TE Vfgh Erkenntnis 2013/3/13 U2313/12

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Veröffentlicht am 13.03.2013
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Index

41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, Asylrecht

Norm

AsylG 2005 §3, §8, §10
BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch eine willkürliche Entscheidung des Asylgerichtshofes; keine ausreichende Bescheidbegründung; bloßer Verweis auf die Begründung einer anderen Entscheidung

Spruch

I.              Der Beschwerdeführer ist durch die angefochtene Entscheidung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit von Fremden untereinander verletzt worden.

Die Entscheidung wird aufgehoben.

II.              Der Bund (Bundeskanzler) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.620,- bestimmten Prozesskosten binnen
14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt und Beschwerdevorbringen

1. Der Beschwerdeführer stellte am 15. September 2009 einen Antrag auf internationalen Schutz. Im Verfahren vor dem Bundesasylamt gab er zu Protokoll, dass er pakistanischer Staatsangehöriger sei und vor seiner Ausreise mit der Reparatur und dem Transport von Fernsehgeräten beschäftigt gewesen wäre. Im Zuge seiner beruflichen Tätigkeit hätten ihn Kunden darum gebeten, einer Gruppe von Männern, die ihm unbekannt gewesen wären, in der Stadt Sialkot ein Quartier zur Verfügung zu stellen. Als der Beschwerdeführer dieser Bitte nachgekommen sei, hätte er feststellen müssen, dass die Männer in der ihnen zur Verfügung gestellten Unterkunft Waffen lagern würden. In der Annahme, dass es sich bei jenen Männern um Angehörige der Taliban handeln würde, hätte der Beschwerdeführer die lokale Polizeibehörde aufgesucht und Anzeige erstattet. Als die Polizei vor Ort Nachschau hielt, wären die Männer nicht mehr anzutreffen gewesen. Danach wäre der Beschwerdeführer bedroht worden, hätte sich auf Anraten der Polizei zeitweilig in Lahore aufgehalten, ehe er Pakistan schließlich verlassen hätte.

2. Mit Bescheid vom 8. Juli 2010 wies das Bundesasylamt den Antrag auf internationalen Schutz ab und wies den Beschwerdeführer aus dem österreichischen Staatsgebiet nach Pakistan aus. Gegen diese Entscheidung erhob der Beschwerdeführer Beschwerde an den Asylgerichtshof. Nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung am 8. Mai 2012 hielt dieser das Vorbringen des Beschwerdeführers für nicht glaubwürdig, verwies hinsichtlich der Situation im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers auf die Feststellungen des Bundesasylamtes bzw. auf eine ältere Entscheidung des Asylgerichtshofes in einer anderen Rechtssache und wies die Anträge des Beschwerdeführers auf Zuerkennung von internationalem Schutz mit Entscheidung vom 12. September 2012 ab und den Beschwerdeführer aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Pakistan aus.

3. Gegen diese Entscheidung des Asylgerichtshofes richtet sich die auf Art144a B-VG gestützte Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, in welcher der Beschwerdeführer die Verletzung in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander sowie in seinen Rechten nach Art3 und 8 EMRK behauptet. Begründend wird hiezu – im Wesentlichen – vorgebracht, dass die belangte Behörde ein unvollständiges und willkürliches Ermittlungsverfahren geführt hätte, weswegen sie ihrer amtswegigen Ermittlungspflicht nicht nachgekommen wäre. Zudem sei die von der belangten Behörde im Rahmen des Art8 EMRK vorgenommene Interessenabwägung grob mangelhaft erfolgt.

4. Der Asylgerichtshof legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift, in der beantragt wird, die gegenständliche Beschwerde abzuweisen.

II. Erwägungen

Der Verfassungsgerichtshof hat über die – zulässige – Beschwerde erwogen:

1. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s. etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl. zB VfSlg 16.214/2001), wenn der Asylgerichtshof dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s. etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn er bei Fällung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

Ein willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außer-Acht-Lassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

2. Ein solches willkürliches Verhalten ist dem Asylgerichtshof hier vorzuwerfen:

2.1. Zur maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat führt der Asylgerichtshof wörtlich aus:

"Zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in Pakistan wird auf die Feststellungen der belangten Behörde bzw. des ho. Gerichts im Erk. vom 1.8.2012, Gz. E10 414843-1/2010 verwiesen."

Hinsichtlich der in den Erwägungen der angefochtenen Entscheidung enthaltenen Aussagen des Asylgerichtshofes zur Lage in Pakistan (s. aaO, S 24 f. und 27 ff.) ist festzustellen, dass es sich hiebei offensichtlich um Textbausteine handelt, die gleichlautend der Entscheidung in einer – nicht den Beschwerdeführer betreffenden – älteren Rechtssache entnommen wurden (s. AsylGH 11.7.2012, E10 425474-1/2012, Pkt. II.2.5. und II.2.6.), in der ihrerseits auf frühere Judikate und deren Länderfeststellungen verwiesen wird; daraus folgt, dass der Asylgerichtshof Quellen für den "Länderbericht" verwendete, die im Zeitpunkt der angefochtenen Entscheidung bereits mehrere Jahre alt waren (vgl. auch VfSlg 18.861/2009).

2.2. Der Verfassungsgerichtshof hat überdies bereits in VfSlg 18.614/2008 festgestellt, dass es "grundlegenden rechtsstaatlichen Anforderungen an die Begründung von Entscheidungen eines (insoweit erstinstanzlich entscheidenden) Gerichts [widerspricht], wenn sich der Sachverhalt, Beweiswürdigung und rechtliche Beurteilung nicht aus der Gerichtsentscheidung selbst, sondern erst aus einer Zusammenschau mit der Begründung der Bescheide ergibt. Die für die bekämpfte Entscheidung maßgeblichen Erwägungen müssen aus der Begründung der Entscheidung hervorgehen, da nur auf diese Weise die rechtsstaatlich gebotene Kontrolle durch den VfGH möglich ist (vgl. VfSlg 17.901/2006, 18.000/2006)".

2.3. Weiters judizierte der Verfassungsgerichtshof bereits in VfSlg 9293/81, dass es im Lichte des Art7 B-VG unzulässig ist, wenn eine Behörde ihre Entscheidung nur dadurch begründet, dass sie auf die Begründung einer anderen Entscheidung verweist, insb. dann, wenn jene der gegenständlichen Entscheidung nicht beigelegt wird und auch nicht auf anderem Wege an den Beschwerdeführer ergangen ist. Dem bloßen Verweis auf eine andere Entscheidung kommt jedenfalls kein Begründungswert zu.

III. Ergebnis und damit zusammenhängende Ausführungen

1. Der Asylgerichtshof hat es daher verabsäumt, die Entscheidung in einer den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügenden Weise zu begründen, weshalb die angefochtene Entscheidung schon deshalb aufzuheben war.

2. Die Kostenentscheidung beruht auf §88a iVm §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 400,- enthalten.

3. Diese Entscheidungen konnten gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

Asylrecht, Ausweisung, Bescheidbegründung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2013:U2313.2012

Zuletzt aktualisiert am

05.07.2013
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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