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66/01 Allgemeines SozialversicherungsgesetzNorm
B-VG Art7 Abs1 / GesetzLeitsatz
Gleichheitswidrigkeit der Einführung einer Beitragspflicht für Berufsausübungsersatzzeiten zur Erfüllung der Voraussetzungen für eine vorzeitige Alterspension bei langer Versicherungsdauer nach dem ASVG wegen Fehlens einer die Dispositionen der Versicherten berücksichtigenden Übergangszeit; Feststellung der Verfassungswidrigkeit der Bestimmung bis zum Ablauf der vom VfGH bestimmten Übergangszeit von fünf MonatenRechtssatz
Die Wortfolge ", wenn für sie ein Beitrag in der Höhe von 22,8% der dreißigfachen Mindestbeitragsgrundlage nach §76a Abs3 je Ersatzmonat unter sinngemäßer Anwendung des §227 Abs4 entrichtet wird" in §607 Abs12 ASVG idF des BudgetbegleitG 2011, BGBl I 111/2010, war bis einschließlich 01.07.2011 verfassungswidrig.
Mit Inkrafttreten von §607 Abs12 ASVG idF Sozialrechts-ÄnderungsG 2008 - SRÄG 2008, BGBl I 129, Berücksichtigung von Ersatzmonaten gemäß §116 Abs1 Z1 GSVG und §107 Abs1 Z1 BSVG bei der Berechnung der für den Antritt einer vorzeitigen Alterspension bei langer Versicherungsdauer notwendigen Beitragsmonate möglich.
Die Änderung der Rechtslage durch die Gleichstellung von Berufszeiten vor Einführung der Pflichtversicherung mit Beitragszeiten durch das SRÄG 2008 betrifft Männer, die vor dem 01.01.1954 (bis zu dieser Novelle: 01.01.1951), und Frauen, die vor dem 01.01.1959 (bis zu dieser Novelle: 01.01.1956) geboren wurden und die daher spätestens 2013 oder früher das Pensionsalter der vorzeitigen Alterspension für Langzeitversicherte gemäß §607 Abs12 ASVG erreichen. Der Gesetzgeber musste daher davon ausgehen, dass in den Jahren unmittelbar nach Vornahme dieser Änderung der Rechtslage die von dieser Änderung betroffene Personengruppe auf Grund ihrer zeitlichen Nähe zum in Betracht kommenden jeweiligen Pensionsalter und auf Grund des durch die nun mögliche Anrechnung der Ausübungsersatzzeiten erworbenen Pensionsanspruchs entsprechende Dispositionen treffen wird, die für die Herstellung der Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der Langzeitversichertenpension erforderlich sind, und die sie ohne diese Gesetzesänderung - mangels Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen für diese Pensionsleistung - nicht getroffen hätte. Zu diesen auf Grund des SRÄG 2008 erwartbaren und naheliegenden Dispositionen zählt im Hinblick auf §253b Abs1 Z4 ASVG jedenfalls die rechtzeitige Kündigung von Dienstverhältnissen und die diesem Erfordernis entsprechende vorausschauende Gestaltung von Altersteilzeitvereinbarungen.
Die notwendigen zusätzlichen Beitragsleistungen sind nicht von so geringer Höhe, dass die Betroffenen diese ohne Weiteres und in der erforderlich kurzen Zeit aufbringen könnten. Die Beitragspflicht erreicht vielmehr ein Ausmaß, das unter dem Gesichtspunkt der Intensität des Eingriffs eine nicht zu vernachlässigende Hürde zum Antritt der Pension zum jeweils vorgesehenen Zeitpunkt darstellt und dazu führen kann, dass die betroffene Personengruppe durch die im Vertrauen auf die Rechtslage vorgenommenen Dispositionen, nämlich die bereits erfolgte oder verbindlich in die Wege geleitete Beendigung der dem Pensionsanfall entgegenstehenden Beschäftigungsverhältnisse, Nachteile erleidet.
Die Intensität dieses Eingriffs wird auch nicht durch die nach dem Gesetz mögliche Einräumung von Ratenzahlungen gemildert, da diese gemäß §227 Abs4 letzter Satz ASVG erst mit der Einzahlung der letzten Rate, somit um den Zeitraum der Ratenzahlungen verspätet, die für den Pensionsanspruch erforderlichen Versicherungszeiten zur Gänze erwerben lassen.
Die Bundesregierung hat im Verfahren nicht dargetan, dass es vor dem Hintergrund der Ziele der Konsolidierung des Bundeshaushaltes und der Sicherung der Finanzierbarkeit der gesetzlichen Pensionsversicherung geboten und daher im öffentlichen Interesse gelegen gewesen wäre, die Gesetzesänderung gänzlich übergangslos einzuführen. Es handelt sich bei der Gruppe der von der Beitragspflicht besonders nachteilig betroffenen Versicherten entgegen der Auffassung der Bundesregierung auch nicht um bloße "Härtefälle".
Die Bedenken des VfGH richteten sich nicht gegen die nachträgliche Einführung einer Beitragspflicht für Berufsausübungsersatzzeiten an sich, sondern nur gegen das Fehlen einer die Dispositionen der Versicherten, insbesondere eine bereits erfolgte Beendigung eines Arbeitsverhältnisses oder anderer pflichtversicherter Tätigkeiten, berücksichtigenden Übergangszeit. Für Zeiträume nach Ablauf einer solchen Übergangszeit bestehen die Bedenken nicht, sodass zur Herstellung des verfassungskonformen Zustandes eine Aufhebung der in Prüfung gezogenen Gesetzesstelle nicht erforderlich ist. Es genügt vielmehr festzustellen, dass die Bestimmung (aus dem Blickwinkel des Entscheidungszeitpunktes im Gesetzesprüfungsverfahren) bis zum Ablauf einer vom VfGH als angemessen zu bestimmenden Übergangszeit verfassungswidrig gewesen ist.
Im Hinblick auf das Erkenntnis VfSlg 16923/2003 (S 1055) erscheint dem VfGH eine Übergangszeit im - damals als verfassungsgemäß befundenen - Ausmaß von fünf Monaten aus ausreichend.
Zurückweisung des wenige Tage vor Beginn der Beratungen eingelangten, die Bedenken des VfGH übernehmenden, zu G50/2013 protokollierten Antrags des OGH wegen entschiedener Sache.
Jedoch Ausdehnung der Anlassfallwirkung auf das beim OGH anhängige Ausgangsverfahren im Hinblick darauf, dass der Pensionsstichtag des Klägers der 01.07.2011 ist.
(Anlassfälle B22/2012 ua, B v 25.06.2013, Ablehnung der Behandlung der Beschwerden [Stichtage nach dem 01.07.2011], und B607/2012 ua, E v 25.06.2013, Aufhebung der angefochtenen Bescheide).
Entscheidungstexte
Schlagworte
Sozialversicherung, Pensionsversicherung, Beitragspflicht, Ersatzzeiten, Vertrauensschutz, VfGH / Anlassverfahren, res iudicataEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2013:G3.2013Zuletzt aktualisiert am
08.08.2014