TE UVS Steiermark 2013/07/05 20.3-9/2013

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Veröffentlicht am 05.07.2013
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Spruch

Der Unabhängige Verwaltungssenat für die Steiermark hat durch das Senatsmitglied Dr. Kundegraber über die Beschwerden der O K, geb. am, wobei diese wiederum L Sch, geb. am, V Sch, geb. am, W K, geb. am und J K, geb. am, vertritt, alle vertreten durch den Verein M Ö in Wi und dieser vertreten durch Mag. S Wm, wie folgt entschieden:

 

Die Unterlassung der Rechtsberatung im Rahmen der Überstellung am 21. Februar 2013 in die Slowakei durch die Bezirkshauptmannschaft Murtal war rechtswidrig.

 

Rechtsgrundlagen:

§§ 67 a Z 2, 67 c Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 (AVG)

§ 88 Sicherheitspolizeigesetz (SPG)

§ 85 Fremdenpolizeigesetz 2005 (SPG)

Art. 47 Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRC)

Text

I.1. In der Beschwerde vom 26. März 2013 wird im Wesentlichen vorgebracht, dass die Beschwerdeführer am 21. Februar 2013 aus dem Grundversorgungsquartier für Asylwerber in Z abgeholt wurden und um ca. 10:00 Uhr beim Grenzübergang Kittsee/Jarovce den slowakischen Behörden übergeben wurden.

Eine Anfrage betreffend der Rechtsberatung wurde von der Bezirkshauptmannschaft Murtal am 21.03.2013 (gemeint wohl 21. Februar 2013), um 07:43 Uhr gestellt. Zu dem Zeitpunkt hätte keine Rechtsberatung mehr stattfinden können, da die Beschwerdeführer bereits am Weg zur slowakischen Grenze waren. Da der belangten Behörde bereits zuvor der Termin der Abschiebung bekannt gewesen sei, wäre es ihr möglich gewesen bereits am Vortag die Anfrage an die Rechtsberatungs-Koordinationsstelle zu stellen. Eine Rechtsberatung im Nachhinein sei jedenfalls auch nicht möglich, da eine Wiedereinreise in Österreich nicht erlaubt sei.

Da somit das gesetzlich gewährleistete Recht auf Rechtsberatung gemäß § 85 FPG verletzt worden sei, wurden die Anträge gestellt der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Steiermark möge 1. den angefochtenen Verwaltungsakt für rechtswidrig erklären 2. gem. § 67d AVG eine öffentliche mündliche Verhandlung durchführen.

 

Als Beilagen wurden das E-Mail der Bezirkshauptmannschaft Murtal an die Rechtsberatungs-Koordinationsstelle vom 21. Februar 2013 (Beilage A) als auch eine Anfrage der Bezirkshauptmannschaft Murtal an die Rechtsberatungs-Koordinationsstelle (Beilage B) sowie eine Vollmacht für den Verein M Ö vom 06. März 2013 vorgelegt.

 

2. Die belangte Behörde erstattete eine Gegenschrift, in der sie im Wesentlichen dem geschilderten Sachverhalt nicht entgegentrat. In rechtlicher Hinsicht räumte sie ein, dass es eine Rechtsberatung im Zusammenhang mit faktischen Maßnahmen, daher auch für Abschiebungen gebe, soweit sich der Fremde bei der Behörde befinde. Wenn der Fremde nicht vor die Behörde vorgeführt werde und er sich nicht in Haft befinde, bestehe kein Anspruch auf Rechtsberatung. Für den Fall, dass daher die Abschiebung direkt erfolge (z.B. Dublinüberstellung am Landweg ohne Zwischenstopp im Polizeianhaltezentrum) sei keine Rechtsberatung erforderlich.

In concreto wurde von einer Freiheitsentziehung und Unterbringung in der Familienunterkunft in Wi zum Wohle der Kindesmutter mit ihren vier minderjährigen Kindern Abstand genommen und die Familie bis zur Abholung am Abschiebetag in ihrer Unterkunft in Z belassen. Sämtliche Beschwerdeführer hätten sich nie bei der Behörde (Amtsräume der Bezirkshauptmannschaft, Polizeianhaltezentrum oder Polizeiinspektion) befunden und hätten daher keinen Anspruch auf Rechtsberatung ausgelöst. Eine wie in der Beschwerde angedachte Anfrage am Vortag an die Rechtsberatung, sei gesetzlich nicht vorgesehen.

