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41/02 Passrecht Fremdenrecht;Norm
NAG 2005 §11 Abs3;Beachte
Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):2011/22/0168 2011/22/0171 2011/22/0170 2011/22/0169Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Bernegger und die Hofräte Dr. Robl und Mag. Eder als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerden 1. des N, 2. der E, 3. der R,
4. der G, und 5. der RG, sämtliche in G, vertreten durch Dr. Wolfgang Vacarescu, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Jakominiplatz 16/II, gegen die Bescheide der Bundesministerin für Inneres je vom 11. August 2010, Zl. 320.066/2-III/4/10 (hinsichtlich erstbeschwerdeführender Partei, hg. Zl. 2011/22/0167), Zl. 320.066/3-III/4/10 (hinsichtlich zweitbeschwerdeführender Partei, hg. Zl. 2011/22/0168), Zl. 320.066/4-III/4/10 (hinsichtlich drittbeschwerdeführender Partei, hg. Zl. 2011/22/0169), Zl. 320.066/5-III/4/10 (hinsichtlich viertbeschwerdeführender Partei, hg. Zl. 2011/22/0170), und Zl. 320.066/6-III/4/10 (hinsichtlich fünftbeschwerdeführender Partei, hg. Zl. 2011/22/0171), jeweils betreffend Niederlassungsbewilligung, zu Recht erkannt:
Spruch
Die angefochtenen Bescheide werden wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Begründung
Mit den angefochtenen Bescheiden bestätigte die belangte Behörde gemäß §§ 44 Abs. 3 und 44b Abs. 1 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) die in erster Instanz vorgenommenen Zurückweisungen der Anträge der beschwerdeführenden Parteien (ein Ehepaar und ihre Kinder, alle Staatsangehörige des Kosovo) auf Erteilung von Niederlassungsbewilligungen.
Zur Begründung führte die belangte Behörde in den angefochtenen Bescheiden annähernd gleichlautend im Wesentlichen aus, dass sich die erst- bis viertbeschwerdeführenden Parteien seit dem Jahr 2005 in Österreich aufhielten und die fünfbeschwerdeführende Partei in Österreich geboren worden sei. Die Asylanträge der erst- bis viertbeschwerdeführenden Parteien seien in zweiter Instanz am 6. Mai 2009 "rechtskräftig negativ entschieden" worden. Dabei sei auch die Durchsetzbarkeit der Ausweisung aus dem Bundesgebiet in zweiter Instanz bestätigt worden. Die fünftbeschwerdeführende Partei sei mit rechtskräftigem Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Steiermark vom 23. März 2010 ausgewiesen worden.
Am 6. Oktober 2009 seien die gegenständlichen Anträge gestellt worden.
Mit Schreiben vom 30. Mai 2010 hätten die beschwerdeführenden Parteien abermals dieselben Gründe mitgeteilt, die sie bereits im Zuge der (Asyl-)Antragstellung bzw. im Zuge einer Vernehmung beim Bundesasylamt vom 9. September 2005 angeführt hätten. Auch in der Berufung seien keine konkreten Angaben gemacht worden, um einen maßgeblich geänderten Sachverhalt zu konkretisieren. Im Fall der erst- bis viertbeschwerdeführenden Parteien sei "mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 06.05.2009" die Ausweisung ausgesprochen worden, wodurch bereits eine Abwägung im Sinn des Art. 8 EMRK durchgeführt worden sei. An diese Entscheidung seien die "NAG-Behörden" gebunden. Es sei nicht erkennbar, dass in der Zeit ab 6. Mai 2009 "bis heute" ein maßgeblich geänderter Sachverhalt eingetreten wäre.
Der Verfassungsgerichtshof hat die gegen diese Bescheide an ihn erhobene Beschwerde nach Ablehnung ihrer Behandlung über nachträglichen Antrag mit Beschluss vom 20. Juni 2011, B 1355- 1359/10-15, gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die ergänzten Beschwerden nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen:
Eingangs ist festzuhalten, dass angesichts der Zustellung der angefochtenen Bescheide im August 2010 die Bestimmungen des NAG idF BGBl. I Nr. 135/2009 anzuwenden sind.
Gemäß § 44 Abs. 3 NAG ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen eine quotenfreie "Niederlassungsbewilligung - beschränkt" zu erteilen, wenn dies - neben weiteren Voraussetzungen - gemäß § 11 Abs. 3 NAG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinn des Art. 8 EMRK geboten ist.
Gemäß § 44b Abs. 1 Z 1 NAG ist ein solcher Antrag als unzulässig zurückzuweisen, wenn gegen den Antragsteller eine Ausweisung rechtskräftig erlassen wurde und aus dem begründeten Antragsvorbringen im Blick auf die Berücksichtigung des Privat- und Familienlebens gemäß § 11 Abs. 3 NAG ein maßgeblich geänderter Sachverhalt nicht hervorkommt.
Der belangten Behörde ist mehrfach eine Aktenwidrigkeit der angefochtenen Bescheide vorzuwerfen.
