TE Vfgh Erkenntnis 2013/9/13 WIII1/2013

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Veröffentlicht am 13.09.2013
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Index

L1000 Gemeindeordnung

Norm

B-VG Art141 Abs3 / Volksbefragung
B-VG Art49b, Art117 Abs8
Verordnung des Gemeinderates der Marktgemeinde Grabern vom 14.12.2012 betr eine Volksbefragung über die Errichtung von Windkraftanlagen im Gemeindegebiet
Nö GdO 1973 §63, §64
VolksbefragungsG 1989 §16

Leitsatz

Feststellung der Gesetzwidrigkeit einer Verordnung des Gemeinderates der Marktgemeinde Grabern betreffend eine Volksbefragung über die Errichtung von Windkraftanlagen mangels Klarheit der Fragestellung im Hinblick auf die Betroffenheit einer Angelegenheit des eigenen Wirkungsbereiches der Gemeinde; Zulässigkeit der Anfechtung des Ergebnisses der Volksbefragung im Anlassverfahren

Spruch

Der Anfechtung wird stattgegeben.

Das Verfahren zur Volksbefragung betreffend die Errichtung von Windkraftanlagen im Gemeindegebiet der Marktgemeinde Grabern vom 20. Jänner 2013 wird zur Gänze aufgehoben.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Anfechtung und amtswegiges Verordnungsprüfungsverfahren

1. In seiner Sitzung am 28. November 2012 ordnete der Gemeinderat der Marktgemeinde Grabern mehrheitlich die Durchführung einer Volksbefragung betreffend die Errichtung von Windkraftanlagen an. Mit Kundmachung des Bürgermeisters der Marktgemeinde Grabern vom 14. Dezember 2012, verlautbart durch Anschlag an der Amtstafel vom 14. Dezember 2012 bis 21. Jänner 2013, wurde gemäß §63 Niederösterreichische Gemeindeordnung 1973 (im Folgenden: NÖ GO 1973) für den 20. Jänner 2013 eine Volksbefragung betreffend die Errichtung von Windkraftanlagen ausgeschrieben. Sodann wurde am Sonntag, dem 20. Jänner 2013 die Volksbefragung durchgeführt. Dabei entfielen von den 1.060 gültig abgegebenen Stimmen 587 Stimmen auf JA und 473 Stimmen auf NEIN. Dieses Ergebnis wurde iSd §66 Abs1 NÖ GO 1973 durch Anschlag an der Amtstafel am 21. Jänner 2013 verlautbart.

2. Mit ihrer am 14. Februar 2013 zur Post gegebenen und am 19. Februar 2013 beim Verfassungsgerichtshof eingelangten, auf Art141 Abs3 B-VG gestützten Anfechtung des Ergebnisses der Volksbefragung beantragen zwei Gemeindebürgerinnen, das Verfahren zur Volksbefragung betreffend die Errichtung von Windkraftanlagen im Gemeindegebiet der Marktgemeinde Grabern zur Gänze aufzuheben und den Anfechtungswerberinnen Verfahrenskosten in näher verzeichneter Höhe zuzusprechen.

3. Aus Anlass dieser Anfechtung leitete der Verfassungsgerichtshof mit Beschluss vom 7. Juni 2013 gemäß Art139 B-VG von Amts wegen ein Verfahren zur Prüfung der Gesetzmäßigkeit des als Verordnung des Gemeinderates der Marktgemeinde Grabern zu qualifizierenden Teiles der Kundmachung vom 14. Dezember 2012, mit dem die Durchführung der Volksbefragung angeordnet worden war, ein. In seinem in diesem Verordnungsprüfungsverfahren ergangenen Erkenntnis vom 13. September 2013, V50/2013, stellte der Verfassungsgerichtshof die Zulässigkeit der Anfechtung fest und sprach aus, dass der als Verordnung des Gemeinderates der Marktgemeinde Grabern zu qualifizierende Teil der Kundmachung vom 14. Dezember 2012 mit dem Wortlaut

"Der Gemeinderat der Marktgemeinde Grabern hat in seiner Sitzung am 28. November 2012 beschlossen, gemäß §16 in Verbindung mit §63 NÖ Gemeindeordnung 1973 eine

Volksbefragung

über die Errichtung von Windkraftanlagen im Gemeindegebiet der Marktgemeinde Grabern durchzuführen.

