TE AsylGH Erkenntnis 2013/07/12 S15 240768-2/2012

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Veröffentlicht am 12.07.2013
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Spruch

S15 240.768-2/2012/4E

 

S15 431.148-1/2012/4E

 

IM NAMEN DER REPUBLIK!

 

Der Asylgerichtshof hat durch die Richterin Mag. Alice Höller als Einzelrichterin über die Beschwerden 1.) der XXXX und 2.) der mj. XXXX, alle StA. Nigeria gegen die Bescheide des Bundesasylamtes jeweils vom 29.11.2012, Zln. ad 1.) 12 13.542 - BAG und ad 2.) 12

13.543 - BAG zu Recht erkannt:

 

I. Die Beschwerden werden gemäß § 5 AsylG 2005 idgF als unbegründet abgewiesen.

 

II. Gemäß § 41 Abs. 6 leg. cit. wird festgestellt, dass die Ausweisungen zum Zeitpunkt der Erlassung der angefochtenen Bescheide rechtmäßig waren.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

 

I. Verfahrensgang und Sachverhalt:

 

1. Der Verfahrensgang vor dem Bundesasylamt ergibt sich aus den Verwaltungsakten des Bundesasylamtes.

 

2. Die 1.-Beschwerdeführerin reiste erstmalig nach eigenen Angaben bereits am 21.07.2003 ins Bundesgebiet ein und stellte noch am selben Tag einen Asylantrag.

 

Am 28.07.2003 vor der Erstinstanz niederschriftlich einvernommen, brachte diese vor, mittels Direktflug von LAGOS nach WIEN SCHWECHAT eingereist zu sein. Fluchtauslösend wäre ein dramatisches Erlebnis am 10.06.2003 gewesen, welches ihr als Verkäuferin eines Bekleidungsgeschäfts widerfahren sei. Konkret habe sie an ihrem Arbeitsplatz übernachtet und wären eines Nachts drei Männer erschienen, welche sich nach dem Verbleib des Lokalinhabers erkundigt hätten. Die seitens der 1.-Rechtsmittelwerberin erteilte Auskunft sei von den Kriminellen in Zweifel gezogen worden. "Ich konnte ihnen das nicht sagen und so schlugen sie mich, vergewaltigten mich, banden meine Hände über dem Kopf zusammen und warfen mich vor die Türe" (Seite 23 des erstinstanzlichen Verwaltungsaktes der XXXX). In weiterer Folge hätten die Unbekannten das Geschäft in Brand gesteckt und wären Passanten schließlich der 1.-Genannten zu Hilfe geeilt. Der Lokalbetreiber habe sie schließlich zur Polizei gebracht, wo sie sich von den Auswirkungen der dramatischen Ereignisse erholen hätte können. "Nach ein paar Tagen sagte ein Polizist zu mir, dass ich fliehen soll, denn der Geschäftsinhaber will mich einsperren lassen" (Seite 23 des erstinstanzlichen Bescheides der XXXX). Aufgrund der völligen Zerstörung ihres Arbeitsplatzes habe sie aber ohnehin keinen Ort mehr zum Verweilen respektive Erwerb eines Einkommens gehabt. Im Falle ihrer Rückkehr in ihr Heimatland befürchte die 1.-Asylwerberin von ihrem ehemaligen Arbeitgeber ermordet zu werden, da dieser neben seinem Geschäft auch viel Geld verloren hätte und sie offenbar nunmehr ursächlich dafür verantwortlich mache.

 

3. Mit Bescheid vom 05.08.2003, Zl. 03 21.928-BAW, wies das Bundesasylamt den Antrag der 1.-Beschwerdeführerin gemäß § 7 AsylG 1997, BGBl I 1997/76 (AsylG) idgF ab und erklärte unter einem deren Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Nigeria gemäß § 8 leg. cit. für zulässig.

 

4. Gegen diese Entscheidung wurde fristgerecht Berufung erhoben. In weiterer Folge wurde das in Rede stehende Rechtsmittelverfahren vom unabhängigen Bundesasylsenat eingestellt.

 

5. Die nunmehrigen Beschwerdeführer, allesamt Staatsbürger Nigerias, reisten am 26.09.2012 von Italien aus kommend neuerlich illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und beantragten am 28.09.2012 die Gewährung internationalen Schutzes.

 

Im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme der 1.-Genannten vor dem Bezirkspolizeikommando Baden, Polizeiinspektion Traiskirchen EAST, vom 28.09.2012, gab diese, befragt zum Reiseweg, unter anderem an, ein Jahr nach ihrer Antragstellung im Bundesgebiet, im Jahre 2003, illegal nach Spanien weitergereist zu sein, um dort zu arbeiten. Seitens der lokalen Behörden habe man sie jedoch wieder dazu aufgefordert zurück nach Österreich zu gehen. Dieser Anweisung sei die 1.-Asylwerberin auch tatsächlich nachgekommen und hätte diese dann in einer Wohnung im zweiten Wiener Gemeindebezirk gelebt. Dann hätte sie als Schwangere einen Zug nach Italien genommen, um zu dem in NEAPEL lebenden und ebenfalls aus Nigeria stammenden Vater der 2.-Beschwerdeführerin namens XXXX, zu gelangen. Letztgenannter habe sie Ende 2010 unter dem Vorwand, Arbeit suchen zu wollen, verlassen "und habe ich ihn seither nicht mehr gesehen" (Seite 7 des erstinstanzlichen Verwaltungsaktes der XXXX). Die 2.-Antragstellerin - in NEAPEL geboren - sei schließlich mit ihr gemeinsam am Schienenweg am 26.09.2012 wieder ins Bundesgebiet eingereist und verfüge selbige auch über keine eigenen Fluchtgründe.