Die belangte Behörde nahm nämlich als Beginn des für eine maßgebliche Sachverhaltsänderung zu überprüfenden Zeitraumes hinsichtlich der erst- bis viertbeschwerdeführenden Parteien das Datum 6. Mai 2009 an, zu dem die Asylanträge "von der II. Instanz (...) rechtskräftig negativ entschieden" worden seien und die Durchsetzbarkeit der Ausweisungen "in II. Instanz bestätigt" worden sei. Dies entspricht nicht der Aktenlage. Die Bescheide des unabhängigen Bundesasylsenates sind nämlich mit 12. Juni 2007 datiert und wurden am 14. Juni 2007 zugestellt.
Der Verwaltungsgerichtshof lehnte mit Beschluss vom 23. April 2009, 2007/01/0859 bis 0862, die Behandlung der gegen die genannten Asylbescheide erhobenen Beschwerden ab. Sollte die belangte Behörde diese verwaltungsgerichtliche Entscheidung als maßgeblich angenommen haben, unterliegt sie einem Rechtsirrtum. Relevant ist nämlich nicht der Zeitpunkt der Erledigung einer beim Verwaltungsgerichtshof erhobenen Beschwerde, sondern jener der letztinstanzlichen aufenthaltsbeendenden Bescheide. Ob bis zur erstinstanzlichen Zurückweisung eine maßgebliche Sachverhaltsänderung eingetreten ist, ist somit hinsichtlich des Zeitraumes seit dem Eintritt der Rechtskraft der letztinstanzlichen Ausweisungsentscheidung zu prüfen. Somit wäre im gegenständlichen Fall hinsichtlich der erst- bis viertbeschwerdeführenden Parteien nicht der 6. Mai 2009 heranzuziehen gewesen, sondern der 14. Juni 2007. Da nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Heranziehung dieses Zeitpunktes zu einer anderen Beurteilung der Sache hätte führen können, waren die erst- bis viertangefochtenen Bescheide schon deswegen aufzuheben.
Zur Klarstellung sei bemerkt, dass die belangte Behörde in mehrfacher Hinsicht die Rechtslage verkannte.
Erstens ist nicht auf den in der Bescheidbegründung genannten Zeitpunkt "bis heute" abzustellen, sondern - wie bereits angeführt - auf den Zeitpunkt der Erlassung des erstinstanzlichen Zurückweisungsbescheides (vgl. für viele das hg. Erkenntnis vom 13. September 2011, 2011/22/0070).
Zweitens hat die Niederlassungsbehörde die Frage, ob eine maßgebliche Sachverhaltsänderung eingetreten ist, aus Eigenem zu prüfen und ist nicht an die Stellungnahme der Fremdenpolizeibehörde gebunden (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 9. November 2011, 2011/22/0250 und 0251).
Gleichfalls rechtswidrig ist der die fünftbeschwerdeführende Partei betreffende Bescheid. Hier ging die belangte Behörde aktenwidrig von einer rechtskräftigen Ausweisung durch die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Steiermark vom 23. März 2010 aus. Tatsächlich ist der erstinstanzliche Ausweisungsbescheid der Bundespolizeidirektion Graz mit 20. Jänner 2011 datiert und wurde am 25. Jänner 2011 zugestellt. An dem von der belangten Behörde angeführten Datum erstattete die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Steiermark (lediglich) eine Stellungnahme nach § 44b Abs. 2 NAG.
(Die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Steiermark bestätigte in der Folge den genannten Ausweisungsbescheid mit Bescheid vom 10. Mai 2011, gegen den hg. zur Zl. 2011/21/0149 Beschwerde erhoben wurde. Diese wurde mit Beschluss vom 20. Oktober 2011 als gegenstandslos geworden erklärt, weil der genannte Bescheid mit Bescheid der Bundesministerin für Inneres vom 25. August 2011 gemäß § 68 Abs. 4 Z 1 AVG von Amts wegen für nichtig erklärt worden war. In der Folge wurde die Ausweisung mit Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates für das Land Steiermark vom 21. September 2012 bestätigt. Auch dieser Bescheid wurde beim Verwaltungsgerichtshof zur hg. Zl. 2012/21/0263 angefochten; der Beschwerde wurde mit Beschluss vom 1. Februar 2013 die aufschiebende Wirkung zuerkannt.)
Maßgeblich ist, dass im Zeitpunkt der Zustellung des erstinstanzlichen Zurückweisungsbescheides im Juni 2010 gegen die fünftbeschwerdeführende Partei keine rechtskräftige Ausweisung bestanden hat. Diese Aktenwidrigkeit ist relevant, kann doch mangels rechtskräftiger Ausweisung der von der belangten Behörde inhaltlich angewendete Zurückweisungsgrund des § 44b Abs. 1 Z 1 NAG nicht herangezogen werden.
Wegen der aufgezeigten mehrfachen Aktenwidrigkeit - deren rechtliche Relevanz dargelegt wurde - waren die angefochtenen Bescheide gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. a VwGG aufzuheben.
Von der beantragten Durchführung einer Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 6 VwGG Abstand genommen werden.
Eine Kostenentscheidung hatte mangels Verzeichnung von Kosten zu entfallen.
Wien, am 29. Mai 2013
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2013:2011220167.X00Im RIS seit
19.06.2013Zuletzt aktualisiert am
18.07.2013