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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AVG §45 Abs3;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Bernegger, die Hofräte Dr. Robl und Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober und den Hofrat Dr. Mayr als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde des G, vertreten durch Mag. Marko J. Peschl, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Neutorgasse 51/II, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Steiermark vom 9. September 2010, Zl. FA7C-2-9.H/3244-2009, betreffend Aufenthaltstitel, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers, eines nigerianischen Staatsangehörigen, auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung gemäß § 44 Abs. 4 in Verbindung mit § 11 Abs. 2 Z 4 und Abs. 5 sowie § 3 Abs. 1 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) ab.
In ihrer Begründung führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer sei am 4. Jänner 2004 illegal in das Bundesgebiet eingereist und habe einen Asylantrag gestellt, der am 13. Oktober 2008 "in 2. Instanz (…) negativ beschieden" worden sei. In weiterer Folge habe er am 8. Mai 2009 einen Antrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung gestellt, dem mit 26. März 2010 rechtskräftig nicht stattgegeben worden sei. Den nunmehr am 21. Mai 2010 eingebrachten Antrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung "beschränkt" gemäß § 44 Abs. 4 NAG habe der Beschwerdeführer damit begründet, dass er seit 4. Jänner 2004 im Bundesgebiet aufhältig wäre, zwischenzeitig das "Modul A2 absolviert" und damit seine Deutschkenntnisse verbessert hätte. Er wäre in Österreich gut integriert, wäre für soziale und kirchliche Einrichtungen tätig und ginge außerdem einer geregelten Beschäftigung nach, von der er Steuern, Versicherungsbeiträge und Miete in Österreich zahlte. Zu seinem Heimatland hätte er keinen Kontakt mehr; er könnte auch nicht dorthin zurück, weil ihm dort die Gefahr von Verfolgung, Misshandlung und Folterung drohte. Seinem Antrag habe der Beschwerdeführer ein "Zertifikat Modul A2", Einkommensnachweise der C Printmedienvertrieb GmbH über ein durchschnittliches Einkommen von ca. EUR 825,- vorgelegt; darüber hinaus habe er ein Unterstützungsschreiben einer Pfarre und "weitere Einkommensnachweise" nachgereicht.
Die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Steiermark habe, nachdem ihr der Verwaltungsakt gemäß "§ 44 b Abs. 2" übermittelt worden sei, in ihrer Stellungnahme ausgeführt, dass sich die unterhaltsrechtlichen Voraussetzungen nicht wesentlich verändert darstellen würden und die seinerzeitige Stellungnahme, wonach aufenthaltsbeendende Maßnahmen zulässig wären, aufrecht erhalten bliebe. "Dies" sei dem Beschwerdeführer mit Schreiben der belangten Behörde vom 30. Juli 2010 zur Wahrung des Parteiengehörs mitgeteilt worden. Daraufhin habe der Beschwerdeführer zwei weitere Einkommensnachweise vom Juni 2010 und vom Juli 2010 "mit EUR 1.370,64 und EUR 1.331,21" vorgelegt.
In ihrer rechtlichen Beurteilung ging die belangte Behörde nach Zitierung der gesetzlichen Bestimmungen davon aus, dass die von § 44 Abs. 4 NAG geforderten Aufenthaltszeiten vorlägen. Jedoch habe die Behörde den Grad der Integration des Drittstaatsangehörigen und auch seine Selbsterhaltungsfähigkeit "und dgl." entsprechend zu berücksichtigen und zu würdigen. Grundvoraussetzung sei ein ausreichender Unterhalt gemäß den Bestimmungen des § 11 Abs. 2 Z 4 und Abs. 5 NAG sowie das Vorliegen einer ortsüblichen Unterkunft und einer ausreichenden Versicherung. Zwar wäre nunmehr durch den Nachweis "des Modul 2" die Erteilung einer Niederlassungsbewilligung unbeschränkt mit freiem Zugang zum Arbeitsmarkt möglich, dennoch sei in einer Gesamtbetrachtung nicht von einer besonderen Berücksichtigungswürdigkeit und einem umfassenden Vorliegen der Voraussetzungen des § 44 Abs. 4 NAG auszugehen. Der Beschwerdeführer verfüge "derzeit offensichtlich über keine entsprechende Versicherung" und könne lediglich Versicherungszeiten als Asylwerber bis zum 28. Oktober 2008 vorweisen. Eine entsprechende Versicherung bei der Sozialversicherungsanstalt für Selbständige, wie sie bei der konkreten Erwerbstätigkeit erforderlich wäre, sei nicht gegeben bzw. sei in keinem