TE Vfgh Erkenntnis 2013/6/28 G10/2013 ua, V4/2013 ua

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Veröffentlicht am 28.06.2013
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Index

37/02 Kreditwesen
21/06 Wertpapierrecht

Norm

B-VG Art18 Abs1
B-VG Art140 Abs1 / Präjudizialität
B-VG Art140 Abs1 / Prüfungsumfang
EMRK Art7
WertpapieraufsichtsG 2007 §35 Abs1, Abs2, Abs3, Abs4
Interessenkonflikte- und Informationen für Kunden-V der Finanzmarktaufsichtsbehörde (FMA) §2
Richtlinie 2004/39/EG über die Märkte und Finanzinstrumente Art13, Art18
Richtlinie 2006/73/EG zur Durchführung der Richtlinie 2004/39/EG in Bezug auf die organisatorischen Anforderungen an Wertpapierfirmen Art22

Leitsatz

Kein Verstoß von Bestimmungen des WertpapieraufsichtsG 2007 betreffend Leitlinien für den Umgang mit Interessenkonflikten gegen das Bestimmtheitsgebot des B-VG und der EMRK; Einstellung der amtswegigen Normenprüfungsverfahren hinsichtlich der von der FMA zu erlassenden bzw erlassenen Verordnung; Abweisung der Anträge eines Unabhängigen Verwaltungssenates

Spruch

I.              1. §35 Abs1, 2 und 3 des Bundesgesetzes über die Beaufsichtigung von Wertpapierdienstleistungen (Wertpapieraufsichtsgesetz – WAG 2007), BGBl I Nr 60/2007, wird nicht als verfassungswidrig aufgehoben.

2. Hinsichtlich §35 Abs4 WAG 2007 wird das von Amts wegen eingeleitete Gesetzesprüfungsverfahren eingestellt.

3. Das von Amts wegen eingeleitete Verordnungsprüfungsverfahren hinsichtlich §2 Z1, 2, 4 und 5 der Verordnung der Finanzmarktaufsichtsbehörde (FMA) über Standards für Verfahren und Maßnahmen zur Bewältigung von Interessenkonflikten und über Informationen für Kunden bei der Erbringung von Wertpapierdienstleistungen (Interessenkonflikte- und Informationen für Kunden-Verordnung – IIKV), BGBl II Nr 216/2007, wird eingestellt.

II.              Die Anträge des Unabhängigen Verwaltungssenats Wien werden abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Anlassverfahren, Prüfungsbeschluss, Anträge und Vorverfahren

1. Beim Verfassungsgerichtshof ist ein zu B1444-1449/11 protokolliertes Beschwerdeverfahren von sechs Beschwerdeführern, die zum Tatzeitpunkt Vorstandsmitglieder (Geschäftsleiter) der Raiffeisenlandesbank Oberösterreich AG waren, anhängig, dem folgender Sachverhalt zu Grunde liegt:

Mit Straferkenntnissen vom 16. Juli 2010 verhängte die Finanzmarktaufsichtsbehörde (FMA) als erstinstanzliche Strafbehörde gegen die sechs Beschwerdeführer eine näher bestimmte Geld- und Ersatzfreiheitsstrafe. Sie hätten es als zur Vertretung der Raiffeisenlandesbank Oberösterreich AG nach außen Befugte gemäß §9 Abs1 VStG zu verantworten, dass es entgegen der "Leitlinie für den Umfang mit Interessenkonflikten und Anreizen (Conflict of Interest Policy), Stand Juni 2009" der Raiffeisenlandesbank Oberösterreich AG im näher festgelegten Tatzeitraum keine personelle und räumliche Trennung zwischen Kunden- und Eigenhandel gegeben hätte. Die Beschwerdeführer hätten dadurch §95 Abs2 Z1, §35 Abs1 WAG 2007 iVm §9 Abs1 VStG übertreten.

Der Unabhängige Verwaltungssenat Wien (im Folgenden: UVS) wies die dagegen von den Beschwerdeführern ergriffenen Berufungen in der Schuldfrage ab, modifizierte die Umschreibung der Tathandlung und reduzierte das Strafausmaß. In der dagegen erhobenen Beschwerde machen die Beschwerdeführer die Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte und die Anwendung des als verfassungswidrig erachteten §35 Abs1 WAG 2007, BGBl I 60/2007, geltend.

2. Aus Anlass dieser Beschwerde hat der Verfassungsgerichtshof am 11. Dezember 2012 gemäß Art140 Abs1 B-VG beschlossen, die Verfassungsmäßigkeit des §35 Abs1, 2, 3 und 4 WAG 2007, BGBl I Nr 60/2007, und die Gesetzmäßigkeit des §2 Z1, 2, 4 und 5 IIKV, BGBl II Nr 216/2007, von Amts wegen zu prüfen.

Der Verfassungsgerichtshof ist im Prüfungsbeschluss vorläufig davon ausgegangen, dass die Beschwerde zulässig ist, der UVS als belangte Behörde bei Erlassung der angefochtenen Bescheide die – offenbar eine untrennbare Einheit bildenden – Bestimmungen des §35 Abs1, 2, 3 und 4 WAG 2007, BGBl I 60/2007, und die – aus der Sicht des Anlassfalles offenbar ebenfalls untrennbar zusammenhängenden – Bestimmungen des §2 Z1, 2, 4 und 5 IIKV, BGBl II 216/2007, angewendet hat und auch der Verfassungsgerichtshof bei der Behandlung der Beschwerde diese Gesetzes- und Verordnungsbestimmungen anzuwenden hätte.

Die Erwägungen, die den Verfassungsgerichtshof zur Einleitung des Gesetzes- und des Verordnungsprüfungsverfahrens veranlasst hatten, legte er in seinem Prüfungsbeschluss wie folgt dar:

"[…]

2.1. §34 Abs1 WAG 2007 bestimmt allgemein, dass jeder Rechtsträger im Sinne des §15 WAG 2007 (im Folgenden: Rechtsträger) 'angemessene Vorkehrungen zu treffen [hat], um Interessenkonflikte zwischen ihm selbst, relevanten Personen, vertraglich gebundenen Vermittlern oder anderen Personen, die mit ihm direkt oder indirekt durch Kontrolle verbunden sind, einerseits und seinen Kunden andererseits oder zwischen seinen Kunden untereinander zu erkennen, die bei der Erbringung von Wertpapierdienstleistungen, Anlagetätigkeiten und Nebendienstleistungen oder einer Kombination derselben entstehen'. §34 Abs2 leg.cit. nennt bestimmte Sachverhalte, deren Vorliegen der Rechtsträger hiebei zur Feststellung von Interessenkonflikten im Sinne des Abs1, die den Interessen eines Kunden abträglich sein können, 'zumindest' zu prüfen hat.

