TE Vwgh Erkenntnis 2013/5/29 2011/01/0241

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Veröffentlicht am 29.05.2013
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
10/10 Grundrechte;
27/01 Rechtsanwälte;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG;
B-VG Art7 Abs1;
RAO 1868 §28 Abs1 lith;
RLBA 1977 §61;
StGG Art2;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl und die Hofräte Dr. Blaschek, Dr. Kleiser, Dr. Hofbauer und Dr. Fasching als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Pichler, über die Beschwerde des Dr. A in S, vertreten durch Mag. Thomas Kaumberger, Rechtsanwalt in 3021 Pressbaum, Am Pelzergraben 5, gegen den Bescheid des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer Niederösterreich (Plenum) vom 7. Juli 2011, Zl. GZ 330/11, betreffend Enthebung und Umbestellung des mittlerweiligen Stellvertreters (weitere Partei: Bundesministerin für Justiz), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Die Rechtsanwaltskammer Niederösterreich hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer war Rechtsanwalt in N. Mit Schriftsatz vom 19. Juni 2009 an die Rechtsanwaltskammer Niederösterreich erklärte er, auf die Berechtigung zur Ausübung der Rechtsanwaltschaft per 31. August 2009 zu verzichten, beantragte die Zuerkennung der Alterspension und ersuchte, seinen Kanzleipartner Rechtsanwalt Mag. S. zum mittlerweiligen Stellvertreter zu bestellen.

Der Ausschuss der Rechtsanwaltskammer Niederösterreich bestellte daraufhin - dem Vorschlag des Beschwerdeführers folgend -

mit Bescheid vom 9. Juli 2009 Rechtsanwalt Mag. S. zum mittlerweiligen Stellvertreter für den Beschwerdeführer.

Mit Schriftsatz vom 22. Februar 2011 an die Rechtsanwaltskammer Niederösterreich stellte der Beschwerdeführer den Antrag, den für ihn bestellten mittlerweiligen Stellvertreter Mag. S. zu entheben und an seiner Stelle Rechtsanwalt Mag. T (mit Kanzleisitz in P) zum mittlerweiligen Stellvertreter zu bestellen.

Auf Grund einer von der "Rechtsanwaltskammer Niederösterreich" eingeholten "telefonischen Anfrage" sprach sich Rechtsanwalt Mag. S. mit Schriftsatz vom 3. März 2011 gegen diese Umbestellung aus und legte seine Gründe dazu näher dar.

Mit Beschluss (Bescheid) der Abteilung (II/8) des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer Niederösterreich vom 17. März 2011 wurde daraufhin der Antrag des Beschwerdeführers (auf Umbestellung des mittlerweiligen Stellvertreters) abgewiesen.

Dagegen erhob der Beschwerdeführer eine Vorstellung an den Kammerausschuss, in der er rechtliche Erwägungen (über die Gesellschaft zwischen ihm und Mag. S.) voranstellte und dann vorbrachte, seit 4. Februar 2010 bestehe kein Vertrauensverhältnis und keine Gesprächsbasis (mehr) mit Mag. S. Anlass für seinen Umbestellungsantrag sei, dass von der Kanzlei Mag. S die den Beschwerdeführer betreffende Post mit dem Vermerk "unbekannt verzogen" zurückgeschickt werde. Auch habe Mag. S eine ihn (den Beschwerdeführer) betreffende Rechtsangelegenheit "in einer Art und Weise behandelt, die unverständlich ist". Ohne ihn über Forderungen zu verständigen, habe Mag. S Schadenersatzansprüche "dem Grunde nach quasi anerkannt und über die Höhe zu verhandeln begonnen". Auch wisse er nicht, ob und wie viel Post von Mag. S ihm vorenthalten worden sei, und ob Mag. S ohne Wissen und im Namen des Beschwerdeführers weitere Erklärungen abgegeben habe. Die Umbestellung sei im Interesse der früheren Klienten notwendig und auch er (der Beschwerdeführer) habe ein persönliches Interesse daran, Zugang zu den abgeschlossenen Akten zu haben.

Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Vorstellung des Beschwerdeführers nicht Folge.

