TE AsylGH Erkenntnis 2013/07/11 D7 432894-1/2013

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Veröffentlicht am 11.07.2013
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Spruch

D7 432894-1/2013/3E

 

IM NAMEN DER REPUBLIK!

 

Der Asylgerichtshof hat durch die Richterin Mag. STARK als Vorsitzende und die Richterin Mag. SCHERZ als Beisitzerin über die Beschwerde des XXXX, geb. XXXX, Staatsangehörigkeit Russische Föderation, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes 29.01.2013, Zahl 12 13.203-BAE, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Die Beschwerde wird gemäß § 66 Abs. 4 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991, BGBl. Nr. 51/1991 (AVG), in Verbindung mit § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (AsylG 2005), § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 und § 10 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005, in der Fassung BGBl. I Nr. 122/2009, als unbegründet abgewiesen.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

 

I. Verfahrensgang

 

I.1. Der minderjährige Beschwerdeführer, dessen Identität nicht festgestellt werden konnte, reiste zu einem unbekannten Zeitpunkt unter Umgehung der Grenzkontrolle in das Bundesgebiet ein und seine gesetzliche Vertretung stellte am 22.09.2012 einen Antrag auf internationalen Schutz für den Beschwerdeführer.

 

Der Beschwerdeführer wurde am 23.09.2012 durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes, in Anwesenheit eines Dolmetschers für die Sprache Russisch und seiner Mutter als gesetzliche Vertreterin, erstbefragt und führte aus, dass er keine eigenen Fluchtgründe habe und wegen seiner Mutter das Land habe verlassen müssen. Alleine könne er dort nicht leben, er wolle bei seiner Familie sein. Andere Ausreisegründe habe der Beschwerdeführer nicht. Beim Bundesasylamt wurde eine russische Geburtsurkunde des Beschwerdeführers in Vorlage gebracht.

 

Am 06.12.2012 erfolgte beim Bundesasylamt eine Einvernahme des Beschwerdeführers, in Anwesenheit einer Dolmetscherin für die Sprache Russisch und seiner Mutter als gesetzliche Vertreterin. Der Beschwerdeführer gab bezüglich seines Gesundheitszustandes an, dass er gesund sei und keine Medikamente einnehmen würde. Den Herkunftsstaat habe er verlassen, da sich seine Mutter zur Ausreise entschlossen habe, sie hätte dort Probleme gehabt. Das sei der Grund für die Asylantragstellung des Beschwerdeführers gewesen. Der Beschwerdeführer habe in der Russischen Föderation keine Probleme gehabt und sei auch nicht verfolgt worden. Er fürchte aber im Fall seiner Rückkehr wegen seines Onkel und seines Vaters getötet zu werden.

 

Mit Verfahrensanordnung vom 29.01.2013, Zahl 12 13.203-BAE, wurde dem Beschwerdeführer ein Rechtsberater zur Seite gestellt.

 

Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 29.01.2013, Zahl 12 13.203-BAE, wurde der Antrag auf internationalen Schutz vom 22.09.2012 in Spruchpunkt I. gemäß § 3 Abs. 1 iVm

 

§ 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (AsylG) idgF, bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten, in Spruchpunkt II. bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 leg. cit. abgewiesen und der Beschwerdeführer in Spruchpunkt III. des Bescheides gemäß § 10 Abs. 1 Z 2 leg. cit. aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Russische Föderation ausgewiesen. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass für den Minderjährigen keine individuellen Asylgründe vorgebracht worden seien und die Mutter des Beschwerdeführers keine asylrelevante Verfolgungsgefahr glaubhaft gemacht hätte. Eine Rückkehr des Beschwerdeführers sei im Verband mit seiner Familie möglich und zumutbar, seine Ausweisung zulässig.

 

I.2. Gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 29.01.2013, Zahl 12 13.203-BAE, zugestellt am 31.01.2013, richtet sich gegenständliche fristgerecht am 12.02.2013 eingebrachte Beschwerde.

 

Die Beschwerdevorlage vom 13.02.2013 langte am 20.02.2013 beim Asylgerichtshof ein und wurde gemäß der geltenden Geschäftsverteilung der Gerichtsabteilung D/7 zugeteilt.

 

II. Der Asylgerichtshof hat über die zulässige Beschwerde erwogen:

 

II.1. Gemäß § 28 Abs. 1 des Bundesgesetzes über den Asylgerichtshof (Asylgerichtshofgesetz - AsylGHG), Art. 1 Asylgerichtshof-Einrichtungsgesetz, BGBl. I Nr. 4/2008, tritt dieses Bundesgesetz mit 1. Juli 2008 in Kraft. Gleichzeitig tritt das Bundesgesetz über den Unabhängigen Bundesasylsenat - UBASG, BGBl. I Nr. 77/1997, zuletzt geändert durch das Bundesgesetz BGBl. I Nr. 100/2005, außer Kraft.

 

Gemäß § 28 Abs. 5 AsylGHG, in der Fassung BGBl. I Nr. 147/2008, treten in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 147/2008 in Kraft:

 

das Inhaltsverzeichnis, § 13 Abs. 2 und Abs. 4 letzter Satz, § 14 Abs. 3, § 17 Abs. 5, § 23 und § 29 Abs. 6 mit 1. Juli 2008;

 

§ 24 mit Ablauf des Tages der Kundmachung dieses Bundesgesetzes. Auf vor diesem Zeitpunkt ergangene, zu vollstreckende Entscheidungen Abs. 2 dieser Bestimmung mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass der Asylgerichtshof mit Beschluss nachträglich eine Vollstreckungsbehörde bestimmen kann.

 

Gemäß § 22 Abs. 1 Asylgesetz 2005, Art. 2 Asylgerichtshof-Einrichtungsgesetz, BGBl. I Nr. 100/2005 (AsylG 2005), in der Fassung BGBl. I Nr. 4/2008, ergehen Entscheidungen des Asylgerichtshofes in der Sache selbst in Form eines Erkenntnisses, alle anderen in Form eines Beschlusses. Die Entscheidungen des Bundesasylamtes und des Asylgerichtshofes haben den Spruch und die Rechtsmittelbelehrung auch in einer dem Asylwerber verständlichen Sprache zu enthalten.

 

II.2. Gemäß § 23 Abs. 1 AsylGHG, in der Fassung BGBl. I Nr. 147/2008, sind, soweit sich aus dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100, nicht anderes ergibt, auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 (AVG), BGBl. Nr. 51, mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffs "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt.

 

Gemäß § 23 Abs. 2 AsylGHG, in der Fassung BGBl. I Nr. 147/2008, sind die Erkenntnisse im Namen der Republik zu verkünden und auszufertigen.

 

Gemäß § 66 Abs. 4 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz, BGBl. Nr. 51/1991 (AVG), hat die Berufungsbehörde außer in dem in Abs. 2 erwähnten Fall, sofern die Berufung nicht als unzulässig oder verspätet zurückzuweisen ist, immer in der Sache selbst zu entscheiden. Sie ist berechtigt, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung (§ 60) ihre Anschauung an die Stelle jener der Unterbehörde zu setzen und demgemäß den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern.

 

Gemäß § 73 Abs. 1 AsylG 2005 tritt dieses Bundesgesetz mit 1. Jänner 2006 in Kraft.

