E12 421.325-1/2011/8E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Der Asylgerichtshof hat durch die Richterin Dr. ZOPF als Vorsitzende und den Richter Dr. STEININGER als Beisitzer über die Beschwerde des XXXX, geb. XXXX, StA. Islamische Republik Pakistan, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 02.09.2011, Zl. 11 07.021-BAL, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Die Beschwerde wird gemäß §§ 3, 8 Abs. 1 Z. 1 und 10 Abs. 1 Z. 2 AsylG 2005, BGBl I 2005/100 idgF, als unbegründet abgewiesen.
Entscheidungsgründe:
I. Der Asylgerichtshof nimmt den nachfolgenden Sachverhalt als erwiesen an:
I.1. Bisheriger Verfahrenshergang
I.1.1. Der Beschwerdeführer (in weiterer Folge: BF), ein Staatsangehöriger der Islamischen Republik Pakistan (in weiterer Folge: Pakistan), brachte am 11.7.2011 beim Bundesasylamt (BAA) nach illegaler Einreise einen Antrag auf internationalen Schutz ein. Dazu wurde er erstbefragt und zu den im Akt ersichtlichen Daten von einem Organwalter des BAA niederschriftlich einvernommen. Der Verlauf dieser Einvernahmen ist im angefochtenen Bescheid im Wesentlichen wieder gegeben, weshalb an dieser Stelle hierauf verwiesen wird.
Als Begründung für das Verlassen des Herkunftsstaates brachte der BF im Verfahren vor der belangten Behörde im Wesentlichen vor, dass sein Onkel den Vater des BF im Zuge eines Grundstücksstreites getötet habe. Der Onkel habe 4 Söhne und der BF sei der einzige Sohn seines Vaters. Er sei geflüchtet, weil er sich gegen sie nicht wehren hätte können.
I.1.2. Der Antrag des BF auf internationalen Schutz wurde folglich mit im Spruch genannten Bescheid des BAA gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 abgewiesen und der Status eines Asylberechtigten nicht zuerkannt (Spruchpunkt I.). Gem. § 8 Abs. 1 Z. 1 AsylG wurde der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Pakistan nicht zugesprochen (Spruchpunkt II.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z. 2 AsylG wurde die Ausweisung aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Pakistan verfügt (Spruchpunkt III.).
I.1.2.1. Im Rahmen der Beweiswürdigung erachtete die belangte Behörde das Vorbringen des BF als unglaubwürdig und führte hierzu im Wesentlichen aus:
Der BF sei nicht in der Lage gewesen, die Ermordung seines Vaters detailliert und so zu schildern, dass der Eindruck gewonnen werden konnte, dass er dabei anwesend gewesen sei. Er habe lediglich geschildert, dass der Vater den Cousin im Zuge eines Streites schlug, als der Vater auf dem Weg zur Moschee gewesen sei, sei er von seinen Bruder erschossen worden. Als der BF hin gelaufen sei, habe der Onkel auch auf ihn geschossen. Der Vater sei auf dem Weg ins Spital gestorben. Warum der BF beispielsweise in der Nähe des Friedhofs gewesen sei, wohin er geflüchtet war, als sein Onkel auf ihn schoss, wie der BF bzw. andere Personen seinem Vater halfen, derartige Umstände habe er in keiner Weise erwähnt. Es wäre aber zu erwarten gewesen, dass der BF als junger Mann, dessen Vater vom eigenen Bruder angeschossen wird, die Vorfälle besonders detailreich schildern könne. Trotz wiederholt eingeräumter Möglichkeit sei der BF aber bei seiner Kurzversion geblieben. Befragt, in welches Spital der Vater gebracht worden sei, habe der BF zunächst angegeben, dass das Spital in Peschawar gewesen sei. "Wir" - gemeint offensichtlich der BF und weitere Personen - hätten das Spital aber nicht erreicht, da der Vater auf dem Weg dorthin verstarb. Befragt, wo der Vater verstarb, wich der BF der Frage aus und gab allgemein an: "mitten am Weg" in einem Dorf, ohne das Dorf zu nennen. Dann habe der BF seinen Sachvortrag geändert, indem er angab, sein Schwiegervater habe den Vater ins Spital gebracht.
Nicht schlüssig erscheine in diesem Zusammenhang auch, dass der Onkel die Grundstücksanteile der Tante sowie des Vaters des BF gefordert habe, da er ein Spieler sei und deswegen bereits sein eigenes Grundstück verkaufen musste.
Laut Angaben des BF hätte der Onkel nach dem Tod des Vaters leichtes Spiel gehabt und hätte die Grundstücke des Vaters einnehmen können. Der BF habe aber diesbezüglich danach gefragt angegeben, dass diese Grundstücke nunmehr von seiner Tante bewirtschaftet würden. Unter Berücksichtigung der Stellung einer Frau in Pakistan, würde man die Augen vor der Realität schließen, wenn man annimmt, der Onkel hätte nicht - auch bei Weigerung der Tante - die Grundstücke des Vaters des BF eingenommen. Wenn der BF diesbezüglich ausführte, Frauen hätten bzgl. Grundstücksstreitigkeiten keine Probleme, widerspreche dies dem Amtswissen, wonach Männer in der pakistanischen Gesellschaft das Sagen hätten. Zudem sei im Falle von Grundstücksstreitigkeiten zwischen Onkel und Tante nicht nachvollziehbar, dass diese nach der Ermordung des Vaters des BF nicht fluchtartig das Dorf verlassen hätte, da sie damit rechnen musste, ebenfalls ermordet zu werden. Der Umstand, dass die Tante mit ihrer Familie noch immer im Haus des Vaters des BF lebt und auch die Grundstücke bewirtschaftet, hinterlasse den Eindruck, dass die vom BF behauptete Bedrohungssituation nicht den Tatsachen entspricht. In diesem Zusammenhang sei auch nicht nachvollziehbar, dass sich der BF zwischen dem Mord am Vater und Ausreise noch 40 Tage im Heimatort aufgehalten hat. Daran könne auch seine Erklärung, er sei nicht mehr nach Hause gegangen, der Schwiegervater habe im Dorf gewohnt, der BF außerhalb, nichts ändern.
Der BF habe auch trotz mehrmaliger Befragung nicht angeben können, wann sein Vater verstarb. Es müsse aber zumindest davon ausgegangen werden könne, dass eine ungefähre zeitliche Einordnung der Geschehnisse jederzeit möglich sein müsste, insbesondere unter Berücksichtigung des Umstandes, dass es sich beim BF um einen jungen gesunden Mann handelt und er auch angab, dass sein Vater vor dem Fastenmonat verstorben sei. Erst nach mehrmaliger Befragung, zu welcher Jahreszeit der Vater gestorben sei, sei der BF dieser Frage zunächst ausgewichen, indem er angab, es sei weder kalt noch warm gewesen, bevor er angab, dass der Vater glaublich im Juni oder Juli 2010 ermordet worden sei.
Auch die Ungereimtheiten bei der Schilderung der Reiseroute seien ein Indiz für die Unglaubwürdigkeit des BF.
Soweit der BF vorgebracht habe, Paschtunen seien in Pakistan nicht sicher, könne dieser Schilderung nicht gefolgt werden. Aus den Länderfeststellungen gehe vielmehr hervor, dass die Paschtunen neben den Punjabis zu den beiden größten Volksgruppen Pakistans gehören. Es gäbe keine Hinweise, dass die Sicherheit von Paschtunen nicht gewährleistet sei.
I.1.2.2. Zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in Pakistan traf das Bundesasylamt ausführliche Feststellungen.
I.1.2.3. Rechtlich führte das Bundesasylamt aus, dass weder ein unter Art. 1 Abschnitt A Ziffer 2 der GKF noch unter § 8 Abs. 1 AsylG zu subsumierender Sachverhalt hervorkam. Ebenso stelle eine Ausweisung keinen unzulässigen Eingriff in das durch Art. 8 EMRK geschützte Recht auf ein Privat- und Familienleben des BF dar.