§35 WAG 2007 regelt den 'Umgang mit Interessenkonflikten': Jeder Rechtsträger hat gemäß §35 Abs1 WAG 2007 'in schriftlicher Form wirksame, seiner Größe und Organisation sowie der Art, des Umganges und der Komplexität seiner Geschäfte angemessene Leitlinien für den Umgang mit Interessenkonflikten festzulegen und laufend anzuwenden, um zu verhindern, dass Interessenkonflikte den Kundeninteressen schaden'. Die vom Rechtsträger zu erlassenden Leitlinien für den Umgang mit Interessenkonflikten haben gemäß §35 Abs2 WAG 2007 zwei unterschiedliche Bereiche bzw. Aspekte zu behandeln: Zunächst ist 'im Hinblick auf die Wertpapierdienstleistungen, Anlagetätigkeiten und Nebendienstleistungen oder einer Kombination derselben, die vom Rechtsträger oder im Namen des Rechtsträgers erbracht werden, festzulegen, unter welchen Umständen ein Interessenkonflikt, der den Interessen eines oder mehrerer Kunden schaden könnte, vorliegt oder entstehen könnte' (§35 Abs2 Z1 WAG 2007); weiters ist 'festzulegen, welche Verfahren einzuleiten und welche Maßnahmen zu treffen sind, um diese Interessenkonflikte zu bewältigen' (§35 Abs2 Z2 WAG 2007). Diese Verfahren und Maßnahmen sind gemäß §35 Abs3 WAG 2007 'so zu gestalten, dass relevante Personen, die mit Tätigkeiten befasst sind, bei denen ein Interessenkonflikt im Sinne von Abs2 Z1 besteht, diese Tätigkeiten mit einem Grad an Unabhängigkeit ausführen, der der Größe und dem Betätigungsfeld des Rechtsträgers und der Gruppe, der er angehört, sowie dem Risiko einer Schädigung von Kundeninteressen angemessen ist'.

§35 Abs4 WAG 2007 bestimmt, dass 'die FMA […] durch Verordnung Standards festzulegen [hat], denen die Verfahren und Maßnahmen nach Abs2 Z2 entsprechen müssen. Die Verordnung hat Art22 Abs3 zweiter Unterabsatz der Richtlinie 2006/73/EG zu entsprechen'. §35 Abs4 letzter Satz WAG 2007 bestimmt schließlich: 'Sollten die getroffenen Maßnahmen oder Verfahren in der Praxis nicht ausreichen, um das erforderliche Maß an Unabhängigkeit zu gewährleisten, so hat der Rechtsträger alternative oder zusätzliche Maßnahmen oder Verfahren einzurichten.'

Reichen die Verfahren und Maßnahmen nicht aus, um nach vernünftigem Ermessen zu gewährleisten, dass das Risiko der Beeinträchtigung von Kundeninteressen vermieden wird, hat der Rechtsträger dem Kunden die Art und Ursache von Interessenkonflikten offenzulegen, bevor er Geschäfte für den Kunden tätigt (§35 Abs5 erster WAG 2007).

Gemäß §2 IIKV, der auf Grund des §35 Abs4 WAG 2007 erlassen wurde, haben die Rechtsträger 'in ihren Leitlinien für den Umgang mit Interessenkonflikten Verfahren und Maßnahmen festzulegen, die, soweit sie zur Gewährleistung des geforderten Grades an Unabhängigkeit eines Rechtsträgers notwendig und angemessen sind, zumindest' die in den Z1 bis 5 festgelegten Verfahren und Maßnahmen vorsehen müssen.

2.2. Mit §34 und §35 WAG 2007 hat der Gesetzgeber (in Verbindung mit der von der FMA erlassenen IIKV) das in der RL 2004/39/EG und in der RL 2006/73/EG vorgesehene dreistufige Modell für die Behandlung von Interessenkonflikten einerseits zwischen dem Rechtsträger und den Kunden sowie andererseits zwischen den Kunden untereinander festgelegt: Zunächst sind die möglichen Interessenkonflikte zu erkennen (vgl. insbesondere §34 WAG 2007); im Anschluss daran sollen Verfahren und Maßnahmen eingerichtet bzw. getroffen werden, um zu verhindern, dass Interessenkonflikte den Kundeninteressen schaden (§35 Abs1 bis 4 WAG 2007); schließlich sollen die nicht vermeidbaren Interessenkonflikte dem Kunden vor Durchführung des konkreten Geschäfts offen gelegt werden (§35 Abs5 WAG 2007).

§34 und §35 WAG 2007 legen Grundsätze für das Verhalten des Rechtsträgers bei Interessenkonflikten fest. Bei der konkreten Erbringung der Wertpapierdienstleistungen und Nebendienstleistungen für den Kunden hat der Rechtsträger nach der allgemeinen Verhaltensvorschrift des §38 WAG 2007, die durch zahlreiche Vorschriften des Wertpapieraufsichtsgesetzes 2007 konkretisiert und ergänzt wird (vgl. zB Graf in Gruber/N.Raschauer, WAG, Band I, 2009, §38 Rn 1ff; Brandl/Klausberger in Brandl/Saria, WAG2, 2010, §38 Rn 15ff), 'ehrlich, redlich und professionell im bestmöglichen Interesse seiner Kunden zu handeln und den §§36 bis 51 zu entsprechen'.

2.3. Nach Auffassung des Verfassungsgerichtshofes scheinen §35 Abs1 bis 4 WAG 2007 und §2 Z1, 2, 4 und 5 IIKV aus zwei Gründen gegen das rechtsstaatliche Prinzip der Bundesverfassung zu verstoßen:

2.4. Zum einen scheinen §35 Abs1 bis 4 WAG 2007 und §2 Z1, 2, 4 und 5 IIKV gegen das allgemeine Bestimmtheitsgebot des Art18 B-VG und das für Strafrechtsbestimmungen geltende Bestimmtheitsgebot des Art7 EMRK zu verstoßen. Der Gesetzgeber hat es nach der vorläufigen Ansicht des Verfassungsgerichtshofes unterlassen, den Straftatbestand bzw. dessen Elemente so klar zu umschreiben, dass dem Rechtsunterworfenen erkennbar ist, das Zuwiderhandeln stellte eine Verwaltungsübertretung dar (vgl. dazu VfSlg 3207/1957, 4037/1961, 6842/1972, 14.606/1996):

2.4.1. Der Verfassungsgerichtshof hat in ständiger Rechtsprechung die Auffassung vertreten, dass die Verwendung sogenannter unbestimmter Gesetzesbegriffe, die durch eine unscharfe Abgrenzung gekennzeichnet sind, dann mit Art18 B-VG vereinbar ist, wenn die Begriffe einen soweit bestimmbaren Inhalt haben, dass der Rechtsunterworfene sein Verhalten danach einrichten kann und die Anwendung der Begriffe durch die Behörde auf ihre Übereinstimmung mit dem Gesetz überprüft werden kann (zB VfSlg 6477/1971 mwN; ferner VfSlg 11.776/1988 zu unbestimmten Gesetzesbegriffen in einem Straftatbestand). Er hat auch die Auffassung vertreten, dass angesichts der unterschiedlichen Lebensgebiete, Sachverhalte und Rechtsfolgen, die Gegenstand und Inhalt gesetzlicher Regelungen sein können, ganz allgemein davon auszugehen sei, dass Art18 B-VG einen dem jeweiligen Regelungsgegenstand adäquaten Determinierungsgrad verlangt (VfSlg 13.785/1994, S. 666).