 

Das Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl (Asylgesetz 1997 - AsylG), BGBl. I Nr. 76/1997 tritt mit Ausnahme des § 42 Abs. 1 mit Ablauf des 31. Dezember 2005 außer Kraft (§ 73 Abs. 2 AsylG 2005).

 

Gegenständlicher Antrag auf internationalen Schutz wurde am 22.09.2012 gestellt, weshalb das Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005, in der jeweils geltenden Fassung, anzuwenden ist.

 

II.3. Zur Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes wurde im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweis erhoben durch Einsicht in den dem Asylgerichtshof vorliegenden Verwaltungsakt des Bundesasylamtes, insbesondere in die niederschriftlichen Angaben des Beschwerdeführers und seiner Mutter vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes, dem Bundesasylamt, die Beschwerdeschrift, vorgelegte Stellungnahmen und Unterlagen, sowie Einholung eines Auszugs aus dem Strafregister, dem Zentralen Melderegister, dem Betreuungsinformations-, Asylwerber- und Fremdeninformationssystem.

 

Der Asylgerichtshof geht von folgendem für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhalt aus:

 

II.3.1. Der minderjährige Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger der Russischen Föderation. Der Beschwerdeführer ist der Sohn von Frau XXXX (Beschwerdeführerin zu D7 432891-1/2013), deren Antrag auf internationalen Schutz abgewiesen und die aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Russische Föderation ausgewiesen wurde. Die gegen den Bescheid der Mutter des Beschwerdeführers eingebrachte Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom heutigen Tag als unbegründet abgewiesen.

 

II.3.2. Für den minderjährigen Beschwerdeführer wurden keine eigenen Verfolgungsgründe geltend gemacht und es konnten auch keine von Amts wegen festgestellt werden. Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer in der Russischen Föderation einer asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt war oder sein wird.

 

II.3.3. Im gegenständlichen Verfahren können keine stichhaltigen Gründe für die Annahme festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Fall seiner Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in die Russische Föderation einer unmenschlichen Behandlung oder Strafe oder der Todesstrafe oder sonst einer konkreten individuellen Gefahr ausgesetzt sein würde. Der gesunde Beschwerdeführer ist das Kind einer arbeitsfähigen Mutter, die seit dem Tod des Vaters XXXX den Lebensunterhalt für den Beschwerdeführer bestreiten konnte. Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Fall seiner Rückkehr in die Russische Föderation in eine seine Existenz gefährdende Notsituation geraten würde.

 

II.3.4. Der Beschwerdeführer reiste unter Umgehung der Grenzkontrolle mit seiner Mutter nach Österreich und seine gesetzliche Vertretung stellte am 22.09.2012 einen Antrag auf internationalen Schutz. Der Beschwerdeführer wurde im Herkunftsstaat geboren und besuchte dort von 2000 bis 2004 die Grundschule. Später lebte der Beschwerdeführer in XXXX. Das Verfahren seiner Mutter und seiner beiden Geschwister wird zeit- und inhaltsgleich mit dem Verfahren des Beschwerdeführers entschieden. Die Familie des Beschwerdeführers ist in Österreich nicht selbsterhaltungsfähig. Im Herkunftsstaat befinden sich Angehörige mütterlicherseits, bei denen der Beschwerdeführer auch schon in der Zeit vor seiner Reise Richtung Österreich gelebt hat.

 

II.3.5. Zur aktuellen Lage in der Russischen Föderation wird in Übereinstimmung mit den Feststellungen des Bundesasylamtes festgestellt:

 

Allgemeine Sicherheitslage

 

Die Gewalt im Nordkaukasus, angefacht von Separatismus, interethnischen Konflikten, dschihadistischen Bewegungen, Blutfehden, Kriminalität und Exzessen durch Sicherheitskräfte geht weiter. Die Gewalt in Tschetschenien ging jedoch 2011 im Vergleich zu 2010 zurück. (U.S. Department of State: Country Report on Human Rights Practices for 2011 - Russia, 24.05.2012)

 

Den offiziellen Aussagen zufolge hat sich die Anzahl der Angriffe von Aufständischen im Nordkaukasus 2010 im Vergleich zu 2009 verdoppelt. 2011 war der islamistische Aufstand weiterhin im Anwachsen, insbesondere in der Teilrepublik Dagestan. Im Jänner 2011 tötete ein Selbstmordattentäter aus dem Nordkaukasus auf einem Moskauer Flughafen 37 Personen, mehr als 120 wurden verletzt. Der Tod von drei Touristen in Kabardino-Balkarien, vermutlich durch Aufständische, führte zur Schließung der dortigen Schiressorts. Die Anwendung von Folter, Entführungen gleichkommenden Verhaftungen, erzwungenem "Verschwinden", und außergerichtlichen Tötungen durch Sicherheitskräfte im Rahmen ihrer Aufstandsbekämpfung, und damit einhergehend die Straffreiheit für diese Missbräuche, brachte die Bevölkerung des Nordkaukasus auf. (Human Rights Watch: World Report 2012 - Russia, 22.01.2012)

 

Die Sicherheitslage im Nordkaukasus war noch immer instabil. Bewaffnete Gruppen gingen weiter gezielt gegen Polizeibeamte und andere Staatsbedienstete vor. Dabei gerieten oft Zivilisten ins Kreuzfeuer oder wurden gezielt angegriffen. Sowohl bewaffnete Gruppen als auch die Sicherheitskräfte begingen gravierende Menschenrechtsverstöße. Das Vorgehen der Sicherheitskräfte im gesamten Nordkaukasus ging oft mit schweren Menschenrechtsverletzungen einher. Es gingen Berichte über die Drangsalierung und Tötung von Journalisten, Menschenrechtsverteidigern und Rechtsanwälten sowie über die Einschüchterung von Zeugen ein. Anders als im übrigen Nordkaukasus gingen die Angriffe bewaffneter Gruppen in Tschetschenien zurück. (Amnesty International: Amnesty International Report 2012 - The State of the World's Human Rights, 24.05.2012)

 

Rund 200 Terroristen wurden im ersten Halbjahr 2012 im Nordkaukasus "vernichtet", während die Verluste der bewaffneten Strukturen mehr als 100 Mann ausgemacht haben. Das teilte Sergej Tschentschik, Chef der Verwaltung des Innern im nordkaukasischen Föderationsbezirk mit. Zudem seien 235 Mitglieder von Terrorgruppen festgenommen worden. Als Folge von Aktionen der Terroristen seien 32 zivile Einwohner getötet und rund 130 weitere verletzt worden. Im ganzen Jahr 2011 seien 209 Terroristen getötet worden. (Ria Novosti: Rund 200 Terroristen seit Jahresbeginn im Nordkaukasus getötet, 5.7.2012, http://de.rian.ru/politics/20120705/263933440.html, Zugriff 01.08.2012)

 

Nach Schätzung des Bevollmächtigten für den Föderationskreis Nordkaukasus Alexander Chloponin, waren [mit Stand September 2011] rund 1.000 Rebellenkämpfer in diesem Föderationskreis aktiv. (Ria Novosti: Some 1,000 militants 'still active' in North Caucasus, 30.9.2011, http://en.rian.ru/russia/ 20110930/167282370.html, Zugriff 1.8.2012)

 

