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66/01 Allgemeines SozialversicherungsgesetzNorm
B-VG Art7 Abs1 / VerwaltungsaktLeitsatz
Keine Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte durch Nichtaufnahme der Arzneispezialität Lucentis in den gelben Bereich des Erstattungskodex nach erneuter Antragstellung infolge Neuzulassung für eine weitere Erkrankung; keine Bedenken gegen die Zulässigkeit eines sektorenübergreifenden Vergleichs für die Wirtschaftlichkeitsprüfung bei Fehlen von Vergleichspräparaten; vorgenommener Kosten/Nutzenvergleich nicht denkunmöglich; keine willkürliche Annahme der nicht ausreichenden Wirtschaftlichkeit des PräparatsRechtssatz
Keine Verfassungswidrigkeit des §351h Abs2 und §351j Abs5 ASVG betr die Einrichtung und Funktionsweise der Unabhängigen Heilmittelkommission (UHK), auch nicht im Zusammenhang mit den Vorschriften der Geschäftsordnung der UHK.
Qualifikation der UHK als Kollegialbehörde mit richterlichem Einschlag iSd Art133 Z4 B-VG und als Tribunal iSd Art6 EMRK (vgl VfSlg 17686/2005 ua; siehe auch B938/2010 vom selben Tag).
Die Betrauung eines rechtskundigen Bediensteten mit der Vorbereitung eines Entscheidungsentwurfs durch den Berichter hat nicht zur Folge, dass dieser Entwurf in der Verantwortung dieses dem Entscheidungsorgan gar nicht angehörigen Bediensteten (anstelle des aus dem Kreis der Mitglieder bestellten Berichters) eingebracht werden würde. Die Geschäftsordnung ermöglicht lediglich die Unterstützung des Berichters, dem die Erstellung des Entscheidungsentwurfs in eigener Verantwortung obliegt, bei der Vorbereitung dieses Entwurfs durch rechtskundige Bedienstete. Ein den Anschein der Unabhängigkeit beeinträchtigender Einfluss dieses Bediensteten auf den Entscheidungsvorgang ist damit nicht verbunden.
Kein Entzug des gesetzlichen Richters.
Die Frage, ob und welche Unterlagen und Nachweise von der beschwerdeführenden Partei vor dem Hintergrund des Antrages und des gesetzlichen Rahmens rechtens verlangt werden dürfen, berührt nicht die Zuständigkeit der belangten Behörde und ist keine Frage des Umfanges der "Sache" des Verfahrens vor der belangten Behörde.
Feststehende Erstattungsfähigkeit des Arzneimittels, dh Eignung für die Krankenbehandlung im niedergelassenen Bereich iSd §133 Abs2 ASVG.
Unbedenklichkeit der angewendeten Rechtsvorschriften der Verfahrensordnung zur Herausgabe des Erstattungskodex nach §351g ASVG (VO-EKO) betr die Aufnahme der Arzneispezialität in den beantragten Bereich.
Für die Aufnahme einer Arzneispezialität in den gelben Bereich des Erstattungskodex ist erforderlich, dass die Heilmittelevaluierungskommission eine "wesentliche therapeutische Innovation" festgestellt hat.
Das antragstellende Unternehmen hat einen pharmakologisch, medizinisch-therapeutisch und gesundheitsökonomisch untermauerten Vergleich der beantragten Arzneispezialität mit den verfügbaren therapeutischen Alternativen vorzulegen.
Basierend auf der medizinisch-therapeutischen Evaluation iSd §25 VO-EKO ist die gesundheitsökonomische Evaluation durchzuführen, die in der Verordnung in §25 Abs1 erster Satz als "die Beurteilung der beantragten Arzneispezialität im Hinblick auf eine ökonomische Krankenbehandlung" definiert wird.
Nach der (offensichtlich) vom Verordnungsgeber als allgemein gedachten Regel des §25 Abs1 VO-EKO ist dabei zu berücksichtigen, "ob das Kosten-/Nutzenverhältnis der beantragten Arzneispezialität in Österreich gesundheitsökonomisch nachvollziehbar und vertretbar ist".
Vergleichbare Arzneispezialitäten liegen hier unbestrittenermaßen nicht vor. In diesem Fall ist für die Aufnahme in den gelben Bereich von einer (ausreichenden) Wirtschaftlichkeit der Aufnahme in den Erstattungskodex auszugehen, "wenn das zu erwartende Kosten/Nutzenverhältnis für eine definierte Gruppe von Patienten/Patientinnen gesundheitsökonomisch nachvollziehbar und vertretbar ist" (vgl §25 Abs4 VO-EKO).
Vor dem Hintergrund der in den Erwägungsgründen der mit §351c ff ASVG umgesetzten RL 89/105/EWG normierten Zielvorgabe einer adäquaten Arzneimittelversorgung zu angemessenen Preisen sowie der in §31 Abs3 Z12 sowie der §351c ff ASVG enthaltenen gesetzlichen Determinanten hegt der VfGH ob der im vorliegenden Verfahren anzuwendenden Verordnungsbestimmungen keine Bedenken hinsichtlich ihrer ausreichenden gesetzlichen Deckung iSd Art18 Abs2 B-VG. Dies gilt im Hinblick darauf, dass der Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger gemäß §31 Abs2 Z1 ASVG die gesamtwirtschaftlichen Interessen im Vollzugsbereich der Sozialversicherung zu berücksichtigen hat, auch für die in §25 Abs1 VO-EKO genannten Kriterien für die Wirtschaftlichkeitsprüfung. Die Verordnung widerspricht daher auch insoweit nicht dem Gesetz, als sie bei Fehlen von Vergleichspräparaten grundsätzlich einen sektorenübergreifenden Vergleich unter Heranziehung der LKF-Punkte zulässt.