2.4.2. Vorweg ist festzuhalten, dass der Verfassungsgerichtshof keine Bedenken gegen die Begriffsbestimmung des Interessenkonfliktes selbst hat. Die betroffenen Rechtskreise können nämlich bestimmen, was darunter zu verstehen ist und unter welchen Voraussetzungen ein solcher vorliegt.

Der Verfassungsgerichtshof hegt allerdings vorläufig das Bedenken, dass die in Prüfung gezogenen Bestimmungen nicht ausreichend bestimmt festlegen, unter welchen Voraussetzungen ein Rechtsträger überhaupt Verfahren und Maßnahmen zur Vermeidung eines Interessenkonflikts zu ergreifen hat, sowie weiters, welche konkreten Verfahren und Maßnahmen zur Vermeidung eines Interessenkonflikts zu setzen sind.

2.5. Zum anderen dürfte das rechtsstaatliche Prinzip der Bundesverfassung angesichts der dargelegten Unbestimmtheit der Normen und der vom Gesetzgeber gewählten Regelungstechnik eine bestimmte Mitwirkung durch die (Aufsichts-)Behörde (zB im Rahmen eines Genehmigungs- oder Untersagungsverfahrens) verlangen, wenn eine Rechtsvorschrift – wie die in Prüfung gezogenen Bestimmungen – einen Rechtsunterworfenen zur Erlassung (rechts)gestaltender Akte anhält und daran hoheitliche Sanktionsvorschriften gegenüber dem Rechtsunterworfenen geknüpft werden. Nur dann darf nach der vorläufigen Ansicht des Verfassungsgerichtshofs der Rechtsunterworfene für die Nichteinhaltung der von ihm selbst festgesetzten Leitlinien verwaltungsstrafrechtlich sanktioniert werden. Dies dürfte im vorliegenden Fall für das Verhältnis zwischen FMA als zuständiger Aufsichtsbehörde und den jeweiligen Wertpapierdienstleistungsunternehmen maßgeblich sein, weil nur durch einen solchen Hoheitsakt (Rechts-)Sicherheit über den Bestand und den notwendigen Inhalt der festzusetzenden Leitlinien gewonnen und die Erlassung bzw. Änderung von bereits seitens des Rechtsträgers erlassenen Leitlinien einem transparenten Regulativ unterworfen werden kann.

2.6. Nach der ständigen Judikatur des Verfassungsgerichtshofes (zB VfSlg 9535/1982) hat die Verfassungswidrigkeit jener Gesetzesbestimmungen, die eine Verordnung bzw. Teile einer Verordnung tragen, zur Folge, dass die Verordnung hiermit der erforderlichen gesetzlichen Deckung entbehrt, weshalb deren präjudizielle Bestimmungen auch in Prüfung zu ziehen sind. Die Bestimmungen des §2 Z1, 2, 4 und 5 IIKV scheinen auch deswegen gesetzwidrig zu sein, weil sie sich auf §35 Abs1 bis 4 WAG 2007, insbesondere §35 Abs4 WAG 2007, stützen, also auf Bestimmungen, die aus den dargelegten Gründen (vgl. Punkt 2.3.-2.5.) verfassungswidrig erscheinen. Der Verfassungsgerichtshof ist somit der vorläufigen Ansicht, dass es den in Prüfung gezogenen Verordnungsbestimmungen an der erforderlichen gesetzlichen Grundlage mangelt."

3. Der Unabhängige Verwaltungssenat Wien (im Folgenden: UVS) stellte gemäß Art140 Abs1 B-VG sowie gemäß Art139 Abs1 B-VG, jeweils in Verbindung mit Art129a Abs3 B-VG und Art89 Abs2 B-VG, die Anträge (protokolliert zu G29/2013, G41/2013, V16/2013, V37/2013), §35 Abs1, 2, 3 und 4 WAG 2007, BGBl I 60/2007, als verfassungswidrig sowie §2 Z1, 2, 4 und 5 IIKV, BGBl II 216/2007, als gesetzwidrig aufzuheben. Der UVS begründete seine Anträge damit, dass mit Straferkenntnissen der FMA bestimmten Beschuldigten, die nunmehr fristgerecht Berufung an den UVS erhoben hätten, in ihrer Eigenschaft als gemäß §9 Abs1 VStG verwaltungsstrafrechtlich verantwortliche Personen von näher bezeichneten Kreditinstituten eine Übertretung des §35 Abs1 und 2 WAG 2007 iVm §2 IIKV zur Last gelegt würde.

3.1. Zur Präjudizialität bringt der UVS vor, er habe im Rahmen der Berufungsentscheidung zu prüfen, ob eine gemäß §95 Abs2 Z1 WAG 2007 verwaltungsstrafrechtlich zu sanktionierende Übertretung des §35 Abs1 und 2 WAG 2007 iVm §2 IIKV vorliege. Gleiches gelte für §35 Abs3 WAG 2007, der die konkrete Ausgestaltung sowie die Angemessenheit der nach §35 Abs1 und 2 WAG 2007 zu treffenden Maßnahmen und Verfahren regle und daher mit den genannten Rechtsvorschriften eine untrennbare Einheit bilde. §35 Abs4 WAG 2007 enthalte – so der UVS Wien – die gesetzliche Ermächtigung zur Erlassung der IIKV. Diese Verordnungsermächtigung sei somit in gleicher Weise präjudiziell wie die gegenständlich als Übertretungsnormen heranzuziehenden Vorschriften des §35 Abs1 und 2 WAG 2007 sowie des §2 IIKV.

3.2. In der Sache schließt sich der UVS den vom Verfassungsgerichtshof im Prüfungsbeschluss zu B1444-1449/2011 geäußerten Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit des §35 Abs1, 2, 3 und 4 WAG 2007, BGBl I 60/2007, sowie der Gesetzmäßigkeit des §2 Z1, 2, 4 und 5 IIKV, BGBl II 216/2007, an, indem der UVS die relevanten Teile des Prüfungsbeschlusses wiedergibt und ausführt, dass er nunmehr auch die vom Verfassungsgerichtshof solcherart begründeten Bedenken hege.