 

II.1. Auf Grund der eingebrachten Beschwerde als auch der Stellungnahme der belangten Behörde, geht der Unabhängige Verwaltungssenat für die Steiermark von nachfolgendem entscheidungsrelevanten Sachverhalt aus:

 

Die ukrainische Staatsangehörige O K wurde mit ihren minderjährigen Kindern Sch L und Sch V am 29. Oktober 2012 in der Flüchtlingsunterkunft in Z, H, untergebracht. Am 17. November 2012 brachte O K die Zwillinge W K und J K zur Welt. Die eingebrachten Asylanträge vom 09. August 2012 und vom 20. Dezember 2012 wurden vom Bundesasylamt G gemäß § 5 AsylG zurückgewiesen, da für die Prüfung der Anträge auf internationalen Schutz die Slowakei zuständig sei. Desweiteren wurde gemäß § 10 AsylG die Ausweisung in die Slowakei ausgesprochen. Mit Bescheiden vom 31. Jänner 2013, AZ.: 1210.394, 1210.395, 1210.396, 1218.458, 1218.459-BAG, wurden die Anträge auf internationalen Schutz neuerlich zurückgewiesen und eine Ausweisung in die Slowakei für zulässig erklärt. Der eingebrachten fristgerechten Beschwerde an den Asylgerichtshof wurde nicht die aufschiebende Wirkung zuerkannt.

Mit Schreiben des Bundesasylamtes EAST-West-Dublin-Abteilung vom 14. Februar 2013 wurde die Bezirkshauptmannschaft Murtal als zuständige Fremdenbehörde beauftragt die Familie K-Sch am 21. Februar 2013 um 10:00 Uhr, in die Slowakei - Grenzübergang Kittsee/Jarovce - zu überstellen. Daher wurden die Beschwerdeführer am 21. Februar 2013 von der Polizei im Auftrag der Bezirkshauptmannschaft Murtal aus dem Grundversorgungsquartier für Asylwerber in Z abgeholt und zur slowakischen Grenze, Grenzübergang Kittsee/Jarovce, gebracht, wo sie um 10:00 Uhr den slowakischen Behörden übergeben wurden.

Am 21. Februar 2013, um 08:43 Uhr, trat die belangte Behörde mit der Koordinationsstelle betreffend O K und der vier minderjährigen Kinder wegen der Dublinabschiebung am 21.02.2013 in Kontakt und wurde als Rechtsberatung am 21. Februar, um 08:12 Uhr, von der Koordinationsstelle der Verein M Ö bekanntgegeben. Als Grund der Anfrage an die Rechtsberatungs-Koordinationsstelle wurde von Seiten der belangten Behörde die am 21. Februar 2013 durchzuführende Abschiebung in die Slowakei genannt.

 

2. Die getroffenen Feststellungen gründen sich auf die Feststellungen der beiden Parteien in ihren schriftlichen Äußerungen. Zu dem der Entscheidung zugrunde gelegten Sachverhalt gibt es keine abweichenden Stellungnahmen der Parteien. Es konnte daher von einer Verhandlung im Sinne des § 67 c Abs 2 Z 3 AVG abgesehen werden, da der angefochtene Verwaltungsakt auf Grund der Aktenlage bereits für rechtswidrig zu erklären ist.

 

III. Die Rechtsbeurteilung ergibt Folgendes:

 

1. Gemäß § 67 a Abs 1 AVG entscheiden die Unabhängigen Verwaltungssenate über Beschwerden von Personen, die behaupten, durch die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt in ihren Rechten verletzt zu sein, ausgenommen in Finanzstrafsachen des Bundes.

 

Die Beschwerde langte beim Unabhängigen Verwaltungssenat für die Steiermark am 26. März 2013 ein, wodurch die sechswöchige Beschwerdefrist gemäß § 67 c Abs 1 AVG gewahrt wurde. Auch ist die örtliche Zuständigkeit des Unabhängigen Verwaltungssenates für die Steiermark gegeben, da die Unterlassung im Sprengel der Bezirkshauptmannschaft Murtal erfolgte.