Stand des Verfahrens vorgelegt worden. Der Beschwerdeführer habe bereits bei der ersten Antragstellung bzw. auch im nunmehrigen Verfahren erst nach neuerlicher negativer Stellungnahme der Sicherheitsdirektion und Möglichkeit des Parteiengehörs entsprechende höhere Gutschriften der C Printmedienvertrieb GmbH vorlegt. In einer Gesamtbetrachtung könne nicht von festen und regelmäßigen Einkünften "in der entsprechenden Höhe" ausgegangen werden. Auch sei die Tatsache, dass der Beschwerdeführer die Absolvierung eines Deutschkurses erst nach einer bereits erfolgten rechtskräftigen negativen Entscheidung "vorgelegt" (gemeint offenbar: nachgewiesen) habe, entsprechend gewürdigt worden, zumal der Beschwerdeführer offensichtlich während des "vorherigen 6-jährigen" Aufenthaltes nicht in der Lage gewesen sei, sich die entsprechenden Deutschkenntnisse auf einem erforderlichen Niveau anzueignen. In einer Gesamtbetrachtung des Falles zeige sich, dass die Voraussetzungen gemäß § 44 Abs. 4 iVm § 11 Abs. 2 und 5 NAG im Hinblick auf eine nachhaltige Integration und wirtschaftliche Selbsterhaltungsfähigkeit nicht dergestalt vorlägen, dass die Erteilung einer Niederlassungsbewilligung gemäß § 44 Abs. 4 NAG geboten wäre, denn der Beschwerdeführer habe zwar im Verfahren zuletzt zwei Gutschriften der C Printmedienvertrieb GmbH mit einem höheren Einkommen vorgelegt, er verfüge aber über keine Versicherung und habe auch keine Steuerleistung dargelegt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen:
Zunächst ist festzuhalten, dass im Hinblick auf die Zustellung des angefochtenen Bescheides im September 2010 das NAG in der Fassung BGBl. I Nr. 135/2009 anzuwenden ist.
Der Beschwerdeführer wendet sich unter anderem gegen die Verfahrensführung der belangten Behörde und macht in diesem Zusammenhang geltend, die belangte Behörde gehe infolge mangelhafter Verfahrensführung von unrichtigen Sachverhaltsvoraussetzungen aus, was zu einer unrichtigen rechtlichen Beurteilung geführt habe. Insbesondere verwehrt sich der Beschwerdeführer dagegen, dass die belangte Behörde überraschend die mangelnde Vorlage von Nachweisen einer Versicherung sowie von Steuerleistungen zur Begründung der Abweisung seines Antrages zentral herangezogen habe, ohne diese Nachweise - im Wege eines Verbesserungsauftrages - zuvor von ihm eingefordert zu haben. Ferner rügt der Beschwerdeführer, dass ihm trotz Vorlage seiner Einkommensnachweise, die ein monatliches Durchschnittseinkommen in der Höhe von EUR 873,57 belegten, eine wirtschaftliche Integration abgesprochen wurde.
Die Beschwerde ist damit im Recht.
Die belangte Behörde erteilte nach der zunächst schriftlich erfolgten Antragstellung dem Beschwerdeführer mit Schreiben vom 10. Mai 2010 einen Verbesserungsauftrag, demzufolge er (neben der persönlichen Einbringung des Antrags samt Entrichtung der Antragsgebühren) eine schriftliche Begründung, was sich seit der ersten Antragstellung maßgeblich verändert habe, sowie Unterlagen über "aktuelle Unterhaltsmittel" nachzureichen habe. Daraufhin holte der Beschwerdeführer die persönliche Antragseinbringung nach, entrichtete die Gebühren, und begründete seinen Antrag ausführlich, wobei er auch auf einen gerundeten monatlichen Verdienst von EUR 900,- hinwies. Ob diesem Antrag weitere Nachweise beigelegt wurden, ist aus dem nicht durchgehend chronologisch geführten Akt nicht ersichtlich. Im darauf folgenden Schreiben der belangten Behörde vom 11. Juni 2010 an den Rechtsvertreter des Beschwerdeführers allerdings, in dem darauf hingewiesen wird, dass Unterhaltsmittel in der entsprechenden Richtsatzhöhe "im Hinblick auf feste und regelmäßige Einkommen" nicht vorgelegt worden seien, wird auch auf eine Gutschrift der C GmbH für Zustelltätigkeiten vom März 2010 Bezug genommen, welche als einzige die entsprechende Richtsatzhöhe übersteigen würde. Im Akt finden sich an anderer Stelle "Gutschriften" der besagten GmbH für den Zeitraum Jänner 2010 (EUR 725,83), März 2010 (EUR 941,56), April 2010 (EUR 877,10) und Mai 2010 (EUR1.065,01). In seiner Stellungnahme vom 29. Juni 2010 verweist der Beschwerdeführer auf ein Modul II-Zertifikat sowie auf einen seit Februar 2010 bestehenden Werkvertrag mit der C GmbH und Gutschriften für April 2010 und Mai 2010. In ihrem Schreiben vom 7. Juli 2010 