4. Die Bundesregierung erstattete zum amtswegig eingeleiteten Gesetzes- und Verordnungsprüfungsverfahren eine Äußerung, in der sie beantragt, die in Prüfung gezogenen Bestimmungen nicht als verfassungswidrig aufzuheben. Im Einzelnen hält sie den Bedenken des Verfassungsgerichtshofes Folgendes entgegen (Hervorhebungen nicht vom Verfassungsgerichtshof):

"I. Zu den Anlassbeschwerdeverfahren

[…]

II. Zur Rechtslage

[…]

III. Zu den Prozessvoraussetzungen

[…]

Nach Ansicht der Bundesregierung ergibt sich aus den Sprüchen der genannten FMA-Straferkenntnisse ('§35 Abs1 iVm §95 Abs2 Z1 WAG 2007') und UVS-Bescheide ('§35 Abs1 zweiter Fall iVm §95 Abs2 Z1 WAG 2007'), dass nur §35 Abs1 WAG 2007 präjudiziell sein dürfte.

Dagegen dürfte §35 Abs2 bis 4 WAG 2007 in keinem untrennbaren Zusammenhang mit §35 Abs1 WAG 2007 stehen. Maßgeblich für die Entscheidung der belangten Behörde war offenbar der Umstand, dass die entsprechenden Leitlinien nicht eingehalten worden sind, nicht jedoch, dass derartige Leitlinien nicht festgelegt worden wären. Die genannten Absätze bilden nach Ansicht der Bundesregierung insoweit keine 'offenbar untrennbare Einheit'. Des Weiteren enthält §35 Abs4 WAG 2007 bloß eine Verordnungsermächtigung der FMA und die Aufforderung, das vollharmonisierte Unionsrecht betreffend die organisationsrechtlichen Anforderungen an das Interessenkonfliktmanagement eines Unternehmens unter Bedachtnahme auf Art22 Abs3 zweiter Unterabsatz der Richtlinie 2006/73/EG zu berücksichtigen. Es hat weder die FMA noch der UVS die amtswegig in Prüfung gezogenen Verordnungsbestimmungen in den Anlassbeschwerdeverfahren angewendet bzw. wären diese anzuwenden gewesen. Es wurde keine Verwaltungsübertretung nach §95 Abs2 Z1 (zweite Alternative: Verstoß gegen eine Verpflichtung gemäß einer auf Grund von §35 Abs4 WAG 2007 erlassenen Verordnung) WAG 2007 vorgeworfen. Es kann sich daher nur um eine Verwaltungsübertretung nach §95 Abs2 Z1 (erste Alternative: Verstoß gegen eine Verpflichtung gemäß '§§28 bis 59' WAG 2007) handeln. Daher ist die lnteressenkonflikte- und Informationen für Kunden-Verordnung – IIKV, BGBl II Nr 216/2007, in den FMA-Straferkenntnissen und UVS-Bescheiden offenbar auch nicht ausdrücklich erwähnt.

Vor dem Hintergrund dieser Erwägungen geht die Bundesregierung davon aus, dass die in Prüfung gezogenen Vorschriften nur hinsichtlich des §35 Abs1 WAG 2007 präjudiziell sind und die Prozessvoraussetzungen daher im vorliegenden Fall nur teilweise gegeben sein dürften.

IV. Zu den erhobenen Bedenken

1.) Bedenken des Verfassungsgerichtshofes

Nach vorläufiger Auffassung des Verfassungsgerichtshofes scheinen §35 Abs1 bis 4 WAG 2007 und §2 Z1, 2, 4 und 5 IIKV aus zwei Gründen gegen das rechtsstaatliche Prinzip der Bundesverfassung zu verstoßen (vgl. S. 26 f. des Prüfungsbeschlusses):

[…]

Die Bundesregierung teilt diese vorläufigen Bedenken des Verfassungsgerichtshofes im Ergebnis nicht. Nach Ansicht der Bundesregierung kann aus der bisherigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes zum Rechtsstaatsprinzip in seiner Ausformung als Bestimmtheitsgebot insbesondere zur Verwendung unbestimmter Gesetzesbegriffe auf die Verfassungskonformität der in Prüfung gezogenen Bestimmungen geschlossen werden, wie im Folgenden näher ausgeführt werden soll. Weiters ist auch die unionsrechtskonforme Interpretation des nationalen Rechts zu berücksichtigten, da die mit dem WAG 2007 bzw. der IIKV umgesetzten Richtlinien dem Konzept der Vollharmonisierung folgen.

2.) Judikatur zum Rechtsstaatsprinzip (Determinierungsgebot) und zum Gebot der richtlinienkonformen Interpretation des innerstaatlichen Rechts

a) Rechtsprechung zum Bestimmtheitsgebot

Wie der Verfassungsgerichtshof, ausgehend von der im Erkenntnis VfSlg 3207/1957 entwickelten, im Erkenntnis VfSlg 4037/1961 vertieften und seither beibehaltenen (vgl. z.B. VfSlg 8695/1979), aus dem rechtsstaatlichen Gebot des Art18 B-VG abgeleiteten Rechtsprechung dargelegt hat, muss die Rechtsordnung, um dem Einzelnen die Möglichkeit zu geben, sich dem Recht gemäß zu verhalten und den Unrechtsgehalt seines Handelns und Unterlassens eindeutig zu erkennen, die Freiheitssphäre vom Gebiet des Unerlaubten durch eine deutliche Grenzziehung scheiden. Wie der Verfassungsgerichtshof aber gleichfalls wiederholt ausgesprochen hat, macht die Notwendigkeit, eine andere Vorschrift sinngemäß anzuwenden, die Regelung ebensowenig unbestimmt (vgl. z.B. VfSlg 6355/1971) wie die Technik der sogenannten Blankettstrafnorm (vgl. z.B. VfSlg 6896/1972). Tatbestände an deren Übertretung eine Strafdrohung anknüpft, müssen daher so abgefasst sein, dass sich für den Einzelnen Zweifel über die Rechtmäßigkeit seines Verhaltens in Bezug auf den Tatbestand nicht ergeben können (vgl. z.B. VfSlg 11.520/1987 mwH).

Auch hat der Verfassungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung die Auffassung vertreten, dass die Verwendung sogenannter unbestimmter Gesetzesbegriffe, die durch eine unscharfe Abgrenzung gekennzeichnet sind, dann mit Art18 B-VG vereinbar ist, wenn die Begriffe einen soweit bestimmbaren Inhalt haben, dass der Rechtsunterworfene sein Verhalten danach einrichten kann und die Anwendung der Begriffe durch die Behörde auf ihre Übereinstimmung mit dem Gesetz überprüft werden kann (vgl. z.B. VfSlg 6477/1971 mwN; ferner VfSlg 11.776/1988 zu unbestimmten Gesetzesbegriffen in einem Straftatbestand). Art18 B-VG verlangt dabei – angesichts der unterschiedlichen Lebensgebiete, Sachverhalte und Rechtsfolgen, die Gegenstand und Inhalt gesetzlicher Regelungen sein können, – einen dem jeweiligen Regelungsgegenstand adäquaten Determinierungsgrad (vgl. z.B. VfSlg 13.785/1994).