 

Ausschlaggebend für das seinerzeitige Verlassen ihrer Heimat Nigeria wäre im Übrigen die Ermordung der Eltern der 1.-Rechtsmittelwerberin im Rahmen ethnischer Unruhen im Jahre 1987 gewesen. Wie viele andere hätte man auch sie bedroht, weshalb sich die 1.-Asylwerberin zur endgültigen Ausreise veranlasst gesehen habe. In einen anderen Mitgliedstaat wolle sie nun aber nicht mehr, sondern stattdessen "lieber in Österreich bleiben" (Seite 9 des erstinstanzlichen Verwaltungsaktes der XXXX). Im Falle einer Rückkehr in ihr Herkunftsland müsse sie mit ihrer Ermordung rechnen.

 

6. Eine noch am Tag der Antragstellung durchgeführte EURODAC - Abfrage erzielte neben einem positiven Treffer vom 21.07.2003 in Österreich einen weiteren in Spanien vom 07.07.2004 (vgl. Seite 11 des erstinstanzlichen Verwaltungsaktes der XXXX).

 

7. Ein daraufhin in weiterer Folge am 19.10.2012 an Italien übermitteltes Ersuchen um Aufnahme der beiden Asylwerber gemäß Art. 9 Abs. 1 respektive 3 der Verordnung Nr. 343/2003 (EG) des Rates vom 18.02.2003 (Dublin II VO), welches noch am selben Tag elektronisch über DubliNET übermittelt worden ist, wurde seitens des eben genannten Mitgliedslandes nicht binnen der in Art. 18 Abs. 7 der Verordnung Nr. 343/2003 (EG) des Rates vom 18.02.2003 (Dublin II VO) vorgesehenen Frist beantwortet (vgl. Seite 43 des erstinstanzlichen Verwaltungsaktes der XXXX), weshalb die Zuständigkeit zur jeweiligen Durchführung eines materiellen Asylverfahrens gemäß Art. 18 Abs. 7 iVm 20 Abs. 1 lit. c der Verordnung Nr. 343/2003 (EG) des Rates vom 18.02.2003 (Dublin II VO) auf eben genannten Mitgliedstaat übergegangen ist.

 

Italien bestätigte mit E-Mail vom 29.11.2012 seine Bereitschaft, die Genannten gemäß den Bestimmungen des Art. 20 Abs. 1 lit. b der Verordnung Nr. 343/2003 (EG) des Rates vom 18.02.2003 (Dublin II VO) wieder aufzunehmen (vgl. Seite 97 des erstinstanzlichen Verwaltungsaktes der XXXX).

 

8. Anlässlich der niederschriftlichen Einvernahme vom 29.11.2012 vor der belangten Behörde bestätigte die 1.-Beschwerdeführerin zunächst ihren uneingeschränkten Gesundheitszustand. Auch die 2.-Asylwerberin sei völlig gesund. Im Bundesgebiet verfüge man über keinerlei Verwandte oder eheähnliche familiäre Bindungen. In Italien hätte es der 1.-Genannten nicht gefallen, da "es dort langweilig war" (Seite 69 des erstinstanzlichen Verwaltungsaktes der XXXX). Zwar verfüge sie über keinerlei Berufsausbildung, aber irgendeine Arbeit würde sich schon finden. Derzeit würden sie und die 2.-Genannte aber von der Grundversorgung leben. Die deutsche Sprache verstehe die 1.-Antragstellerin nach eigenen Angaben nur sehr wenig und könne sie sich aktiv überhaupt nur in Englisch verständigen. Dies gelte auch für ihre Tochter. In Italien habe sie keine Arbeit finden können und sei sie deshalb auf freiwillige Zuwendungen Dritter angewiesen gewesen, weshalb sie es jedenfalls bevorzuge, im Bundesgebiet dauerhaft bleiben zu dürfen.

 

9. Das Bundesasylamt hat mit Bescheiden jeweils vom 29.11.2012, Zl. 12 13.542 - BAG (ad 1.), sowie 12 13.543 - BAG (ad 2.) die Anträge auf internationalen Schutz der Rechtsmittelwerberinnen ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass für die Prüfung der gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz gemäß Art. 18/7 iVm 20/1 der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 (EG) des Rates Italien zuständig sei. Gleichzeitig wurden die Antragstellerinnen gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Italien ausgewiesen und gemäß § 10 Abs. 4 AsylG festgestellt, dass die Abschiebung in selbigen Mitgliedstaat zulässig sei.

 

Das Bundesasylamt traf Feststellungen zum italienischen Asylverfahren im Allgemeinen, zu den gesetzlichen Grundlagen, Rechten und Pflichten der Asylwerber, NGO - Einrichtungen, Berufungsmöglichkeiten, Dublin II-Antragstellern, zur Praxis des Non - Refoulement - Schutzes und zur Lage von Illegalen, Vulnerablen und subsidiär Schutzberechtigten, zur Versorgung im Allgemeinen und zu Gemeinschaftsunterkünften respektive medizinischen Behandlungsmöglichkeiten.

 

Beweiswürdigend wurde hervorgehoben, dass die beiden Rechtsmittelwerberinnen weder an einer schweren körperlichen oder ansteckenden Erkrankung leiden würden noch allfällig in diesem Kontext berücksichtigungswürdige psychische Krankheitsbilder vorgebracht hätten respektive solche im Verfahren hervorgetreten wären. Aus gesundheitlichen Erwägungen bestünden daher keinerlei Bedenken gegen eine Überstellung nach Italien. Mangels familiärer Anknüpfungspunkte in Österreich in Kombination mit der lediglich sehr kurzen Aufenthaltsdauer im Bundesgebiet sei auch keinerlei unzulässiger Eingriff in die von Art. 8 EMRK normierten Rechte zu befürchten, zumal Mutter und minderjährige Tochter mit zeitgleich ergehenden Entscheidungen negativ finalisiert worden seien.

 

10. Gegen diese Bescheide wurde fristgerecht ein gemeinsames Rechtsmittel erhoben und darin neuerlich auf das bisherige Vorbringen verwiesen.

