TE Vwgh Erkenntnis 2013/6/18 2013/18/0048

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Veröffentlicht am 18.06.2013
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Index

20/01 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch (ABGB);
41/02 Asylrecht;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

ABGB §179a Abs1;
FrPolG 2005 §2 Abs4 Z12;
FrPolG 2005 §60 Abs1;
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z10;
FrPolG 2005 §86 Abs1;
FrPolG 2005 §87;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Bernegger sowie die Hofräte Dr. Sulzbacher, Mag. Eder, Mag. Feiel und Mag. Straßegger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Krawarik, über die Beschwerde des MS in W, vertreten durch Dr. Carl Benkhofer, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Biberstraße 26, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 21. April 2010, Zl. E1/181.299/2007, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbots, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom 21. April 2010 erließ die belangte Behörde gegen den Beschwerdeführer, einen serbischen Staatsangehörigen, gemäß § 60 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z 10 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) ein auf die Dauer von acht Jahren befristetes Aufenthaltsverbot.

In der Begründung führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, dass der Beschwerdeführer mit LJ - seiner leiblichen Tante, einer österreichischen Staatsbürgerin - als Wahlmutter am 15. November 2002 einen Adoptionsvertrag abgeschlossen habe. Der Antrag auf Bewilligung dieses Adoptionsvertrags sei mit Beschluss des Bezirksgerichtes Josefstadt vom 14. Jänner 2003 vor allem mit der Begründung abgewiesen worden, dass zwischen der Wahlmutter und dem Beschwerdeführer als Wahlkind kein Verhältnis bestehe, das dem zwischen leiblichen Eltern und Kindern entspreche. Die Adoption hätte allein aus dem Grund erfolgen sollen, um dem Beschwerdeführer eine Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis in Österreich zu verschaffen. Dem dagegen erhobenen Rekurs habe das Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien mit Beschluss vom 14. März 2003 keine Folge gegeben.

Nur wenige Tage später, nämlich am 28. April 2003, habe der Beschwerdeführer mit LJ einen neuen Adoptionsvertrag abgeschlossen und am 5. Mai 2003 dessen gerichtliche Bewilligung beantragt. Dabei habe er - wahrheitswidrig - als gemeinsame Melde- und Wohnadresse 1090 Wien, R-Gasse 3/19, angegeben, obwohl er dort nur bis 8. Jänner 2003 gemeldet gewesen sei und seither in Wien 10, P-Gasse 50/26, seinen Hauptwohnsitz gehabt habe. Vor dem Bezirksgericht habe er angegeben, dass er in Jugoslawien zwei Kinder, nämlich einen 15-jährigen Sohn und eine elfjährige Tochter habe, die er bei Bewilligung der Adoption wieder öfter besuchen könne. Als Grund für die Adoption habe er genannt, dass es sich wegen der Krise "dort unten sehr schwer lebe". Die Wahlmutter habe in diesem Zusammenhang angegeben, dass sie krankheitsbedingt in Frühpension sei. Der Beschwerdeführer komme täglich zu ihr und helfe ihr im Haushalt. Am Abend verlasse er die Wohnung und übernachte normalerweise bei ihrer Tochter, die eine größere Wohnung habe. Seine Kinder werde der Beschwerdeführer bei Bewilligung der Adoption nach Österreich nachholen. Die Tochter der Wahlmutter habe demgegenüber angegeben, dass der Beschwerdeführer nicht bei ihr, sondern bei einem gemeinsamen entfernten Cousin wohne. (Die Annahme des Beschwerdeführers an Kindesstatt durch die österreichische Staatsbürgerin wurde schließlich vom Bezirksgericht Josefstadt mit Beschluss vom 26. Jänner 2004 bewilligt.)

Über Vorhalt vom 30. April 2004 im Verfahren über seinen am 19. Februar 2004 gestellten Antrag auf Erteilung einer von der Wahlmutter abgeleiteten Niederlassungsbewilligung habe der Beschwerdeführer zugestanden, dass seine Kinder bereits mit einem bis 30. April 2003 gültigen Visum eingereist seien - was erst anlässlich der von den Kindern gestellten Anträge auf Erteilung von Niederlassungsbewilligungen bekannt geworden sei - und sie hier die Schule besuchen würden. Bei seinen Angaben vor dem Bezirksgericht hätte es sich um einen "offensichtlichen Irrtum" gehandelt. Das Verfahren über den Antrag des Beschwerdeführers vom 19. Februar 2004 auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung sei - nach dem aufhebenden Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 18. Mai 2006, Zl. 2005/18/0463 - derzeit noch anhängig.

