TE Vfgh Erkenntnis 2013/3/13 U1006/12

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Veröffentlicht am 13.03.2013
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Index

41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, Asylrecht

Norm

AsylG 2005 §3, §8, §10
BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch eine willkürliche Entscheidung des Asylgerichtshofes; Fehlen aktueller Länderberichte zur Situation in Afghanistan; keine Ermittlungstätigkeit zur persönlichen Situation des als Polizist tätigen Beschwerdeführers

Spruch

I.              Der Beschwerdeführer ist durch die angefochtene Entscheidung in dem durch das Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973 verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.              

Die Entscheidung wird aufgehoben.

II.              Der Bund (Bundeskanzler) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.400,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerdevorbringen und Vorverfahren

1. Der Beschwerdeführer, ein 1985 geborener Staatsangehöriger von Afghanistan, stellte am 18. Mai 2009 einen Antrag auf internationalen Schutz. Zu seinen Fluchtgründen befragt gab er an, in Afghanistan als Polizist in der Drogenbekämpfung tätig gewesen zu sein. Er sei zunächst in der Provinz Nimroz tätig gewesen, wo er der Bedrohung durch Drogenschmuggler ausgesetzt gewesen sei, weshalb er sich in die Provinz Badakhschan versetzen habe lassen. Auch dort habe der Beschwerdeführer unter großem Druck gestanden und habe sich abermals versetzen lassen. Auch in der Provinz Takhar sei der Beschwerdeführer von Drogenschmugglern bedroht worden. Einige seiner Kollegen seien getötet worden. Die Eltern und der Bruder des Beschwerdeführers seien bei einem Angriff durch Drogenschmuggler getötet worden. Der Beschwerdeführer selbst sei einmal entführt und einige Zeit festgehalten worden. Am Ende habe der Beschwerdeführer auch seinen Vorgesetzten nicht mehr vertraut, weil einige von ihnen mit den Drogenschmugglern zusammen gearbeitet haben.

2. Mit Bescheid vom 4. Mai 2010 hat das Bundesasylamt den Antrag des Beschwerdeführers abgewiesen, den Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuerkannt und den Beschwerdeführer nach Afghanistan ausgewiesen.

2.1. Die dagegen erhobene Beschwerde wurde mit Entscheidung des Asylgerichtshofes vom 8. Mai 2012 gemäß §§3 Abs1, 8 Abs1 Z1 und 10 Abs1 Z2 Asylgesetz 2005 (im Folgenden: AsylG 2005) als unbegründet abgewiesen.

2.2. Zum Antrag auf internationalen Schutz führt der Asylgerichtshof zunächst aus, dass "[sich] aus einer Gesamtschau der oben angeführten Angaben des Bf. jedoch [ergibt], dass der Bf. nicht imstande war, eine Verfolgung aus asylrelevanten Gründen in seinem Herkunftsstaat glaubhaft zu machen." Weiters wird ausgeführt, dass selbst unter der Annahme der Glaubhaftigkeit des Vorbringens keine Furcht vor Verfolgung aus den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen bestehe. Die Verfolgung durch Drogenschmuggler und Angehörige der Drogenmafia stelle keine Verfolgung aus einem der in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe dar. Dem Beschwerdeführer stehe insoweit eine innerstaatliche Fluchtalternative offen, als er sich als Polizist in eine andere Provinz Afghanistans versetzen lassen könnte und in einem anderen Bereich der Polizei tätig sein könnte.

2.3. Zur Frage, ob dem Beschwerdeführer subsidiärer Schutz zuzuerkennen sei, führt der Asylgerichtshof aus, es habe nicht festgestellt werden können, dass der Beschwerdeführer im Fall seiner Rückkehr nach Afghanistan Folter, einer erniedrigenden oder unmenschlichen Behandlung oder Strafe ausgesetzt sein könnte. Nach kurzen Ausführungen zur Sicherheitslage in Kabul legt der Asylgerichtshof dar, der Beschwerdeführer stehe weiterhin in Kontakt mit Bekannten, an die er sich mit der Bitte um Unterstützung wenden könne. Auf Grund seiner Ausbildung und Tätigkeit als Polizist sei es dem Beschwerdeführer auch möglich, für seinen Lebensunterhalt zu sorgen. Der Beschwerdeführer würde insgesamt bei einer Rückkehr nach Afghanistan nicht in eine Lage geraten, die außergewöhnliche Umstände iSd Art3 EMRK darstellen würde und somit einer Rückführung nach Afghanistan entgegenstehen würde.

2.4. Im Hinblick auf die Ausweisung des Beschwerdeführers wird ausgeführt, dass der Beschwerdeführer keine familiären Anknüpfungspunkte in Österreich habe. Eine besondere Integration des Beschwerdeführers sei nicht erkennbar. Der bisherige Aufenthalt des Beschwerdeführers sei auf eine vorläufige Berechtigung zum Aufenthalt während des Asylverfahrens gegründet gewesen. Insgesamt überwiege das öffentliche Interesse das Interesse des Beschwerdeführers an einem Verbleib im Bundesgebiet.

3. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der die Verletzung in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten behauptet wird.

4. Der Asylgerichtshof hat die Verwaltungs- und Gerichtsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der er den Beschwerdeausführungen entgegentritt.

II. Erwägungen

Der Verfassungsgerichtshof hat über die – zulässige – Beschwerde erwogen:

1. Bedenken gegen die der angefochtenen Entscheidung zugrunde liegenden Bestimmungen wurden weder in der Beschwerde behauptet noch sind solche aus Anlass des vorliegenden Falles beim Verfassungsgerichtshof entstanden.

