheit zum Empfang und zur Mitteilung von Nachrichten und Ideen ohne Eingriffe öffentlicher Behörden einschließt, werden sowohl reine Meinungskundgaben als auch Tatsachenäußerungen, aber auch Werbemaßnahmen erfasst. Art10 Abs2 EMRK sieht allerdings im Hinblick darauf, dass die Ausübung dieser Freiheit Pflichten und Verantwortung mit sich bringt, die Möglichkeit von Formvorschriften, Bedingungen, Einschränkungen oder Strafdrohungen vor, wie sie in einer demokratischen Gesellschaft im Interesse der nationalen Sicherheit, der territorialen Unversehrtheit oder der öffentlichen Sicherheit, der Aufrechterhaltung der Ordnung und der Verbrechensverhütung, des Schutzes der Gesundheit und der Moral, des Schutzes des guten Rufes und der Rechte anderer, zur Verhinderung der Verbreitung von vertraulichen Nachrichten oder zur Gewährleistung des Ansehens und der Unparteilichkeit der Rechtsprechung notwendig sind.

Ein verfassungsrechtlich zulässiger Eingriff in die Freiheit der Meinungsäußerung muss sohin, wie auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte ausgesprochen hat (s. zB EGMR 26.4.1979, Fall Sunday Times, EuGRZ1979, 390; 25.3.1985, Fall Barthold, EuGRZ1985, 173), gesetzlich vorgesehen sein, einen oder mehrere der in Art10 Abs2 EMRK genannten rechtfertigenden Zwecke verfolgen und zur Erreichung dieses Zweckes oder dieser Zwecke "in einer demokratischen Gesellschaft notwendig" sein (vgl. VfSlg 12.886/1991, 14.218/1995, 14.899/1997, 16.267/2001 und 16.555/2002).

2.2. Das in §4f Abs2 Z25 ORF-G festgelegte Verbot der Bereitstellung von sozialen Netzwerken sowie von Verlinkungen und sonstigen Kooperationen mit sozialen Netzwerken greift in das Grundrecht auf Meinungsäußerungs- und Rundfunkfreiheit insoweit ein, als es dem ORF verwehrt ist (ausgenommen im Zusammenhang mit der tagesaktuellen Online-Überblicksberichterstattung), soziale Netzwerke zur Kommunikation mit den auf diesen Plattformen registrierten Personen zu nutzen.

2.3. Die Regelung dient – im Hinblick auf die Finanzierung des ORF durch Programmentgelt – offenbar dem Ziel, private Mitbewerber am Rundfunkmarkt zu schützen und Wettbewerbsverzerrungen zu vermeiden (vgl. 611 BlgNR 24. GP, 5 f.), und verfolgt damit ein in Art10 Abs2 EMRK genanntes legitimes Ziel, nämlich den Schutz der Rechte anderer. Auch ist dem Gesetzgeber nicht entgegenzutreten, wenn dieser die in Prüfung gezogene Regelung für geeignet erachtet, dieses Ziel zu erreichen, zumal die beschwerdeführende Partei in Österreich eine besondere Stellung im Wettbewerb mit privaten Rundfunkveranstaltern innehat (vgl. VfSlg 16.911/2003 und 17.006/2003).

2.4. Die in Prüfung gezogene Regelung erweist sich jedoch nur zum Teil als notwendig zur Erreichung des Ziels iSd Art10 Abs2 EMRK, private Mitbewerber am Rundfunkmarkt zu schützen. Im Gesetzesprüfungsverfahren ist hervorgekommen, dass die Bedenken des Verfassungsgerichtshofes nur für einen Teil der angefochtenen Bestimmung zutreffen, weshalb der Verfassungsgerichtshof zum Ergebnis gelangt, dass die Wortfolge "sowie Verlinkungen zu und sonstige Kooperationen mit diesen, ausgenommen im Zusammenhang mit der eigenen tagesaktuellen Online-Überblicksberichterstattung" verfassungswidrig ist:

2.4.1. Der Verfassungsgerichtshof bleibt bezüglich dieser Gesetzesstelle bei seiner Auffassung, dass die Regelung des §4f Abs2 Z25 ORF-G über das Verbot von Verlinkungen zu und sonstigen Kooperationen mit sozialen Netzwerken unverhältnismäßig ist und daher gegen das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Meinungsäußerungs- und Rundfunkfreiheit verstößt. Besondere Umstände, die den Eingriff in dieses Grundrecht zu rechtfertigen vermögen, sind weder vorgebracht worden noch sonst im Verfahren hervorgekommen.