Einem Erhebungsbericht an der Adresse der Adoptivmutter in Wien 9 und seiner "Familie/Exehefrau" in Wien 5, R-Gasse 36/12, vom 19. April 2006 zufolge - so führte die belangte Behörde weiter aus - sei der Beschwerdeführer in Wien 9 nur zum Schein gemeldet, während er tatsächlich bei seiner Familie in Wien 5 wohne. Dort sei er häufig von Hausparteien wahrgenommen worden. Hingegen sei der "Scheinehepartner" seiner vormaligen Ehefrau an dieser Adresse nicht bekannt gewesen. Weil vom Beschwerdeführer und seiner Adoptivmutter bei ihren niederschriftlichen Einvernahmen am 19. April 2006 jedoch gleichlautend die Adresse in Wien 9 als gemeinsame Wohnanschrift angegeben worden sei, sei der Erhebungsbeamte zur Auffassung gelangt, dass mit Sicherheit ein familiärer Kontakt zwischen dem Beschwerdeführer und seiner Tante vorhanden sei und eine Scheinadoption zum derzeitigen Zeitpunkt nicht nachgewiesen werden könne. Gegenüber der Aufenthaltstitelbehörde habe der Beschwerdeführer am 17. Mai 2006 angegeben, dass er sich nach wie vor um seine Adoptivmutter kümmere. Er sei aber deshalb schon öfters in Wien 5, R-Gasse 36/12, angetroffen worden, weil dort seine ehemalige Gattin mit den beiden gemeinsamen Kindern wohne.

Weiters stellte die belangte Behörde fest, dass der Beschwerdeführer seit 12. März 2004 mit kurzen Unterbrechungen von maximal einem Monat durchgehend bei verschiedenen Arbeitgebern - zuletzt bis 22. August 2007 - beschäftigt gewesen sei. Auf Grund der Adoption sei ihm vom Arbeitsmarktservice Wien am 2. März 2004 eine Bestätigung gemäß § 3 Abs. 8 Ausländerbeschäftigungsgesetz ausgestellt worden. Zwischen 4. Oktober 2007 und 11. April 2010 habe der Beschwerdeführer im Bundesgebiet keinen Wohnsitz aufgewiesen. Seit 12. April 2010 sei er wieder mit Hauptwohnsitz in Wien 9, R-Gasse 3/19, gemeldet. Gegen die geschiedene Ehefrau des Beschwerdeführers sei mit rechtskräftigem Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom 3. Oktober 2007 ein für die Dauer von zehn Jahren befristetes Aufenthaltsverbot wegen Eingehens einer Scheinehe erlassen worden. Sie weise ebenso wie die beiden gemeinsamen Kinder seit dem 19. Juni 2007 keinen Wohnsitz im Bundesgebiet mehr auf. Diese Familienangehörigen des Beschwerdeführers dürften daher das Bundesgebiet verlassen haben, zumal auch die Anträge der Kinder auf Erteilung von Aufenthaltstiteln mit Bescheid vom 8. November 2007 rechtskräftig abgewiesen worden seien.