Zur Begründung wurde ausgeführt, der Beschwerdeführer habe Gründe, welche gegen eine Bestellung des Mag. S sprächen, nicht "aufzählen" können. Ein subjektives Recht des betroffenen Rechtsanwaltes, dass ein bestimmter Rechtsanwalt zum mittlerweiligen Stellvertreter bestellt oder nicht bestellt, oder der bestellte Stellvertreter enthoben oder nicht enthoben werde, sei der Rechtsanwaltsordnung nicht zu entnehmen. Ohne Vollmacht sei ein mittlerweiliger Stellvertreter zur Vertretung der Klienten nicht berechtigt. Ehemalige Klienten des Beschwerdeführers hätten den mittlerweiligen Stellvertreter daher zu bevollmächtigen und zu beauftragen. Die (notwendige) Bestellung eines mittlerweiligen Stellvertreters diene den Interessen der rechtssuchenden Bevölkerung und nicht jenen des betroffenen Rechtsanwaltes. Dem Beschwerdeführer sei es nicht gelungen, irgendwelche Gründe, die Interessen von Klienten oder der rechtssuchenden Bevölkerung beeinträchtigen würden, darzulegen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und in der Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Beschwerdeführer hat zur Gegenschrift eine Replik erstattet.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 28 Abs. 1 lit. h Rechtsanwaltsordnung (RAO) obliegt es dem Ausschuss der zuständigen Rechtsanwaltskammer in den von diesem Gesetz oder dem Disziplinarstatut angeordneten Fällen einen mittlerweiligen Stellvertreter zu bestellen.

Gemäß § 34 Abs. 1 Z. 3 RAO erlischt die Berechtigung zur Ausübung der Rechtsanwaltschaft bei Verzicht.

Nach Abs. 4 leg. cit. ist dem Rechtsanwalt in den Fällen des Abs. 1 und 2 ein mittlerweiliger Stellvertreter zu bestellen. Dieser ist über Mitteilung der zuständigen Rechtsanwaltskammer von Amts wegen beim Betroffenen in das Firmenbuch einzutragen und nach Ablauf seiner Bestellung wieder zu löschen. Der österreichische Rechtsanwaltskammertag hat dem mittlerweiligen Stellvertreter Zugang zu den vom Rechtsanwalt im anwaltlichen Urkundenarchiv gespeicherten Urkunden zu ermöglichen. Ein mittlerweiliger Stellvertreter ist auch bei Erkrankung oder Abwesenheit eines Rechtsanwalts für die Dauer der Verhinderung zu bestellen, wenn der Rechtsanwalt nicht selbst einen Substituten nach § 14 namhaft gemacht hat oder namhaft machen konnte; in diesem Fall kommt dem mittlerweiligen Stellvertreter die Stellung eines Substituten nach § 14 zu.

Die zufolge § 37 RAO erlassenen "Richtlinien für die Ausübung des Rechtsanwaltsberufes und für die Überwachung der Pflichten des Rechtsanwaltes und des Rechtsanwaltsanwärters (RL-BA 1977)" bestimmen hinsichtlich eines mittlerweiligen Stellvertreters:

"Artikel XI - Mittlerweiliger Stellvertreter

§ 59

Der mittlerweilige Stellvertreter gemäß § 34 Abs 4 4. Satz RAO ist Stellvertreter des Rechtsanwaltes (§ 14 RAO) mit den Rechten und Pflichten eines Substituten. In Fällen, in denen er nicht vertreten darf, hat er für einen Vertreter zu sorgen.

§ 60

Der mittlerweilige Stellvertreter, der für einen Rechtsanwalt bestellt wurde, welcher vorübergehend die Berechtigung zur Ausübung der Rechtsanwaltschaft verloren hat, ist nicht Substitut des Rechtsanwaltes, für den er bestellt wurde. Er hat mit der Sorgfalt des Rechtsanwaltes die Interessen der Parteien ebenso wie die Interessen des Rechtsanwaltes, für den er bestellt wurde, zu wahren. Im Widerstreit haben die Interessen des Rechtsanwaltes gegenüber jenen der Partei zurückzutreten.

§ 61

Der mittlerweilige Stellvertreter, der für einen Rechtsanwalt bestellt wurde, welcher auf die Ausübung der Rechtsanwaltschaft verzichtet hat, verstorben ist oder aus der Liste der Rechtsanwälte gestrichen wurde (Abwickler), hat mit der Sorgfalt eines Rechtsanwaltes die Interessen der Parteien des Rechtsanwaltes, für den er bestellt wurde, zu wahren und dafür zu sorgen, dass die Kanzlei des Rechtsanwaltes im Einvernehmen mit diesem oder mit den Erben im Ganzen verwertet oder ordnungsgemäß liquidiert wird. Dabei hat er insbesondere darauf hinzuwirken, dass der Rechtsanwalt, der seine Kanzleitätigkeit beendet hat, oder die Erben des verstorbenen Rechtsanwaltes, für welchen er bestellt wurde, an der Erfüllung der Verpflichtungen des Rechtsanwaltes gegenüber seinen Parteien in geeigneter Weise mitwirken, insbesondere was die Weiterführung noch nicht erledigter Aufträge, die Abrechnung von für die Parteien vereinnahmten Beträgen, die Aktenverwaltung einschließlich Herausgabe von Unterlagen und Urkunden sowie die Aufbewahrung der Akten betrifft.

§ 62

(1) In allen Fällen der mittlerweiligen Stellvertretung hat der mittlerweilige Stellvertreter Anspruch auf angemessene Entlohnung für seine Tätigkeit.