Der Beschwerdeführer ist daher durch die angefochtene Entscheidung nicht in Rechten wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm verletzt worden.

2. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s. etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl. zB VfSlg 16.214/2001), wenn der Asylgerichtshof dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s. etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn er bei Fällung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

Ein willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außer-Acht-Lassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

2.1. Derartige in die Verfassungssphäre reichende Fehler sind dem Asylgerichtshof vorzuwerfen:

2.1.1. Aus den Feststellungen in der angefochtenen Entscheidung ergibt sich, dass der Asylgerichtshof annimmt, der Beschwerdeführer habe eine Verfolgung aus asylrelevanten Gründen nicht glaubhaft gemacht. Die Ausführungen in der Beweiswürdigung stellen, insbesondere im Hinblick auf die vom Beschwerdeführer vorgelegten Dokumente zu seiner Tätigkeit als Polizist, keine ausreichende Begründung für diese Feststellung dar. Zur Beurteilung der Frage, ob dem Beschwerdeführer eine innerstaatliche Fluchtalternative offensteht bzw. bei Prüfung der Zuerkennung von subsidiärem Schutz, legt schließlich der Asylgerichtshof selbst eine Ausbildung und Tätigkeit als Polizist seiner Begründung zugrunde. Der Asylgerichtshof hat somit nicht nachvollziehbar dargelegt, weshalb die Angaben des Beschwerdeführers zu seiner Tätigkeit als Polizist und den daraus resultierenden Problemen mit Drogenschmugglern unglaubwürdig sind.

2.1.2. Gemäß §8 Abs1 AsylG 2005 ist einem Fremden, dessen Antrag auf internationalen Schutz in Bezug auf die Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten abgewiesen wird, der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art2, 3 EMRK oder der Protokolle Nr 6 oder Nr 13 zur EMRK bedeuten oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

Wie der Verfassungsgerichtshof in VfSlg 19.205/2010 festgestellt hat, können das Vorhandensein einer Unterkunft und die Möglichkeit der Versorgung im Zielstaat unter dem Gesichtspunkt des Art3 EMRK relevant sein.

2.1.3. Die Entscheidung über die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten stützt der Asylgerichtshof auf kurze Ausführungen zur Lage in Kabul sowie den Hinweis, dem Beschwerdeführer sei es auf Grund seiner Ausbildung und als Polizist möglich, durch diese oder eine andere Tätigkeit für seinen Lebensunterhalt zu sorgen. Weiters habe der Beschwerdeführer noch Kontakt zu Bekannten, an die er sich mit der Bitte um Unterstützung wenden könne.

Die angefochtene Entscheidung enthält außer den genannten Ausführungen zu Kabul keine aktuellen Länderberichte zur Situation in Afghanistan, sondern der Asylgerichtshof zieht die Länderfeststellungen im Bescheid des Bundesasylamtes zur Begründung seiner Entscheidung heran, die aus dem Jahr 2009 oder den Jahren davor stammen. Diese Berichte enthalten keine Aussage zur Organisation, Tätigkeit und Gefährdung der Polizei in Afghanistan.

Im Hinblick auf die Sicherheitssituation in Afghanistan wäre es schon im Allgemeinen erforderlich gewesen, der Entscheidung aktuellere Länderberichte zugrunde zu legen. Angesichts der Begründung der angefochtenen Entscheidung, die den Beschwerdeführer auf eine neuerliche Tätigkeit als Polizist verweist, wäre es insbesondere notwendig gewesen, Ermittlungen zur Situation der Polizei in Afghanistan zu tätigen, um nachvollziehen zu können, inwiefern es dem Beschwerdeführer tatsächlich offensteht, in einem anderen Teil Afghanistans als bisher und in einem anderen Bereich der Polizei tätig zu werden. Der Asylgerichtshof hat es auch verabsäumt, auszuführen, welche konkreten anderen Tätigkeiten der Beschwerdeführer auf Grund seiner Ausbildung übernehmen könnte, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Schließlich ist auch der Hinweis auf den Kontakt zu Bekannten keine ausreichende Begründung dafür, dass der Beschwerdeführer bei seiner Rückkehr nach Afghanistan keiner Gefahr iSd Art3 EMRK ausgesetzt ist, weil sich daraus nicht ergibt, dass dem Beschwerdeführer jedenfalls ausreichende Unterstützung zuteil werden würde.

2.1.4. Die Ausweisungsentscheidung begründet der Asylgerichtshof damit, dass keine Hinweise auf eine "berücksichtigungswürdige besondere Integration des Bf. in sprachlicher, beruflicher und gesellschaftlicher Hinsicht […] erkennbar [sei]." Der Asylgerichtshof legt diese Annahmen seiner Interessenabwägung zugrunde, ohne im zwei Jahre dauernden Beschwerdeverfahren Ermittlungen zur persönlichen Situation des Beschwerdeführers getätigt zu haben. Weder wurde dem Beschwerdeführer Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt noch eine mündliche Verhandlung durchgeführt.

2.2. Aus diesen Gründen hat der Asylgerichtshof seine Entscheidung nicht ausreichend begründet bzw. hat Ermittlungstätigkeiten in wesentlichen Punkten unterlassen, weshalb die angefochtene Entscheidung den Beschwerdeführer im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt.

III. Ergebnis und damit zusammenhängende Ausführungen

1. Die angefochtene Entscheidung ist daher aufzuheben.

2. Die Kostenentscheidung beruht auf §§88a iVm 88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 400,– enthalten.

3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

Asylrecht, Ausweisung, Bescheidbegründung, Ermittlungsverfahren

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2013:U1006.2012

Zuletzt aktualisiert am

12.07.2013
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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