Beweiswürdigend führte die belangte Behörde zusammengefasst aus, dass bereits das Bezirksgericht Josefstadt in seinem Beschluss vom 14. Jänner 2003 die Ansicht vertreten habe, dass die Adoption allein aus dem Grund habe erfolgen sollen, um dem Beschwerdeführer eine Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis in Österreich zu verschaffen. Gegen diese Beweiswürdigung würden auch seitens der belangten Behörde keinerlei Bedenken bestehen. Die eigentliche Absicht des Beschwerdeführers, nicht nur sich selbst, sondern auch seinen Kindern bzw. seiner Familie eine Aufenthaltsberechtigung im Bundesgebiet zu verschaffen, manifestiere sich auch in einem aktenkundigen Bescheid vom 12. Februar 2003 (der Botschaft der Bundesrepublik Jugoslawien in Österreich), wonach der Adoptivmutter des Beschwerdeführers aus "wirtschaftlichen, vor allem materiellen" Gründen die Vormundschaft über die beiden minderjährigen Kinder des Beschwerdeführers übertragen worden sei, weil diese eine monatliche Pension in der Höhe von EUR 700,-- beziehe und "allein in ihrer ca. 40 m2 großen Wohnung lebe". Auch diese Übertragung der Vormundschaft sei im Adoptionsverfahren verschwiegen worden. Im Gerichtsverfahren habe der Beschwerdeführer vielmehr vorgebracht, dass sich seine beiden Kinder in Jugoslawien aufhalten würden, was auch die Adoptivmutter wahrheitswidrig behauptet habe. Selbst wenn man davon ausgehen wollte, dass die Adoptivmutter wirklich geglaubt habe, dass sich die beiden Kinder des Beschwerdeführers - für die ihr allerdings kurz zuvor die Obsorge übertragen worden sei - tatsächlich nicht gemeinsam mit dem Beschwerdeführer im Bundesgebiet aufgehalten hätten, wäre auch dies ein deutliches Indiz dafür, dass der Kontakt zwischen ihr und dem Beschwerdeführer keineswegs stark ausgeprägt und dem Verhältnis zwischen Eltern und Kindern entsprechend gewesen sei. Auch der Umstand, dass sie davon ausgegangen sei, dass der Beschwerdeführer bei ihrer leiblichen Tochter und nicht bei anderen Verwandten nächtige, deute darauf hin, dass sie offenbar tatsächlich nicht einen "ausreichenden" Kontakt zum Beschwerdeführer gepflegt habe. Weiters lasse der Beschwerdeführer jegliche Erklärung vermissen, weshalb er bzw. seine Adoptivmutter wahrheitswidrig angegeben hätten, an derselben Adresse gemeldet zu sein. Dies könne nur damit erklärt werden, dass der Beschwerdeführer das Gericht auch in diesem Fall bewusst getäuscht habe, um sich eine bessere Stellung im Adoptionsverfahren zu verschaffen. Zudem sei nicht nachvollziehbar, dass die Adoptivmutter einerseits auf die Hilfe eines jüngeren Menschen angewiesen sei, jedoch gleichzeitig ohne weiteres als Vormund für zwei - damals minderjährige - Kinder habe agieren können.

Die belangte Behörde kam danach zur Überzeugung, dass (zumindest) der vorwiegende Grund für die Annahme des Beschwerdeführers an Kindes statt für ihn die Erlangung eines Aufenthaltstitels und des Zugangs zum heimischen Arbeitsmarkt gewesen sei und das Gericht über die tatsächlichen wahren Verhältnisse zu seiner Wahlmutter bewusst getäuscht worden sei. Dem stehe auch nicht die Auffassung des oben erwähnten Erhebungsbeamten entgegen, habe dieser doch nicht die "Rechtsfrage" nach dem Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen des § 60 Abs. 2 Z 10 FPG zu beurteilen gehabt.

Rechtlich beurteilte die belangte Behörde den Sachverhalt dahingehend, dass der Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z 10 FPG verwirklicht sei. Ein weiterer Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet führe zu einer massiven Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit, sodass die Voraussetzungen zur Erlassung des Aufenthaltsverbots im Grunde des § 60 Abs. 1 FPG gegeben seien.

Der Beschwerdeführer sei kein "begünstigter Drittstaatsangehöriger" im Sinn des § 2 Abs. 4 Z 11 FPG, weil er bereits das 21. Lebensjahr vollendet habe und - nach seinen Angaben - nicht ihm von seiner Adoptivmutter Unterhalt gewährt werde, sondern er sie finanziell unterstütze. Der Beschwerdeführer zähle aber auch nicht zur Kernfamilie im Sinn des § 2 Abs. 4 Z 12 FPG.