(2) Ist der mittlerweilige Stellvertreter ein solcher im Sinne des § 14 RAO, ist jedenfalls die im Substitutionsverkehr übliche Entlohnung angemessen.

(3) In den anderen Fällen soll mit dem Rechtsanwalt oder den Erben des Rechtsanwaltes, für welchen der mittlerweilige Stellvertreter bestellt wurde, eine schriftliche Vereinbarung über den Entlohnungsanspruch getroffen werden. Gelingt dies nicht, ist der mittlerweilige Stellvertreter berechtigt, eine angemessene Entlohnung anzusprechen, wobei in angemessener Weise Vorteile, die dem mittlerweiligen Stellvertreter verblieben sind, etwa aus der Übernahme von Aufträgen, zu berücksichtigen sind."

Der Beschwerdeführer erachtet sich in dem aus § 61 RL-BA 1977 sich ergebenden Recht verletzt, wonach bei der Auswahl des mittlerweiligen Stellvertreters auf die Umstände des Falles Bedacht zu nehmen sei und der Kammerausschuss einen "passenden" Rechtsanwalt auszuwählen habe. Auf sein Vorstellungsvorbringen sei nicht eingegangen worden. Die belangte Behörde habe ihre Entscheidung ohne Prüfung des Sachverhaltes darauf gestützt, dass er als betroffener Rechtsanwalt kein Mitspracherecht habe.

Die Beschwerde ist berechtigt.

Für das Verfahren vor dem Kammerausschuss gilt das AVG nicht. Die Behörde hat dennoch die fundamentalen Grundsätze eines fairen Verfahrens zu beachten, so insbesondere das Parteiengehör zu wahren. Die völlige Vernachlässigung des Parteiengehörs stellt einen wesentlichen Verfahrensmangel dar, der als willkürliches Vorgehen der Behörde und Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes zu qualifizieren wäre (vgl. das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 9. Juni 1998 in VfSlg. Nr. 15.149/1998; sowie das hg. Erkenntnis vom 3. September 2001, Zl. 2001/10/0004).

Im vorliegenden Fall lehnte die belangte Behörde die Auseinandersetzung mit dem Vorbringen des betroffenen Rechtsanwalts (Beschwerdeführer) und den von ihm geltend gemachten Interessen mit der Begründung ab, die Bestellung bzw. Umbestellung eines mittlerweiligen Stellvertreters diene allein den Interessen der rechtssuchenden Bevölkerung.

Der mittlerweilige Stellvertreter wurde vorliegend bestellt, weil der Beschwerdeführer gemäß § 34 Abs. 1 Z. 3 RAO auf die Ausübung der Rechtsanwaltschaft verzichtete. Ein derart für ihn bestellter mittlerweiliger Stellvertreter hat als "Abwickler" gemäß § 61 RL-BA 1977 mit der Sorgfalt eines Rechtsanwaltes die Interessen der Parteien (also der Klienten) zu wahren und dafür zu sorgen, dass die Kanzlei des Rechtsanwaltes im Einvernehmen mit diesem im Ganzen verwertet oder ordnungsgemäß liquidiert wird. Insbesondere hat der mittlerweilige Stellvertreter darauf hinzuwirken, dass der Rechtsanwalt, für den er bestellt wurde, in geeigneter Weise an der Abwicklung seiner Kanzlei mitwirkt.

Entgegen der Ansicht der belangten Behörde hat der mittlerweilige Stellvertreter auch gerechtfertigte Interessen des Rechtsanwaltes, für den er bestellt ist, zu beachten und im Einvernehmen mit diesem für die ordnungsgemäße Abwicklung der Kanzlei zu sorgen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 24. Februar 2009, Zl. 2008/06/0189).

Bei der Auswahl eines bestimmten Rechtsanwaltes zur Bestellung zum mittlerweiligen Stellvertreter ist - wie der Beschwerdeführer geltend macht - auf die Umstände des einzelnen Falles Bedacht zu nehmen. Der Ausschuß der örtlich zuständigen Rechtsanwaltskammer hat demnach einen in fachlicher und sonstiger Hinsicht "passenden" Rechtsanwalt aus dem in Betracht kommenden Personenkreis auszuwählen und zum mittlerweiligen Stellvertreter zu bestellen (vgl. das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 27. Februar 2003, B 1830/99 ua, VfSlg.Nr. 16.807/2003). Davon könnte, träfen die vom Beschwerdeführer geltend gemachten Umstände zu, keine Rede sein.

Dadurch, dass die belangte Behörde davon ausging, die vorliegenden Argumente in der Vorstellung seien unerheblich, belastete sie den angefochtenen Bescheid daher mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.

Wien, am 29. Mai 2013

Schlagworte

Verfahrensgrundsätze außerhalb des Anwendungsbereiches des AVG VwRallg10/2

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2013:2011010241.X00

Im RIS seit

28.06.2013

Zuletzt aktualisiert am

27.09.2013
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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