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E1E;Norm
12010E267 AEUV Art267;Beachte
Vorabentscheidungsverfahren:* EU-Register: EU 2013/0002 17. Juli 2014 * EuGH-Zahl: C-338/12 * EuGH-Entscheidung:EuGH 62013CJ0338 B 17. Juli 2014 * Enderledigung des gegenständlichen Ausgangsverfahrens im fortgesetzten Verfahren: 2014/22/0001 E 9. September 2014Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Bernegger, die Hofräte Dr. Robl und Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober und den Hofrat Dr. Mayr als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, in der Beschwerdesache der M, vertreten durch Dr. Lennart Binder, Rechtsanwalt in 1030 Wien, Rochusgasse 2, gegen den Bescheid der Bundesministerin für Inneres vom 9. März 2011, Zl. 158.238/2- III/4/11, betreffend Niederlassungsbewilligung, den Beschluss gefasst:
Spruch
Dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) wird nach Art. 267 AEUV folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:
Ist Art. 4 Abs. 5 der Richtlinie 2003/86/EG des Rates vom 22. September 2003 betreffend das Recht auf Familienzusammenführung (ABl. 2003 L 251/12ff) dahin auszulegen, dass er einer Regelung entgegen steht, derzufolge Ehegatten und eingetragene Partner das 21. Lebensjahr bereits zum Zeitpunkt der Antragstellung vollendet haben müssen, um als nachzugsberechtigte Familienangehörige gelten zu können?
Begründung
I. Sachverhalt des Ausgangsverfahrens:
Die Beschwerdeführerin ist eine afghanische Staatsangehörige, die die Erteilung einer Niederlassungsbewilligung zwecks Familienzusammenführung mit ihrem am 1. Jänner 1990 geborenen, in Österreich lebenden Ehemann beantragt hat. Dieser Antrag wurde von der belangten Behörde im Instanzenzug mit Bescheid vom 9. März 2011 mit der Begründung abgewiesen, dass der Ehemann zum Zeitpunkt der Antragstellung (bei der österreichischen Botschaft in Islamabad) am 3. September 2010 das 21. Lebensjahr noch nicht vollendet gehabt habe und somit eine besondere Voraussetzung für eine ordnungsgemäße Antragstellung nicht erfüllt sei. Ausdrücklich verwies die belangte Behörde darauf, dass das Alterserfordernis von 21 Jahren im Einklang mit der Richtlinie 2003/86/EG des Rates vom 22. September 2003 betreffend das Recht auf Familienzusammenführung (im Weiteren: Richtlinie) stehe. Der Ehemann der Beschwerdeführerin habe zwar am 1. Jänner 2011 sein
21. Lebensjahr vollendet, jedoch sei der Zeitpunkt der Antragstellung maßgeblich und nicht der der Bescheiderlassung.
II. Die innerstaatliche Rechtslage:
Grundlage für die gegenständliche Entscheidung ist das am 1. Jänner 2006 in Kraft getretene Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005. In der hier - wegen der Zustellung des angefochtenen Bescheides im März 2011 - maßgeblichen Fassung BGBl. I Nr. 111/2010 ist gemäß § 46 Abs. 4 NAG Familienangehörigen von Drittstaatsangehörigen unter bestimmten Voraussetzungen eine Niederlassungsbewilligung zu erteilen.
§ 2 Abs. 1 Z 9 NAG definiert den Familienangehörigen folgendermaßen:
"Familienangehöriger: wer Ehegatte oder minderjähriges lediges Kind, einschließlich Adoptiv- oder Stiefkind, ist (Kernfamilie); dies gilt weiters auch für eingetragene Partner; Ehegatten und eingetragene Partner müssen das 21. Lebensjahr zum Zeitpunkt der Antragstellung bereits vollendet haben; lebt im Fall einer Mehrfachehe bereits ein Ehegatte gemeinsam mit dem Zusammenführenden im Bundesgebiet, so sind die weiteren Ehegatten keine anspruchsberechtigten Familienangehörigen zur Erlangung eines Aufenthaltstitels;"
III. Die maßgeblichen Bestimmungen des Unionsrechts:
Die genannte Richtlinie 2003/86/EG regelt das Recht auf Familienzusammenführung.
Art. 4 lautet auszugsweise:
"(1) Vorbehaltlich der in Kapitel IV sowie in Artikel 16 genannten Bedingungen gestatten die Mitgliedstaaten gemäß dieser Richtlinie folgenden Familienangehörigen die Einreise und den Aufenthalt:
a) dem Ehegatten des Zusammenführenden;
…
(5) Zur Förderung der Integration und zur Vermeidung von Zwangsehen können die Mitgliedstaaten vorsehen, dass der Zusammenführende und sein Ehegatte ein Mindestalter erreicht haben müssen, das höchstens auf 21 Jahre festgesetzt werden darf, bevor der Ehegatte dem Zusammenführenden nachreisen darf.
…"
IV. Voraussetzungen der Vorlage:
Der Verwaltungsgerichtshof ist ein Gericht im Sinn des Art. 267 AEUV und vertritt die Auffassung, dass sich bei der Entscheidung über den von ihm zu beurteilenden Beschwerdefall die im gegenständlichen Ersuchen um Vorabentscheidung angeführte und im nächsten Punkt näher erörterte Frage der Auslegung des Unionsrechts stellt.