Der Beschwerdeführer sei geschieden und für zwei Kinder sorgepflichtig. Da gegen die Exgattin des Beschwerdeführers ein rechtskräftiges und durchsetzbares Aufenthaltsverbot bestehe und diese so wie seine beiden Kinder im Bundesgebiet seit 2007 nicht mehr gemeldet und daher offenbar wieder in "Jugoslawien" aufhältig seien, sei davon auszugehen, dass zu diesen Familienangehörigen im Inland keinerlei familiäre Beziehungen bestünden. Auf Grund der Erhebungsergebnisse - so führte die belangte Behörde weiter aus - sei zwar im Hinblick auf die Adoptivmutter von einem mit dem Aufenthaltsverbot verbundenen Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers auszugehen. Dieser Eingriff sei jedoch zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele, nämlich zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung auf dem Gebiet des Fremdenwesens und des Arbeitsmarkts, dringend geboten. Gerade den die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften und deren Einhaltung komme aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung ein besonders hoher Stellenwert zu. Gegen dieses Interesse habe der Beschwerdeführer durch sein dargestelltes Fehlverhalten gravierend verstoßen. Es sei mit einem geregelten Fremdenwesen unvereinbar, dass ein Fremder "seinen Stand" durch Täuschung über Tatsachen gegenüber Gerichten erfolgreich verändere, unter Berufung darauf einen Aufenthaltstitel beantrage und sich dadurch auch einen Zugang zum Arbeitsmarkt erschleiche. Der seit der massiven Täuschungshandlung vergangene Zeitraum sei bei weitem auch noch nicht so lange zurückgelegen, um bereits eine entscheidungswesentliche Reduzierung der von ihm ausgehenden Gefahr für die genannten geschützten Rechtsgüter annehmen zu können. Die Integration des Beschwerdeführers erweise sich unter den dargelegten Umständen als keineswegs ausgeprägt. Auch der vor der Adoption gelegene Aufenthalt des Beschwerdeführers in Österreich könne nicht maßgeblich zu seinen Gunsten ausschlagen, weil er auf Grund diverser Einreisetitel nur zum kurzfristigen Aufenthalt im Inland berechtigt gewesen und danach unrechtmäßig im Bundesgebiet verblieben sei. Es sei jedoch auch nicht nachgewiesen, dass der Beschwerdeführer - ohne polizeiliche Meldung und unangemeldet arbeitend - zwischen Anfang Oktober 2007 und 11. April 2010 im Bundesgebiet aufhältig gewesen wäre.

Da den familiären Bindungen zur Adoptivmutter eine Scheinadoption zu Grunde liege, hätten diese die Interessen des Beschwerdeführers nicht entscheidend verstärken können. Auch unter Bedachtnahme darauf und seiner - ebenso erschlichenen - diversen Beschäftigungen sei das ihm zuzuschreibende Interesse an einem Verbleib in Österreich zwar nicht gering, jedoch keinesfalls besonders gewichtig. Demgegenüber stehe das einen hohen Stellenwert genießende öffentliche Interesse an der Wahrung eines geordneten Fremdenwesens. Die Auswirkungen des Aufenthaltsverbots auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers bzw. seiner Adoptivmutter würden daher keinesfalls schwerer wiegen als das in seinem Fehlverhalten gegründete hohe öffentliche Interesse daran, dass er das Bundesgebiet verlasse und diesem fernbleibe.

Abschließend verneinte die belangte Behörde mangels besonderer Umstände die Möglichkeit, im Rahmen des ihr zustehenden Ermessens von der Erlassung des Aufenthaltsverbots Abstand nehmen zu können und begründete dessen Dauer näher damit, dass ein Wegfall des für seine Erlassung maßgeblichen Grundes nicht vor Verstreichen der festgesetzten Dauer zu erwarten sei.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen hat:

Vorauszuschicken ist, dass der Verwaltungsgerichtshof den angefochtenen Bescheid auf Basis der Sach- und Rechtslage bei seiner Erlassung zu überprüfen hat. Wird daher im Folgenden auf Bestimmungen des FPG Bezug genommen, so handelt es sich dabei jeweils um die zu diesem Zeitpunkt (April 2010) geltende Fassung, nämlich BGBl. I Nr. 135/2009.

Gemäß § 60 Abs. 1 FPG kann gegen einen Fremden ein Aufenthaltsverbot erlassen werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass sein (weiterer) Aufenthalt die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet (Z 1) oder anderen im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwider läuft (Z 2). Als bestimmte Tatsache im Sinn des § 60 Abs. 1 FPG hat nach § 60 Abs. 2 Z 10 FPG zu gelten, wenn ein Fremder an Kindes statt angenommen wurde und (u.a.) die Erteilung oder Beibehaltung eines Aufenthaltstitels oder der Zugang zum heimischen Arbeitsmarkt ausschließlicher oder vorwiegender Grund für die Annahme an Kindes statt war, jedoch das Gericht über die wahren Verhältnisse zu den Wahleltern getäuscht hat.

