D3 412219-1/2010/18E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Der Asylgerichtshof hat durch den Richter Dr. KUZMINSKI als Vorsitzenden und den Richter Mag. KANHÄUSER als Beisitzer über die Beschwerde der XXXX, StA.: Russische Föderation, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 03.03.2010, Zl. 08 06.991-BAL, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 20.02.2012 zu Recht erkannt:
Hinsichtlich des Spruchteiles III. des angefochtenen Bescheides wird der Beschwerde Folge gegeben und Spruchteil III. mit der Maßgabe geändert, dass der Spruch zu lauten hat: "Die Ausweisung aus dem österreichischen Bundesgebiet ist gemäß § 10 Abs. 1 Z 2 iVm § 10 Abs. 5 Asylgesetz 2005 auf Dauer unzulässig."
Entscheidungsgründe:
Die Beschwerdeführerin, eine Staatsbürgerin der Russischen Föderation und Angehörige der awarischen Volksgruppe, gelangte am 08.08.2008 unter Umgehung der Grenzkontrolle nach Österreich und stellte noch am gleichen Tag einen Antrag auf internationalen Schutz. Bei der am daraufhin erfolgten Einvernahme gab sie zu ihren Fluchtgründen an, dass eigentlich ihre Schwester wegen der Probleme ihres moslemischen Mannes im Herkunftsland Probleme gehabt habe. Dieser sei ihres Wissens unschuldig mit einer Schmuggelware erwischt worden. Im Falle einer Rückkehr sei es nicht ausgeschlossen, dass sie alle umgebracht würden, sie mache sich vor allem Sorgen um die Kinder ihrer Schwester.
Die Asylwerberin wurde am 19.08.2008 vor der Erstaufnahmestelle West niederschriftlich einvernommen. Dabei gab sie an, dass ihre Schwester verfolgt worden sei und sie alle sehr große Angst wegen deren Kinder gehabt hätten. Leute vom KGB und Wahabisten hätten sie verfolgt, weswegen sie sich zur Ausreise entschlossen hätten. Sie fürchte, dass die Kinder ihrer Schwester umgebracht würden. Weitere Fluchtgründe habe sie keine.
Nach Zulassung des Verfahrens erfolgte am 30.09.2008 eine weitere niederschriftliche Einvernahme der Antragstellerin vor dem Bundesasylamt, Außenstelle Linz. Dabei gab sie zu ihrer Person an, in XXXX geboren zu sein und nach dem Tod ihrer Mutter 1970 eine Internatsschule für Waisen besucht zu haben. Nach Absolvierung der
10. Schulstufe habe sie dann als Telefonistin zu arbeiten begonnen, da sie mit ihrem Vater keinen Kontakt und auch sonst keine Unterstützung gehabt habe. Von 1983 bis 1989 habe sie für dieselbe Firma in XXXX gearbeitet, ehe sie nach Rückkehr in ihre Heimatstadt für sie als Ingenieurin tätig gewesen sei. Sie habe bis zu ihrer Ausreise in einer Wohnung in einem alten Haus gewohnt. Zu ihren Verwandten in der Heimat habe sie keinen Kontakt. Ihre Familie sei ihre Schwester und deren zwei Kinder. Zur Ausreise habe sie sich mit ihrer Schwester entschlossen, nachdem diese schwer geschlagen bzw. ihr Mann getötet worden sei. Die Kosten für die Schleppung hätten sie durch den Verkauf eines Grundstückes nach dem Tod des Schwagers bestritten.
In Österreich verfüge sie über keine sonstigen familiären Anknüpfungspunkte, sie arbeite nicht, besuche aber einen Deutschkurs.