 

11. Die Beschwerdevorlagen langten mit 11.12.2012 beim Asylgerichtshof ein.

 

12. Aus einem Durchführungsbericht des Stadtpolizeikommandos WIEN SCHWECHAT/ Referat III vom 09.01.2013 geht hervor, dass beide Antragstellerinnen am selben Tag nach Italien überstellt worden sind.

 

II. Der Asylgerichtshof hat durch die zuständige Richterin über die gegenständliche Beschwerde wie folgt erwogen:

 

1. Verfahrensgang und Sachverhalt ergeben sich aus dem vorliegenden Verwaltungsakt.

 

2. Rechtlich ergibt sich Folgendes:

 

Gemäß §§ 73 und 75 des Bundesgesetzes über die Gewährung von Asyl, BGBl. I Nr. 100/2005 in der Fassung BGBl. I Nr. 38/2011 (im Folgenden: "AsylG 2005") ist dieses anzuwenden.

 

Hinsichtlich des Verfahrens vor dem Asylgerichtshof sind die einschlägigen Bestimmungen des AsylG 2005 und das Bundesgesetz über den Asylgerichtshof, BGBl. I Nr. 4/2008 in der Fassung BGBL I Nr. 147/2008 (in Folge: "AsylGHG") sowie subsidiär das Allgemeine Verwaltungsverfahrensgesetz 1991, BGBl. Nr. 51/1991 in der Fassung BGBl. I Nr. 20/2009 (in Folge: "AVG") anzuwenden. Schließlich war das Bundesgesetz über die Zustellung behördlicher Dokumente, BGBl. Nr. 200/1982 in der geltenden Fassung (im Folgenden: ZustG) maßgeblich.

 

Gemäß § 9 Abs. 1 AsylGHG, BGBl. I Nr. 4/2008 entscheidet der Asylgerichtshof in Senaten, soweit eine Entscheidung durch einen Einzelrichter oder Kammersenat nicht bundesgesetzlich vorgesehen ist. Gemäß § 61 Abs. 3 AsylG 2005 entscheidet der Asylgerichtshof über Beschwerden gegen zurückweisende Bescheide nach den §§ 4 und 5 AsylG 2005 und nach § 68 AVG durch Einzelrichter. Gemäß § 42 AsylG 2005 entscheidet der Asylgerichtshof bei Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung oder Rechtsfragen, die sich in einer erheblichen Anzahl von anhängigen oder in naher Zukunft zu erwartender Verfahren stellt, sowie gemäß § 11 Abs. 4 AsylGHG, wenn im zuständigen Senat kein Entscheidungsentwurf die Zustimmung des Senates findet, durch einen Kammersenat. Im vorliegenden Verfahren liegt eine Beschwerde gegen eine Entscheidung nach § 5 AsylG 2005 vor, sodass der erkennende Richter als Einzelrichter zur Entscheidung zuständig war.

 

2.1. Gemäß § 5 Abs. 1 AsylG ist ein nicht gemäß § 4 AsylG erledigter Asylantrag als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder aufgrund der Verordnung Nr. 343/2003 (EG) des Rates vom 18.02.2003 zur Prüfung des Asylantrages zuständig ist. Mit dem Zurückweisungsbescheid hat die Asylbehörde auch festzustellen, welcher Staat zuständig ist. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG ist die Zurückweisung eines Antrages nach Maßgabe der § 10 Abs. 3 und Abs. 4 AsylG mit einer Ausweisung zu verbinden. Die Dublin II VO ist eine Verordnung des Rechts der Europäischen Union, die Regelungen über die Zuständigkeit zur Prüfung von Asylanträgen von Drittstaatsangehörigen trifft. Sie gilt also nicht für mögliche Asylanträge von EU-Bürgern, ebenso wenig ist sie auf Personen anwendbar, denen bereits der Flüchtlingsstatus zuerkannt wurde. Das wesentliche Grundprinzip ist jenes, dass den Drittstaatsangehörigen in einem der Mitgliedstaaten das Recht auf ein faires, rechtsstaatliches Asylverfahren zukommt, jedoch nur ein Recht auf ein Verfahren in einem Mitgliedstaat, dessen Zuständigkeit sich primär nicht aufgrund des Wunsches des Asylwerbers, sondern aufgrund der in der Verordnung festgesetzten hierarchisch geordneten Zuständigkeitskriterien ergibt.

 

2.1.1. Es ist daher zunächst zu überprüfen, welcher Mitgliedstaat nach den hierarchisch aufgebauten (Art. 5 Abs. 1 Dublin II VO) Kriterien der Art. 6-12 bzw. 14 und Art. 15 Dublin II VO, beziehungsweise dem Auffangtatbestand des Art. 13 Dublin II VO zur inhaltlichen Prüfung zuständig ist.

 

2.1.1.1. Im vorliegenden Fall gründet sich die Zuständigkeit Italiens auf Art. 18 Abs. 7 iVm 20 Abs. 1 lit. c der Verordnung Nr. 343/2003 (EG) des Rates vom 18.02.2003 (Dublin II VO), da gegenständlicher Mitgliedstaat nicht binnen der gesetzlichen Frist auf das Aufnahmeersuchen Österreichs reagierte. Die erste Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit der getroffenen Unzuständigkeitsentscheidung ist somit gegeben.

 

2.1.1.2. Es sind auch aus der Aktenlage keine Hinweise ersichtlich, wonach die Führung der Konsultationen im gegenständlichen Fall derart fehlerhaft erfolgt wäre, sodass von Willkür im Rechtssinn zu sprechen wäre und die Zuständigkeitserklärung des zuständigen Mitgliedstaates wegen Verletzung der unionsrechtlichen Verfahrensgrundsätze aus diesem Grund ausnahmsweise keinen Bestand haben könnte (Filzwieser, Subjektiver Rechtsschutz und Vollziehung der Dublin II VO - Gemeinschaftsrecht und Menschenrechte, migraLex, 1/2007, 22ff; vgl. auch das Gebot der Transparenz im "Dublin-Verfahren", VwGH 23.11.2006, Zl. 2005/20/0444). Das Konsultationsverfahren erfolgte mängelfrei.