Ob eine Norm dem rechtsstaatlichen Bestimmtheitsgebot entspricht, richtet sich nicht nur nach ihrem Wortlaut, sondern auch nach ihrer Entstehungsgeschichte, dem Gegenstand und dem Zweck der Regelung (vgl. z.B. VfSlg 8209/1977, 9883/1983 und 12.947/1991). Bei der Ermittlung des Inhalts einer gesetzlichen Regelung sind daher alle der Auslegung zur Verfügung stehenden Möglichkeiten auszuschöpfen. Erst wenn nach Heranziehung sämtlicher Interpretationsmethoden noch nicht beurteilt werden kann, wozu das Gesetz ermächtigt, verletzt die Regelung die in Art18 B-VG enthaltenen rechtsstaatlichen Erfordernisse (vgl. z.B. VfSlg 5993/1969, 7163/1973, 7521/1975, 8209/1977, 8395/1978, 11.499/1987, 14.466/1996, 14.631/1996 und 15.493/1999 sowie 16.137/2001 und 16.635/2002).

b) Judikatur zum Bestimmtheitsgebot im Finanzmarktbereich

Was speziell den Finanzmarktbereich betrifft, hat der Verfassungsgerichtshof in VfSlg 16.993/2003 betreffend §82 Abs5 Z3 Börsegesetz 1989 ausgeführt, dass eine Verletzung des Bestimmtheitsgebotes nicht vorliegt, wenn jene Personen, die einer Materie besonders nahe stehen und in einem bestimmten Sachgebiet somit als Fachleute gelten, unter Androhung einer Strafe in eben diesem Sachgebiet zu einem ordnungsgemäßen Verhalten, zur Sorgfalt, zum Ergreifen 'geeigneter' Maßnahmen oder zur Verhinderung von Missbräuchen angehalten werden. In jenem Verfahren ging es um die Frage der Strafbarkeit eines leitenden Bankangestellten auf Grund der Unterlassung geeigneter organisatorischer Maßnahmen zur Verhinderung einer missbräuchlichen Verwendung oder Weitergabe von Insiderinformationen, da der Bereich des 'Aktieneigenhandels' vom 'Aktienkundenhandel' in unzureichender Form getrennt gewesen war. Im Einzelnen heißt es hierzu in VfSlg 16.993/2003 (S. 374) auszugsweise (Hervorhebungen nicht im Original):

[…]

Der Verfassungsgerichtshof hatte auf Grund der genannten Erwägungen auch keine Bedenken gegen die korrespondierende Strafbestimmung des §48 Abs1 Z6 Börsegesetz 1989 sowie die bezughabende Verordnungsermächtigung des (damaligen) §82 Abs5a Börsegesetz 1989 (idF vor BGBl I Nr 19/2007).

c) Bestätigung von VfSlg 16.993/2003 durch VfSlg 17.349/2004

In VfSlg 17.349/2004 werden die Überlegungen von VfSlg 16.993/2003 hinsichtlich des sachkundigen Personenkreises vom Verfassungsgerichtshof ausdrücklich bestätigt. Der Verfassungsgerichtshof hatte dabei keine Bedenken gegen die in der Lebensmittelhygieneverordnung vorgesehene Verpflichtung des Inhabers oder Geschäftsführers eines Lebensmittelunternehmens zur Festlegung, Durchführung, Einhaltung und Überprüfung angemessener Sicherheitsmaßnahmen für die Lebensmittelsicherheit im Hinblick auf das Bestimmtheitsgebot. Auszugsweise lautet es dort (Hervorhebungen nicht im Original):

[…]

d) Fortsetzung der Rechtsprechung in jüngeren Ablehnungsbeschlüssen

Diese Rechtsprechung wird in zahlreichen neueren Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofes zum §48a (Marktmissbrauch) Börsegesetz 1989 in Verbindung mit §48c Börsegesetz 1989 (Verbot der Marktmanipulation) fortgesetzt (vgl. z.B. B2005/08-4, B2017/08-4, B2018/08-4, B2019/08-4, B2031/08-4 und B2032/08-4, jeweils vom 16. Juni 2009; B329/10-10 vom 7. Juni 2010; B876/10-5 vom 21. Februar 2011; B547/10-4 vom 10. März 2011; B392/11-5 und B393/11-5, jeweils vom 9. Juni 2011). Im Beschluss B393/11-5 bekräftigt beispielsweise der Verfassungsgerichtshof seine Rechtsprechung zu VfSlg 16.993/2003 und 17.349/2004 und führt dort Folgendes aus (Hervorhebungen nicht im Original):

[…]

e) Rechtsprechung zur richtlinienkonformen Interpretation

Aus Art4 Abs3 EUV (früher: Art10 EG bzw. Art5 EGV) wird das Gebot der richtlinienkonformen Interpretation des innerstaatlichen Rechts abgeleitet. Die nationalen Gerichte, also auch der Verfassungsgerichtshof, sind deshalb verhalten, das zur Umsetzung einer Richtlinie erlassene nationale Recht in deren Lichte und Zielsetzung auszulegen. Alle nationalen Gerichte sind somit unionsrechtlich verpflichtet, das nationale Recht unter voller Ausschöpfung des richterlichen Beurteilungsspielraums in Übereinstimmung mit den Anforderungen des Unionsrechts auszulegen und anzuwenden. Dieser Grundsatz kommt insbesondere zur Anwendung, wenn die Regelung eines Sachverhalts Gegenstand nicht nur einer nationalen Bestimmung, sondern auch einer Richtlinienbestimmung ist (vgl. z.B. VfSlg 15.354/1998).

3.) Zum ersten Teil der Bedenken: Ausreichende Bestimmtheit der in Prüfung gezogenen Bestimmungen

Der erste Teil der Bedenken des Verfassungsgerichtshofs geht dahin, dass die in Prüfung gezogenen Regelungen nicht ausreichend bestimmt festlegten, unter welchen Voraussetzungen ein Rechtsträger überhaupt Verfahren und Maßnahmen zur Vermeidung eines Interessenkonflikts zu ergreifen habe, sowie weiters, welche konkreten Verfahren und Maßnahmen zur Vermeidung eines Interessenkonflikts zu setzen seien.