I.1.2.4. Hinsichtlich des Inhaltes des angefochtenen Bescheides im Detail wird auf den Akteninhalt (VwGH 16. 12. 1999, 99/20/0524) verwiesen.
I.1.3. Gegen den angefochtenen Bescheid wurde mit im Akt ersichtlichen Schriftsatz innerhalb offener Frist Beschwerde erhoben. Neben Wiederholungen sowie allgemeinen rechtlichen und sonstigen Ausführungen brachte der BF im Wesentlichen vor:
Der angefochtene Bescheid werde wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit und Mangelhaftigkeit des Verfahrens sowie wegen unrichtiger und fehlender Sachverhaltsfeststellung angefochten. Die Behörde sei ihrer amtswegigen Verpflichtung zur Wahrheitsermittlung nicht ausreichend nachgekommen und habe den BF auch nicht angeleitet, ergänzende Angaben zu machen. Das Ermittlungsverfahren sei weder vollständig noch ordnungsgemäß erfolgt. Die Feststellungen des BAA beschränken sich lediglich auf allgemeine Informationen. Es habe das Vorbringen des BF nicht anhand der konkret entscheidungsrelevanten aktuellen Situation gewürdigt. Der BF habe ausreichend konkrete Antworten gegeben und viele Details genannt. Es wäre Sache des BAA gewesen, die Angaben zu hinterfragen. Der Erstbefragung komme nur untergeordnete Bedeutung zu, zudem sei sie sehr kurz gewesen und habe es Verständigungsschwierigkeiten gegeben. Ferner sei das Recht des BF auf Parteiengehör verletzt worden, indem ihm nicht alle Ergebnisse des Beweisverfahrens in formeller Weise vorgehalten wurden. Der BF beantrage daher seine neuerliche Einvernahme im Rahmen einer mündlichen Verhandlung.
I.1.4. Mit Schreiben des Asylgerichtshofes vom 6.6.2013 wurden den Verfahrensparteien die aktuellen, im Kern nicht von der Beurteilung durch das BAA abweichenden Länderfeststellungen zur maßgeblichen asyl- und abschieberelevanten Lage in Pakistan mit der Einladung übermittelt., dazu binnen 2 Wochen eine schriftliche Stellungnahme abzugeben. Der BF wurde gleichzeitig aufgefordert, binnen dieser Frist auch allfällige seine Integration begründenden Umstände bekannt zu geben bzw. zu belegen.
I.1.5. Mit Schreiben vom 20.6.2013 führte der BF im Wesentlichen aus, dass sich der Inhalt der Länderberichte im Wesentlichen mit seinen Vorstellungen decke und diesen nicht entgegen getreten werde. Der BF habe mehrere Deutschkurse absolviert. Kürzlich habe er sich an den Aufräumarbeiten nach dem Hochwasser beteiligt, da ihm eine Arbeitsaufnahme nach den geltenden Bestimmungen verwehrt sei. Ferner übermittle der BF einen Arztbrief und Unterlagen bgzl. einer Augenerkrankung. Der BF habe keine Bindungen mehr zu Pakistan. Er habe keine Geschwister, die Eltern seien verstorben.
I.1.6. Hinsichtlich des Inhaltes der Beschwerde im Detail und des weiteren Vorbringens wird auf den Akteninhalt (VwGH 16. 12. 1999, 99/20/0524) verwiesen.
Hinsichtlich des Verfahrensherganges im Detail wird ebenfalls auf den Akteninhalt verwiesen.
I.2. Basierend auf das Ergebnis des Beweisverfahrens sind folgende
Feststellungen zu treffen:
I.2.1. Der Beschwerdeführer:
Beim BF handelt es sich um einen pakistanischen Staatsangehörigen, welcher sich zum Mehrheitsglauben des Islam bekennt. Der BF ist ein
25 - jähriger, gesunder, arbeitsfähiger Mann mit bestehenden
familiären Anknüpfungspunkten in dessen Herkunftsstaat und einer -wenn auch auf niedrigerem Niveau als in Österreich- gesicherten Existenzgrundlage.
Eine Tante väterlicherseits und 2 Onkel mütterlicherseits leben nach wie vor in Pakistan.
Der BF hat die Grund- und die Hauptschule besucht, spricht die Sprachen Urdu und Paschtu und gehört zur Volksgruppe der Paschtunen.
Der BF hat seinen Lebensunterhalt in Pakistan als Landwirt bestritten.
Der BF hat keine relevanten familiären und privaten Anknüpfungspunkte in Österreich.
Die Identität des BF steht nicht fest.
Am 30.10.2012 erfolgte am linken Auge eine endoskopische Tränenwegschienung.
Der BF hat in der Zeit von 3. bis 6.6.2013 bei Aufräumarbeiten nach dem Hochwasser geholfen.
Der BF hat 3 Deutschkurse im Ausmaß von 48, 80 und 40 Einheiten besucht.
I.2.2. Die Lage im Herkunftsstaat Pakistan:
Allgemeine Lage
Staatsaufbau, Politik, Wahlen
Die pakistanische Bevölkerung wird mit Stand Juli 2012 auf über 190.290.000 geschätzt. Pakistan ist damit der sechstbevölkerungsreichste Staat der Welt.
(CIA - Central intelligence Agency: World Factbook, 5.2.2013, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/pk.html, Zugriff 7.2.2013)
Pakistan ist abwechselnd von demokratisch gewählten Regierungen und von Militärdiktaturen regiert worden. Im Herbst 2008 kehrte Pakistan zu demokratischen Verhältnissen zurück, nachdem der seit 1999 regierende Militärherrscher Musharraf das Land verlassen hatte, um einem drohenden Amtsenthebungsverfahren zuvorzukommen.
Als sein Nachfolger wurde am 06.09.2008 Asif Ali Zardari, Witwer der am 27.12.2007 bei einem Attentat getöteten Benazir Bhutto und Ko-Vorsitzender der Pakistan People's Party PPP, zum neuen Präsidenten Pakistans gewählt. Pakistan wird seitdem von einer Koalitionsregierung unter Führung der PPP regiert.
(AA - Auswärtiges Amt: Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Pakistan vom 2.11.2012, Stand: September 2012)
Pakistan ist ein Bundesstaat mit den vier Provinzen Punjab, Sindh, Baluchistan, Khyber Pakhtunkhwa (ehemals North West Frontier Province / NWFP) und den "Federally Administered Tribal Areas" (FATA). Die pakistanische Verfassung bestimmt, dass die vom Parlament beschlossenen Gesetze in FATA nur gelten, wenn dies der Präsident explizit anordnet. Daneben kontrolliert Pakistan die Gebiete von Gilgit-Baltistan (die früheren "Northern Areas") und Azad Jammu & Kashmir (AJK - "freies Kaschmir"), den auf der pakistanischen Seite der Demarkationslinie ("Line of Control") zwischen Indien und Pakistan liegende Teil Kaschmirs. Beide Gebiete werden offiziell nicht zum pakistanischen Staatsgebiet gerechnet. Gilgit-Baltistan hat im September 2009 eine Teilautonomie erhalten. Es war bislang von Islamabad aus regiert worden. AJK genießt ebenfalls Autonomie, ist aber finanziell von der Zentralregierung in Islamabad abhängig.
Die gesetzgebende Gewalt in Pakistan liegt beim Parlament. Das Parlament besteht aus zwei Kammern, der Nationalversammlung und dem Senat. Daneben werden in den Provinzen Pakistans Provinzversammlungen gewählt. Die Nationalversammlung umfasst 342 Abgeordnete, von denen 272 direkt vom Volke gewählt werden. Es gilt das Mehrheitswahlrecht. 60 Sitze sind für Frauen, 10 weitere für Vertreter religiöser Minderheiten reserviert. Die reservierten Sitze werden auf die in der Nationalversammlung vertretenen Parteien entsprechend ihrem Stimmenanteil verteilt. Die Legislaturperiode dauert fünf Jahre.