 

Im Lichte des Art. 7 VO 1560/2003 ergibt sich auch keine Verpflichtung seitens der beteiligten Mitgliedstaaten oder seitens der Regelungen der Dublin II VO, dass die Überstellung in einer Weise durchgeführt wird, die potentiell belastenden Zwangscharakter aufweist.

 

2.1.2. Das Bundesasylamt hat ferner von der Möglichkeit der Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II VO keinen Gebrauch gemacht. Es war daher noch zu prüfen, ob von diesem Selbsteintrittsrecht im gegenständlichen Verfahren ausnahmsweise zur Vermeidung einer Verletzung der EMRK zwingend Gebrauch zu machen gewesen wäre.

 

Der VfGH hat mit Erkenntnis vom 17.06.2005, Zl. B 336/05-11 festgehalten, die Mitgliedstaaten hätten kraft Unionsrecht nicht nachzuprüfen, ob ein anderer Mitgliedstaat generell sicher sei, da eine entsprechende normative Vergewisserung durch die Verabschiedung der Dublin II VO erfolgt sei, dabei aber gleichzeitig ebenso ausgeführt, dass eine Nachprüfung der grundrechtlichen Auswirkungen einer Überstellung im Einzelfall unionsrechtlich zulässig und bejahendenfalls das Selbsteintrittsrecht nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II VO zwingend geboten sei.

 

Die Judikatur des VwGH zu den Determinanten dieser Nachprüfung lehnt sich richtigerweise an die Rechtsprechung des EGMR an und lässt sich wie folgt zusammenfassen: Die bloße Möglichkeit einer dem Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung in jenem Staat, in den ein Fremder abgeschoben werden soll, genügt nicht, um die Abschiebung des Fremden in diesen Staat als unzulässig erscheinen zu lassen. Wenn keine Gruppenverfolgung oder sonstige amtswegig zu berücksichtigende notorische Umstände grober Menschenrechtsverletzungen in Mitgliedstaaten der EU in Bezug auf Art. 3 EMRK vorliegen (VwGH 27.09.2005, Zl. 2005/01/0313), bedarf es zur Glaubhaftmachung der genannten Bedrohung oder Gefährdung konkreter auf den betreffenden Fremden bezogener Umstände, die gerade in seinem Fall eine solche Bedrohung oder Gefährdung im Fall seiner Abschiebung als wahrscheinlich erscheinen lassen (VwGH 26.11.1999, Zl 96/21/0499, VwGH 09.05.2003, Zl. 98/18/0317; vgl auch VwGH 16.07.2003, Zl. 2003/01/0059): "Davon abgesehen liegt es aber beim Asylwerber, besondere Gründe, die für die reale Gefahr eines fehlenden Verfolgungsschutzes im zuständigen Mitgliedstaat sprechen, vorzubringen und glaubhaft zu machen. Dazu wird es erforderlich sein, dass der Asylwerber ein ausreichend konkretes Vorbringen erstattet, warum die Verbringung in den zuständigen Mitgliedstaat gerade für ihn die reale Gefahr eines fehlenden Verfolgungsschutzes, insbesondere einer Verletzung von Art 3 EMRK, nach sich ziehen könnte, und er die Asylbehörden davon überzeugt, dass der behauptete Sachverhalt (zumindest) wahrscheinlich ist." (VwGH 23.01.2007, Zl. 2006/01/0949).

 

Die Vorlage allgemeiner Berichte ersetzt dieses Erfordernis in der Regel nicht (vgl VwGH 17.02.1998, Zl. 96/18/0379; EGMR Mamatkulov & Askarov v Türkei, Rs 46827, 46951/99, 71-77), eine geringe Anerkennungsquote, eine mögliche Festnahme im Falle einer Überstellung, ebenso eine allfällige Unterschreitung des verfahrensrechtlichen Standards des Art. 13 EMRK sind für sich genommen nicht ausreichend, die Wahrscheinlichkeit einer hier relevanten Menschenrechtsverletzung darzutun. Relevant wäre dagegen etwa das Vertreten von mit der GFK unvertretbaren rechtlichen Sonderpositionen in einem Mitgliedstaat oder das Vorliegen einer massiv rechtswidrigen Verfahrensgestaltung im individuellen Fall, wenn der Asylantrag im zuständigen Mitgliedstaat bereits abgewiesen wurde (Art. 16 Abs 1 lit. e Dublin II VO). Eine ausdrückliche Übernahmeerklärung des anderen Mitgliedstaates hat in die Abwägung einzufließen (VwGH 31.03.2005, Zl. 2002/20/0582, VwGH 31.05.2005, Zl. 2005/20/0025, VwGH 25.04.2006, Zl. 2006/19/0673), ebenso andere Zusicherungen der europäischen Partnerstaaten Österreichs.

 

Des Weiteren hatte der Asylgerichtshof folgende Umstände zu berücksichtigen:

 

Bei entsprechender Häufung von Fällen, in denen in Folge Ausübung des Selbsteintrittsrechts die gemeinschaftsrechtliche Zuständigkeit nicht effektuiert werden kann, kann eine Gefährdung des "effet utile" Grundsatzes des Unionsrechts entstehen.

 

Zur effektiven Umsetzung des Unionsrechts sind alle staatlichen Organe kraft Unionsrechts verpflichtet.