Die Sicherheitslage im Nordkaukasus ist insgesamt weiterhin schlecht, auch wenn zwischen den einzelnen Entitäten z. T. zu differenzieren ist. Fast täglich gibt es Meldungen über gewaltsame Vorfälle mit Toten und Verletzten in der Region. Besonders betroffen ist weiterhin die Republik Dagestan. Aber auch in Kabardino-Balkarien, Tschetschenien und Inguschetien kommt es zu Zwischenfällen, so dass von einer Normalisierung nicht gesprochen werden kann. Nur vereinzelt ist bisher von Attentaten und anderen extremistischen Straftaten aus den übrigen Republiken des Förderalbezirks Nordkaukasus zu hören. Auf Gewalt durch islamistische Aufständische oder im Zuge von Auseinandersetzungen zwischen Ethnien und Clans reagieren die regionalen und föderalen Behörden weiterhin vor allem mit harter Repression. Die Spirale von Gewalt und Gegengewalt dreht sich dadurch weiter. (Auswärtiges Amt:

Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, Stand Juni 2012, 06.07.2012)

 

Gemäß den Aufzeichnungen des Caucasian Knot gab es 2011 mindestens

1.378 Opfer des bewaffneten Konflikts im Nordkaukasus (2010: 1.710), darunter 750 Tote und 628 Verletzte (2010: 754 und 956). Unter den 750 Toten waren 384 als Mitglieder des bewaffneten Untergrunds bezeichnete Personen, 190 Sicherheitskräfte und 176 Zivilisten. Zudem gab es weiterhin Entführungen, Fälle von Verschwindenlassen und ungesetzliche Festnahmen; 2011 wurden insgesamt 70 solcher Fälle registriert (2010: 50). Weiters wurden 370 mutmaßliche Mitglieder "illegaler bewaffneter Formatierungen" verhaftet (2010: 254). Die meisten der über 1.300 Opfer, nämlich 824, davon 413 Tote, waren in Dagestan zu beklagen (2010: 685, davon 378 Tote), gefolgt von Tschetschenien mit 201 Opfern, davon 95 Tote (2010: 250, davon 127 Tote). Auf Platz drei lag 2011 Kabardino-Balkarien mit 173 Opfern, davon 129 Tote (2010: 161, davon 79 Tote). In Inguschetien gab es 108 Opfer, davon 70 Tote (2010: 326, davon 134 Tote); in Karatschajewo-Tscherkessien 34 Opfer, davon 22 Tote (2010: 4, davon 2 Tote); in Stawropol 24 Opfer, davon 17 Tote (2010: 89, davon 10 Tote); und in Nordossetien 14 Opfer, davon 4 Tote (2010: 195, davon 24 Tote). 2011 gab es in den Regionen des Föderationskreises Nordkaukasus mindestens 167 Explosionen und Terrorakte, 86 in Dagestan, 29 in Inguschetien, 26 in Tschetschenien, 21 in Kabardino-Balkarien, jeweils zwei in Nordossetien und Stawropol und einen in Karatschajewo-Tscherkessien. Sieben der Vorfälle waren Selbstmordattentate. 2010 hatte es noch mindestens 239 solcher Vorfälle gegeben. (Caucasian Knot: In 2011, armed conflict in Northern Caucasus killed and wounded 1378 people, 12.1.2012, http://abhazia.eng.kavkaz-uzel.ru/articles/19641/, Zugriff 01.08.2012)

 

2010 waren 74% der Opfer im Nordkaukasus in Tschetschenien, Inguschetien und Dagestan zu beklagen, 2011 waren es 82%. Beinahe 60% aller Opfer waren 2011 in Dagestan zu verzeichnen. (The Jamestown Foundation: Eurasia Daily Monitor -- Volume 9, Issue 18, 26.01.2012)

 

Teile des Landes, vor allem im Nordkaukasus, sind von hohem Gewaltniveau betroffen. Der relative Erfolg des tschetschenischen Präsidenten Ramsan Kadyrow, bedeutende Rebellenaktivität in seinem Herrschaftsbereich einzuschränken, ging einher mit zahlreichen Berichten über außergerichtliche Tötungen und Kollektivbestrafung. Zudem breitete sich die Rebellenbewegung in den umliegenden russischen Republiken, wie Inguschetien, Dagestan und Kabardino-Balkarien aus. Hunderte Beamte, Aufständische und Zivilisten sterben jedes Jahr durch Bombenanschläge, Schießereien und Morde. Der Bombenanschlag am Flughafen Domodedovo, bei dem mindestens 37 Personen starben, machte deutlich, dass der Kreml die Gewalt noch eindämmen muss. (Freedom House: Freedom in the World 2012 - Russia, März 2012)

 

Menschenrechte

 

Russland befindet sich seit dem Ende der Sowjetunion in einem umfassenden und schwierigen Transformationsprozess. Die rechtlichen Grundlagen für den Menschenrechtsschutz haben sich seit Beginn der 90er Jahre verbessert. Normen und Rechtswirklichkeit klaffen aber weiterhin oft stark auseinander. Ein gravierendes Problem ist nach wie vor die mangelnde Unabhängigkeit von Justiz und Gerichten. Der Menschenrechtsbeauftragte der Russischen Föderation, Wladimir Lukin, übt in seinen Jahresberichten abgewogene, aber teils auch sehr deutliche Kritik unter anderem an Missständen im Gerichtswesen und den Zuständen in russischen Gefängnissen, insbesondere hinsichtlich Gewaltakten gegenüber Häftlingen und deren unzureichender medizinischer Versorgung. Kaum weniger dezidiert äußerte sich in den letzten zwei Jahren der konsultative "Rat zur Entwicklung der Zivilgesellschaft und der Menschenrechte" beim russischen Präsidenten. Insgesamt hat sich die Menschenrechtslage in Russland in jüngerer Vergangenheit trotz entsprechender Willensbekundungen auch des damaligen Präsidenten Medwedew und einer Reihe von Gesetzesänderungen in der Praxis kaum verbessert und allenfalls punktuell-atmosphärisch etwas aufgehellt. Der Europarat äußerte sich mehrmals kritisch zur Menschenrechtslage in der Russischen Föderation. Über ein Viertel der vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg Anfang 2012 anhängigen Individualbeschwerden betreffen Russland. Ein großer Teil der EGMR-Entscheidungen fällt dabei zugunsten der Kläger aus und konstatiert mehr oder weniger gravierende Menschenrechtsverletzungen. Die Umsetzung der Entscheidungen erfolgt vielfach nur mangelhaft; zwar erbringt Russland in der Regel die Kompensationszahlungen an die Kläger bzw. Opfer, in der Sache selbst wird aber wenig unternommen. Ein russischer Gesetzentwurf, der die Urteile des EGMR unter einen Prüfvorbehalt stellen würde, ist nach deutlicher Kritik aus dem Ausland im Sommer 2011 gestoppt worden. Die Verfassung der Russischen Föderation vom Dezember 1993 orientiert sich an westeuropäischen Vorbildern. Sie postuliert, dass die Russische Föderation ein "demokratischer, föderativer Rechtsstaat mit republikanischer Regierungsform" ist. Im Grundrechtsteil der Verfassung ist die Gleichheit aller vor Gesetz und Gericht festgelegt. Geschlecht, Rasse, Nationalität, Sprache, Herkunft und Vermögenslage dürfen nicht zu diskriminierender Ungleichbehandlung führen (Art. 19 Abs. 2). Die Einbindung des internationalen Rechts ist in Art. 15 Abs. 4 der russischen

Verfassung aufgeführt: Danach "sind die allgemein anerkannten Prinzipien und Normen des Völkerrechts und die internationalen Verträge der Russischen Föderation Bestandteil ihres Rechtssystems."