Die Bundesregierung ist der Auffassung, dass bereits aus der zitierten Vorjudikatur, insbesondere aus VfSlg 16.993/2003, auf eine ausreichende Bestimmtheit der in Prüfung gezogenen Normen geschlossen werden kann. In diesem Erkenntnis ging es um Vorkehrungen und Maßnahmen im Zusammenhang mit dem (besonderen) Informationsaustausch betreffend Insiderinformationen. Die dortigen Erwägungen des Verfassungsgerichtshofes, wonach der betroffene sachkundige Personenkreis eine im Wesentlichen übereinstimmende Auffassung über den Inhalt des gebotenen Verhaltens und die typischerweise geeigneten organisatorischen Maßnahmen hat, lassen sich ohne Weiteres auch auf den allgemeinen Informationsaustausch im Zusammenhang mit dem System des Interessenkonfliktmanagements in einem Unternehmen übertragen.

a) Zu Voraussetzungen für und zum Inhalt von Verfahren und Maßnahmen zur Vermeidung von Interessenkonflikten gemäß §35 WAG 2007

Im vorliegenden Fall geht es nach dem unionsrechtlichen dreistufigen System des Interessenkonfliktmanagements um ein Erkennen, ein Verhindern bzw. eine Offenlegung von Interessenkonflikten [vgl. Art13 (Organisatorische Anforderungen) und Art18 (Interessenkonflikte) der Richtlinie 2004/39/EG in Verbindung mit Art22 (Grundsätze für den Umgang mit Interessenkonflikten) der Richtlinie 2006/73/EG; siehe auch Assmann, Interessenkonflikte und 'Inducements' im Lichte der Richtlinie über Märkte für Finanzinstrumente (MiFID) und der MiFID-Durchführungsrichtlinie, ÖBA 2007, 40 (42 ff.)].

Aus dem Unionsrecht ergibt sich, dass die 'Wertpapierfirmen' – Adressat der aufsichtsrechtlichen Organisationspflichten ist das betreffende Unternehmen – 'in schriftlicher Form wirksame, der Größe und Organisation der jeweiligen Firma sowie der Art, des Umfanges und der Komplexität ihrer Geschäfte angemessene Grundsätze für den Umgang mit Interessenkonflikten festzulegen und auf Dauer umsetzen' haben (vgl. Art22 Abs1 und z.B. Erwägungsgrund 26 der Richtlinie 2006/73/EG und §35 Abs1 WAG 2007). Die Nichteinhaltung der Verpflichtungen durch die einzelne Wertpapierfirma ist verwaltungsstrafrechtlich zu sanktionieren [vgl. Art51 (Verwaltungssanktionen) Abs1 der Richtlinie 2004/39/EG: '… dass bei Verstößen gegen die gemäß dieser Richtlinie erlassenen Vorschriften gegen die verantwortlichen Personen … im Verwaltungsverfahren zu erlassende Sanktionen verhängt werden … Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass diese Maßnahmen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sind. '].

Der einzelne Rechtsträger (§15 WAG 2007) hat daher sein Interessenkonfliktmanagement vor dem Hintergrund der unbestimmten, aber dem Inhalt nach bestimmbaren Gesetzesbegriffe (arg: 'Größe' und 'Organisation' des Unternehmens; 'Art, Umfang und Komplexität der Geschäfte') auf Unternehmensebene im Einzelnen unter Berücksichtigung des unionsrechtlichen Angemessenheits-, Verhältnismäßigkeits- und Zumutbarkeitsprinzips zu kalibrieren. Das Gleiche gilt für die vom jeweiligen Unternehmen anhand einer 'Feinkalibrierung' festzulegenden Grundsätze (Leitlinien), 'welche Verfahren einzuleiten und welche Maßnahmen zu treffen sind', um die erkennbaren Interessenkonflikte zu bewältigen (vgl. Art22 Abs2 der Richtlinie 2006/73/EG und §35 Abs2 Z2 WAG 2007).

Nach Ansicht der Bundesregierung lassen sich dem Finanzmarktrecht (vgl. z.B. §82 Abs5 Z3 Börsegesetz 1989 iVm §4 Abs4 ECV2007) auch genügende Anhaltspunkte dafür entnehmen, welche Verfahren und Maßnahmen im Hinblick auf den allgemeinen Informationsaustausch und zur Vermeidung von Interessenkonflikten zu setzen sind [siehe auch die Begründung zu §2 der IIKV: '… Beispiele dafür sind folgende Maßnahmen: Errichtung von 'Chinese Walls' oder Einrichtung von permanenten und allenfalls projektbezogenen Vertraulichkeitsbereichen …'; vgl. weiters zum 'Handelsbrauch' den Standard Compliance Code der Österreichischen Kreditwirtschaft 2007, z.B. Modul 2 Pkt. 4, wobei es in VfSlg 16.993/2003 als gar nicht maßgebend erachtet wurde, dass typischerweise geeignete Maßnahmen (dort zur Verhinderung von Insidergeschäften) bereits in einem derartigen Compliance Code verdichtet wurden].

b) Notwendigkeit abstrakter Regelungen im WAG 2007

Alle typischerweise geeigneten organisatorischen Maßnahmen wären wegen ihrer abstrakten Vielfalt und der zahlreichen unterschiedlichen konkreten Geschäftsfelder der einzelnen Wertpapierfirmen gar nicht taxativ aufzählbar. In diesem Zusammenhang führen Resch/Dämon, Überblick über die organisatorischen Anforderungen an Rechtsträger im Hinblick auf das WAG 2007, 169 (179) in: Braumüller/Ennöckl/Gruber/Raschauer (Hrsg.), Von der MiFID zum WAG 2007, Folgendes aus (Hervorhebungen nicht im Original):

'… Resümee … Die recht komplexen Regelungen im Zusammenhang mit verschachtelten Ausnahmebestimmungen und Verhältnismäßigkeitserwägungen stellen in der Anwendung jedoch sowohl für die Rechtsträger als auch die Aufsichtsbehörde erhebliche Herausforderungen dar. Für die Rechtsträger sind keine generelle[n] Aussagen möglich, welche konkreten organisatorischen Anforderungen zu erfüllen sind. Es obliegt dem jeweiligen Unternehmen selbst im konkreten Einzelfall zu entscheiden, welches Ausmaß an organisatorischer Ausgestaltung im Hinblick auf die allgemeinen Anforderungen, Compliance, Risikomanagement und Interne Revision erforderlich ist. Diese Einzelfallentscheidung des Unternehmens unterliegt in weiterer Folge der behördlichen Prüfung. …'

