RS Vfgh 2013/6/27 G64/2012

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Veröffentlicht am 27.06.2013
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Index

41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, Asylrecht

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
StbG 1965 §27, §29 Abs1, Abs2

Leitsatz

Gleichheitswidrigkeit einer Bestimmung des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1965 über die Erstreckung des Verlusts der Staatsbürgerschaft des Vaters auf seine ehelichen Kinder wegen Verstoßes gegen den Gleichheitsgrundsatz; keine sachliche Rechtfertigung für die Ungleichbehandlung ehelicher und unehelicher Kinder; Regelung auch durch den historischen Regelungskontext nicht gerechtfertigt

Rechtssatz

Feststellung der Verfassungswidrigkeit des §29 Abs1 StbG 1965.

Die Regelungen des §29 StbG 1965 über die Erstreckung des Verlusts der Staatsbürgerschaft sind vor dem Hintergrund zu sehen, dass nach den Regelungen des StbG 1965 eheliche Kinder die Staatsbürgerschaft (nur) nach dem Vater erwerben konnten (§7 Abs1 StbG 1965); nach der Mutter erwarb das eheliche Kind die österreichische Staatsbürgerschaft nur, wenn der Vater Fremder war und das Kind sonst staatenlos gewesen wäre (§7 Abs2 StbG 1965). Uneheliche Kinder erwarben die Staatsbürgerschaft gemäß §7 Abs3 StbG 1965 nach der Mutter. Diese staatsbürgerschaftsrechtlichen Regelungen wiederum standen im Kontext des damals geltenden Familienrechts, das Statusfragen des ehelichen Kindes grundsätzlich vom Vater ableitete.

Der historische Kontext ändert nichts daran, dass die in bestimmten Fällen weiterhin erfolgende Anwendung des §29 StbG 1965 dazu führt, dass minderjährige ledige eheliche Kinder die österreichische Staatsbürgerschaft automatisch verlieren, wenn sie dem Vater von Rechts wegen in die fremde Staatsangehörigkeit folgen oder diese bereits besitzen. Dem gegenüber tritt eine derartige Rechtsfolge für minderjährige ledige uneheliche Kinder nur ein, wenn der gesetzliche Vertreter der Kinder dem Erwerb der fremden Staatsangehörigkeit vorher ausdrücklich zugestimmt hat.

Für diese Ungleichbehandlung ehelicher und unehelicher Kinder fehlt es an einer sachlichen Rechtfertigung (siehe VfGH 27.06.2013, G68/2012 ua). Anders, als dies für die Regelungen des StbG 1965 über den Erwerb der Staatsbürgerschaft der Fall ist (siehe VfGH 14.03.2013, G65/12 ua, im Anschluss an VfGH 14.03.2013, G63/12), liegt eine solche auch nicht in der historischen Rechtsentwicklung begründet. Denn zum ersten hat der Gesetzgeber nicht für ein sachlich begründetes Übergangsregime bei der gleichheitsrechtlich gebotenen Neuordnung des Staatsbürgerschaftsrechts Vorsorge getroffen.

Zum Zweiten liegt die Konstellation bei der Erstreckung des Verlusts der österreichischen Staatsbürgerschaft auch anders als bei der Frage des Erwerbs dieser Staatsbürgerschaft durch Abstammung nach den Eltern. Denn der Verlust der Staatsbürgerschaft wiegt insofern grundsätzlich schwerer, als in den hier in Rede stehenden Konstellationen in der Regel eine zunächst rechtmäßig erworbene Rechtsposition entzogen wird. Wie Anlassfälle vor dem VwGH zeigen, kann die - im Vergleich zur Regelung für uneheliche Kinder und für eheliche Kinder, die die österreichische Staatsbürgerschaft von der Mutter ableiten, gleichheitswidrige - automatische Erstreckung des Verlusts der österreichischen Staatsbürgerschaft durch den Vater auf das eheliche Kind dabei auch erst geraume Zeit nach dem Eintritt dieser Rechtsfolge offenbar und Gegenstand eines verwaltungsbehördlichen Feststellungsverfahrens werden. Vor diesem Hintergrund vermag aber der historische, die Bestimmung des §29 StbG 1965 erklärende Regelungskontext die dargestellte Ungleichbehandlung bei der heutigen Anwendung des §29 StbG 1965 nicht zu rechtfertigen. Vielmehr zeigen gerade die Anlassverfahren vor dem VwGH die (so freilich vom historischen Gesetzgeber nicht intendierten) Schutzwirkungen des Zustimmungserfordernisses in §29 Abs2 StbG 1965 und damit die Gleichheitswidrigkeit, diese ehelichen Kindern im Fall der Erstreckung des Verlusts der österreichischen Staatsbürgerschaft durch den Vater vorzuenthalten.

Entscheidungstexte

Schlagworte

Staatsbürgerschaftsrecht, Kinder

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2013:G64.2012

Zuletzt aktualisiert am

08.08.2014
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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