an die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Steiermark führt die belangte Behörde zur maßgeblichen Situation des Beschwerdeführers auch an, dass eine "regelmäßige Erwerbstätigkeit mit entsprechendem Einkommen" bestehe. Nach Einlangen der Stellungnahme der Sicherheitsdirektion räumte die belangte Behörde zwar mit Schreiben vom 30. Juli 2010 dem Beschwerdeführer die Möglichkeit ein, im Verwaltungsverfahren eine Stellungnahme abzugeben. Dies tat sie allerdings vor dem Hintergrund der von ihr eingeholten Stellungnahme der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Steiermark, die sich aber auf die Beurteilung, ob eine Ausweisung gegen den Beschwerdeführer aus dem Blickwinkel des Art. 8 EMRK immer noch zulässig sei, konzentriert. Von welchen konkreten Sachverhaltsannahmen die belangte Behörde auf Grund ihrer bisherigen Erhebungen ausging, legte sie gegenüber dem Beschwerdeführer in ihrem Schreiben nicht offen; ebenso wenig forderte sie den Beschwerdeführer zur Vorlage weiterer Unterlagen oder Nachweise auf. In seiner darauf folgenden Stellungnahme vom 13. August 2010 legte der Beschwerdeführer u.a. auch zwei Gutschriften für Zustelltätigkeiten für Juni 2010 (EUR 1.370,64) und Juli 2010 (EUR 1.331,21) vor.
Warum die belangte Behörde trotz der Vorlage dieser Einkommensnachweise nicht das Vorliegen der Erteilungsvoraussetzung gemäß § 11 Abs. 2 Z 4 iVm Abs. 5 NAG annahm, erschließt sich aus der Bescheidbegründung nicht in nachvollziehbarer Weise.
Insoweit die belangte Behörde ferner annahm, der Beschwerdeführer verfüge "offensichtlich" nicht über die erforderliche Versicherung bei der Sozialversicherungsanstalt für Selbständige, weil er diese im Verfahren nicht vorgelegt habe, hätte sie diese Feststellung nicht treffen dürfen, ohne dem Beschwerdeführer dazu Parteiengehör einzuräumen. Da sie dies nicht tat, unterliegt auch die im Zuge des verwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahrens erfolgte Vorlage der angesprochenen Pflichtversicherung bei der gewerblichen Sozialversicherung, welche offenbar seit 15. März 2010 besteht, nicht dem Neuerungsverbot.
Was die von der belangten Behörde gerügte mangelnde Steuerleistung anlangt, ist nicht ersichtlich, worauf die belangte Behörde ihre Annahme, die Vorlage eines Einkommenssteuernachweises sei gesetzliche Voraussetzung, stützt. Nicht nur, dass Steuerbescheide bzw. Steuererklärungen von der Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz-Durchführungsverordnung (vgl. § 7 Abs. 1 Z 7 NAG-DV) nicht als verpflichtend beizubringende Unterlagen angeführt werden, ist auch hier der belangten Behörde der Vorwurf zu machen, dass sie es verabsäumt hat, den Beschwerdeführer bei Zweifeln an seinem Vorbringen zur Vorlage eines Steuerbescheides oder anderer für erforderlich erachteter Unterlagen aufzufordern. Auch hier kann wiederum infolge der Verletzung des Parteiengehörs durch die belangte Behörde das verwaltungsgerichtliche Neuerungsverbot nicht greifen und es ist daher der vom Beschwerdeführer mit seiner Beschwerde vorgelegte Einkommenssteuerbescheid aus 2010 zu berücksichtigen.
Indem die belangte Behörde somit ohne weitere beweiswürdigende Überlegungen und ohne dem Beschwerdeführer Gelegenheit zu geben, dazu Stellung zu nehmen, nicht von der Tragfähigkeit der vorlegten Einkommensnachweise für einen gesicherten Unterhalt ausging und das Bestehen einer Krankenversicherung in Abrede stellte, hat sie den angefochtenen Bescheid mit einem Verfahrensmangel behaftet.
Da sich die belangte Behörde in ihrer Begründung, warum die Voraussetzungen für die Erteilung des Aufenthaltstitels nicht erfüllt seien, zentral auf diese Punkte stützte, ist auch die Relevanz dieses Verfahrensmangels für das Ergebnis des Verwaltungsverfahrens jedenfalls gegeben.
Der angefochtene Bescheid erweist sich nach dem Gesagten daher schon deshalb als mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften behaftet, weshalb er aus diesem Grund gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG aufzuheben war.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.
Wien, am 29. Mai 2013
Schlagworte
Begründung BegründungsmangelParteiengehör AllgemeinEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2013:2011220041.X00Im RIS seit
04.07.2013Zuletzt aktualisiert am
27.08.2013