Die Beschwerdeführerin wurde in der Folge am 09.12.2009 neuerlich vor dem Bundesasylamt einvernommen. In Bezug auf ihre aktuellen persönlichen Lebensverhältnisse in Österreich brachte sie vor, im letzten Jahr zwei Deutschkurse im Ausmaß von 72 bzw. 48 Stunden absolviert zu haben und bereits Vieles zu verstehen. Sie versuche, mit Leuten außerhalb ihrer Familie Deutsch zu sprechen. Sie würde gerne die Sprache besser verstehen und arbeiten gehen. Andere Kurse könne sie aus finanziellen Gründen derzeit nicht besuchen. In Österreich habe sich herausgestellt, dass sie eine schiefe Nasenscheidewand habe, sie habe aufgrund einer Allergie auf das Narkosemittel bislang aber noch nicht operiert werden können. Sonstige Verwandte würden in Österreich nicht leben, sie habe aber mit in Österreich lebenden Personen Kontakt aufgenommen. Eine Bekannte habe ihr und ihrer Schwester gelernt, Weihnachtskekse und Pizza zu backen.
Die Antragstellerin legte im Zuge der Einvernahme unter anderem entsprechende Nachweise über ihre Deutschkenntnisse vor.
Mit Bescheid des Bundesasylamtes, Außenstelle Linz, vom 03.03.2010, Zl. 08 06.991-BAL, wurde unter Spruchteil I. der Antrag auf internationalen Schutz vom 08.08.2008 gem. § 3 Abs. 1 AsylG 2005 abgewiesen und der Antragstellerin der Status der Asylberechtigten nicht zuerkannt, unter Spruchteil II. gem. § 8 Abs. 1 leg.cit. der Antragstellerin der Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation nicht zuerkannt und unter Spruchteil III. gem. § 10 Abs. 1 leg.cit. die Antragstellerin aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Russische Föderation ausgewiesen.
In der Begründung des Bescheides wurden zunächst die Einvernahmen der Beschwerdeführerin dargestellt und anschließend Feststellungen zur Russische Föderation sowie Dagestan getroffen und festgehalten, dass die Angaben zu den Fluchtgründen durch Ermittlungen vor Ort durch die Organisation XXXX nicht hätten verifiziert werden können. Zu Spruchteil I. wurde insbesondere dargelegt, dass die Antragstellerin keine asylrelevante Verfolgung glaubwürdig dargelegt habe. Zu Spruchteil II. wurde nach Darlegung der bezughabenden Rechtslage und Judikatur ausgeführt, dass kein Hinweis auf "außergewöhnliche Umstände", die eine Abschiebung unzulässig machen könnten, vorlägen und in der Russische Föderation/Dagestan auch keine solch extreme Gefährdungslage herrschen würde, dass gleichsam jeder der dort zurückkehre einer Gefährdung im Sinne des Art. 2 und 3 EMRK ausgesetzt wäre, vorliege, zumal in der Russische Föderation keine Bürgerkriegssituation bestehe und die Staatsgewalt auch grundsätzlich funktionsfähig sei. Eine Grundversorgung mit Lebensmitteln sei im Herkunftsstaat gewährleistet und stehe ihr als soziales Auffangnetz ihre in Dagestan lebenden Verwandten zur Verfügung, sodass keinesfalls davon ausgegangen werden könne, dass sie im Falle einer Rückkehr in eine ausweglose Lage geraten würde, die eine unmenschliche Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK darstellen würde.
Zu Spruchteil III. wurde insbesondere dargelegt, dass sämtliche in Österreich lebenden Verwandten der Asylwerberin im selben Ausmaß von aufenthaltsbeenden Maßnahmen betroffen seien, weshalb eine Ausweisung keinen Eingriff in ihr Familienleben darstelle. Diese sei trotz privater Anknüpfungspunkte im Bundesgebiet aus den näher angeführten Gründen dringend geboten und stelle in einer Interessensabwägung keinen ungerechtfertigten Eingriff in Art. 8 EMRK dar.
Gegen diesen Bescheid, und zwar gegen alle drei Spruchteile, erhob die Antragstellerin Beschwerde an den Asylgerichtshof, wobei darin entscheidungsrelevant hinsichtlich der Frage der Rechtsmäßigkeit der Ausweisung der Beschwerdeführerin in die Russische Föderation keine Ausführungen getätigt wurden.
Das gegenständliche Beschwerdeverfahren gelangte aufgrund des Beschlusses des Geschäftsverteilungsausschusses vom 16.07.2010 mit Wirksamkeit vom 27.07.2010 in den Zuständigkeitsbereich dieser Gerichtsabteilung.