 

Der Verordnungsgeber der Dublin II VO, offenbar im Glauben, dass sich alle Mitgliedstaaten untereinander als "sicher" ansehen können, wodurch auch eine Überstellung vom einen in den anderen Mitgliedstaat keine realen Risken von Menschenrechtsverletzungen bewirken könnte (vgl. insbesondere den 2. Erwägungsgrund der Präambel der Dublin II VO), hat keine eindeutigen verfahrens- oder materiellrechtlichen Vorgaben für solche Fälle getroffen. Diesbezüglich lässt sich aber aus dem Gebot der menschenrechtskonformen Auslegung des Unionsrechts und aus Beachtung der unionsrechtlichen Verfahrensgrundrechte ableiten, dass bei ausnahmsweiser Verletzung der EMRK bei Überstellung in einen anderen Mitgliedstaat eine Überstellung nicht stattfinden darf. Die Beachtung des Effizienzgebots (das etwa eine pauschale Anwendung des Selbsteintrittsrechts oder eine innerstaatliche Verfahrensgestaltung, die Verfahren nach der Dublin II VO umfangreicher gestaltet als materielle Verfahren verbietet) und die Einhaltung der Gebote der EMRK stehen daher bei richtiger Anwendung nicht in Widerspruch (Filzwieser, migraLex, 1/2007, 18ff, Filzwieser/Sprung, Dublin II VO³, Kommentar zu Art. 19).

 

Die allfällige Rechtswidrigkeit von Unionsrecht kann nur von den zuständigen unionsrechtlichen Organen, nicht aber von Organen der Mitgliedstaaten rechtsgültig festgestellt werden. Der EGMR hat jüngst festgestellt, dass der Rechtsschutz des Unionsrechts regelmäßig den Anforderungen der EMRK entspricht (30.06.2005, Bosphorus Airlines v Irland, Rs 45036/98).

 

Es bedarf sohin europarechtlich eines im besonderen Maße substantiierten Vorbringens und des Vorliegens besonderer vom Antragsteller bescheinigter außergewöhnlicher Umstände, um die grundsätzliche europarechtlich gebotene Annahme der "Sicherheit" der Partnerstaaten der Europäischen Union als einer Gemeinschaft des Rechts im individuellen Fall erschüttern zu können. Diesem Grundsatz entspricht auch die durch das AsylG 2005 eingeführte gesetzliche Klarstellung des § 5 Abs 3 AsylG, die Elemente einer Beweislastumkehr enthält. Es trifft zwar ohne Zweifel zu, dass Asylwerber in ihrer besonderen Situation häufig keine Möglichkeit haben, Beweismittel vorzulegen (wobei dem durch das Institut des Rechtsberaters begegnet werden kann), und dies mitzubeachten ist (VwGH, 23.01.2007, Zl. 2006/01/0949), dies kann aber nicht pauschal dazu führen, die vom Gesetzgeber - im Einklang mit dem Unionsrecht - vorgenommene Wertung des § 5 Abs. 3 AsylG überhaupt für unbeachtlich zu erklären (dementsprechend in ihrer Undifferenziertheit verfehlt, Feßl/Holzschuster, AsylG 2005, 225ff). Eine Rechtsprechung, die in Bezug auf Mitgliedstaaten der EU faktisch höhere Anforderungen entwickelte, als jene des EGMR in Bezug auf Drittstaaten wäre jedenfalls unionsrechtswidrig.

 

In Bezug auf Griechenland wurde seitens des erkennenden Gerichtshofes bereits seit längerem in zahlreichen Entscheidungen faktisch nicht mehr von einer generellen Annahme der Sicherheit ausgegangen und eine umso genauere Einzelfallprüfung durchgeführt. Der EGMR hat in diesem Kontext mit Urteil vom 21.01.2011 in der Rechtssache M.S.S. vs Belgien/Griechenland (30696/09) klargelegt, dass fehlende Unterkunft in Verbindung mit einem langwierigen Asylverfahren (welches selbst schwerwiegende Mängel aufweist) unter dem Aspekt des Art. 3 EMRK relevant sein kann (vgl insb. Rz 263 des zitierten Urteils). Ein entsprechend weiter Prüfungsumfang in Bezug auf relevante Bestimmungen der EMRK (Art. 3, 8 und 13) ist daher unter dem Hintergrund einer Berichtslage wie zu Griechenland angebracht (wodurch auch die "effet utile"-Argumentation einzelfallbezogen relativiert wird) - was der herrschenden Praxis des AsylGH entspricht (anders wie die in Rz 351 und 352 des zitierten Urteils beschriebene Situation im belgischen Verfahren). Eine solche Berichtslage liegt zu Italien nun jedenfalls nicht vor, ebenso wenig eine vergleichbare Empfehlung von UNHCR (wie jene zu Griechenland), von Überstellungen abzusehen. Nichtsdestotrotz hat der AsylGH - unter Berücksichtigung dieser Unterschiede - auch im gegenständlichen Fall nachfolgend untersucht, ob die Anwendung des Selbsteintrittsrechts aus Gründen der EMRK angezeigt ist. Im Lichte der eben getroffenen Ausführungen zur Auslegung des Art. 3 EMRK ist schließlich nicht erkennbar und wurde auch nicht behauptet, dass die Grundrechtscharta der EU für den konkreten Fall relevante subjektive Rechte verliehe, welche über jene durch die EMRK gewährleisteten, hinausgingen. Auch spezifische Verletzungen der unionsrechtlichen Asylrichtlinien, die in ihrer Gesamtheit Verletzungen der Grundrechtscharta gleichkämen, sind nicht behauptet worden. Weitergehende Erwägungen dazu konnten also mangels Entscheidungsrelevanz in concreto entfallen.

 

2.1.2.1. Italienisches Asylwesen unter dem Gesichtspunkt des Art. 3

EMRK

 

Relevant wären im vorliegenden Zusammenhang schon bei einer Grobprüfung erkennbare grundsätzliche schwerwiegende Defizite im Asylverfahren des zuständigen Mitgliedsstaates (also etwa:

grundsätzliche Ablehnung aller Asylanträge oder solcher bestimmter Staatsangehöriger oder Angehöriger bestimmter Ethnien; kein Schutz vor Verfolgung "Dritter", kein Rechtsmittelverfahren). Solche Mängel (die bei einem Mitgliedsstaat der Europäischen Union nicht vorausgesetzt werden können, sondern zunächst einmal mit einer aktuellen individualisierten Darlegung des Antragstellers plausibel zu machen sind, dies im Sinne der Regelung des § 5 Abs. 3 AsylG 2005) sind schon auf Basis der erstinstanzlichen Feststellungen nicht erkennbar. Konkretes Vorbringen, das geeignet wäre, anzunehmen, dass Italien in Hinblick auf Asylwerber aus Nigeria unzumutbare rechtliche Sonderpositionen vertreten würde, ist nicht erstattet worden.