Die Abstimmungsfrage lautet:

Sollen im Gemeindegebiet der Marktgemeinde Grabern
Windkraftanlagen errichtet werden?

O JA O NEIN"

gesetzwidrig war.

II. Erwägungen

1. Die vorliegende Anfechtung des Ergebnisses der Volksbefragung in der Marktgemeinde Grabern vom 20. Jänner 2013 ist zulässig (s. Abschnitt III.1. des Erkenntnisses VfGH 13.9.2013, V50/2013).

2. Der Anfechtung ist Folge zu geben:

Im Hinblick auf die mit Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 13. September 2013, V50/2013, festgestellte Gesetzwidrigkeit des als Verordnung des Gemeinderates der Marktgemeinde Grabern zu qualifizierenden Teiles der Kundmachung vom 14. Dezember 2012, mit dem die Durchführung der Volksbefragung angeordnet und der Wortlaut der Fragestellung festgelegt wurden, ist die Rechtswidrigkeit des Verfahrens zu dieser Volksbefragung offenkundig:

Soweit die Gemeindewahlbehörde in ihrer Gegenschrift behauptet, dass selbst eine Aufhebung der vom Bürgermeister kundgemachten Verordnung "lediglich ein Formalakt" sei und auf das Befragungsergebnis keinen Einfluss hätte, weil es in Fällen wie dem vorliegenden, "in welchem eine grundsätzliche Entscheidung getroffen wurde, um die zukünftig[en] politischen Entscheidungen – die den eigenen Wirkungskreis der Gemeinde betreffen – vorab mit der Bevölkerung abzustimmen", nicht zielführend sein dürfe, "eine materiellrechtlich richtig durchgeführte Abstimmung aufgrund angeblicher formeller Unzulänglichkeiten anzufechten", ist ihr entgegenzuhalten, dass die Volksbefragung mit einer gesetzwidrigen Verordnung angeordnet wurde und die Fragestellung wegen Verstoßes gegen §63 Abs1 NÖ GO 1973 unzulässig war (s. Abschnitt III.3. des Erkenntnisses VfGH 13.9.2013, V50/2013). Das Verfahren ist daher schon aus diesem Grund zur Gänze als gesetzwidrig aufzuheben (vgl. VfSlg 19.651/2012), ohne dass auf das weitere Anfechtungsvorbringen einzugehen ist.

III. Ergebnis und damit zusammenhängende Ausführungen

1. Der Anfechtung wird stattgegeben.

Das Verfahren zur Volksbefragung betreffend die Errichtung von Windkraftanlagen im Gemeindegebiet der Marktgemeinde Grabern wird zur Gänze aufgehoben.

2. Kosten sind nicht zuzusprechen, weil ein Kostenersatz im Verfahren nach Art141 B-VG nur in §71a VfGG (vgl. dazu auch §27 VfGG) vorgesehen ist, der im vorliegenden Fall nicht in Betracht kommt (vgl. VfSlg 15.942/2000 mwH). Der Verfassungsgerichtshof findet keinen Anlass, an der Verfassungsmäßigkeit dieser Regelung zu zweifeln, da das Sachlichkeitsgebot dem Gesetzgeber nicht verbietet, verschiedene Rechtsinstitute, auch was den Kostenersatz betrifft, unterschiedlich zu regeln (s. VfSlg 9994/1984). Ergänzend ist in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen, dass – entgegen dem Anfechtungsvorbringen – eine Anwaltspflicht gemäß §17 Abs2 VfGG für Anfechtungen des Ergebnisses von Volksbefragungen nicht besteht.

3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 Z3 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

Volksbefragung, Gemeinderecht, Wirkungsbereich eigener, Verordnungsbegriff, VfGH / Legitimation, VfGH / Anlassverfahren, VfGH / Anlassfall

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2013:WIII1.2013

Zuletzt aktualisiert am

23.09.2013
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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