V. Erörterungen zur Vorlagefrage:
Wie dargelegt sieht das Unionsrecht in Art. 4 Abs. 5 der Richtlinie die Möglichkeit für die Mitgliedstaaten vor, eine Altersgrenze von höchstens 21 Jahren für Ehepartner festzulegen, die erreicht werden muss, "bevor der Ehegatte dem Zusammenführenden nachreisen darf". Dabei wird nicht konkretisiert, ob darunter der Zeitpunkt der behördlichen Bewilligung, jener der tatsächlichen Einreise oder ein sonstiger Zeitpunkt zu verstehen ist.
Gemäß der nationalen Bestimmung müssen beide Ehepartner das 21. Lebensjahr "zum Zeitpunkt der Antragstellung" bereits vollendet haben. Das spätere Erreichen dieses Alters kann, auch wenn die Entscheidung über den Antrag auf Familienzusammenführung erst danach erfolgt, nach dieser Bestimmung demnach nicht zur Bewilligung des Antrages führen.
Der Gesetzgeber erläuterte zu der diesbezüglichen Novelle des NAG, BGBl. I Nr. 122/2009 (siehe 330 BlgNR 24. GP 41), die Einführung der Altersgrenze von 21 Jahren ausdrücklich als im Einklang mit Art. 4 Abs. 5 der Richtlinie stehend. Zu dem nunmehrigen Abstellen auf den Zeitpunkt der Antragstellung wurde lediglich Folgendes ausgeführt:
"Es handelt sich wie bisher um eine formale Erteilungsvoraussetzung zum Zeitpunkt der Antragstellung, die bei Nichterfüllung die Zurückweisung des Antrags auf Familienzusammenführung zur Folge hat. Eine 'Heilung' durch Zeitablauf ist ausgeschlossen."
Dem vorlegenden Gericht stellt sich nun die Frage, ob die angeführte Richtlinienbestimmung ("bevor (…) nachreisen darf") einer nationalen Regelung entgegen steht, die für das geforderte Alter den Zeitpunkt der Antragstellung als maßgeblich erklärt. Dieses Abstellen auf den Zeitpunkt der Antragstellung ist zudem ohne jede Ausnahmemöglichkeit vorgesehen.
Naheliegend ist aufgrund des Wortlautes des Art. 4 Abs. 5 der Richtlinie eine Auslegung dieser Bestimmung dahin, dass mit dem Zeitpunkt des "Nachreisendürfens" jener der Erteilung der behördlichen Erlaubnis gemeint ist. Dieser ist im Regelfall nicht mit dem Zeitpunkt der Antragstellung gleichzusetzen, wird doch die Prüfung der Voraussetzungen des Familiennachzuges - so auch im vorliegenden Fall - durch die Verwaltungsbehörde eine gewisse Zeit in Anspruch nehmen.
Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie sieht vor, dass der Antrag zu stellen und zu prüfen ist, wenn sich die Familienangehörigen noch außerhalb des Hoheitsgebietes des Mitgliedstaats aufhalten, in dem sich der Zusammenführende aufhält. In diesem Sinn sind auch nach der innerstaatlichen österreichischen Rechtslage Anträge auf Bewilligung der Familienzusammenführung grundsätzlich vor der Einreise zu stellen und es ist die Erledigung im Ausland abzuwarten (§ 21 NAG). Es wird sich somit im Regelfall ergeben, dass das Nachreisendürfen des Ehepartners oder eingetragenen Partners zum zusammenführenden Partner in Österreich - je nach Länge des Bewilligungsverfahrens - entsprechend lange Zeit nach Erreichen des 21. Lebensjahres beider Partner erfolgen wird.
Eine Bedachtnahme auf den Zweck der Regelung über die Altersgrenze könnte aber auch ergeben, dass die österreichische Bestimmung in der genannten Ausformung nicht unionsrechtswidrig ist. Dem Zweck der Vermeidung von Zwangsehen dient eine Bestimmung, die auf den Zeitpunkt der Antragstellung abstellt. Wenn nämlich die Ehepartner zum Zeitpunkt der Antragstellung jünger als 21 Jahre sein dürfen, ist die Möglichkeit der Einflussnahme auf den Abschluss einer Zwangsehe und auf die Einwilligung zum Familiennachzug größer als beim Erfordernis der Vollendung des 21. Lebensjahres schon bei der Antragstellung.
So gesehen könnte die dargelegte innerstaatliche Rechtslage mit dem Erfordernis eines Mindestalters bei der Antragstellung den - dem nationalen Gesetzgeber bei der genannten Regelung offenkundig vor Augen stehenden - Zielen des Art. 4 Abs. 5 der Richtlinie, konkret: der Hintanhaltung von Zwangsehen, entsprechen, auch wenn die wörtliche Auslegung der Richtlinie ein anderes Ergebnis nahelegt.
Nach dem Gesagten sieht sich der Verwaltungsgerichtshof zur Gewährleistung der richtigen Anwendung von Unionsrecht veranlasst, die eingangs genannte Vorlagefrage zu stellen.
Wien, am 29. Mai 2013
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2013:2011220175.X00Im RIS seit
05.07.2013Zuletzt aktualisiert am
16.06.2017