Da die spezifischen Verhältnisse in den einzelnen Wertpapierfirmen daher allgemeine Vorschriften nicht genügen lassen, erfasst nach Ansicht der Bundesregierung §35 WAG 2007 richtlinien- und verfassungskonform verstanden, Verstöße gegen Grundsätze im Umgang mit Interessenkonflikten, deren Beachtung für jede im Finanzmarktbereich sachkundig tätige Personengruppe selbstverständlich sein muss (so – im Zusammenhang mit einem lebensmittelrechtlichen Verbot – VfSlg 9187/1981, S. 666). Als eine solche Selbstverständlichkeit ist im Finanzmarktbereich im Zusammenhang mit dem Informationsaustausch und der Vermeidung von Interessenkonflikten auch die Trennung von Eigen- und Kundenhandel anzusehen (vgl. VwGH 05.11.2003, Zl. 2003/17/0212: '… Interessenkonflikte 'möglichst gering' zu halten, indem [das Unternehmen] – soweit unter Berücksichtigung [der] Unternehmensstruktur wirtschaftlich möglich – eine personelle Trennung der in den Vertraulichkeitsbereichen Kunden- bzw. Eigenhandel operativ tätigen Personen vornimmt.'; vgl. weiters den Sachverhalt im Anlassverfahren zu VfSlg 16.993/2003). In den Anlassbeschwerdeverfahren wurde diese Selbstverständlichkeit bei der RLBOÖ, einem größeren Kreditinstitut auf dem österreichischen Markt (und mit laut Zitat auf Seite 4 des Prüfungsbeschlusses einem Gesamtwert der Wertpapierdepots von rund 16,3 Milliarden Euro), erst auf Betreiben der Aufsichtsbehörde hergestellt.

Wenn dem sachkundigen Personenkreis unterstellt werden kann, zu wissen, welche organisatorischen Maßnahmen typischerweise geeignet sind, um Interessenkonflikte im Zusammenhang mit dem Informationsaustausch zu verhindern, muss dies nach Ansicht der Bundesregierung umso mehr auch dafür gelten, dass ihm weiters auch bekannt ist, unter welchen Voraussetzungen ein bestimmter Rechtsträger konkrete Verfahren und Maßnahmen zur Vermeidung von Interessenkonflikten zu ergreifen hat. Das Legalitätsprinzip des Art18 B-VG sollte daher im komplexen Finanzmarktaufsichtsrecht und unter dem Blickwinkel des vollharmonisierten Unionsrechts nicht überspannt werden

Nach Ansicht der Bundesregierung sind daher die in Prüfung gezogenen Vorschriften insbesondere vor dem Hintergrund der dargelegten einschlägigen ständigen Rechtsprechung zum sachkundigen Personenkreis und zur Zulässigkeit einer finalen Determinierung von Rechtsvorschriften sowie im Lichte der Zielsetzungen der Richtlinie 2004/39/EG und der Richtlinie 2006/73/EG hinreichend bestimmt.

4.) Zum zweiten Teil der Bedenken: Mitwirkung der (Aufsichts-)Behörde

Der zweite Teil der vorläufigen Bedenken im Prüfungsbeschluss geht dahin, dass angesichts der Unbestimmtheit der Normen und der vom Gesetzgeber gewählten Regelungstechnik eine bestimmte Mitwirkung durch die (Aufsichts-)Behörde (z.B. im Rahmen eines Genehmigungs- oder Untersagungsverfahrens) erforderlich wäre, wenn eine Rechtsvorschrift – wie die in Prüfung gezogenen Bestimmungen – einen Rechtsunterworfenen zur Erlassung (rechts)gestaltender Akte anhalte und daran hoheitliche Sanktionsvorschriften gegenüber dem Rechtsunterworfenen geknüpft würden.

Vor dem Hintergrund der obigen Ausführungen zur hinreichenden Bestimmtheit des §35 WAG 2007 ist die Bundesregierung der Auffassung, dass die im Prüfungsbeschluss vorläufig dargelegten (weiteren) Anforderungen des Rechtsstaatsprinzips im vorliegenden Fall vom Verfassungsgerichtshof gar nicht mehr weiter geprüft werden brauchen. Da die in Prüfung gezogenen Bestimmungen einen dem Regelungsgegenstand adäquaten Determinierungsgrad aufweisen, ist auf Grund des Rechtsstaatsprinzips auch keine derartige Mitwirkung der Behörde bei der Festlegung der Leitlinien für den Umgang mit Interessenskonflikten geboten.

Im Übrigen ist die Bestimmung im Sinne des bereits oben zitierten Erkenntnisses VfSlg 9187/1981, S. 666, auch einer Auslegung zugänglich, dass eine verwaltungsstrafrechtliche Sanktionierung auf Fälle begrenzt wäre, in denen gegen Grundsätze der Vermeidung von Interessenskonflikten verstoßen wurde, deren Beachtung für im Finanzmarktbereich tätige Personen selbstverständlich sein muss.

Weiters dürfte nach Ansicht der Bundesregierung ein Genehmigungs- oder Untersagungsverfahren auch gegen das unionsrechtliche Verbot des nationalen Gold-Plating verstoßen (vgl. Art31 Abs1 zweiter Unterabsatz der Richtlinie 2004/39/EG: 'keine zusätzlichen Anforderungen'; siehe auch Erwägungsrund 7 der Richtlinie 2006/73/EG: '… für Wertpapierfirmen [sollten] harmonisierte organisatorische Anforderungen … festgelegt werden. Die Mitgliedstaaten und zuständigen Behörden sollten bei der Umsetzung und Anwendung der in dieser Richtlinie enthaltenen Bestimmungen folglich keine zusätzlichen verbindlichen Vorschriften erlassen, es sei denn, die Richtlinie lässt dies ausdrücklich zu. ').

Es könnte vor dem Hintergrund des vollharmonisierten Unionsrechts allenfalls zur Klarstellung und im Hinblick auf das Verhältnis zwischen FMA und beaufsichtigtem Rechtsträger eine Wortfolge in den innerstaatlichen Rechtsbestand (ergänzend) aufgenommen werden, wie dies in §18 Abs2 dritter Satz WAG 2007 vorgesehen ist (vgl. Art6 Abs1 der Richtlinie 2006/73/EG iVm Art13 Abs2 der Richtlinie 2004/39/EG). Der besagte Satz lautet wie folgt: 'Hierbei ist zu gewährleisten, dass der FMA alle erforderlichen Unterlagen zur Verfügung gestellt werden, sodass sie ihre Befugnisse wirksam ausüben kann.' Die Einführung eines behördlichen Genehmigungs- oder Untersagungsverfahren für Unternehmensleitlinien im Zusammenhang mit dem Interessenkonfliktmanagement wäre hingegen mit den verbindlichen Vorgaben der einschlägigen Richtlinien 2004/39/EG und 2006/73/EG nicht vereinbar und daher unionsrechtswidrig. Wäre nämlich eine Kontrolle der vom einzelnen Unternehmen festzulegenden Richtlinien durch die zuständige Behörde intendiert gewesen, hätte der Unionsgesetzgeber eine ähnliche Regelung wie in Art13 der Richtlinie 2003/71/EG getroffen. Dort ist explizit das Billigungsverfahren des Prospektentwurfs durch die zuständige Behörde normiert.