Der Beschwerdeführerin wurde aufgrund ihres Antrags vom 25.10.2011 mit Verfahrensanordnung des Asylgerichtshofes vom 24.11.2011, Zl. D3 412219-1/2010/7Z, gem. § 75 Abs. 16 iVm. § 66 AsylG 2005 idF FrÄG 2011 amtswegig ein Rechtsberater zur Unterstützung im Beschwerdeverfahren zur Seite gestellt.
Die Asylwerberin brachte in der Folge mehrere Eingaben in Bezug auf die von ihr geltend gemachten Fluchtgründe samt diverser Bescheinigungsmittel, insbesondere zu ihren zwischenzeitlich erfolgten integrativen Schritten sowie Empfehlungsschreiben in Vorlage. Entscheidungserheblich brachte sie dabei in der Stellungnahme ihrer nunmehrigen Rechtsvertretung zu ihrer konkreten Lebenssituation in Österreich vor, dass sie sich bereits gut in Österreich eingelebt und einen Freundes- und Bekanntenkreis aufgebaut habe, während dessen sie zu ihrer alten Heimat keinen Bezug mehr habe. Sie habe zwischenzeitlich auch die Sprachprüfung im Niveau A2 mit gutem Erfolg abgeschlossen und sich bereits für einen nächsten Kurs angemeldet und auch an einem Anfängerschwimmkurs teilgenommen. Sie helfe in der Pfarrgemeinde und singe im Kirchenchor. Sie arbeite weiters im Projekt "Nachbarschaftshilfe" der Caritas, bereits bei der Caritas Oberösterreich habe sie als Betreuerin in der XXXX einmal wöchentlich mitgearbeitet, wobei sie die Gruppe aktiv mitgestaltet und die Betreuung von sogar zwei Kindern übernommen habe. Mit ihrer Schwester und deren Kindern stehe sie in laufendem Kontakt.
Der Asylgerichtshof führte am 20.02.2012 eine mit dem Asylverfahren der Schwester verbundene mündliche Beschwerdeverhandlung durch, in welcher die Beschwerdeführerin in Bezug auf Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheides ausführte, dass sie derzeit in einem Nachbarschaftsprojekt der Caritas mitarbeite und dabei alles mache, was notwendig sei, wie zum Beispiel putzen, einkaufen oder nähen. Sie betreue auch eine schizophreniekranke Tochter einer älteren Frau, die nur drei Stunden in der Firma deren Mannes arbeite; dies sei eine sehr diffizile und komplexe Betreuungssituation. Sie engagiere sich auch im Kirchenchor und in der Frauengruppe der Pfarrgemeinde. Sie besuche weiterhin einen Deutschkurs. Sie habe weder physische noch psychische Probleme. In Dagestan lebe nur ein Onkel mütterlicherseits, mit dem sie jedoch in keinem Kontakt mehr stehe. Sie selbst hätte im Falle einer Rückkehr weder eine Unterkunftsmöglichkeit noch Arbeit, wobei es in ihrem Alter sehr schwer sei, wieder eine zu finden.
In der Folge brachte die Beschwerdeführerin weitere Bescheinigungsmittel hinsichtlich ihrer Situation im Falle einer Rückkehr nach Dagestan und weiterer Integrationsmaßnahmen in Österreich in Vorlage. Dabei wurde betont, dass die einzigen Bezugspersonen der Beschwerdeführerin ihre Schwester und deren Kinder seien, die sich ebenfalls im Bundesgebiet aufhalten würden. Sie wäre daher im Falle einer Rückkehr völlig auf sich alleine gestellt und hätte als alleinstehende ältere Frau dort keinerlei Schutz vor Übergriffen, weshalb sie in eine aussichtlose Lage geraten würde. In Bezug auf ihre Integration in Österreich wurden insbesondere eine Bestätigung über die Absolvierung eines Sprachkurses vom Niveau B1, weitere Empfehlungsschreiben der Hausgemeinschaft und des Kirchenchors sowie ein Integrationsbericht der Caritas vom 26.04.2013 vorgelegt, in welchem die Beschwerdeführerin als sehr engagierte, hilfsbereite und aufgeschlossene Person beschrieben wird, die stets bemüht sei, ihre Sprachkenntnisse zu verbessern.