Russland ist folgenden VN-Übereinkommen beigetreten: Internationales Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung (1969); Internationaler Pakt für bürgerliche und politische Rechte (1973) und erstes Zusatzprotokoll (1991); Internationaler Pakt für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (1973); Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (1981) und Zusatzprotokoll (2004); Konvention gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe (1987); Kinderrechtskonvention (1990), deren erstes Zusatzprotokoll gezeichnet (2001). (Auswärtiges Amt: Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, Stand Juni 2012, 06.07.2012)

 

Formal garantiert Russland in der Verfassung von 1993 alle Menschenrechte und bürgerlichen Freiheiten. Präsident und Regierung bekennen sich immer wieder zur Einhaltung von Menschenrechten. Es mangelt jedoch häufig an der praktischen Umsetzung. Menschenrechtler bewerten die Lage weiterhin kritisch und beklagen staatlichen Druck auf zivilgesellschaftliche Akteure. Repressive Traditionen und ein Mangel an Rechtsstaatskultur verbinden sich mit einem teilweise immer noch fehlenden Respekt für individuelle Rechte und Freiheiten. Hinzu kommen Mängel bei der Unabhängigkeit der Judikative und die verbreitete Korruption. Bei der Terrorismusbekämpfung, insbesondere im Nordkaukasus, sind auch autoritäre Einschränkungen der Grundrechte zu beobachten. Trotz einiger Reformbemühungen, namentlich im Strafvollzugsbereich, und punktueller Verbesserungen bestehen bei der Menschenrechtslage im Land zum Teil erhebliche Defizite fort. (Auswärtiges Amt: Länder, Reise, Sicherheit - Russische Föderation - Innenpolitik, Stand Mai 2012, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laen der/Laenderinfos/RussischeFoederation/Innenpolitik_node.html, Zugriff 01.08.2012)

 

Die wichtigsten Menschenrechtsverletzungen 2011 betrafen Verstöße gegen demokratische Prozesse, die Justizverwaltung und den Rechtsstaat, sowie die Meinungsäußerungsfreiheit. Weitere beobachtete Probleme umfassten physische Misshandlung von Wehrdienern durch Militärs; Einschränkungen der Versammlungsfreiheit; weit verbreitete Korruption auf allen Ebenen der Staatsführung und im Gesetzesvollzug; Gewalt gegen Frauen und Kinder; xenophobische Angriffe und Hassverbrechen; gesellschaftliche Diskriminierung, Schikane und Angriffe auf religiöse und ethnische Minderheiten und Immigranten; gesellschaftliche und behördliche Einschüchterung der Zivilgesellschaft und von Gewerkschaftern; Diskriminierung von Homosexuellen; und Einschränkungen der Arbeiterrechte. (U.S. Department of State: Country Report on Human Rights Practices for 2011 - Russia, 24.5.2012)

 

Todesstrafe

 

Das Strafgesetzbuch sieht seit 1997 für schwere Kapitalverbrechen die Todesstrafe vor. Seit 1996 galt jedoch ein Moratorium des Staatspräsidenten gegen die Verhängung der Todesstrafe. Der Verpflichtung, bis spätestens 1999 auch dem 6. Protokoll zur EMRK über die Abschaffung der Todesstrafe beizutreten, ist Russland bisher nicht nachgekommen. Eine Gesetzesvorlage zur Ratifikation des Protokolls ist seit Dezember 2001 in der Duma anhängig, wurde bisher nicht zur Abstimmung gebracht, weil sich keine Mehrheit abzeichnet. Die Bevölkerung ist mehrheitlich für die Beibehaltung der Todesstrafe, der Menschenrechtsbeauftragte Lukin berichtet aber von einem zunehmenden Stimmungswandel. Im Hinblick auf die Europaratmitgliedschaft hat das russische Verfassungsgericht trotz des de-iure-Fortbestehens der Todesstrafe bereits 1999 entschieden und 2009 bestätigt, dass die Todesstrafe in Russland auch weiterhin nicht verhängt werden darf; man kann somit von einer de facto Abschaffung der Todesstrafe sprechen. (Auswärtiges Amt: Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, Stand Juni 2012, 06.07.2012)

 

Die Todesstrafe ist in der Praxis abgeschafft. (Amnesty International: Amnesty International Report 2012 - The State of the World's Human Rights, 24.05.2012)

 

Frauen

 

Gemäß Artikel 19 Absatz 3 der Verfassung haben "Mann und Frau die gleichen Rechte und Freiheiten und die gleichen Möglichkeiten zu deren Realisierung". Die Anzahl von Frauen in Führungspositionen entspricht ungefähr dem europäischen Durchschnitt. (Auswärtiges Amt:

Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, Stand Juni 2012, 06.07.2012)

 

Grundversorgung/Wirtschaft

 

Seit 2000 haben sich die Realeinkünfte der Bevölkerung im Durchschnitt mehr als verdoppelt, gleichzeitig ging die Armut zurück. Während nach offiziellen Angaben im Jahr 2000 in Russland über 29 % der Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze lebten, waren es 2011 etwa 14%. Staatliche Unterstützung reicht häufig jedoch nicht zur Deckung des Grundbedarfs. Die zwischenzeitlich gestiegene Arbeitslosenquote sank nunmehr wieder auf das Niveau vor der Wirtschaftskrise. Problematisch ist die Situation der Rentner. In der jüngeren Vergangenheit hat sich die Lage nach einigen Rentenerhöhungen verbessert, die Mehrheit der Rentner lebt jedoch in armen Verhältnissen. (Auswärtiges Amt: Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, Stand Juni 2012, 06.07.2012)

 

Gemäß Umfrageergebnissen des Lewada-Zentrums in 45 russischen Regionen, ist für ein "normales Leben" eines russischen Staatsbürgers eine Mindestsumme von 27.247 Rubel (ca. 680 Euro) notwendig - um rund 80 Euro mehr als in einer analogen Statistik aus dem Vorjahr (24.000 Rubel). Die Umfragewerte entsprechen in etwa den offiziellen Angaben zum Durchschnittseinkommen der Russen, das laut dem staatlichen Statistikamt Rosstat bei 25.600 Rubel liegt. Die Befragten sind der Ansicht, dass das Existenzminimum für jedes Familienmitglied mindestens 12.000 Rubel (ca. 300 Euro) betragen muss. In dieser Frage weichen die Antworten der Bürger etwas von den Berechnungen der Behörden ab: In Moskau gilt als Existenzminimum derzeit eine Summe von 9.600 Rubel (240 Euro), während im Gebiet Tjumen (Westsibirien) etwas mehr als 6.000 Rubel (150 Euro) ausreichen. (Ria Novosti: Konsumenten-Studie: Westen spart, Russen prassen, 21.6.2012,

http://de.rian.ru/society/20120621/263842348.html, Zugriff 01.08.2012)

 

Die Zahl der sozial schwachen Einwohner Russlands, deren Einkommen unter dem Existenzminimum liegen, ist 2011 laut vorläufigen Angaben der russischen Statistikbehörde im Vergleich zu 2010 um 1,1 Prozent auf 18,1 Millionen gestiegen, das sind 12,8 Prozent der gesamten Landesbevölkerung. Das von der russischen Regierung festgelegte Existenzminimum pro Kopf der Bevölkerung hatte im vierten Quartal 2011 im Landesdurchschnitt 6.209 Rubel (ca. 155 Euro) pro Monat betragen. Für die erwerbsfähigen Bürger lagen die Lebenshaltungskosten etwas höher, bei 6.710 Rubel (ca. 168 Euro), für die Rentner bei 4.902 Rubel (122,5 Euro), für Kinder bei 5.993 Rubel (150 Euro). (Ria Novosti: Fast 13 Prozent der Bevölkerung Russlands leben unter der Armutsgrenze, 12.4.2012, http://de.rian.ru/business/20120412/263344348.html, Zugriff 01.08.2012)