Im April 2010 wurde eine weitreichende Verfassungsreform verabschiedet, die von einem parteiübergreifenden Parlamentsausschuss seit Juni 2009 vorbereitet worden war. Ziel der Kommission war es, zur Grundgestalt der unter Präsident Zulfikar A. Bhutto 1973 verabschiedeten Verfassung zurückzukehren, die nach zahlreichen Eingriffen der Militärherrscher Zia ul Haq und Musharraf fast bis zur Unkenntlichkeit verändert worden war. Kernelemente der vorgenommenen Verfassungsänderungen sind eine Stärkung der Position des Premierministers bei gleichzeitiger Schwächung der Machtbefugnisse des Präsidenten, eine Stärkung des Föderalismus durch eine deutliche Ausweitung der Kompetenzen der Provinzen gegenüber der Zentralregierung, eine Stärkung der Unabhängigkeit der Justiz durch ein neues Ernennungsverfahren für die obersten Richter und die Einführung zweier neuer Grundrechte: des Rechts auf Information und des Rechts auf Erziehung.
Am 19. Juni 2012 wurde Premierminister Gilani vom Obersten Gerichtshof für abgesetzt erklärt. Grund dafür war, dass Gilani sich geweigert hatte, einen Beschluss des Obersten Gerichtshofs im Zusammenhang mit Korruptionsverfahren gegen Präsident Zardari umzusetzen. Am 22. Juni 2012 wurde der PPP-Politiker Ashraf mit den Stimmen der Regierungskoalition zum Nachfolger Gilanis gewählt.
(AA - Auswärtiges Amt: Pakistan - Innenpolitik, Stand: Oktober 2012, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Pakistan/Innenpolitik_node.html, Zugriff 14.2.2013)
Gilani hatte die Vorwürfe bestritten und argumentiert, dass der Präsident als Staatsoberhaupt Immunität besäße. Bei dem Verfahren gegen den Premierminister handelt es sich um eine Facette des Konfliktes zwischen Regierung und Justiz, hinter der das Militär vermutet wird.
(BBC News: Pakistani PM Gilani guilty of contempt but spared jail, 26.4.2012, http://www.bbc.co.uk/news/world-asia-17848796, Zugriff 14.2.2013)
Das pakistanische Parlament hat Raja Pervez Ashraf mit großer Mehrheit zum Nachfolger des entmachteten Regierungschefs Yousuf Raza Gilani gewählt. 211 der 342 Abgeordneten stimmten laut Parlamentspräsidentin Fehmida Mirza für den Kandidaten der regierenden Pakistanischen Volkspartei (PPP). Ashraf gehört wie Präsident Asif Ali Zardari und sein Vorgänger Gilani der PPP an und gilt als enger Vertrauter des Präsidenten.
(Zeit Online: Ashraf ist neuer Regierungschef in Pakistan, 22.6.2012,
http://www.zeit.de/politik/ausland/2012-06/pakistan-regierungschef-ashraf, Zugriff 29.12.2012)
Pakistans Premierminister Ashraf bat die Schweizer Behörden einen alten Korruptionsfall gegen Präsident Asif Ali Zardari zu eröffnen und gibt damit dem Druck des zunehmend mächtiger werdenden Obersten Gerichtshofs nach.
(NDTV: Pakistan Prime Minister asks Swiss to reopen graft case against president, 7.11.2012,
http://www.ndtv.com/article/world/pakistan-prime-minister-asks-swiss-to-reopen-graft-case-against-president-289789, Zugriff 4.2.2013.)
Der Oberste Gerichtshof hatte [Anm. am 15.1.2013] die Verhaftung von Regierungschef Ashraf wegen Korruptionsvorwürfen angeordnet. Während seiner Amtszeit als Energieminister zwischen März 2008 und Februar 2011 soll er mehrere Millionen Dollar Schmiergeld für die Vergabe von Energieprojekten kassiert haben. Doch die zuständige Behörde weigert sich - weil die Ermittlungen schlampig gewesen sind, wie der Chefermittler selbst einräumt. Raja Pervez Ashraf bleibt auf freiem Fuß - vorerst.
(Spiegel-Online: Korruptionsvorwürfe in Pakistan: Fahnder verweigern Festnahme von Premier Ashraf, 17.1.2013, http://www.spiegel.de/politik/ausland/pakistan-ermittler-verweigern-festnahme-von-premierminister-ashraf-a-878081.html, Zugriff 5.2.2013)
Bei aller Unbeliebtheit der Regierung - die Wirtschaft liegt danieder, wichtige Reformen wurden nicht angepackt, die Korruption grassiert weiter - gibt es auch Lichtblicke. Die Zahl terroristischer Anschläge durch Radikalislamisten, Pakistans größtes Sicherheitsproblem, ist zuletzt zurückgegangen, abgesehen von der Stadt Karachi, die von politisch-religiös motivierten Unruhen erfasst ist. Und Erzfeind Indien wurden Handelsliberalisierungen angeboten, ein möglicher Weg, den Dauerkonflikt zu entschärfen.
(Zeit-online: Pakistan - Der Putschgeneral wartet schon, 19.1.2012, http://www.zeit.de/politik/ausland/2012-01/pakistan-regierungskrise/seite-2, Zugriff 4.2.2013)
Seit Monaten bestimmen die im Frühjahr 2013 planmäßig anstehenden Neuwahlen zum Nationalparlament den innenpolitischen Diskurs Pakistans. Obwohl die regierende Pakistan Peoples Party (PPP) unter der Führung von Staatspräsident Ali Asif Zardari nicht müde wird, die historische Bedeutung seiner Amtszeit zu betonen, versäumt es seine Regierung doch, die notwendigen Vorbereitungen und Abstimmungen für fristgerechte Parlamentswahlen zu treffen, und einen nahtlosen Übergang zur nächsten Regierung zu ermöglichen. Am 16. März 2013 endet die fünfjährige Legislaturperiode der 13. Nationalversammlung Pakistans. Damit wird zum ersten Mal in der Geschichte des Landes eine demokratisch gewählte Zivilregierung bis zum Ende ihrer regulären Amtsperiode bestehen. Bis zum Ende des Berichtszeitraums steht allerdings kein Wahltermin fest. Die Regierung verspricht wiederholt, man werde rechtzeitig einen Wahltermin anberaumen, spätestens für Mai 2013. Am 17. März soll eine Übergangsregierung die Amtsgeschäfte übernehmen, die gemäß der Verfassung von der bis dahin amtierenden Regierung in Absprache mit der Führung der Opposition im Parlament, der Pakistan Muslim League unter der Führung von Nawaz Sharif (PML-N), zu ernennen ist.
Die Opposition zeigt sich besorgt, die Wahlen könnten unter dem Vorwand der instabilen Sicherheitslage - insb. in der Millionenmetropole Karatschi und der südwestlichen Provinz Belutschistan (s.u.) - verschoben werden. Mehrere Parteien drängen die Wahlkommission, einen Wahltermin vor Einsetzung einer Übergangsregierung bekannt zu geben. Genährt wird die Sorge um eine Wahlverzögerung auch durch die Entscheidung des Supreme Court of Pakistan, die Wahlkommission möge in Karatschi eine Neufassung der Wahlbezirke entlang ethnischer Grenzen durchführen. Beobachter befürchten, dass nun auch in anderen Landesteilen die Forderung nach neuen Wahlbezirksgrenzen laut werden könnte. Der Zuschnitt der Bezirke ist im Vielvölkerstaat Pakistan oft wahlentscheidend und war in der Vergangenheit bei Wahlgängen regelmäßig erbitterter Streitgegenstand ethno-politischer Partei- und Interessenvertreter.