Mit Erkenntnisen des Asylgerichtshofes vom 10.09.2012 wurde nach vorheriger Beschwerderückziehung hinsichtlich der Spruchpunkte I. und II. des bezughabenden Bescheides des Bundesasylamtes in den Asylverfahren die Schwester und die beiden Neffen der Beschwerdeführerin betreffend (D3 412229-1/2010 bis D3 412231-1/2010) erkannt, dass eine Ausweisung aus dem Bundesgebiet in die Russische Föderation aufgrund der ausgezeichneten Integration und der sehr guten Deutschkenntnisse in Verbindung mit einer Einstellungszusage nach Vorliegen der erforderlichen arbeitsmarktrechtlichen Voraussetzungen und der spezifischen familiären Situation im Herkunftsland trotz des erst vierjährigen Aufenthaltes in Österreich in einer Gesamtabwägung gem. § 10 Abs. 5 AsylG 2005 auf Dauer unzulässig sei.
Mit Schreiben ihrer rechtsfreundlichen Vertreterin vom 31.05.2013 brachte die Beschwerdeführerin eine Einstellungszusage in einem Textilwerk bei Erteilung einer Aufenthalts- und Arbeitsberechtigung in Vorlage. Gleichzeitig gab sie bekannt, für den Fall, dass der Beschwerde hinsichtlich Spruchpunkt III. stattgegeben und ihre Ausweisung auf Dauer unzulässig erklärt werde, die Beschwerde auf Spruchteil III. des angefochtenen Bescheides einzuschränken, um eine möglichst rasche Entscheidung zu erlangen.
Der Asylgerichtshof hat wie folgt festgestellt und erwogen:
Zur Person der Beschwerdeführerin wird Folgendes festgestellt:
Sie ist Staatsbürgerin der Russische Föderation aus Dagestan und Angehörige der awarischen Volksgruppe und wurde am XXXX in XXXX geboren, wo sie auch bei ihren Eltern aufwuchs. Nach dem Tod der Mutter im Alter von 10 Jahren besuchte die Asylwerberin eine Internatsschule für Waisen und arbeitete danach zwischen 1977 und 1983 als Telefonistin, ehe sie 1984 bis 1989 eine Ausbildung in XXXX absolvierte. Danach arbeitet sie wieder in ihrer Heimatstadt für dasselbe Telekommunikationsunternehmen als Ingenieurin weiter. Sie verließ ihre ehemalige Heimat am 01.08.2008 gemeinsam mit ihrer Schwerster und deren Kindern und gelangte unter Umgehung der Grenzkontrollen nach Österreich, wo alle einen Antrag auf internationalen Schutz stellten.
Die Beschwerdeführerin begann bereits kurz nach ihrer Einreise mit dem Erlernen der deutschen Sprache und absolvierte mehrere Deutschkursen, zuletzt vom Niveau B1; sie ist stets bemüht, ihre Sprachkenntnisse zu verbessern. Während ihres Aufenthaltes im Bundesgebiet wird sie aus Mitteln der Grundversorgung unterstützt und ist derzeit (noch) nicht selbst berufstätig, kann aber eine Einstellungszusage vorweisen. Sie nützte ihre Zeit im Bundesgebiet, um sich einen breiten Bekannten- und Freundeskreis aufzubauen und engagiert sich in diversen Projekten der Caritas und in der Pfarrgemeinde ihres neuen Heimatdorfes, daneben singt sie im Kirchenchor (ohne zum römisch-katholischen Glauben übergetreten zu sein). Die Beschwerdeführerin wird von ihrem sozialen Umfeld als engagiert, hilfsbereit und aufgeschlossen beschrieben. Sie betreut eine schizophreniekranke Tochter einer älteren Frau. Die Asylwerberin lebt in keiner Lebensgemeinschaft und ist unbescholten. Mangels weiterer Verwandten in Dagestan besteht ihre Familie ausschließlich aus ihrer in Österreich lebenden Schwester und deren Kinder, mit denen sie in regelmäßigem Kontakt steht. Zu ihrem Herkunftsland hat sie keinerlei Bezug mehr.