 

Die Arbeitslosigkeit ist weiterhin rückläufig. Nach einer durchschnittlichen Arbeitslosenquote im Jahr 2010 von 7,5% waren 2011 noch 6,6% der erwerbsfähigen Bevölkerung ohne Arbeit. (jeweils berechnet nach der ILO-Methode). Allerdings bestehen erhebliche regionale Unterschiede. Der Durchschnittslohn 2011 betrug rund

23.700 Rubel (knapp 600 ¿), was einem nominalen Wachstum von 13% und einem realen Wachstum von 4,2% gegenüber dem Vorjahr entspricht. Die Durchschnittsrente betrug 2011 8.522 Rubel (ca. 213 Euro), nominal plus 8,8% und real plus 1,2% gegenüber dem Vorjahr. (Auswärtiges Amt: Länder, Reise, Sicherheit - Russische Föderation - Innenpolitik, Stand Mai 2012,

http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/RussischeFoederation/Innenpolitik_node.html, Zugriff 01.08.2012)

 

Seit 2002 gibt es in Russland ein Pensionssystem, das eine obligatorische Pensionsversicherung, staatliche Pensionsunterstützung und eine nicht-staatliche Pensionsversicherung umfasst. Ältere Menschen erhalten unabhängig von der Dauer ihrer Beschäftigungsverhältnisse Pensionen. Die staatliche Sozialhilfe wird jenen Bürgern ausbezahlt, die aus einem bestimmten Grund kein Recht auf Alterspension haben. Hierzu gehören unter anderem Behinderte der Gruppen I, II und II, darunter von klein auf Behinderte, behinderte Kinder, Männer ab einem Alter von 65 und Frauen ab einem Alter von 60 Jahren, wenn sie nicht genug Versicherungszeiten haben. Mehr als 3 Millionen Personen erhalten die staatliche Sozialhilfe. Arbeitspensionen werden über die obligatorische Pensionsversicherung (OPI) ausbezahlt. Alterspensionen sind monatliche Barzahlungen, die Gehälter oder andere Zahlungen ersetzen, die die versicherte Person aufgrund von Arbeitsunfähigkeit aufgrund ihres Alters oder Behinderung verliert.

Es gibt drei Arten von Pensionen im Rahmen der OPI: Alterspension, Invaliditätspension, Überlebendenpension. Die häufigste Pension ist die Alterspension, für die man mindestens fünf Versicherungsjahre benötigt. Das Mindestalter für die Alterspension liegt bei 55 Jahren bei Frauen und bei 60 Jahren bei Männern. Frühpensionen, also Personen die 5 bis 10 Jahre vor Erreichen des Pensionsalters in Rente gehen, sind ebenfalls weit verbreitet. Hierfür sind aber längere Versicherungszeiten vorgeschrieben (15 bis 25 Jahre), sowie Tätigkeiten in einem bestimmten Arbeitsfeld (z.B. gesundheitsschädigend). Rund 40 Millionen Russen erhalten die Alterspension. Die Überlebendenpension wird Verwandten ausbezahlt, die den Familienernährer verloren haben, und die auf dessen Einkommen bis zum Tag seines Todes abhängig waren (Kinder, Eltern, Ehepartner, Geschwister und Großeltern). Rund 11 Millionen Personen haben zusätzlich in nicht-staatliche Pensionsfonds Anzahlungen geleistet. (Pension Fund of the Russian Federation: Pension system principles, ohne Datum, http://www.pfrf.ru/ot_en/system/, Zugriff 01.08.2012 / Council of Europe - European Committee of Social

Rights: 1st National Report on the implementation of the European Social Charter submitted by the government of the Russian Federation, 28.10.2011)

 

Seit 1.1.2007 erhält in Russland jede Familie für die Geburt oder Adoption eines zweiten Kindes (bzw. ein drittes oder weiteren Kindes, wenn der Anspruch auf das Geld noch nicht bei der Geburt eines vorigen Kindes eingelöst wurde) so genanntes "Mutterschaftskapital". Die Höhe des Mutterschaftskapitals wurde jährlich angehoben, und beträgt für 2012 387.640 Rubel. Die Zertifikate für das Mutterschaftskapital erhält man bei der lokalen Stelle des russischen Pensionsfonds. Das Kapital wird nicht bar ausbezahlt, sondern kann für folgendes investiert werden:

Verbesserung des Wohnraums (Kauf oder Bau eines Wohnraums, Zahlung von Hypothekendarlehen), Bildung für eines der Kinder der Familie (u. a. Kindergarten, höhere Schulbildung, postgraduale Kurse) oder um die zukünftige Pension der Mutter zu aufzustocken. Die Geldsumme kann - mit Ausnahme der Hypothekenrückzahlung - erst verwendet werden, wenn das (zweite oder weitere) Kind drei Jahre alt wird. (Pension Fund of the Russian Federation: Maternity (family) capital, ohne Datum, http://www.pfrf.ru/ot_en/mother/, Zugriff 1.8.2012 / IOM: Länderinformationsblatt Russische Föderation, Juni 2011)

 

Medizinische Versorgung

 

Die Behandlung und die Medikamente für einige Krankheiten werden auch aus regionalen Budgets bestritten. Die Liste von Erkrankungen, die Patienten berechtigen, Medikamente kostenlos zu erhalten, wird vom Ministerium für Gesundheit und soziale Entwicklung erstellt. Sie umfasst unter anderen: multiple Sklerose, Parkinson, Glaukom, geistige Erkrankungen, AIDS/HIV, Schizophrenie und Epilepsie, systemisch chronische Hauterkrankungen, Bronchialasthma, Rheumatismus, rheumatische Gicht, Diabetes, zerebral-spastische Kinderlähmung, fortschreitende zerebrale Pseudosklerose, hämatologische Erkrankungen, Lepra, Tuberkulose, chronisch-urologische Erkrankungen, Syphilis, Herzinfarktnachsorge

 