Auf Grund des Vorrangs des Unionsrechts auch vor dem Verfassungsrecht der Mitgliedstaaten (vgl. VfSlg 16.050/2000) hat der Verfassungsgerichtshof in VfSlg 18.642/2008 die Aufhebung einer Bestimmung, die Unionsrecht umsetzt, dann für unzulässig erachtet, wenn das Unionsrecht dem innerstaatlichen Gesetzgeber keinen Spielraum für die inhaltliche Gestaltung einräumt, sodass der Gesetzgeber keine Möglichkeit hätte, eine Ersatzregelung zu schaffen, die sowohl dem Unionsrecht als auch dem innerstaatlichen Verfassungsrecht entspricht.

5.) Aufsichtsrechtliche Aspekte

Die Bundesregierung möchte noch auf weitere potentielle Folgen für die Aufsicht über Rechtsträger bei einer sehr engen Auslegung des Art18 B-VG bzw. des Art7 EMRK im Sinne eines Erfordernisses einer Mitwirkung der (Aufsichts-)Behörde hinweisen:

Dass eine Nichteinhaltung von §35 WAG 2007 mit Verwaltungsstrafe gemäß §95 Abs2 Z1 WAG 2007 bedroht wird, ist erforderlich, damit die beaufsichtigten Unternehmen der Verpflichtung, angemessene Leitlinien festzulegen und diese in der operativen Realität auch dauerhaft umzusetzen, auch tatsächlich nachkommen. Eine Ausgestaltung von §35 WAG 2007 etwa als lex imperfecta könnte dazu führen, dass einige Unternehmen über einen längeren Zeitraum unerkannt erforderliche Maßnahmen zur Hintanhaltung von Interessenkonflikten nicht setzen, während andere Beaufsichtigte in der Zwischenzeit nicht unerhebliche Kosten und Mühen auf sich nehmen, der gesetzlichen Verpflichtung des §35 WAG 2007 nachzukommen. Dies kann jedoch nicht im Interesse einer effektiven Finanzmarktaufsicht sein.

Würde daher die Bundesverfassung den nationalen Gesetzgeber (wohl unionsrechtswidrig) verpflichten, eine behördliche Mitwirkung im Rahmen eines Genehmigungs- oder Untersagungsverfahrens in §35 WAG 2007 zu normieren, so hätte dies erhebliche Auswirkungen auf unzählige weitere Regelungsbereiche des WAG 2007 und in anderen unionsrechtlich harmonisierten Aufsichtsgesetzen:

?              So verpflichtet etwa §17 Abs2 WAG 2007, der Art5 Abs2 der Richtlinie 2006/73/EG (Art13 Abs2 bis 8 der Richtlinie 2004/39/EG) wörtlich umsetzt, den Rechtsträger, angemessene Systeme und Verfahren zum Schutz von Sicherheit, Integrität und Vertraulichkeit von Informationen einzurichten und laufend anzuwenden.

?              Gemäß §17 Abs3 WAG 2007 sind in Umsetzung von Art5 Abs3 der Richtlinie 2006/73/EG vom Rechtsträger geeignete und angemessene Systeme, Ressourcen und Verfahren einzurichten und sonstige angemessene Vorkehrungen zu treffen, die bei einer Unterbrechung seiner Systeme und Verfahren gewährleisten, dass wesentliche Daten und Funktionen erhalten bleiben und Wertpapierdienstleistungen und Anlagetätigkeiten fortgeführt werden können.

?              Gemäß §18 Abs2 WAG 2007 ist der Rechtsträger in Umsetzung von Art6 Abs1 der Richtlinie 2006/73/EG (Art13 Abs2 der Richtlinie 2004/39/EG) angehalten, angemessene Grundsätze und Verfahren festzulegen und laufend einzuhalten, die darauf ausgelegt sind, jedes Risiko einer etwaigen Missachtung der in diesem Bundesgesetz festgelegten Pflichten sowie die damit verbundenen Risiken aufzudecken. Durch angemessene Maßnahmen und Verfahren sind diese Risiken auf ein Mindestmaß zu beschränken.

?              §19 Abs1 Z1 WAG 2007, der Art7 Abs1 lita der Richtlinie 2006/73/EG (Art13 Abs5 zweiter Unterabsatz der Richtlinie 2004/39/EG) umsetzt, verpflichtet den Rechtsträger, angemessene Leitlinien und Verfahren für sein Risikomanagement festzulegen, die die mit seinen Geschäften, Abläufen und Systemen verbundenen Risiken erfassen und diese Leitlinien laufend anzuwenden.

?              Gemäß §19 Abs2 WAG 2007 ist vom Rechtsträger in wörtlicher Umsetzung von Art7 Abs2 der Richtlinie 2006/73/EG eine unabhängige Risikomanagement-Funktion dauerhaft einzurichten, soweit dies angesichts der Art, dem Umfang und der Komplexität seiner Geschäftstätigkeit sowie der Art und dem Umfang der erbrachten Wertpapierdienstleistungen und Anlagetätigkeiten angemessen und verhältnismäßig ist.

?              §24 Abs1 WAG 2007, der Art12 Abs1 der Richtlinie 2006/73/EG (Art13 Abs2 der Richtlinie 2004/39/EG) umsetzt, normiert, dass vom Rechtsträger angemessene Vorkehrungen zu treffen und dauernd einzuhalten sind, um relevante Personen […] daran zu hindern, ein persönliches Geschäft zu tätigen, bei dem zumindest eine der Voraussetzungen von lita bis c erfüllt ist.

?              Gemäß §25 Abs1 WAG 2007 hat der Rechtsträger in Umsetzung von Art14 der Richtlinie 2006/73/EG und Art13 Abs5 Richtlinie 2004/39/EG angemessene Vorkehrungen gemäß Anlage 1 zu §25 WAG 2007 zu treffen, um unnötige zusätzliche Geschäftsrisiken zu vermeiden.

?              Gemäß Z4 der Anlage 1 zu §25 WAG 2007 haben in Umsetzung von Art14 Abs2 litd der Richtlinie 2006/73/EG, falls Zweifel bestehen, dass der Dienstleister seine Aufgaben wirkungsvoll und unter Einhaltung aller geltenden Rechts- und Verwaltungsvorschriften ausführt, angemessene Schritte eingeleitet zu werden.

?              §43 Abs1 WAG 2007, der Art37 Abs1 der Richtlinie 2006/73/EG (Art19 Abs4 und 5 der Richtlinie 2004/39/EG) umsetzt, bestimmt: Sofern in diesem [7.] Abschnitt Informationen über die Kenntnisse und Erfahrungen eines Kunden im Anlagebereich einzuholen sind, haben diese die in Z1 bis 3 genannten Punkte zu enthalten, soweit dies nach Art des Kunden, Art und Umfang der zu erbringenden Dienstleistung und Art des in Betracht gezogenen Produkts oder Geschäfts unter Berücksichtigung der damit jeweils verbundenen Komplexität und Risiken angemessen ist.

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Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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