(HSS - Hanns-Seidel-Stiftung: Quartalsbericht, Pakistan IV/2012, 17.1.2013,
http://www.hss.de/fileadmin/media/downloads/QB/Pakistan_QB_2012_IV.pdf, Zugriff 11.2.2013)
Parlamentswahlen 2008
Aus den Parlamentswahlen am 18. Februar 2008 war die bis dahin oppositionelle Pakistan Peoples Party (PPP) unter der Führung von Asif Ali Zardari, dem Witwer der 2007 ermordeten ehemaligen Premierministerin Benazir Bhutto, als Sieger hervorgegangen. Ihre Parlamentsmehrheit reichte aber für eine Alleinregierung nicht aus. Sie schloss sich deshalb mit der zweitgrößten Partei, der PML-N des ehemaligen Premierministers Nawaz Sharif, und zwei kleineren Parteien zu einer Koalition zusammen. Yousaf Rana Gilani (PPP) wurde am 24. März 2008 zum Premierminister gewählt.
Am 6. September 2008 wurde Zardari von der Nationalversammlung und den vier Provinzversammlungen zum neuen Präsidenten gewählt und am 9. September vereidigt. Politische Differenzen zwischen der PPP und der PML-N hatten wenige Tage zuvor am 25. August 2008 zum Austritt der PML-N aus der Regierungskoalition geführt. Die PPP führte seitdem eine Koalitionsregierung mit der MQM, der viertstärksten Partei im Parlament, sowie den kleineren Parteien ANP und JUI-F. Die JUI-F trat im Dezember 2010 aus der Regierung aus, danach verließ auch die MQM die Regierung. Anfang Mai 2011 gelang es der PPP, die PML-Q, die in der Regierungszeit Musharrafs gegründet worden war, als Koalitionspartner zu gewinnen. Im Sommer 2001 [Anmerkung: Fehler in Quelle, richtig 2011] kehrte auch die MQM in die Regierung zurück, so dass die PPP-Regierung über eine solide Mehrheit im Parlament verfügt. Die nächsten Parlaments- und Präsidentschaftswahlen stehen turnusmäßig im Frühjahr 2013 an.
(AA - Auswärtiges Amt: Pakistan - Innenpolitik, Stand: Oktober 2012, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Pakistan/Innenpolitik_node.html, Zugriff 14.2.2013)
Allgemeine Sicherheitslage
Das Hauptaugenmerk der Armee liegt mehr und mehr auf der Bekämpfung der Taliban und anderer jihadistischer Gruppen, die sich in den vergangenen Jahren zur zentralen Bedrohung des Landes entwickelt haben. 2009 ging die Armee mit zwei größeren Militäroperationen (im Sommer 2009 im Swat-Tal und im Oktober 2009 in Süd-Wasiristan) gegen die Taliban vor, die ihrerseits Anschläge auf militärische Einrichtungen auch außerhalb der umkämpften Gebiete ausübten (z.B. Selbstmordanschlag auf eine Kaserne in Mardan, Khyber-Pakhtunkhwa, am 10. Februar 2011 mit 32 Toten).
Pakistan ist mit einer erheblichen terroristischen Bedrohung durch die Taliban und andere jihadistische Gruppen konfrontiert. In den vergangenen Jahren hatten Talibangruppen in Teilen der sog. "Stammesgebiete" an der Grenze zu Afghanistan eigene Herrschaftsstrukturen etabliert und ihre extrem konservative Interpretation der Scharia durchgesetzt. Wesentliche Menschenrechte und Grundfreiheiten werden in diesen Gebieten verletzt; die Willkür der Taliban richtet sich nicht nur gegen politische Gegner, sondern auch gegen Schiiten und andere Minderheiten. Dabei kommt es auch immer wieder zu Auseinandersetzungen mit so genannten "Lashkars" (Bürgerwehren, mit denen sich einzelne Stämme oder Dörfer gegen die Bedrohung der Taliban zur Wehr setzen).
(AA - Auswärtiges Amt: Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Pakistan, Stand: September 2012)
Seit Ende April 2009 haben sich die militärischen Auseinandersetzungen zwischen dem pakistanischen Militär und den Taliban verschärft. Zuvor hatten die Taliban eine Vereinbarung mit der Provinzregierung von Khyber Pakhtunkhwa im Februar 2009 genutzt, um die Herrschaft im Swat-Tal zu übernehmen und anschließend in zwei Nachbardistrikte vorzurücken. Die Armee antwortete daraufhin am 26. April 2009 mit einer Gegenoffensive und beendete die Taliban-Herrschaft im Swat-Tal. Von Oktober bis Dezember 2009 wurden die Taliban aus Süd-Wasiristan (FATA) vertrieben, einer Region, die von ihnen jahrelang kontrolliert worden war. Daneben finden auch in anderen Teilen der FATA immer wieder Gefechte statt. Die Taliban reagieren auf diese Militäroperationen mit Terroranschlägen, von denen v.a. Khyber Pakhtunkhwa und FATA betroffen sind, die sich aber auch gegen Ziele in pakistanischen Großstädten wie z.B. Karachi, Lahore und Faisalabad richten. Die Terroranschläge halten auch im Jahr 2012 an. Sie zielen vor allem auf Einrichtungen des Militärs und der Polizei. Opfer sind aber auch politische Gegner der Taliban, religiöse Minderheiten sowie Muslime, die nicht der strikt konservativen Scharia-Auslegung der Taliban folgen, wie z.B. die Sufis.
Die pakistanische Regierung steht in dieser Auseinandersetzung vor großen Herausforderungen: Um die militärischen Erfolge zu konsolidieren und einer Rückkehr der Taliban vorzubeugen, müssen in den zurück gewonnenen Gebieten funktionierende zivile Verwaltungsstrukturen etabliert werden, das gilt v.a. für das Rechtssystem. Außerdem muss die wirtschaftliche Entwicklung dieser Gebiete vorangetrieben werden. Schließlich gilt es, die große Zahl interner Flüchtlinge zu bewältigen, die im Sommer 2009 auf die Zahl von 2,7 Mio. angestiegen war. Mittlerweile sind die Bewohner des Swat-Tals wieder zurückgekehrt. Dennoch wird die Zahl der Binnenflüchtlinge, vor allem aufgrund der weitergehenden Kämpfe in den FATA, immer noch auf knapp eine Mio. geschätzt.
(AA - Auswärtiges Amt: Pakistan - Innenpolitik, Stand: Oktober 2012, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Pakistan/Innenpolitik_node.html, Zugriff 14.2.2013)
Militante und terroristische Gruppen, darunter die Tehrik-e-Taliban Pakistan (TTP), eine militante Dachorganisation, zielten auf Zivilisten, Journalisten, Schulen, lokale Führungspersönlichkeiten, Sicherheitskräfte und Mitglieder der Strafverfolgungsbehörden ab. Außerdem waren auch Angehörige von religiösen Minderheiten ein Ziel.
Die Regierung versuchte durch verschiedene Maßnahmen die Bevölkerung zu schützen. So wurden Aktionen gesetzt, um die terroristischen Gruppen zu schwächen und die Rekrutierung durch militante Gruppen einzuschränken. Es wurde gegen Mitglieder krimineller Banden und Kommandanten der TTP vorgegangen. Die Regierung betreibt auch weiterhin ein Zentrum zur Rehabilitation und Erziehung ehemaliger Kindersoldaten in Swat.
(USDOS - United States Department of State: Country Report on Human Rights Practices 2011, 24.5.2012)
Die Sicherheitslage im Punjab, in Kaschmir und Islamabad hat sich im Jahr 2011 wesentlich verbessert. In den Provinzen Khyber Pakhtunkhwa, Belutschistan und den FATA ist die Zahl der gewalttätigen Zwischenfälle im Jahr 2011 jedoch gestiegen. Insgesamt gab es im Jahr 2011 in Pakistan 1.966 terroristische Anschläge. Dabei wurden 2.391 Menschen getötet. Zählt man die Opfer der terroristischen Anschläge, der militärischen Operationen, der Drohnen, der ethno-politischen Gewalt, der Gewalt zwischen verschiedenen Stämmen und der grenzüberschreitenden Gewalt zusammen, wurden im Jahr 2011 in Pakistan bei 2.985 Zwischenfällen 7.107 Menschen getötet und 6.736 verletzt.