(6 Monate nach dem Infarkt), Organtransplantationen, Mukoviszidose bei Kindern, Kinder unter 3 Jahren, Kinder unter 6 Jahren aus sehr kinderreichen Familien, im Falle bettlägeriger Patienten erhält ein Angehöriger oder Sozialarbeiter die Medikamente gegen Verschreibung. Die Medikamentenpreise sind von Region zu Region und, teilweise auch in Abhängigkeit von der Lage einer Apotheke unterschiedlich, da es in der Russischen Föderation keine Fixpreise für Medikamente gibt. Die Preise für Aspirin-Tabletten in Moskauer Apotheken liegen beispielsweise zwischen 30 (ca. 1,07 USD) und 135 RUB (ca. 4,80 USD). Um Arzneimittel erhalten zu können, sollte die betreffende Person über einen Personalausweis und eine Krankenpflichtversicherung (OMS) oder eine freiwillige Krankenversicherung (DMS) verfügen. (IOM: Länderinformationsblatt Russische Föderation, Juni 2011) Das "Föderale Gesetz Nr. 326 über die medizinische Pflichtversicherung in der Russischen Föderation vom 29.11.2010" legt fest, dass jeder russische Staatsbürger eine kostenlose medizinische Grundversorgung in Anspruch nehmen kann. Bei Anmeldung in der Klinik muss die Krankenversicherungskarte (oder der Polizze) vorgelegt werden, womit der Zugang zur medizinischen Versorgung auf dem Gebiet der Russischen Föderation, unabhängig von der Meldeadresse, gewährt ist. Allerdings gibt es Einschränkungen bei der freien Wahl der Klinik und des Arztes. Ein Wechsel der Klinik, bei der man sich als Patient angemeldet hat, ist nur einmal im Jahr möglich, ebenso ein Wechsel des Arztes. Außerdem kann ein Arzt einen Patienten wegen Überlastung ablehnen. Im Bezug auf das "Föderale Gesetz Nr. 323 über die Grundlagen der medizinischen Versorgung der Bürger der Russischen Föderation vom 21.11.2011" listet die "Rossijskaja Gazeta" neben der freien Wahl des Arztes und der medizinischen Einrichtung durch den Patienten folgende Neuerungen auf: Einheitlicher Standard der Krankenversorgung und Qualitätsforderung der medizinischen Dienstleistungen in allen Regionen. Unzulässigkeit der Verweigerung von medizinischer Hilfe. Definiert wurde der Begriff orphaner (seltener) Krankheiten, deren teure medikamentöse Behandlung auf Kosten regionaler Quellen und aus dem föderalen Budget bezahlt wird. Eingeführt wird eine "Woche der Ruhe" bei Schwangerschaftsunterbrechung. Die Abtreibung darf erst sieben Tage nach dem Besuch der medizinischen Einrichtung gemacht werden. Verankert ist das Recht der Bürger auf eine Kryokonservierung und Aufbewahrung der Geschlechtszellen und des Gewebes reproduktiver Organe. Gesetzlich verankert und geregelt ist die Leihmutterschaft. (ÖB Moskau: Auskunft der Konsularabteilung, 4.4.2012) Das Föderale Gesetz 323-FZ ist seit 01.01.2012 in Kraft. Dieses Gesetz wurde ausgearbeitet, um die Gesetzgebung im Bereich des Gesundheitswesens zu verbessern und gilt zurzeit als das grundlegende Regelwerk des Gesundheitswesens der RF. Gemäß Art. 19 Abs. 2 des Gesetzes 323-FZ hat jeder Mensch Anrecht auf kostenlose medizinische Hilfestellung in dem gemäß "Programm der Staatsgarantien für kostenlose medizinische Hilfestellung" garantierten Umfang. Außerdem hat er Anrecht auf den Bezug kostenpflichtiger medizinischer Leistungen sowie anderer Serviceleistungen, u. a. im Rahmen einer freiwilligen Krankenversicherung. Das Föderale Gesetz 326-FZ über ist seit 1. Jänner 2011 in Kraft. Im Einklang mit Art. 21 des Gesetzes 323-FZ haben Personen das Recht auf freie Wahl der medizinischen Anstalt und des Arztes (vorausgesetzt der Arzt ist einverstanden), wenn sie medizinische Hilfe im Rahmen des "Programms der Staatsgarantien für kostenlose medizinische Hilfestellung" beziehen. Für einfache medizinische Hilfe, die in der Regel in Polikliniken erwiesen wird, haben Personen das Recht, die medizinische Anstalt nicht öfter als einmal pro Jahr, unter anderem nach dem territorialen Prinzip (d.h. am Wohn-, Arbeits- oder Ausbildungsort), zu wechseln. Davon ausgenommen ist ein Wechsel im Falle einer Änderung des Wohn- oder Aufenthaltsortes). In der ausgewählten Organisation können Personen ihren Allgemeinarzt, Kinderarzt oder Feldscher nicht öfter als einmal pro Jahr wechseln (Ausnahme: Wechsel der medizinischen Anstalt), indem ein entsprechender Antrag persönlich oder über einen Vertreter an die Direktion der medizinischen Anstalt gestellt wird. Falls eine geplante spezialisierte medizinische Hilfestellung im Krankenhaus nötig wird, erfolgt die Auswahl der medizinischen Anstalt durch den Patienten gemäß der Empfehlung des betreuenden Arztes oder selbständig, falls am "Programm der Staatsgarantien für kostenlose medizinische Hilfestellung" im gegebenen Falle mehrere medizinische Anstalten teilnehmen. Bei der Wahl des Arztes und der medizinischen Anstalt haben Personen das Recht auf den Erhalt von Informationen in einer für sie verständlichen Form (u.a. im Internet) über die medizinische Anstalt, deren Dienstleistungen und deren Ärzte (inkl. Ausbildungsniveau und Qualifikationen). Vom "Programm der Staatsgarantien für kostenlose medizinische Hilfestellung" 2012 sind so wie bisher alle Arten von kostenloser medizinischer Versorgung (Notfallhilfe, ambulante Versorgung, stationäre Versorgung, spezialisierte Eingriffe) erfasst. Es gibt nach Auskunft des Gesundheitsministeriums keine Erkrankungen deren Behandlung für den Patienten prinzipiell kostenpflichtig ist, wenn diese aus medizinischer Sicht notwendig ist. Die Finanzierung der medizinischen Leistungen, die von den medizinischen Einrichtungen für den Patienten gratis erbracht werden, kommt dabei aus verschiedenen Quellen (Pflichtversicherungsbasisprogramm, regionalen sowie föderalem Budget). Tatsächlich zu bezahlen sind vom Patienten neben reinen Serviceleistungen (Einzelzimmer u.Ä.) jene medizinischen Leistungen, die ohne medizinische Indikation, auf Wunsch des Patienten durchgeführt werden (z.B. zusätzliche Untersuchungen, die lt. behandelndem Arzt nicht indiziert sind). In diesem Zusammenhang darf auch auf Art. 33 (2) des föderalen Gesetzes Nr. 323-FZ hingewiesen werden, wonach "die Organisation von einfacher medizinischer Hilfe nach dem territorialen Prinzip erfolgt, damit diese näher an den Wohn-, Arbeits- oder Ausbildungsort gebracht werden kann. Das territoriale Prinzip sieht vor, dass Gruppen der zu bedienenden Bevölkerung gebildet werden, gemäß ihrem Wohn-, Arbeits- oder Ausbildungsort in bestimmten Organisationen und unter Berücksichtigung von Art. 21 des vorliegenden föderalen Gesetzes." Das heißt, dass auch die Inanspruchnahme einer medizinischen Standardleistung (gilt nicht für Notfälle) in einem anderen, als dem nach Art. 21 des Gesetzes 323-FZ gewählten Krankenhaus, bzw. bei einem anderen, als dem gewählten Arzt, kostenpflichtig ist. (ÖB Moskau: Auskunft der Konsularabteilung, 04.05.2012)

 

In der Russischen Föderation ist die Behandlung von HIV/Aids für russische Staatsbürger kostenlos. Laut dem Programm "Dringende Maßnahmen zur Vorbeugung von Krankheiten im Zusammenhang mit HIV in der Russischen Föderation" sollte in allen Regionen, auch der Tschetschenischen Republik, der Zugang zu antiretroviraler Therapie möglich sein. (IOM: Anfragebeantwortung durch IOM Moskau, per E-Mail vom 03.01.2011)