 

Die allgemeinen Ausführungen in der Beschwerde können die Rechtsvermutung des § 5 Abs. 3 AsylG 2005 nicht entkräften. Der Asylgerichtshof geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass die allgemeine Lage für nach Italien überstellte Asylwerber keineswegs die reale Gefahr einer gegen menschenrechtliche Bestimmungen verstoßenden Behandlung glaubhaft erscheinen lässt. Insbesondere sind die Praxis der asylrechtlichen und subsidiären Schutzgewährung, die Grund- und Gesundheitsversorgung sowie die Sicherheitslage unbedenklich und genügen den Grundsätzen des Unionsrechts.

 

Weder aus den Stellungnahmen des UNHCR noch aus der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte ergeben sich irgendwelche Hinweise darauf, dass etwa die Italienische Republik bei der Vollziehung der Dublin-Verordnung ihre Verpflichtungen nach der GFK, der EMRK oder nach dem Unionsrecht missachten oder unvertretbare rechtliche Sonderpositionen vertreten würde. Nicht zuletzt ist es vor dem Hintergrund der unionsrechtlichen Vorgaben in Gestalt der Aufnahmerichtlinie 2003/9/EG des Rates vom 27.01.2003 unwahrscheinlich, dass in Italien Asylwerber infolge der Verweigerung staatlicher Unterstützung in eine Notlage geraten könnten. In den Art. 13ff der Aufnahmerichtlinie ist die Pflicht der Mitgliedstaaten statuiert, für ausreichende materielle Aufnahmebedingungen und eine medizinische Versorgung von kranken Asylwerbern zu sorgen. Es bestehen gegenwärtig keine Anzeichen dafür, dass etwa Italien seinen diesbezüglichen Verpflichtungen nicht nachkäme.

 

Wie im angefochtenen Bescheid ausführlich und unter Heranziehung zahlreicher aktueller Berichte dargelegt wurde, ist in Italien insbesondere auch die Versorgung der Asylwerber gewährleistet. Nach den aktuellen Länderinformationen diverser unbedenklicher Quellen zu Italien kann letztlich nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit angenommen werden, dass ein Asylwerber im Fall einer Überstellung nach Italien konkret Gefahr liefe, dort einer gegen das Folterverbot des Art. 3 EMRK verstoßenden Behandlung unterworfen zu werden. Insgesamt gesehen herrschen somit im Mitgliedstaat Italien nach dem gegenwärtigen Informationsstand keineswegs derartige systematische Mängel im Asylverfahren und den Aufnahmebedingungen, die mit der Situation in Griechenland vergleichbar wären.

 

Auch verschiedene Entscheidungen deutscher Gerichte belegen solche systemischen, regelmäßig zu schweren Menschenrechtsverletzungen führenden, Mängel in Italien nicht, handelt es sich doch zumeist um solche zur Zuerkennung aufschiebender Wirkung gegen den dortigen Gesetzeswortlaut, die daher, obwohl nur im Provisionalverfahren ergangen, einer höheren Begründungsdichte bedürfen, ohne das Endergebnis vorwegnehmen zu können (vgl. dazu OVG Nordrhein-Westfalen 01.03.2012, 1 B 234/12.A; hinsichtlich Entscheidungen von Verwaltungsgerichten, die mit der hiergerichtlichen Rechtsprechung in Einklang stehen, siehe aber auch Verwaltungsgericht Hamburg, Beschluss vom 01.02.2012 zu GZ. 19AE70/12, veröffentlicht in InfAuslR, 9.2012, 333 ff in Bezug auf nicht vulnerable Antragsteller unter Bezug auf dieselbe Berichtslage wie in der hier verfahrensgegenständlichen Beschwerde angesprochen, aktuell ferner VG Stade 01.10.2012, 6B 2303/12, VG Hamburg 23.08.2012, 10 AE 484/12, VG Osnabrück 17.07.2012, 5B 57/12, Bayerisches Verwaltungsgericht Regensburg 18.06.2012, RN 9E 12.30187, VG Gera 14.06.2012, 4E 20119/12; das Niedersächsische OVG hat am 02.05.2012, 13 MC 22/12 judiziert, dass sich Überstellungen in Einzelfällen als unzulässig erweisen können, aber kein generelles Überstellungsverbot auszusprechen ist; auch die unterschiedliche Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte belege keine systemischen Mängel; siehe insb. 8-9 des letzt genannten Urteils). Die Schweizer Rechtsprechung vertritt durchgängig eine dem Asylgerichtshof vergleichbare Linie; siehe etwa Schweizer Bundesverwaltungsgericht, 25.01.2012, E5356/2011, aus jüngerer Zeit beispielsweise Entscheidungen vom 13.08.2012, GZ. E-4104, vom 17.08.2012, GZ. D-3882, und vom 22.08.2012, GZ. E-4175), ebenso die britische (vgl. englischer Court of Appeal [Civil Division] 17.10.2012, [2012] EWCA Civ 1336). Siehe dazu auch EGMR Rs 6198/12 vom 04.06.2013.

 

Entsprechend den Länderfeststellungen des Bundesasylamtes haben Personen nach einer Rücküberstellung nach der Dublin II-VO in Italien einen Anspruch auf Unterkunft und Versorgung. Aufgrund dieser Gegebenheiten besteht keine reale Gefahr, dass Asylwerber, die aufgrund der Dublin-II-VO in selbigen Mitgliedstaat überstellt werden, im Hinblick auf die Versorgungssituation in Italien allgemein eine Verletzung des Art. 3 EMRK zu gewärtigen hätten.