Die Gewaltvorfälle gingen damit um 12 Prozent im Vergleich zu 2010 zurück (22 Prozent im Vergleich zu 2009), die Zahl der Todesopfer um 29 Prozent. Der Trend eines insgesamten Rückgangs von Gewaltvorfällen und Opferzahlen, der bereits im Jahr 2010 beobachtet werden konnte, hielt somit auch 2011 an. Die Sicherheitslage verbesserte sich langsam, die Gewalt hat in den Jahren 2010 und 2011 um 24 Prozent abgenommen. Dennoch gehört Pakistan zu den brisantesten Regionen der Welt.
Sicherheitsanalysten führen verschiedenen Gründe an, welche die Militanten davon abhielten, ihre Angriffe auszudehnen, wie die militärischen Operationen in Teilen der FATA, die gestiegene Überwachung durch die Rechtsdurchsetzungsbehörden und die Verhaftung von 4.219 Terror-Verdächtigen, aber auch die US-Drohnen, die Gespräche zwischen den Militanten und dem Staat und die Dezentralisierung der TTP.
Von den 1.966 terroristischen Anschlägen in ganz Pakistan 2011 fielen allein auf die beiden Unruheprovinzen Khyber Pakhtunkhwa und Belutschistan sowie die FATA zusammengenommen 1.827. Aus Karachi wurden 58 berichtet, aus den anderen Teilen der Provinz Sindh 21, aus dem Punjab 30, aus Gilgit-Baltistan 26, vier aus Islamabad und keine aus Azad Jammu und Kaschmir.
(Pak Institute for Peace Studies: Pakistan Security Report 2011, 4.1.2012, http://san-pips.com/download.php?f=108.pdf, Zugriff 4.2.2013)
Militante, nationalistische und gewalttätige konfessionell motivierte Gruppen führten 2012 in Pakistan 1577 Terrorattacken aus, welche 2.050 Menschen töteten und 3.822 verletzten. Über 61 Prozent - 971 - wurden durch religiös motivierte militante Gruppen, hauptsächlich Tehrik-e-Taliban Pakistan, ausgeführt, die dabei 1.076 Menschen töteten und 2.227 verletzten. Die belutschischen und Sindhi nationalistischen Rebellengruppen führten 404 Anschläge durch, bei denen 437 Menschen getötet und 823 verletzt wurden. In 202 in Bezug auf die Glaubensausrichtung stehenden Terrorakten, die von verbotenen Gruppen, wie der TTP und mit ihr in Beziehung stehenden Gruppen ausgeführt wurden, wurden 537 Menschen getötet und 772 verletzt.
Mit 474 wurde die höchste Anzahl an Terroranschlägen 2012 aus Belutschistan berichtet, welches seit Jahren ein Unruheherd nationalistischer Rebellen und interkonfessioneller Gewalt ist. Die durch die Taliban und Militante heimgesuchten Khyber Pakhtunkhwa und die FATA sind die zweit- und drittbrisanteste Region des Landes mit 456 respektive 388 Terroranschlägen. 187 Terroranschläge wurden aus Karatschi gemeldet und 28 aus anderen Teilen Sindhs, 26 aus Gilgit Baltistan, 17 aus dem Punjab und eine aus der Bundeshauptstadt Islamabad. Das zweite Jahr in Folge gab es keinen berichteten Terroranschlag aus Azad Jammu und Kaschmir.
Es gab diverse Taktiken durch die Terroristen: eine erhebliche Zahl dieser Anschläge, 587 bzw. 37 Prozent, waren gezielte Tötungen (in diesem Wert sind 177 Fälle politisch motivierter gezielter Tötungen nicht inkludiert). Andere signifikante Taktiken waren u.a. Selbstmordanschläge (33), improvisierte Sprengkörper (375 Anschläge), ferngesteuerte Bombenexplosionen (139), Handgranaten
(75) oder Köpfungen (9).
Die höchste Anzahl an berichteten Todesopfern bei Anschlägen gab es in der FATA und in Belutschistan, 631 Personen wurden in jeder der beiden Regionen getötet, 1.095 wurden in der FATA bei den Attentaten verletzt, 1.032 in Belutschistan. In Khyber Pakhtunkhwa wurden bei Anschlägen 401 Menschen getötet und 1.081 verletzt. Eine signifikante Anzahl von Toten bei Terrorakten wird auch von Karatschi berichtet, 272 Tote und 352 Verletzte. Terroranschläge töteten 17 Menschen im inneren Sindh und 22 in Gilgit Baltistan.
Werden die Todesopfer von Terroranschlägen, Operationen durch die Sicherheitskräfte und deren Zusammenstöße mit Militanten, ethnopolitische Gewalt, Drohnenangriffe, Gewalt zwischen den Stämmen und zwischen den Militanten, interreligiöse Zusammenstöße, religiös-kommunale Gewalt, grenzübergreifende Zusammenstöße und Attacken sowie Zusammenstöße zwischen kriminellen Banden bzw. zwischen diesen und der Polizei zusammengerechnet wurde 2012 5.047 Menschen getötet und 5.688 in 2.217 Anschlägen und Zusammenstößen unterschiedlicher Art verletzt.
2012 war ein Jahr der gemischten Reaktionen durch den Staat und die Gesellschaft auf kritische Sicherheitsbedrohungen in Pakistan. Der Trend eines Rückgangs der Anzahl der Vorfälle von Gewalt und Todesopfern, der 2010 begann, hielt auch 2011 und 2012 an. Es entwickelte sich etwas Klarheit über die institutionelle Herangehensweise für den Umgang mit der Terrorismusbedrohung, aber die Ermordung des Khyber Pakhtunkhwa Ministers Bilour und der Anschlag auf die junge Friedensaktivistin vom Swat-Tal Malala Yousafzai, dämpfte den Optimismus. Auf den Umstand, dass die Sicherheitsbehörden, die lange nicht den wachsenden Einfluss von Extremisten auf das Land erkennen wollte, diesen nun formal als Bedrohung anerkannte, muss aufgebaut werden. Koordination und Vertrauen mangeln zwischen den verschiedenen Geheimdienst- und Rechtsdurchsetzungsabteilungen. Die öffentliche Meinung ist noch geteilt, wie mit den Terroristen in den Stammesgebieten umgegangen werden soll, aber die militärischen Offensiven im Swat und in Südwasiristan reduzierten die Bedrohung des Terrorismus auf das Land. Ein Rückgang von Terroranschlägen im Land um 24 Prozent wurde nach diesen Operationen erfasst.
Vor den allgemeinen Wahlen sind die politischen Parteien nicht gewillt, eine klare Haltung einzunehmen. Viele Herausforderungen haben das Potential die interne Sicherheit in der nächsten Zeit zu schwächen. Der Anstieg der Gewalt zwischen den Glaubensrichtungen, die höheren ethnopolitischen Spannungen in Karatschi, die Tehrik-e-Taliban Pakistan und ihre Verbündeten, die Situation in Belutschistan bleiben ernste Sicherheitsherausforderungen für das Jahr 2013, besonders vor dem Hintergrund der anstehenden allgemeinen Wahlen 2013.
(Pak Institute for Peace Studies: Pakistan Security Report 2012, 4.1.2013, herunterzuladen unter http://san-pips.com/index.php?action=reports&id=psr_list_1, Zugriff 5.2.2013)
Zielgerichtete Anschläge auf Personen oder Gruppen, die sich gegen die Tehreek-i Taliban Pakistan (TTP) aussprechen, halten im Berichtszeitraum an. Neben Trauerumzügen werden vermehrt auch Moscheen zu Anschlagszielen, die von Mitgliedern von Pro-Regierungsmilizen aufgesucht werden. Die Anschläge konzentrieren sich auf die Provinz Khyber-Paschtunistan (KPK) und die Stammesgebiete im Grenzgebiet zu Afghanistan (Federally Administered Tribal Areas, FATA). Auch Angehörige der schiitischen Minderheit werden weiterhin zielgerichtet angegriffen.