Der Beschwerdeführer wendet gegen die behördliche Beweiswürdigung zunächst ein, dass für eine vorsätzliche Irreführung (des Bezirksgerichtes) keine Anhaltspunkte vorlägen. Er verweist in diesem Zusammenhang überdies auf die Einschätzung des Erhebungsbeamten, wonach ein "familiärer Kontakt" zwischen dem Beschwerdeführer und seiner Wahlmutter "mit Sicherheit" vorhanden sei.

Mit diesem Vorbringen gelingt es dem Beschwerdeführer nicht, eine Unschlüssigkeit der behördlichen Beweiswürdigung aufzuzeigen, setzt er sich dabei doch mit den detaillierten beweiswürdigenden Erwägungen der belangten Behörde nicht näher auseinander und tritt diesen auch nicht konkret entgegen. Die von der belangten Behörde auf Basis ihrer Beweiswürdigung getroffene Annahme, der Beschwerdeführer sei von seiner österreichischen Adoptivmutter an Kindes statt angenommen worden, wobei die Erteilung eines Aufenthaltstitels und der Zugang zum heimischen Arbeitsmarkt vorwiegender Grund für die Adoption gewesen und das Gericht über die wahren Verhältnisse des Beschwerdeführers zur Wahlmutter getäuscht worden sei, begegnet somit im Rahmen der dem Verwaltungsgerichtshof zukommenden Überprüfungsbefugnis (vgl. dazu das Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 3. Oktober 1985, Zl. 85/02/0053) keinen Bedenken (vgl. auch das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofs vom 30. August 2007, Zl. 2006/21/0179, mit Nachweisen aus der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zum Erfordernis eines "gerechtfertigten Anliegens" für die Bewilligung der Adoption Volljähriger).

Der Beschwerdeführer bringt weiters vor, dass die belangte Behörde an die rechtskräftige Entscheidung des Bezirksgerichtes Josefstadt vom 26. Jänner 2004, mit dem die Annahme an Kindes statt bewilligt worden sei, gebunden gewesen wäre und "von der Rechtmäßigkeit der Annahme an Kindes statt" hätte ausgehen müssen. In diesem Zusammenhang verweist der Beschwerdeführer auch auf Art. 6 Abs. 3 EMRK, der "Mindestgarantien des rechtsstaatlichen Strafverfahrens" enthalte.

Diesen Ausführungen ist zunächst zu entgegnen, dass es sich beim Aufenthaltsverbot um keine Strafe, sondern um eine administrativrechtliche Maßnahme handelt. Das Verfahren betreffend die Erlassung eines Aufenthaltsverbots unterliegt nicht dem Anwendungsbereich des Art. 6 EMRK, sodass schon von daher die damit in Zusammenhang stehenden Beschwerdeausführungen ins Leere gehen (vgl. zu einem ähnlichen Beschwerdevorbringen das hg. Erkenntnis vom 22. November 2012, Zl. 2012/23/0001, mwN).

Eine Bindung der belangten Behörde an den Gerichtsbeschluss, mit dem die Annahme an Kindes statt bewilligt wurde, bestand aber gerade nicht, setzt doch der Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z 10 FPG voraus, dass ein Gericht einer Adoption zugestimmt hat und es über die wahren Verhältnisse zwischen Wahleltern und -kind getäuscht wurde (vgl. das hg. Erkenntnis vom 22. November 2012, Zl. 2011/23/0420, mwN).

Dem Vorbringen des Beschwerdeführers, dass auf ihn die Bestimmungen für "begünstigte Drittstaatsangehörige" anzuwenden gewesen wären und der deshalb heranzuziehende Gefährdungsmaßstab nicht erfüllt sei, ist - mit der belangten Behörde - zu entgegnen, dass auf den Beschwerdeführer als volljähriges Adoptivkind einer Österreicherin der Gefährdungsmaßstab nach § 86 Abs. 1 FPG nicht zur Anwendung zu gelangen hatte (vgl. auch hiezu das bereits zitierte Erkenntnis vom 22. November 2012, Zl. 2011/23/0420, mwN aus der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes und des Verfassungsgerichtshofes).