 

PTSD (PTBS) ist in Tschetschenien ambulant und stationär durch Psychiater behandelbar, beispielsweise bei der Psychoneurologischen Republiksausgabestelle in Grosny oder im Psychiatrischen Republikskrankenhaus Samashki in Atschoj-Martan. (SOS International (via MedCOI): BMA 4433, 31.10.2012)

 

Behandlung nach Rückkehr

 

Dem Auswärtigen Amt sind keine Fälle bekannt, in denen russische Staatsangehörige bei ihrer Rückkehr nach Russland allein deshalb staatlich verfolgt wurden, weil sie zuvor im Ausland einen Asylantrag gestellt hatten. Mit dem Föderationsgesetz von 1993 wurde ein Registrierungssystem geschaffen, nach dem Bürger den örtlichen Stellen des Innenministeriums ihren gegenwärtigen Aufenthaltsort und ihren Wohnsitz melden müssen. Voraussetzung für eine Registrierung ist die Vorlage des Inlandspasses (ein von russischen Auslandsvertretungen in Deutschland ausgestelltes Passersatzpapier reicht nicht aus) und nachweisbarer Wohnraum. Nur wer eine Bescheinigung seines Vermieters vorweist, kann sich registrieren lassen. Kaukasier haben jedoch größere Probleme als Neuankömmlinge anderer Nationalität, überhaupt einen Vermieter zu finden. (Auswärtiges Amt: Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, Stand Juni 2012, 06.07.2012)

 

II.4. Das Bundesasylamt hat ein mängelfreies, ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren durchgeführt und in der Begründung des angefochtenen Bescheides die Ergebnisse dieses Verfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammengefasst.

 

II.4.1. Die Identität des Beschwerdeführers konnte mangels Vorlage eines Identitätsdokumentes mit Lichtbild nicht festgestellt werden. Die Staatsangehörigkeit und das Verwandtschaftsverhältnis des minderjährigen Beschwerdeführers (II.3.1.) konnten auf Grund der Angaben der Mutter des Beschwerdeführers und nach Vorlage einer Geburtsurkunde zumindest glaubhaft gemacht werden. Der Verfahrensgang im Asylverfahren der Mutter des Beschwerdeführers und der Verfahrensgang im Asylverfahren des Beschwerdeführers (II.3.1.) ergeben sich aus den Akten des Bundesasylamtes, Zahlen Zahl 12 13.137-BAE und Zahl 12 13.203-BAE, und des Asylgerichtshofes, Zahlen D7 432891-1/2013 und

 

D7 432894-1/2013.

 

II.4.2. Die Feststellung, dass für den minderjährigen Beschwerdeführer keine eigenen Verfolgungsgründe geltend gemacht wurden (II.3.2.), beruht auf den Angaben des Beschwerdeführers und seiner gesetzlichen Vertretung. Im Hinblick auf ein allfälliges Durchschlagen der behaupteten Fluchtgründe der Mutter des Beschwerdeführers wird auf das entsprechende Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom heutigen Tag verwiesen, wo der erkennende Senat, wie schon das Bundesasylamt, davon ausging, dass allfällige Asylgründe nicht glaubhaft gemacht werden konnten. Daher konnte auch keinerlei Gefährdung des Beschwerdeführers in der Russischen Föderation glaubhaft gemacht oder von Amts wegen festgestellt werden.

 

II.4.3. Die Feststellungen zum Gesundheitszustand des Beschwerdeführers, zu seiner Situation in Österreich und zu Verwandten im Herkunftsstaat (II.3.3. und II.3.4.) beruhen auf den Angaben des Beschwerdeführers und seiner Mutter.

 

II.4.4. Die Feststellungen zur aktuellen Lage im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers (II.3.5.) beruhen auf den jeweils darunter genannten Erkenntnisquellen. Die herangezogenen Berichte und Informationsquellen stammen Großteils von staatlichen Institutionen oder diesen nahestehenden Einrichtungen und es gibt keine Anhaltspunkte dafür, Zweifel an deren Objektivität und Unparteilichkeit aufkommen zu lassen. Die inhaltlich übereinstimmenden Länderberichte befassen sich mit der aktuellen Lage in der Russischen Föderation.

 

II.5. Gemäß § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG 2005, in der Fassung BGBl. I Nr. 135/2009, ist im Sinne dieses Bundesgesetzes Familienangehöriger:

wer Elternteil eines minderjährigen Kindes, Ehegatte oder zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjähriges lediges Kind eines Asylwerbers oder eines Fremden ist, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten zuerkannt wurde, sofern die Ehe bei Ehegatten bereits im Herkunftsstaat bestanden hat; dies gilt weiters auch für eingetragene Partner, sofern die eingetragene Partnerschaft bereits im Herkunftsstaat bestanden hat.

 

Stellt gemäß § 34 Abs. 1 AsylG 2005, in der Fassung BGBl. I Nr. 29/2009, ein Familienangehöriger (§ 2 Abs. 1 Z 22) von

 

einem Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden ist;

 

einem Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten (§ 8) zuerkannt worden ist oder

 

einem Asylwerber

 

einen Antrag auf internationalen Schutz, gilt dieser als Antrag auf Gewährung desselben Schutzes.

 

Gemäß § 34 Abs. 2 AsylG 2005, in der Fassung BGBl. I Nr. 122/2009, hat die Behörde auf Grund eines Antrages eines Familienangehörigen eines Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden ist, dem Familienangehörigen mit Bescheid den Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn

 

dieser nicht straffällig geworden ist (§ 2 Abs. 3);

 

die Fortsetzung eines bestehenden Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK mit dem Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde, in einem anderen Staat nicht möglich ist und

 

gegen den Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde, kein Verfahren zur Aberkennung dieses Status anhängig ist (§ 7).

 

Gemäß § 34 Abs. 3 AsylG 2005, in der Fassung BGBl. I Nr. 122/2009, hat die Behörde auf Grund eines Antrages eines Familienangehörigen eines Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt worden ist, dem Familienangehörigen mit Bescheid den Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn

 

dieser nicht straffällig geworden ist (§ 2 Abs. 3);

 

die Fortsetzung eines bestehenden Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK mit dem Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde, in einem anderen Staat nicht möglich ist;

 

gegen den Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde, kein Verfahren zur Aberkennung dieses Status anhängig ist (§ 9) und

 

dem Familienangehörigen nicht der Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen ist.

 

Die Behörde hat Anträge von Familienangehörigen eines Asylwerbers gesondert zu prüfen; die Verfahren sind unter einem zu führen; unter den Voraussetzungen der Abs. 2 und 3 erhalten alle Familienangehörigen den gleichen Schutzumfang. Entweder ist der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wobei die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten vorgeht, es sei denn, alle Anträge wären als unzulässig zurückzuweisen oder abzuweisen. Jeder Asylwerber erhält einen gesonderten Bescheid. Ist einem Fremden der faktische Abschiebeschutz gemäß § 12a Abs. 4 zuzuerkennen, ist dieser auch seinen Familienangehörigen zuzuerkennen

 

(§ 34 Abs. 4 AsylG 2005, in der Fassung BGBl. I Nr. 122/2009).

 

Die Bestimmungen des Abs. 1 bis 4 gelten sinngemäß für das Verfahren beim Asylgerichtshof (§ 34 Abs. 5 AsylG 2005, in der Fassung BGBl. I Nr. 4/2008).

