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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
MRK Art8;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Bernegger, die Hofräte Dr. Robl und Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober und den Hofrat Dr. Mayr als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde des L, vertreten durch Mag. Laszlo Szabo, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Claudiaplatz 2, gegen den Bescheid der Bundesministerin für Inneres vom 17. Mai 2011, Zl. 158.870/2- III/4/11, betreffend Niederlassungsbewilligung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.211,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem angefochtenen Bescheid bestätigte die belangte Behörde die mit Bescheid vom 29. März 2011 ausgesprochene erstinstanzliche Zurückweisung des am 11. Jänner 2011 eingebrachten Antrages des Beschwerdeführers, eines Staatsangehörigen von Gambia, auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung gemäß § 43 Abs. 2 iVm § 44b Abs. 1 Z 1 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG).
Zur Begründung führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, dass der Beschwerdeführer am 11. Februar 2007 illegal eingereist sei und am folgenden Tag einen Asylantrag gestellt habe. Dieser Asylantrag sei letztinstanzlich mit Bescheid vom 4. Juni 2007 in Verbindung mit einer Ausweisung abgewiesen worden. Am 11. Jänner 2011 habe der Beschwerdeführer persönlich den gegenständlichen Erstantrag gestellt. Die erstinstanzliche Behörde sei "vorerst" von einem maßgeblich geänderten Sachverhalt ausgegangen, jedoch sei die durchgeführte Abwägung im Sinn des Art. 8 EMRK "im Endergebnis" zum Nachteil des Beschwerdeführers vorgenommen worden. Die erstinstanzliche Behörde sei letztlich zum Ergebnis gekommen, dass bei einer Betrachtung der Gesamtsituation den öffentlichen Interessen an einer geordneten Zuwanderung gegenüber den privaten Interessen des Beschwerdeführers an einem Verbleib in Österreich der Vorzug zu geben sei. Es sei davon auszugehen, dass sich der Sachverhalt seit der "abweisenden Entscheidung" durch den unabhängigen Bundesasylsenat vom 4. Juni 2007 tatsächlich geändert habe, zumal es in einem Zeitraum von ca. vier Jahren unweigerlich zu Veränderungen in der Lebenssituation eines Menschen kommen müsse. Bei Betrachtung der Gesamtsituation komme die belangte Behörde wie auch bereits die erstinstanzliche Behörde zum Ergebnis, dass die öffentlichen Interessen an einer geordneten Zuwanderung höher zu werten seien. Selbstverständlich habe sich die Lebenssituation des Beschwerdeführers in Österreich innerhalb von mittlerweile beinahe vier Jahren verändert, jedoch nicht in dem Ausmaß, dass die Zurückweisung des Antrages durch die erstinstanzliche Behörde nach den Kriterien des § 11 Abs. 3 NAG nicht zulässig wäre.
Der Beschwerdeführer habe die Kindheit und die Jugendzeit im Heimatland verbracht; wegen der relativ kurzen Aufenthaltsdauer in Österreich und der Jugend und Arbeitsfähigkeit des Beschwerdeführers gehe die belangte Behörde von einer raschen Reintegrationsmöglichkeit in seinem Heimatland aus.
In einer Gesamtbetrachtung ergebe sich, dass die erstinstanzliche Behörde die Veränderungen im Sachverhalt durchaus erkannt und berücksichtigt habe. Da gegen den Beschwerdeführer eine rechtskräftige durchsetzbare Ausweisung bestehe, sei nach dem Wortlaut des Gesetzes sein Antrag von der erstinstanzlichen Behörde zurückzuweisen gewesen, weil die seither eingetretene Änderung des Sachverhaltes nicht in dem Ausmaß vorliege, dass der Antrag einer Abwägung im Sinn des Art. 8 EMRK zu Gunsten des Beschwerdeführers zugänglich wäre.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen:
Eingangs ist anzumerken, dass angesichts der Zustellung des angefochtenen Bescheides im Mai 2011 die Bestimmungen des NAG in der Fassung der Novelle BGBl. I Nr. 111/2010 und der Kundmachung BGBl. I Nr. 16/2011 anzuwenden sind.
Der von der Beschwerdeführerin begehrte Aufenthaltstitel gemäß § 43 Abs. 2 NAG erfordert u.a., dass dessen Erteilung gemäß § 11 Abs. 3 NAG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist.
Gemäß § 44b Abs. 1 Z 1 NAG sind solche Anträge als unzulässig zurückzuweisen, wenn gegen den Antragsteller eine Ausweisung rechtskräftig erlassen wurde und aus dem begründeten Antragsvorbringen im Hinblick auf die Berücksichtigung des Privat- und Familienlebens gemäß § 11 Abs. 3 NAG ein maßgeblich geänderter Sachverhalt nicht hervorkommt.
Unbestritten wies die erstinstanzliche Behörde den Antrag des Beschwerdeführers auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung in Anwendung des § 44b Abs. 1 Z 1 NAG zurück.
Sache des Berufungsverfahrens war somit die erstinstanzliche Zurückweisung des Antrages. Diesen Ausspruch hat die belangte Behörde durch Abweisung der Berufung bestätigt.
Dabei unterlag sie jedoch einem Rechtsirrtum. Sie ist nämlich selbst davon ausgegangen, dass im Blick auf den Zeitraum von ca. vier Jahren zwischen der rechtskräftigen Ausweisung des Beschwerdeführers und der erstinstanzlichen Zurückweisung seines Niederlassungsantrages eine maßgebliche Sachverhaltsänderung stattgefunden hat. Dennoch bestätigte sie die erstinstanzliche Zurückweisung des Antrages. Sie meinte dazu berechtigt zu sein, weil im Ergebnis auch eine nun alle Umstände erfassende Interessenabwägung zu Lasten des Beschwerdeführers vorzunehmen sei.
Der Rechtsirrtum beider Behörden liegt darin, dass die Zulässigkeit eines Eingriffs nach Art. 8 EMRK nach - wegen einer relevanten Sachverhaltsänderung erforderlich gewordener - voller Abwägung aller Umstände nicht dazu führt, dass der Antrag ebenso zurückgewiesen werden darf, wie dies bei Fehlen einer relevanten Sachverhaltsänderung der Fall wäre. Nach inhaltlicher Prüfung ist nicht zurückzuweisen, sondern mit einer Entscheidung in der Sache (also - die Zulässigkeit des Eingriffs vorausgesetzt - mit einer Abweisung des Antrages) vorzugehen.
Die belangte Behörde hätte somit die erstinstanzliche Zurückweisung des Antrages nicht bestätigen dürfen, sondern hätte den erstinstanzlichen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit aufheben müssen.
Wegen des dieser Vorgangsweise zugrunde liegenden Rechtsirrtums war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
Die Kostenentscheidung beruht im begehrten Ausmaß auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.
Wien, am 29. Mai 2013
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2013:2011220188.X00Im RIS seit
05.07.2013Zuletzt aktualisiert am
27.08.2013