 

Gemäß § 88 Abs 2 SPG erkennen die Unabhängigen Verwaltungssenate außerdem über Beschwerden von Menschen, die behaupten auf andere Weise durch die Besorgung der Sicherheitsverwaltung in ihren Rechten verletzt worden zu sein, sofern dies nicht in Form eines Bescheides erfolgt ist.

Die behauptete Nichtbeigabe einer Rechtsberatung im Rahmen einer Abschiebung im Sinne des § 85 Abs 1 FPG ist als sicherheitsbehördliche Unterlassung nach § 88 Abs 2 SPG beschwerdefähig, sofern die Unterlassung nicht nach ihren besonderen Umständen ohnehin als Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt zu qualifizieren ist oder andere Rechtsbehelf zur Bekämpfung behördlicher Untätigkeit zur Verfügung stehen (Hauer/Kepplinger, Sicherheitspolizeigesetz, S 821, 4. Auflage 2011, Linde Verlag). Ausdrücklich wird darauf verwiesen, dass der Unabhängige Verwaltungssenat für die Steiermark davon ausgeht, dass es sich bei der Überstellung gemäß der Dublin-II-Verordnung (EG) Nr. 343/2003 um eine Abschiebung im Sinne des § 46 FPG handelt. Es handelt sich nämlich um eine durchsetzbare Ausweisung gegen die Beschwerdeführer und sind diese durch die Begleitung an die Grenzübergangsstelle zur Slowakei durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes im Auftrag der Behörde zur Ausreise verhalten gewesen. Die Beschwerde ist daher grundsätzlich zulässig.

 

2. Gemäß § 85 Abs 1 FPG ist einem Fremden kostenlos ein Rechtsberater amtswegig bei der Behörde zur Seite zu stellen, bei Abschiebung, Schubhaft, gelinderem Mittel oder sonstiger Befehls- und Zwangsgewalt.

Gemäß Abs 2 leg cit haben Rechtsberater den Fremden bei Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung zu beraten oder auf sein Ersuchen zu vertreten, soweit nicht die Zuziehung eines Rechtsanwaltes gesetzlich vorgeschrieben ist, sowie bei der Beischaffung eines Dolmetschers. Rechtsberater sind berechtigt und auf Verlangen des Fremden verpflichtet, an allen Verfahrenshandlungen, die der Wahrung des Parteiengehörs dienen, teilzunehmen und haben an der Führung des Verfahrens so mitzuwirken, dass es zu keiner unnötigen Verzögerung kommt. § 7 AVG gilt.

Gemäß Abs 3 leg cit hat die Rechtsberatung ausschließlich in den Amtsräumen der Behörde stattzufinden, es sei denn der Fremde ist in Schub-, Straf- oder Untersuchungshaft angehalten; diesfalls hat die Rechtsberatung am Aufenthaltsort des Fremden stattzufinden.

 

Auch wenn die belangte Behörde in der abgegebenen Gegenschrift den Anspruch auf Rechtsberatung nunmehr verneint, da die Abschiebung direkt erfolgte, hat sie im Abschiebeverfahren am 21. Februar 2013 sehr wohl die Koordinationsstelle für Rechtsberatungen zwecks einer Zuteilung eines Rechtsberaters kontaktiert. Da es sich unzweifelhaft um eine Abschiebung handelte, war den Beschwerdeführern nach Auffassung des Unabhängigen Verwaltungssenates für die Steiermark amtswegig ein Rechtsberater bei der Behörde zur Seite zu stellen. Keinesfalls wird jedoch die Auffassung der belangten Behörde geteilt, dass der Fremde, wenn er nicht vor die Behörde vorgeführt und sich nicht in Haft befindet keinen Anspruch auf Rechtsberatung habe. Dies würde dem § 85 Abs 1 FPG zuwiderlaufen, der keine Voraussetzung einer Haft oder Vorführung vor die Behörde bei einer Abschiebung vorsieht und zudem auch bei gelinderem Mittel eine amtswegige Rechtsberatung vorsieht. Sowohl bei gelinderem Mittel (§ 77 FPG) als auch bei der sonstigen Befehls- und Zwangsgewalt muss es nicht zwingend zu den von der Behörde geforderten Prämissen, Haft oder Vorführung vor die Behörde kommen. Auch in Art. 13 der Richtline 2008/115/EG vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedsstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatangehöriger als auch in Art. 15 Abs 3 bis 6 der Richtlinie 2005/85/EG vom 01. Dezember 2005 über Mindestnormen für Verfahren in den Mitgliedsstaaten zur Zuerkennung und Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft, lässt sich keine derartige Voraussetzung für die Rechtsberatung bei Abschiebung ableiten. Sehr wohl hat die Rechtsberatung, wenn der Fremde nicht in Schub-, Straf- oder Untersuchungshaft angehalten wird in den Amtsräumen der Behörde stattzufinden.