(HSS - Hanns-Seidel-Stiftung: Quartalsbericht, Pakistan I/2012, 5.4.2012,
http://www.hss.de/fileadmin/media/downloads/QB/Pakistan_QB_2012_I.pdf, Zugriff 13.2.2013)
Im Berichtszeitraum weitet die Tehrik-e-Taliban Pakistan (TTP) ihre Angriffe auf pakistanische Sicherheitskräfte und ihre Einrichtungen aus. Nicht nur in der vorwiegend betroffenen Provinz Khyber-Paschtunistan (PKP), sondern auch in anderen Landesteilen kommt es zu Anschlägen. Am 16. August wird der Luftwaffenstützpunkt Minhas von schwerbewaffneten TTP-Kämpfern angegriffen. Der Angriff auf einen der größten und bestgesicherten Luftwaffenstützpunkte des Landes kann erst nach einem mehrstündigen Feuergefecht und dem Einsatz von Kommandosoldaten der Special Service Group (SSG) beendet werden. Alle neun Angreifer sowie zwei Soldaten werden getötet.
Schiiten sind im Berichtszeitraum weiterhin Ziel von Angriffen. Im Norden des Landes stoppen neuerlich TTP-Kämpfer in Armeeuniformen drei Busse auf ihrem Weg von Rawalpindi nach Gilgit. Nach der Kontrolle der Ausweispapiere erschießen sie alle 20 schiitischen Businsassen. Dies ist bereits der dritte Vorfall dieser Art im laufenden Jahr.
(HSS - Hanns-Seidel-Stiftung: Quartalsbericht, Pakistan III/2012, 10.10.2012,
http://www.hss.de/fileadmin/media/downloads/QB/Pakistan_QB_2012_III.pdf, Zugriff 5.2.2012)
Immer wieder kommt es im Berichtszeitraum zu teils schweren Anschlägen und Attentaten, die in einer Gewaltwelle zum Jahresende kulminieren. Auch im 4. Quartal stehen viele Attentate im Zusammenhang mit dem Konflikt zwischen Sunniten und Schiiten. Die meisten Angriffe ereignen sich in Karatschi, doch auch in der Provinz Belutschistan sterben zahlreiche Menschen. Ende November werden landesweit die Sicherheitsmaßnahmen anlässlich des Aschura-Festes in bislang ungekanntem Ausmaß erhöht. Dennoch kommt es während dem zehntägigen Trauerritual der Schiiten zu zahlreichen Anschlägen in ganz Pakistan, bei denen Dutzende Menschen ums Leben kommen. In einer landesweiten Welle der Gewalt sterben in der vorletzten Woche des Jahres 2012 mindestens 75 Menschen durch Anschläge. Beobachter verbinden die drastische Zunahme der Gewalt mit den bevorstehenden Parlamentswahlen. Militante Kräfte würden versuchen, die politische Lage zu destabilisieren und den Wahltermin zu torpedieren.
(HSS - Hanns-Seidel-Stiftung: Quartalsbericht, Pakistan IV/2012, 17.1.2013,
http://www.hss.de/fileadmin/media/downloads/QB/Pakistan_QB_2012_IV.pdf, Zugriff 11.2.2013).
Allein mindestens 82 Tote [spätere Quellen um die 90] forderte der Doppelanschlag in einer Billardhalle in einem Schiiten-Viertel der Provinzhauptstadt Quetta [Belutschistan, am 10.1]. Zu der Tat bekannte sich nun die sunnitische Extremistengruppe Lashkar-i-Jhangvi. Sie unterhält Verbindungen zum Terrornetzwerk al-Qaida und den radikalislamischen Taliban. Der Anschlag auf den Billardclub in Quetta war der schwerste seit fast zwei Jahren. Zudem war es der blutigste Anschlag auf die schiitische Minderheit in Pakistan überhaupt. Ein weiterer Bombenangriff wurde aber offenbar von Separatisten verübt. Insgesamt starben am Donnerstag [10.1] mindestens 114 Menschen.
(Spiegel-online: Sunniten bekennen sich zu Anschlägen in Pakistan, 11.1.2013,
http://www.spiegel.de/politik/ausland/sunnitische-terrorgruppe-bekennt-sich-zu-anschlaegen-in-pakistan-a-876945.html, Zugriff 5.2.2013)
Von den 92 Toten des Doppelanschlages gehörten 86 der schiitischen Hazara Minderheit an.
(Dawn: Desperate Hazaras want army rule in Quetta, 12.1.2013, http://dawn.com/2013/01/12/relatives-refuse-to-bury-blast-victims-hold-sit-in-with-coffins-desperate-hazaras-want-army-rule-in-quetta/, Zugriff 12.2.2013.)
Bei einem erneuten Anschlag in einer überwiegend von schiitischen Hazara bewohnten Enklave in Quetta starben [am 16.2.2012] mindestens 84 Personen. Schiiten protestieren und verurteilen die Unfähigkeit der Regierung die Anschläge zu verringern. Angehörige weigern sich die Toten zu begraben und halten einen Sitzstreik ab. Auch in anderen Städten kam es zu Protesten.
(New York Times: Shiite Protesters Demand Arrests After Deadly Bombing in Pakistan, 17.2.2013, http://www.nytimes.com/2013/02/18/world/asia/explosion-in-crowded-market-kills-dozens-in-pakistan.html?partner=rss&emc=rss&_r=0, Zugriff 18.2.2013)
Regionale Problemzonen - Khyber Pakhtunkhwa und FATA
Die FATA (Federally Administered Tribal Areas) umfassen ca. 3 % der Fläche Pakistans; dort leben mehr als vier Millionen Menschen. Sie unterliegen nur beschränkt der pakistanischen Jurisdiktion. Die Verfassung gewährt den FATA eine weitgehende Autonomie. Pakistanische Gesetze haben nur dann Geltung, wenn sie durch ein Dekret des Präsidenten für die FATA in Kraft gesetzt werden, was bislang nur selten geschehen ist. Nachdem die Taliban durch Militäroffensiven aus dem Swat-Tal (April 2009) sowie aus Süd-
Wasiristan (Oktober 2009) vertrieben worden waren, haben sich die meisten Taliban-Kämpfer den Auseinandersetzungen entzogen und sind in entlegenere Gebiete der sog. "Stammesgebiete" ausgewichen. Gleichzeitig haben sie Pakistan im Jahr 2009 mit einer Welle von Terroranschlägen überzogen, die sich zumeist gegen Einrichtungen der Sicherheitskräfte richtete (Armee, Polizei und ISI), der aber auch viele unbeteiligte Zivilisten zum Opfer fielen.
Die Militäroperationen gegen die Taliban werden von der großen Mehrheit der Bevölkerung und der Medien unterstützt. Grund dafür ist, dass vielen Pakistanern die Möglichkeit einer Taliban-Herrschaft erst mit der Übernahme des Swat-Tals (ein früher sehr beliebtes Urlaubsgebiet) real vor Augen geführt wurde. Tägliche Berichte über die Willkürherrschaft der Taliban (Hinrichtungen, Auspeitschung als Strafe, Sprengung von Mädchenschulen, Rekrutierung von Minderjährigen) führten dazu, dass die Taliban durch die Mehrheit als existentielle Bedrohung betrachtet werden. Auch die Terrorwelle, mit denen die Taliban und sympathisierende jihadistische Gruppen versuchen, ein Ende der Militäroperationen zu erzwingen, haben bislang noch zu keiner Kehrtwende in der öffentlichen Meinung geführt. In den zurückeroberten, zuvor von den Taliban kontrollierten Gebieten stehen die Behörden vor den Herausforderungen des Wiederaufbaus, auch der öffentlichen Verwaltung und der Justiz. Noch ca. 700.000 Binnenvertriebene, die vor den Kämpfen in FATA und Khyber- Pakhtunkhwa geflohen sind, warten auf die Rückkehr in ihre Heimatorte.
2011 wurde der Geltungsbereich der Political Parties Act auf die "Stammesgebiete" ("Federally Administered Tribal Areas", FATA) ausgedehnt. Seitdem dürfen - erstmals in der Geschichte Pakistans - politische Parteien dort aktiv werden.