2.4.2. Zwar liegt – wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 22. Oktober 2012, 2012/03/0070, zutreffend festgestellt hat – das Verbot des Bereitstellens eines sozialen Netzwerks in jenem Gestaltungsspielraum, der dem Gesetzgeber bei der Regelung eines wettbewerbsintensiven Bereichs wie jenes der Online-Aktivitäten von Rundfunkveranstaltern zukommt. Es ist sachlich gerechtfertigt und entspricht dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, dass der ORF kein soziales Netzwerk in dem Sinn bereitstellen darf, dass er selbst als Veranstalter dieses Netzwerks auftritt.

Es ist jedoch nicht mehr verhältnismäßig, wenn dem ORF in §4f Abs2 Z25 ORF-G Verlinkungen zu sozialen Netzwerken und "sonstige Kooperationen mit diesen" (ausgenommen im Zusammenhang mit der eigenen tagesaktuellen Online-Überblicksberichterstattung) schlechthin untersagt werden, woraus jedoch nicht folgt, dass der Gesetzgeber daran gehindert wäre, Kooperationen insoweit zu untersagen, als diese der Bereitstellung eines eigenen sozialen Netzwerkes gleichkämen.

2.5. Im Prüfungsbeschluss wurde erwogen, ob die in Prüfung gezogene Bestimmung einer Auslegung dahingehend zugänglich sei, dass lediglich das Bereitstellen eines eigenen sozialen Netzwerks sowie Verlinkungen vom Online-Angebot des ORF auf soziale Netzwerke untersagt seien. Anhaltspunkte für eine einschränkende Auslegung dahingehend, dass §4f Abs2 Z25 ORF-G lediglich die Bereitstellung eines eigenen sozialen Netzwerks, nicht aber die Teilnahme an einem bestehenden sozialen Netzwerk verbietet, sind im Gesetzesprüfungsverfahren nicht hervorgekommen und vermag der Verfassungsgerichtshof im Hinblick auf die Auslegung des Begriffs der "sonstigen Kooperationen" durch den Verwaltungsgerichtshof in dessen Erkenntnis vom 22. Oktober 2012, 2012/03/0070, auch nicht zu erkennen.

2.6. Auch wurde im Prüfungsbeschluss die Frage aufgeworfen, ob der Umstand, dass der Regelungskomplex der §§4a ff. ORF-G in Umsetzung der sich aus der Einigung zwischen der EU-Kommission und der Republik Österreich (s. die Kommissionsentscheidung vom 28. Oktober 2009, K[2009]8113) ergebenden Maßnahmen erlassen wurde, im Zusammenhang mit der Rechtfertigung des Eingriffs in die Meinungsäußerungs- und Rundfunkfreiheit von Bedeutung sei. Aus dem EU-Beihilfenrecht ergibt sich aber keine (unionsrechtliche) Verpflichtung zur Erlassung einer Regelung wie der in Prüfung gezogenen Bestimmung.

3. Die Wortfolge "sowie Verlinkungen zu und sonstige Kooperationen mit diesen, ausgenommen im Zusammenhang mit der eigenen tagesaktuellen Online-Überblicksberichterstattung" in der in Prüfung gezogenen Gesetzesbestimmung ist daher aufzuheben. Weiters ist auszusprechen, dass die in Prüfung gezogene Bestimmung im Übrigen nicht als verfassungswidrig aufzuheben ist. Die Bestimmung des §4f Abs2 Z25 ORF-G wird dadurch insofern nicht in ihrem Sinngehalt verändert, als davon auszugehen ist, dass sich die Ausnahme des Falls der eigenen tagesaktuellen Online-Überblicksberichterstattung – anders als noch im Prüfungsbeschluss vorläufig angenommen – lediglich auf die Verlinkungen und sonstigen Kooperationen, nicht aber auf den Betrieb eines sozialen Netzwerks an sich bezieht.

IV. Ergebnis

1. Die Wortfolge "sowie Verlinkungen zu und sonstige Kooperationen mit diesen, ausgenommen im Zusammenhang mit der eigenen tagesaktuellen Online-Überblicksberichterstattung" in §4f Abs2 Z25 ORF-G ist daher wegen Verstoßes gegen das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Meinungsäußerungs- und Rundfunkfreiheit als verfassungswidrig aufzuheben.

2. Es ist auszusprechen, dass die in Prüfung gezogene Bestimmung im übrigen Umfang nicht als verfassungswidrig aufzuheben ist.

3. Der Ausspruch, dass frühere gesetzliche Bestimmungen nicht wieder in Kraft treten, beruht auf Art140 Abs6 erster Satz B-VG.

4. Die Verpflichtung des Bundeskanzlers zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung und der damit im Zusammenhang stehenden sonstigen Aussprüche erfließt aus Art140 Abs5 erster Satz B-VG und §64 Abs2 VfGG iVm §3 Z3 BGBlG.

5. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

Rundfunk, Meinungsäußerungsfreiheit, Rundfunkfreiheit, Auslegung eines Gesetzes, VfGH / Verwerfungsumfang

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2013:G34.2013

Zuletzt aktualisiert am

08.08.2014
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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