 

Weiters geht aus den im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen hervor, dass Asylwerber, die im Rahmen der Dublin-II-VO nach Italien überstellt werden, Zugang zum normalen Asylverfahren haben sowie die italienischen Gesetze Schutz gegen Refoulement bzw. "temporären Schutz" vorsehen.

 

Zusammenfassend wird somit von der erkennenden Richterin des Asylgerichtshofes die Auffassung der belangten Behörde geteilt, derzufolge vor dem Hintergrund diverser aktueller Länderberichte diverser unabhängiger Quellen eine Verletzung ihrer in der EMRK normierten Rechte im Falle der Rückführung der Beschwerdeführerinnen nach Italien nicht mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit zu befürchten steht.

 

2.1.2.2. Medizinische Krankheitszustände

 

Unbestritten ist, dass nach der allgemeinen Rechtsprechung des EGMR zu Art. 3 EMRK und Krankheiten, die auch im vorliegenden Fall maßgeblich ist, eine Überstellung nach Italien nicht zulässig wäre, wenn durch die Überstellung eine existenzbedrohende Situation drohte und diesfalls das Selbsteintrittsrecht der Dublin II VO zwingend auszuüben wäre.

 

In diesem Zusammenhang ist vorerst auf das jüngste diesbezügliche Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes (VfGH vom 06.03.2008, Zl: B 2400/07-9) zu verweisen, welches die aktuelle Rechtsprechung des EGMR zur Frage der Vereinbarkeit der Abschiebung Kranker in einen anderen Staat mit Art. 3 EMRK festhält (D. v. the United Kingdom, EGMR 02.05.1997, Appl. 30.240/96, newsletter 1997,93; Bensaid, EGMR 06.02.2001, Appl. 44.599/98, newsletter 2001,26; Ndangoya, EGMR 22.06.2004, Appl. 17.868/03; Salkic and others, EGMR 29.06.2004, Appl. 7702/04; Ovdienko, EGMR 31.05.2005, Appl. 1383/04; Hukic, EGMR 29.09.2005, Appl. 17.416/05; EGMR Ayegh, 07.11.2006; Appl. 4701/05; EGMR Goncharova & Alekseytsev, 03.05.2007, Appl. 31.246/06).

 

Der VfGH hat zusammenfassend ausgeführt, dass sich aus den erwähnten Entscheidungen des EGMR ergibt, dass im Allgemeinen kein Fremder ein Recht hat, in einem fremden Aufenthaltsstaat zu verbleiben, bloß um dort medizinisch behandelt zu werden, und zwar selbst dann nicht, wenn er an einer schweren Krankheit leidet oder selbstmordgefährdet ist. Dass die Behandlung im Zielland nicht gleichwertig, schwerer zugänglich oder kostenintensiver ist, ist unerheblich, solange es grundsätzlich Behandlungsmöglichkeiten im Zielstaat bzw. in einem bestimmten Teil des Zielstaates gibt. Nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände führt die Abschiebung zu einer Verletzung in Art. 3 EMRK. Solche liegen etwa vor, wenn ein lebensbedrohlich Erkrankter durch die Abschiebung einem realen Risiko ausgesetzt würde, unter qualvollen Umständen zu sterben (Fall D. v. the United Kingdom).

 

Jüngste Rechtsprechung des EGMR (N vs UK, 27.05.2008) und Literaturmeinungen (Premiszl, Migralex 2/2008, 54ff, Schutz vor Abschiebung von Traumatisierten in "Dublin-Verfahren") bestätigen diese Einschätzung, wobei noch darauf hinzuweisen ist, dass EU-Staaten verpflichtet sind, die Aufnahmerichtlinie umzusetzen und sohin jedenfalls eine begründete Vermutung des Bestehens einer medizinischen Versorgung besteht.

 

Aus diesen Judikaturlinien des EGMR ergibt sich jedenfalls der für das vorliegende Beschwerdeverfahren relevante Prüfungsmaßstab.

 

Nach der geltenden Rechtslage ist eine Überstellung dann unzulässig, wenn die Durchführung eine in den Bereich des Art 3 EMRK reichende Verschlechterung des Krankheitsverlaufs oder der Heilungsmöglichkeiten bewirken würde (siehe Feststellungen des Innenausschusses zu § 30 AsylG); dabei sind die von den Asylbehörden festzustellenden Behandlungsmöglichkeiten im Zielstaat als Hintergrundinformation beachtlich, sodass es sich quasi um eine "erweiterte Prüfung der Transportfähigkeit" handelt.

 

Maßgebliche Kriterien für die Beurteilung der Art. 3 EMRK - Relevanz einer psychischen Erkrankung angesichts einer Abschiebung sind Aufenthalte in geschlossenen Psychiatrien infolge von Einweisungen oder auch Freiwilligkeit, die Häufigkeit, Regelmäßigkeit und Intensität der Inanspruchnahme medizinisch-psychiatrischer Leistungen, die Möglichkeit einer wenn auch gemessen am Aufenthaltsstaat schlechteren medizinischen Versorgung im Zielstaat sowie die vom Abschiebestaat gewährleisteten Garantien in Hinblick auf eine möglichst schonende Verbringung. Rechtfertigen diese Kriterien eine Abschiebung, hat eine denkmögliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes oder ungünstige Entwicklung des Gesundheitszustands außer Betracht zu bleiben, geschweige denn vermag die Verursachung von überstellungsbedingtem mentalen Stress eine Abschiebung unzulässig machen.

 

Akut existenzbedrohende Krankheitszustände oder Hinweise einer unzumutbaren Verschlechterung der Krankheitszustände im Falle einer Überstellung nach Italien sind der Aktenlage nicht zu entnehmen und wurden solche weder in Bezug auf die 1.-Beschwerdeführerin noch hinsichtlich der ihrerseits gesetzlich vertretenen minderjährigen 2.-Beschwerdeführerin vorgebracht.