 

Gemäß Art. 47 GRC kann jede Person, nach Maßgabe der in diesem Artikel vorgesehenen Bedingungen bei einem Gericht einen wirksamen Rechtsbehelf einlegen, deren durch das Recht der Union garantierte Rechte oder Freiheiten verletzt worden sind.

(2) Jede Person hat ein Recht darauf, dass ihre Sache von einem unabhängigen, unparteiischen und zuvor durch Gesetz errichteten Gericht in einem fairen Verfahren, öffentlich und innerhalb angemessener Frist verhandelt wird. Jede Person kann sich beraten, verteidigen und vertreten lassen.

(3) Personen, die nicht über ausreichende Mittel verfügen, wird Prozesskostenhilfe bewilligt, soweit diese Hilfe erforderlich ist, um den Zugang zu den Gerichten wirksam zu gewährleisten.

Der Art. 47 erster Absatz leg cit garantiert ein Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf, das heißt es muss die Durchführung eines Verfahrens praktisch möglich sein und auch die Durchsetzung der Entscheidung gewährleistet werden (Meyer, Charta der Grundrechte der Europäischen Union, S 581, Rz 28, 3. Auflage, Nomos Verlag). Geht man daher davon aus, dass der belangten Behörde - wie sie selbst ausführt - bereits am 14. Februar 2013 durch Schreiben des Bundesasylamtes bekannt war, dass die Beschwerdeführer am 21. Februar 2013 in die Slowakei zu überstellen sind, so wäre es Aufgabe der belangten Behörde gewesen den Beschwerdeführern die Möglichkeit einer Rechtsberatung in der Art und Weise in ihren Amtsräumen anzubieten, bei denen auch ein wirksamer Rechtsbehelf möglich ist. Dass eine Rechtsberatung für eine Abschiebung - die gerade auf dem Landweg (mit Pkw) in einem Zeitraum von zwei bis drei Stunden durchgeführt wird - ihren Zweck verfehlt, ist offenkundig. Die Beschwerdeführer waren bei Zuteilung bzw. Anfrage der Rechtsberatung bereits am Weg zur slowakischen Grenze. Auch wurde von Seiten der belangten Behörde kein Grund angeführt, der nicht eine andere Vorgangsweise - nämlich die Möglichkeit einer Rechtsberatung in den Amtsräumen der Behörde anzubieten - zugelassen hätte. Wenn man der Rechtsansicht der belangten Behörde folgt, so würden Fremde, bei denen man von einer Freiheitsentziehung bzw. Unterbringung in den Amtsräumen der Behörde absieht, da sie sich offensichtlich einer behördlichen Maßnahme nicht entziehen, schlechter gestellt wären, da ihnen keine Rechtsberatung bzw. nicht effiziente Rechtsberatung amtswegig zukommt.

 

Da somit den Beschwerdeführern auf Grund der Unterlassung der belangten Behörde kein Rechtsberater amtswegig für einen rechtswirksamen Rechtsbehelf zur Seite gestellt wurde, war die Unterlassung als rechtswirksam zu erklären.

Schlagworte
Rechtsberatung; Abschiebung; Voraussetzungen; Rechtsbehelf; Wirksamkeit
Zuletzt aktualisiert am
23.09.2013
Quelle: Unabhängige Verwaltungssenate UVS, http://www.wien.gv.at/uvs/index.html
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