Es ist daher zusammengefasst nicht als rechtswidrig zu erkennen, wenn die belangte Behörde auf Grund einer nicht unschlüssigen Beweiswürdigung und eines von relevanten Mängeln freien Verfahrens die Verwirklichung des Tatbestands des § 60 Abs. 2 Z 10 FPG annahm und davon ausgehend (nach wie vor) eine aktuelle Gefährdung öffentlicher Interessen durch den Beschwerdeführer - infolge Verletzung des als hoch zu bewertenden öffentlichen Interesses an der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften - bejahte. Der Beschwerdeführer zeigt auch keine konkreten Umstände auf, weshalb die belangte Behörde einen Wegfall der von ihm ausgehenden Gefährdung der öffentlichen Ordnung auf dem Gebiet des Fremdenwesens hätte annehmen müssen.

Der Beschwerdeführer wendet sich weiters gegen die von der belangten Behörde unter dem Blickwinkel des § 66 FPG vorgenommene Interessenabwägung. Er bringt dazu vor, dass er zuletzt 2003 rechtmäßig ins Bundesgebiet eingereist sei. Das Verfahren über seinen - nach der Adoption - gestellten Antrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung sei nach wie vor anhängig und er sei seit 12. März 2004 "in Beschäftigung gestanden". Familiäre Bindungen würden nicht bloß zu seiner Wahlmutter, sondern auch zu seiner "Exehegattin" und seinen in Österreich lebenden Kindern bestehen. Es liege somit eine "relevante Verfestigung" des Beschwerdeführers am heimischen Arbeitsmarkt vor; er könne auf eine soziale Integration in Österreich verweisen und sei strafgerichtlich unbescholten.

Dieses Vorbringen zeigt keine Rechtswidrigkeit der von der belangten Behörde gemäß § 66 FPG vorgenommenen Interessenabwägung auf. Die belangte Behörde hat sowohl die Dauer des Aufenthalts des Beschwerdeführers als auch seine Erwerbstätigkeit und den Kontakt zu seiner Adoptivmutter bei der Interessenabwägung ausreichend berücksichtigt und ist deshalb zu einem mit dem Aufenthaltsverbot verbundenen Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers gekommen. Diese soziale und berufliche Integration ist aber deshalb zu relativieren und somit als gemindert anzusehen, weil sie im Wesentlichen auf die rechtsmissbräuchliche Annahme an Kindes statt zurückzuführen war. Der Feststellung der belangten Behörde, dass der Beschwerdeführer lediglich bis 22. August 2007 beschäftigt war und daher bei Erlassung des angefochtenen Bescheides seit beinahe drei Jahren keiner - legalen - Beschäftigung in Österreich mehr nachgegangen war, tritt die Beschwerde nicht konkret entgegen. Zudem war der Beschwerdeführer nach den unbestrittenen Feststellungen zwischen Oktober 2007 und April 2010 im Bundesgebiet auch nicht behördlich gemeldet. Familiäre Beziehungen zu seiner geschiedenen Ehefrau, gegen die nach den unbekämpften Feststellungen in Österreich ein rechtskräftiges Aufenthaltsverbot besteht und zu seinen Kindern, deren Aufenthaltstitelanträge abgewiesen wurden, können eine maßgebliche Verstärkung der Interessen des Beschwerdeführers an einem Verbleib in Österreich nicht aufzeigen. Zudem sind diese Angehörigen des Beschwerdeführers (unbestritten) seit 2007 in Österreich nicht mehr gemeldet. Eine weitergehende "soziale Integration" wird in der Beschwerde nicht aufgezeigt.

Der belangten Behörde kann somit nicht entgegen getreten werden, wenn sie davon ausgeht, die persönlichen Interessen des Beschwerdeführers an einem Verbleib im Bundesgebiet würden im vorliegenden Fall die öffentlichen Interessen an der Erlassung des Aufenthaltsverbots nicht überwiegen. Die vom Beschwerdeführer hervorgehobene strafgerichtliche Unbescholtenheit vermag an dieser Einschätzung nichts zu ändern.

Schließlich ist auch kein Grund ersichtlich, wonach es geboten gewesen wäre, im Rahmen der Ermessensentscheidung von der Erlassung des Aufenthaltsverbots Abstand zu nehmen.

Die Beschwerde - die Ausführungen gegen die Dauer des Aufenthaltsverbots nicht enthält - war somit gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 18. Juni 2013

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2013:2013180048.X00

Im RIS seit

12.07.2013

Zuletzt aktualisiert am

07.08.2013
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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