 

2.1.2.3. Mögliche Verletzung des Art. 8 EMRK

 

Der EGMR bzw. die EMRK verlangen zum Vorliegen des Art. 8 EMRK das Erfordernis eines "effektiven Familienlebens", das sich in der Führung eines gemeinsamen Haushaltes, dem Vorliegen eines Abhängigkeitsverhältnisses oder eines speziell engen, tatsächlich gelebten Bandes zu äußern hat (vgl. das Urteil Marckx [Ziffer 45] sowie Beschwerde Nr. 1240/86, V. Vereinigtes Königreich, DR 55, Seite 234; hierzu ausführlich: Kälin, "Die Bedeutung der EMRK für Asylsuchende und Flüchtlinge: Materialien und Hinweise", Mai 1997, Seite 46).

 

Der Begriff des "Familienlebens" in Art. 8 EMRK umfasst nicht nur die Kleinfamilie von Eltern und (minderjährigen) Kindern und Ehegatten, sondern auch entferntere verwandtschaftliche Beziehungen, sofern diese Beziehungen eine gewisse gemeinsame Intensität erreichen. Als Kriterien hierfür kommen etwa das Vorliegen eines gemeinsamen Haushaltes oder die Gewährung von Unterhaltsleistungen in Betracht. In der bisherigen Spruchpraxis der Straßburger Instanzen wurden als unter dem Blickwinkel des Art. 8 EMRK zu schützende Beziehungen bereits solche zwischen Enkel und Großeltern (vgl. EGMR 13.06.1979, Marckx, EuGRZ 1979, 458; siehe auch EKMR 07.12.1981, B 9071/80, X-Schweiz, EuGRZ 1983, 19), zwischen Geschwistern (vgl. EKMR 14.03.1980, B 8986/80, EuGRZ 1982, 311), und zwischen Onkel und Tante und Neffen bzw. Nichten (vgl. EKMR 19.07.1968, 3110/67, Yb 11, 494 (518); EKMR 28.02.1979, 7912/77, EuGRZ 1981/118; EKMR 05.07.1979, B 8353/78, EuGRZ 1981, 120) anerkannt, sofern eine gewisse Beziehungsintensität vorliegt (vgl. Baumgartner, ÖJZ 1989, 761; Rosenmayer ZfV 1988, 1). Das Kriterium einer gewissen Beziehungsintensität wurde von der Kommission auch für die Beziehung zwischen Eltern und erwachsenen Kindern gefordert (vgl. EKMR 06.10.1981, B 9202/80, EuGRZ 1983, 215).

 

Wie bereits das Bundesasylamt zutreffend feststellte, verfügen beide Asylwerberinnen laut eigenen Angaben weder über Verwandte noch sonstige eheähnliche respektive familiäre Anknüpfungspunkte im Bundesgebiet, weshalb eine potentielle Verletzung der in Art. 8 EMRK normierten Rechte bereits aus diesem Grunde auszuschließen ist.

 

Zu beachten sind auch die öffentlichen Interessen an der Effektuierung der Unzuständigkeitsentscheidung Österreichs. Hier ist zunächst klarzustellen, dass der gegenständliche Antrag (auch) eine Umgehung aller anderen niederlassungs- und fremdenrechtlichen Rechtsnormen in Situationen wie der vorliegenden ist. Würde der Asylgerichtshof also im gegenständlichen Fall Österreich verpflichten, das Selbsteintrittsrecht in Bezug auf die Asylwerberinnen zwingend auszuüben, wäre damit die Umgehung dieser fremdenrechtlichen Bestimmungen legitimiert. Das heißt nicht, dass Derartiges in Ausnahmekonstellationen in Hinblick auf Art. 8 EMRK aus menschenrechtlichen Gesichtspunkten nicht dennoch notwendig sein kann, im konkreten Fall liegt diese Ausnahmekonstellation jedoch nicht vor. Die öffentlichen Interessen an der Effektuierung der Unzulässigkeitsentscheidung werden aber durch diesen Aspekt wesentlich bestärkt.

 

2.2. Spruchpunkt I der Entscheidung der Erstinstanz war sohin in Bestätigung der Beweisergebnisse und rechtlichen Würdigung des Bundesasylamtes mit obiger näherer Begründung als rechtsrichtig zu erkennen.

 

2.3. Hinsichtlich der von den Antragstellerinnen ebenso bekämpften Ausweisung ist festzuhalten, dass die belangte Behörde eine korrekte Überprüfung im Sinne der Rechtsprechung vorgenommen hat. Den Ausführungen zu Spruchpunkt II des Bescheides des Bundesasylamtes ist seitens des Asylgerichtshofes für den konkreten Fall, zuzustimmen. Aus der Würdigung zu Spruchpunkt I folgt hier die Zulässigkeit der Ausweisung, deren sofortigem Vollzug die EMRK nicht widerstreitet. Gründe für einen Aufschub nach Art. 10 Abs. 3 AsylG waren nicht erkennbar.

 

Ergänzend ist in diesem Zusammenhang anzumerken, dass für beide Rechtsmittelwerberinnen mit Erkenntnissen desselben Tages Ausweisungen nach Italien ausgesprochen worden sind und somit ein unzulässiger Eingriff in das gemeinsame Familienleben im Sinne des Art. 8 EMRK auch aus diesem Blickwinkel heraus betrachtet, nicht zu befürchten ist.

 

2.4. Da die Genannten zum Entscheidungszeitpunkt bereits überstellt worden sind, war gemäß § 41 Abs. 6 AsylG 2005 lediglich festzustellen, dass die Ausweisungen zum Zeitpunkt der Erlassung der angefochtenen Bescheide rechtmäßig waren.

 

2.5 Gemäß § 41 Abs. 4 AsylG konnte von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen werden. Eine gesonderte Erwägung bezüglich einer allfälligen Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung konnte angesichts des Spruchinhaltes entfallen.

 

Es war somit spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte
Ausweisung rechtmäßig, deutsche Gerichte, Familienverfahren, Zugang zum Asylverfahren
Zuletzt aktualisiert am
18.07.2013
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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