 

Die Bestimmungen dieses Abschnitts sind nicht anzuwenden:

 

auf Familienangehörige, die EWR-Bürger oder Schweizer Bürger sind;

 

auf Familienangehörige eines Fremden, dem der Status des Asylberechtigten oder der Status des subsidiär Schutzberechtigten im Rahmen eines Verfahrens nach diesem Abschnitt zuerkannt wurde, es sei denn es handelt sich bei dem Familienangehörigen um ein minderjähriges lediges Kind (§ 34 Abs. 6 AsylG 2005, in der Fassung BGBl. I Nr. 135/2009).

 

II.6. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht wegen Drittstaatsicherheit oder Zuständigkeit eines anderen Staates zurückzuweisen ist, der Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des

 

Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention droht.

 

Abs. 1 bezeichnet die Voraussetzungen, unter denen einem Fremden des Status des Asylberechtigten zuerkannt wird. Dies sind einerseits der Antrag auf internationalen Schutz und andererseits, dass glaubhaft ist, dass die Voraussetzungen des

 

Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK vorliegen (1. RV 952 XXII.GP).

 

Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention definiert, dass als Flüchtling im Sinne dieses Abkommens anzusehen ist, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

 

Zentraler Aspekt dieses Flüchtlingsbegriffs ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 21.12.2000, 2000/01/0131; VwGH 19.04.2001, 99/20/0273).

 

Relevant kann darüber hinaus nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss bei Bescheiderlassung vorliegen, auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen zu befürchten habe (VwGH 19.10.2000, 98/20/0233).

 

Die Mutter des minderjährigen Beschwerdeführers hat im gesamten Asylverfahren keine gegen die Person des Beschwerdeführers gerichteten konkreten Verfolgungshandlungen vorgebracht bzw. glaubhaft machen können. Wenn der Antrag der Mutter des Beschwerdeführers abgewiesen werden musste, sind deren Fluchtgründe auch nicht geeignet, eine Verfolgung für den Beschwerdeführer zu begründen. Nachdem die Mutter des Beschwerdeführers keiner aktuellen Gefährdung bzw. Verfolgung in ihrer Heimat ausgesetzt ist, kann mangels weiterer Fluchtgründe auch nicht von einer Verfolgung des Beschwerdeführers ausgegangen werden. Auch von Amts wegen sind keine Anhaltspunkte für (eigene) Fluchtgründe des Beschwerdeführers bzw. für dessen Verfolgung in der Russischen Föderation hervorgekommen. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des Bescheides des Bundesasylamtes war daher abzuweisen.

 

II.7.1. Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 ist der Status des subsidiär Schutzberechtigen einem Fremden zuzuerkennen,

 

der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird, oder

 

dem der Status des Asylberechtigten aberkannt worden ist,

 

wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

 

Die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach Abs. 1 ist mit der abweisenden Entscheidung nach § 3 oder der Aberkennung des Status des Asylberechtigten nach § 7 zu verbinden (§ 8 Abs. 2 AsylG 2005).

 

Gemäß § 8 Abs. 3 AsylG 2005 sind Anträge auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11) offen steht.

 

Ist ein Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht schon mangels einer Voraussetzung gemäß Abs. 1 oder aus den Gründen des Abs. 3 oder 6 abzuweisen, so hat eine Abweisung nach dann zu erfolgen, wenn ein Aberkennungsgrund gemäß § 9 Abs. 2 vorliegt. Diesfalls ist die Abweisung mit der Feststellung zu verbinden, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat unzulässig ist, da dies eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde. Dies gilt sinngemäß auch für die Feststellung, dass der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuzuerkennen ist

 

(§ 8 Abs. 3a AsylG 2005, in der Fassung BGBl. I Nr. 122/2009).

 

Unter realer Gefahr ist eine ausreichend reale, nicht nur auf Spekulation gegründete Gefahr möglicher Konsequenzen für den Betroffenen im Zielstaat zu verstehen (VwGH 19.02.2004, 99/20/0573).

 

Gemäß Art. 5 § 1 des Fremdenrechtspaketes, BGBl. I Nr. 100/2005, ist das Fremdengesetz mit Ablauf des 31.12.2005 außer Kraft getreten.

 

Am 1. Jänner 2006 ist gemäß § 126 Abs. 1 Bundesgesetz über die Ausübung der Fremdenpolizei, die Ausstellung von Dokumenten für Fremde und die Erteilung von Einreisetitel (Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG), Art. 3 Fremdenrechtspaket 2005, BGBl. I Nr. 100/2005, das FPG in Kraft getreten.

 

Gemäß § 124 Abs. 2 FPG treten, soweit in anderen Bundesgesetzen auf Bestimmungen des Fremdengesetzes 1997 verweisen wird, die entsprechenden Bestimmungen dieses Bundesgesetzes an deren Stelle.

 

II.7.2. Gemäß § 50 Abs. 2 FPG ist die Zurückweisung oder Zurückschiebung Fremder in einen Staat oder die Hinderung an der Einreise aus einem Staat unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort ihr Leben oder ihre Freiheit aus Gründen ihrer Rasse, ihrer Religion, ihrer Nationalität, ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder ihrer politischen Ansichten bedroht wäre (Art. 33 Z 1 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, in der Fassung des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974, es sei denn, es bestehe eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG 2005).

 

Der Fremde hat das Bestehen einer aktuellen, also im Fall seiner Abschiebung in den von seinem Antrag erfassten Staat dort gegebenen, durch staatliche Stellen zumindest gebilligten oder infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abwendbaren Bedrohung im Sinn des § 57 Abs. 1 und/oder Abs. 2 FrG 1997 glaubhaft zu machen, wobei diese aktuelle Bedrohungssituation mittels konkreter, die Person des Fremden betreffender, durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerter Angaben darzutun ist (VwGH 02.08.2000, 98/21/0461, VwGH 25.01.2001, 2001/20/0011).

 

Ausgehend davon, dass für den Beschwerdeführer keine individuellen Fluchtgründe glaubhaft gemacht werden konnten und auch seine Mutter das Vorliegen eines asylrechtlich relevanten Verfolgungssachverhaltes nicht glaubhaft machen konnte, bestehen keine stichhaltigen Gründe für die Annahme, dass das Leben oder die Freiheit des Beschwerdeführers aus Gründen seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Ansichten bedroht wäre, weshalb kein Fall des § 50 Abs. 2 FPG vorliegt.

 

II.7.3. Gemäß § 50 Abs. 1 FPG ist die Zurückweisung, die Hinderung an der Einreise, Zurückschiebung oder Abschiebung Fremder in einen Staat unzulässig, wenn dadurch Art. 2 oder 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), BGBl. Nr. 210/1958, oder das Protokoll Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe verletzt würde oder für sie als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes verbunden wäre.

 

Gemäß Art. 2 EMRK wird das Recht jedes Menschen auf das Leben gesetzlich geschützt. Gemäß Art. 3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden.

 

Die bloße Möglichkeit einer dem Art. 3 MRK widersprechenden Behandlung in jenem Staat, in den ein Fremder abgeschoben wird, genügt nicht, um die Abschiebung des Fremden in diesen Staat unter dem Gesichtspunkt des § 57 FrG 1997 als unzulässig erscheinen zu lassen; vielmehr müssen konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass gerade der Betroffene einer derartigen Gefahr ausgesetzt sein würde (VwGH 27.02.1997, 98/21/0427).

 

Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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