(AA - Auswärtiges Amt: Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Pakistan vom 2.11.2012, Stand: September 2012)
In den FATA operieren unterschiedliche terroristische Organisationen. Das Spektrum reicht dabei von einheimischen Aufständischen hin zu internationalen Terrororganisationen, welche die FATA als Ausgangsregion ihrer Operationen, vor allem im Kampf gegen die internationalen Verbände in Afghanistan, verwenden. Die Organisationen kooperieren fallweise.
(Analyse der Staatendokumentation: Afghanistan / Pakistan:
Extremistische Gruppierungen im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet, 31.1.2011)
Die Kämpfe zwischen der Armee und den Taliban führen auch zu erheblichen Fluchtbewegungen. Nachdem im April 2009 die pakistanische Armee einen Großangriff in der Swat-Region und den umliegenden Distrikten startete, wo zahlenmäßig ein Viertel der Bevölkerung der Provinz Khyber Pakhtunkhwa beheimatet ist, schätzten die Vereinten Nationen, dass mehr als 3,5 Millionen Menschen aus ihrer Heimat geflohen sind. Mittlerweile sollen zwischen 80 bis 90 Prozent der Flüchtlinge in das Swat-Tal zurückgekehrt sein. Doch bleibt die Zahl der Binnenflüchtlinge, vor allem aufgrund der weitergehenden Kämpfe in den FATA weiterhin hoch.
(D-A-CH-Bericht: Sicherheitslage in Afghanistan. Vergleich zweier afghanischer Provinzen (Ghazni und Nangarhar) und den pakistanischen Stammesgebieten durch die drei Partnerbehörden Deutschlands, Österreichs und der Schweiz, März 2011)
In Pakistan kam es seit 2001 aufgrund der bewaffneten Auseinandersetzungen zu Vertreibungen in den FATA und Khyber Pakhtunkhwa. Die Verwendung von Stammesmilizen, die die Menschenrechte verletzten, um militärische Ziele zu erreichen, ging auf Kosten der Rechte von IDPs und anderer Bürger.
(Brookings Institution: From Responsibility to Response: Assessing National Approaches to Internal Displacement, November 2011)
Die Staatsmacht konnte in Teilen der FATA wiederhergestellt werden, jedoch ist die Sicherheitslage unbeständig, da viele Militante in andere Gebiete der FATA flohen. Im Gegensatz zu anderen Regionen ist in den Provinzen Khyber Pakhtunkhwa, Belutschistan und den FATA die Zahl der gewalttätigen Zwischenfälle im Jahr 2011 gestiegen. Khyber Pakhtunkhwa weist mit 890 die höchste Zahl an Todesopfern bei terroristischen Anschlägen in Pakistan 2011 auf, die FATA mit 612 die dritthöchste, jedoch weist die FATA mit 675 die höchste Zahl an terroristischen Anschlägen in Pakistan im Jahr 2011 auf.
(Pak Institute for Peace Studies: Pakistan Security Report 2011, 4.1.2012, http://san-pips.com/download.php?f=108.pdf, Zugriff 4.2.2013)
Im pakistanisch-afghanischen Grenzgebiet mehren sich grenzübergreifende Angriffe auf pakistanische Sicherheitsposten. Vor allem in den Stammesgebieten Orakzai, Kurram und Khyber stürmen Aufständische wiederholt Sicherheitsposten und verüben Anschläge auf Pro-Regierungsgruppen. In Kurram und Khyber führt die Armee weiterhin Militäroffensiven durch, um Aufständische zurückzudrängen, zu vertreiben und strategisch wichtige Positionen zu sichern. Im Tirah-Tal im Stammesgebiet Khyber kommt es zu immer verlustreicheren Gefechten. Hier kämpft nicht nur das pakistanische Militär gegen Aufständische, sondern auch zwei rivalisierende militante Gruppierungen untereinander, die TTP und die Lashkhar-i Islam.
(HSS - Hanns-Seidel-Stiftung: Quartalsbericht, Pakistan I/2012, 5.4.2012,
http://www.hss.de/fileadmin/media/downloads/QB/Pakistan_QB_2012_I.pdf, Zugriff 3.8.2012)
Die durch die Taliban und Militante heimgesuchten Khyber Pakhtunkhwa und die FATA sind 2012 die zweit- und drittbrisanteste Region des Landes mit 456 respektive 388 Terrorattentaten. Die höchste Anzahl an berichteten Todesopfern gab es in der FATA und in Belutschistan, 631 Personen wurden in jeder der beiden Regionen getötet, 1.095 wurden in der FATA bei den Attentaten verletzt. In Khyber Pakhtunkhwa wurden bei solchen Anschlägen 401 Menschen getötet und 1.081 verletzt.
(Pak Institute for Peace Studies: Pakistan Security Report 2012, 4.1.2013, herunterzuladen unter http://san-pips.com/index.php?action=reports&id=psr_list_1, Zugriff 5.2.2013)
Vom Erziehungsministerium gesammelte Daten zeigen, dass 417 Schulen, darunter 133 für Mädchen in der FATA zerstört wurden. Das Problem ist, dass finanzielle Ressourcen zum Wiederaufbau gering sind, während weiterhin Schulen durch Militante zerstört werden. Die Armee begann mir der Rekonstruktion von 78 Schulen, sowohl solche für Jungen als auch Mädchen in einigen Gebieten der FATA. UNICEF hat Zelte zur Verfügung gestellt, wo für Buben und für Mädchen Klassen abgehalten werden.
(Dawn: Govt faces dilemma over rebuilding schools in Fata, 30.5.2012,
http://dawn.com/2012/04/30/govt-faces-dilemma-over-rebuilding-schools-in-fata-2/, Zugriff 14.2.2012)
2009 wurde vom Armeechef die größte Offensive bis jetzt angeordnet, in der 40.000 Truppen nach Süd-Wasiristan entsendet wurden. Eine Halbe Million Menschen wurde intern vertrieben, Schulen und Krankenhäuser wurden Verstecke für Militante und magere zivile Annehmlichkeiten zerstört. Eine Kombination der Offensive und der U.S. Drohnen half, die Führerschaft der Pakistanischen Taliban aus Süd-Wasiristan zu vertreiben und die Armee sucht nach Wegen, die Menschen zu überzeugen, dass die Rückkehr sicher ist, aber nach drei Jahren in Camps, sind nur 41.000 Flüchtlinge zurückgekehrt. Die Armee denkt, sie kann guten Willen erzeugen durch die Förderung des Handels und der Bildung. Geschäfte und Straßen wurden aufgebaut und laut Angaben der Offiziere wurden 33 Schulen wiederaufgebaut, in denen 4000 Schüler inskribiert sind, 200 von diesen Mädchen, doch die Daten sind schwer zu verifizieren. Die Taliban sind gegen die Bildung von Mädchen. 75 Schüler haben das neue "Waziristan Institute of Technical Education" mit Diplomen in Auto-Mechanik, Tischlerei oder IT abgeschlossen, ein Kadetten College wurde gebaut. Es gibt allerdings wenig Zeichen einer Wurzel schlagenden zivilen Administration. Der höchste politische Offizier, der politische Agent, lebt nicht in Süd-Wasiristan, da die Taliban in den letzten Jahren mehrere Hundert Führungspersonen im den Stammesgebieten töteten.
(Reuters: Pakistan army battles legacy of mistrust in Taliban heartland, 3.2.2013,
http://www.reuters.com/article/2013/02/03/us-pakistan-military-idUSBRE91203Z20130203, Zugriff 5.2.2013)
In den vergangenen Jahren war das pakistanische Swat-Tal aufgrund der anhaltenden Kämpfe zwischen Talibankämpfern und der pakistanischen Armee verstärkt in den Medien. Viele Familien mussten aufgrund dieser Unruhen für mehrere Jahre aus ihren Dörfern fliehen. Sie fanden in Notunterkünften der Caritas und lokalen Hilfsorganisationen Unterschlupf.