Keine Verletzung im Gleichheitsrecht; keine Willkür.
Für die gesundheitsökonomische Evaluation bei der angestrebten Aufnahme in den gelben Bereich des Erstattungskodex ist als lex specialis §25 Abs4 VO-EKO maßgebend. Es ist daher - anders als dies die allgemeine Evaluierungsregel iSd §25 Abs1 dritter Satz VO-EKO vorsieht - nicht zu untersuchen, ob "das Kosten/Nutzenverhältnis der beantragten Arzneispezialität in Österreich gesundheitsökonomisch nachvollziehbar und vertretbar ist", sondern es kommt darauf an, ob "das zu erwartende Kosten/Nutzenverhältnis für eine definierte Gruppe von Patienten/Patientinnen gesundheitsökonomisch nachvollziehbar und vertretbar ist". Es ist nicht denkunmöglich, wenn angesichts der - abgesehen von der eingeschränkten Zielgruppe - gleichlautenden Formulierung der Normen die Behörden in diesem Zusammenhang davon ausgegangen sind, dass die allgemeine Regel des §25 Abs1 dritter Satz VO-EKO für die Bildung der Vergleichswerte auch für die gesundheitsökonomische Evaluation nach §25 Abs4 VO-EKO heranzuziehen ist. Es kommt also - unter Berücksichtigung des §25 Abs6 letzter Satz VO-EKO - nicht nur darauf an, dass der (Fabriksabgabe-)Preis der Arzneispezialität den EU-Durchschnittspreis nicht überschreitet, sondern auch darauf, dass sich unter Berücksichtigung der direkten Kosten der Pflichtleistungen der Sozialversicherungsträger der Krankenbehandlung (ärztliche Hilfe, Heilmittel, Heilbehelfe), der Anstaltspflege (auf Basis der LKF-Punkte) sowie der medizinischen Maßnahmen der Rehabilitation hinsichtlich der Zielgruppe in Betracht kommender Patienten ein nachvollziehbares und vertretbares Kosten/Nutzenverhältnis ergibt, wobei es immer um Patienten geht, die in der sozialen Krankenversicherung anspruchsberechtigt sind.
Daher ist der Kosten/Nutzenvergleich vor dem Hintergrund der Rechtslage vorzunehmen, die in Bezug auf Ansprüche aus der sozialen Krankenversicherung besteht.
Der in der genannten pharmakoökonomischen Studie gezogene Vergleich hat jedenfalls ergeben, dass die Anwendung von Lucentis zur Behandlung des diabetischen Makulaödems im Verhältnis zur bisherigen Anwendung der Laserkoagulation als vorteilhaft beurteilt wurde, weil im Falle einer Behandlung mit dem Arzneimittel trotz etwas höherer Kosten von einer Verlängerung des "Daseins als sehende Person" um rund eineinhalb Jahre gegenüber der Behandlung mit Laserkoagulation ausgegangen wurde. Aus diesem Grund hat die Behörde - bei grundsätzlicher Annahme eines zusätzlichen therapeutischen Nutzens einer Anwendung dieser Arzneispezialität bei diabetischem Makulaödem angesichts des Fehlens von Vergleichspräparaten zur medikamentösen Behandlung dieser Erkrankung - die gesundheitsökonomische Vertretbarkeit der Aufnahme von Lucentis in den Erstattungskodex in der Weise ermittelt, dass sie einen sektorenübergreifender Vergleich zwischen den Kosten der Verwendung von Lucentis im extramuralen und im intramuralen Bereich vorgenommen hat.
Die Behörde durfte hinsichtlich der Zulässigkeit des sektorenübergreifenden Vergleichs vertretbar davon ausgehen, dass dann, wenn der Zusatznutzen der neuen Therapie im Verhältnis zu herkömmlichen Therapiemethoden feststeht, und ein Vergleich mit anderen zur Behandlung geeigneten Arzneispezialitäten nicht möglich ist, dieser Nutzen zu den unterschiedlichen Kosten gleichartiger Behandlungsmöglichkeiten je nach dem Einsatz im Rahmen einer stationären Behandlung in einer Krankenanstalt oder im niedergelassenen Bereich in Relation zu setzen ist.
Der Hauptverband ist jedenfalls nachvollziehbar davon ausgegangen, dass die Kosten einer vergleichbaren tagesklinischen Behandlung in einer Krankenanstalt deutlich geringer sind als jene Behandlungskosten, die im niedergelassenen Bereich entstehen würden.
Daher keine Willkür, wenn der der Hauptverband in seiner Entscheidung (mit nachfolgender Billigung durch die belangte Behörde) die Verwendung von Lucentis als nicht ausreichend wirtschaftlich für die Aufnahme in den gelben Bereich des Erstattungskodex erachtet hat.
Schlagworte
Sozialversicherung, Arzneimittel, Kollegialbehörde, Tribunal, Behördenzusammensetzung, Preisregelung, EU-Recht RichtlinieEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2013:B287.2012Zuletzt aktualisiert am
08.08.2014