Seit Anfang 2010 ist das Swat-Tal wieder als sicher eingestuft, die Bevölkerung kehrt nun kontinuierlich in ihre Dörfer zurück. Die Caritas arbeitet seit Jahresbeginn mit lokalen Partnerorganisationen zusammen, um RückkehrerInnen und Verbliebene beim Neuanfang zu unterstützen. Kürzlich wurden die letzten Gebiete im oberen Swat-Tal für sicher erklärt. Nun kehren auch dort immer mehr Menschen heim. Hier hilft die Caritas Österreich weiteren 3.100 Familien mit Finanzierung der Europäischen Kommission (ECHO) und in Kooperation mit der amerikanischen Caritas sowie lokalen Partnern.
Je nach Bedarf werden diese Mittel von den BewohnerInnen des oberen Swat-Tals eingesetzt: Diejenigen, deren Häuser zerstört sind, nutzen die Unterstützung, um diese zu reparieren. Andere erhalten Saatgut und Produktionsmittel, oder kaufen sich Nutztiere, und bepflanzen ihre Felder, um wieder eine Lebensgrundlage zu haben. Auch die Bewässerungskanäle werden instand gesetzt. Zusätzlich gibt es für Dorfgemeinschaften die Möglichkeit, in Eigenregie kleine Infrastrukturprojekte durchzuführen.
(Caritas: Rückkehr Flüchtlinge / Pakistan, Neuanfang Swat-Tal, http://www.caritas.at/auslandshilfe/projektschwerpunkte/fluechtlinge/rueckkehr-fluechtlinge-pakistan/, Zugriff 5.2.2013)
Regionale Problemzonen - Belutschistan
Belutschistan im Südwesten des Landes ist mit 44 Prozent die flächenmäßig größte Provinz Pakistans. Sie ist reich an natürlichen Ressourcen und besitzt insbesondere große Öl- und Erdgasvorkommen. Trotz der reichen Erdgasvorkommen gilt Belutschistan als die ärmste Region Pakistans und die Unzufriedenheit der Bevölkerung mit der Zentralregierung in Islamabad ist groß. Als der ehemalige Präsident Pervez Musharraf 1999 durch einen Militärputsch an die Macht kam, begann er mit der intensiven Exploration der Erdgasfelder. Es formten sich Rebellenbewegungen, die vor allem strategische und verkehrspolitisch wichtige Ziele sowie Militärposten in der Region angriffen.
(Institut für Politische Wissenschaft, Universität Hamburg: Pakistan (Belutschistan), ohne Datum, letztes Referenzdatum 2008, http://www.sozialwiss.uni-hamburg.de/onTEAM/preview/Ipw/Akuf/kriege/318ak_pakistan.htm, Zugriff 29.8.2012)
Ethnische Belutschen kämpfen seit Jahren für mehr Autonomie und mehr Kontrolle über die natürlichen Ressourcen in der Region. Sunnitische Milizen haben Angriffe gegen Schiiten in Belutschistan durchgeführt.
(Reuters: Factbox: Key political risks to watch in Pakistan, 12.12.2011,
http://www.reuters.com/article/2011/12/12/us-pakistan-risks-idUSTRE7BB08S20111212, Zugriff 4.2.2013)
Die Regierung hat im November 2009 ein Maßnahmenpaket zur Verbesserung der Situation in Belutschistan verabschiedet. Dazu zählt auch die Bereitschaft zum Dialog mit belutschischen Nationalisten, die wegen der Repressionen durch die Musharraf-Regierung ins Exil gegangen waren oder die Wahlen in Belutschistan boykottiert haben. Dennoch ist es bislang noch zu keiner grundlegenden Verbesserung der politischen Situation in Belutschistan gekommen; die politisch motivierten Gewalttaten gehen weiter. Die schiitische Minderheit der Hazara in Belutschistan war 2011 wiederholt Ziel schwerer Anschläge mit insgesamt 100 Todesopfern.
(AA - Auswärtiges Amt: Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Pakistan vom 2.11.2012, Stand: September 2012)
In Belutschistan ermordeten nationalistische Gruppierungen Angehörige gegnerischer Parteien, ethnische Punjabis und Angehörige der staatlichen Sicherheitskräfte. Darüber hinaus bekannten sie sich zu Anschlägen auf Erdgas- und Stromleitungen, die zu schweren Versorgungsengpässen in der Provinz führten. Bei religiös motivierten Angriffen der Splittergruppe Lashkar-e-Jhangvi und anderer Extremistengruppen auf Schiiten kamen insgesamt mindestens 280 Menschen zu Tode oder wurden verletzt.
(AI - Amnesty International: Jahresbericht 2012, 24.5.2012)
Mit 474 wurde die höchste Anzahl an Terroranschlägen 2012 aus Belutschistan berichtet, welches seit Jahren ein Unruheherd nationalistischer Rebellen und interkonfessioneller Gewalt ist. Die höchste Anzahl an berichteten Todesopfern bei Terroranschlägen gab es in der FATA und in Belutschistan, 631 Personen wurden in jeder der beiden Regionen getötet, 1.032 wurden in Belutschistan bei den Anschlägen verletzt.
(Pak Institute for Peace Studies: Pakistan Security Report 2012, 4.1.2013, herunterzuladen unter http://san-pips.com/index.php?action=reports&id=psr_list_1, Zugriff 5.2.2013)
In Belutschistan fanden 2011 615 der insgesamt 1.887 von HRCP registrierten Angriffe terroristischer und extremistischer Gruppen statt.
(HRCP - Human Rights Commission of Pakistan: State of Human Rights in 2011, March 2012,
http://www.hrcp-web.org/pdf/AR2011/Complete.pdf, Zugriff 4.2.2013)
Regionale Problemzonen - Karatschi
Karatschi, Hauptstadt der Provinz Sindh und größte Handels- und Hafenmetropole Pakistans, wird von Anfang Juli bis Mitte September [2011] von einer ethno-politisch motivierten Gewaltwelle überzogen. Politisch motivierte, ethnische Spannungen zwischen den Muhajir, den nach der Teilung Britisch-Indiens nach Pakistan emigrierten Muslime Indiens, und den aus Afghanistan und der Nordwestgrenze Pakistans zugewanderten Paschtunen halten seit Jahren an. Im Juli [2011] verschlechtert sich die Situation schlagartig und gerät außer Kontrolle. In den Sommermonaten sterben in Karatschi über 300 Menschen bei zielgerichteten Tötungen, Entführungen und Überfällen. Provinz- und Nationalregierung reagieren vorerst nur mit leeren Stellungnahmen und Schuldzuweisungen.
(HSS - Hanns Seidel Stiftung: Projektland Pakistan, III/2011, http://www.hss.de/fileadmin/media/downloads/QB/Pakistan_QB_2011_III.pdf, Zugriff 4.2.2012)
Über 1.600 Menschen wurden im Jahr 2011 in Karatschi getötet, über 800 davon aufgrund von politischer und religiöser Gewalt. Die Tötungen wurden von bewaffneten Gruppen, die von allen in der Stadt vertretenen politischen Parteien geschützt wurden, begangen. Die größte politische Partei in Karachi, das Muttaheda Qaumi Movement (MQM), mit schwer bewaffneten Kadern und einer gut dokumentierten Vergangenheit von Menschenrechtsverletzungen und politischer Gewalt, wurde weithin als Haupttäter der gezielten Tötungen betrachtet. Paramilitärische Kräfte wurden in die südliche Hafenstadt verlegt um die gefährlichen Distrikte zu stabilisieren. Die Sicherheitskräfte nahmen Hunderte Verdächtige fest; der Oberste Gerichtshof übte Kritik an den politischen Parteien, die zur Gewalt aufgestachelt hätten, und an den Behörden, weil sie zahlreiche bekannte Gewalttäter nicht aufgehalten hätten.
(Reuters: Factbox: Key political risks to watch in Pakistan, 12.12.2011,
http://www.reuters.com/article/2011/12/12/us-pakistan-risks-idUSTRE7BB08S201112