Infolge Zurückziehung der Beschwerde zu den Punkten Asyl und subsidiärer Schutz (Spruchteile I. und II.) ist es weder erforderlich, Feststellungen zu den Fluchtgründen noch länderspezifische Feststellungen zum Herkunftsland der Beschwerdeführerin zu treffen.
Beweis wurde erhoben durch Befragung die Antragstellerin durch das Bundesasylamt, Erstaufnahmestelle West, am 08.08.2008 und am 19.08.2008, sowie am 30.09.2008 und 09.12.2009 vor der Außenstelle Linz des Bundesasylamtes, weiters durch Befragung im Rahmen der öffentlichen mündlichen Beschwerdeverhandlung des Asylgerichtshofes vom 20.02.2012 (insbesondere zu ihrer Integration und ihrem Privat- und Familienleben in Österreich); weiters durch Vorlage russischer Identitätsdokumente und der in Vorlage gebrachten übrigen Bescheinigungsmittel zu ihrem Fluchtvorbringen bzw. die im Beschwerdeverfahren vorgelegten Belege ihrer zwischenzeitlichen Integration im Bundesgebiet, namentlich vor allem die Deutschkursbestätigungen, Empfehlungsschreiben und die Einstellungszusage, schließlich durch Einsichtnahme in den Strafregisterauszug der Beschwerdeführerin, in das zentrale Melderegister und den Grundversorgungsregister sowie aus dem Akteninhalt.
Die Beweise werden wie folgt gewürdigt:
Die obigen Feststellungen ergeben sich aus den glaubwürdigen und in wesentlichen Teilen durch die vorgelegten unbedenklichen Urkunden erhärteten Angaben der Beschwerdeführerin.
Rechtliche Beurteilung:
Gemäß § 61 AsylG 2005 entscheidet über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesasylamtes der Asylgerichtshof in Senaten oder, soweit dies in § 61 Abs 3 AsylG 2005 vorgesehen ist, durch Einzelrichter.
Gemäß § 23 Abs. 1 Asylgerichtshofgesetz (Art 1 BGBl. I 4/2008 idF BGBL. I 147/2008; im Folgenden: AsylGHG) sind - soweit sich aus dem Asylgesetz 2005 nichts anderes ergibt - auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof die Bestimmungen des AVG mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffs "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt.
Gemäß § 75 Abs. 1 erster Satz AsylG 2005 idF BGBl. I 29/2009 ist das AsylG 2005 auf alle Verfahren anzuwenden, die - wie im vorliegenden Fall - am 31.12.2005 noch nicht anhängig waren.
Gemäß § 66 Abs. 4 AVG hat die Berufungsbehörde, sofern die Berufung nicht als unzulässig oder verspätet zurückzuweisen ist, immer in der Sache selbst zu entscheiden. Sie ist berechtigt, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung ihre Anschauung an die Stelle jener der Unterbehörde zu setzen und den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern.
Infolge Zurückziehung der Beschwerde zu den Spruchpunkten I. (Asyl) und II. (subsidiärer Schutz) ist diesbezüglich die angefochtene Entscheidung des Bundesasylamtes vom 03.03.2010, Zl. 08 06.991-BAL, in Rechtskraft erwachsen. Es sind die diesbezüglichen Fragen nicht (mehr) "Sache" im Sinne des § 66 AVG des Beschwerdeverfahrens.
Gemäß § 10 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 idgF ist eine Entscheidung nach dem AsylG 2005 mit einer Ausweisung zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird und kein Fall der §§ 8 Abs. 3a oder 9 Abs. 2 vorliegt.
Gemäß § 10 Abs. 2 AsylG 2005, idgF sind Ausweisungen unzulässig, wenn
1. dem Fremden im Einzelfall ein nicht auf dieses Bundesgesetz gestütztes Aufenthaltsrecht zukommt oder
2. diese eine Verletzung von Art. 8 EMRK darstellen würden. Dabei sind insbesondere zu berücksichtigen:
a) die Art und Dauer des bisherigen Aufenthalts und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war;
b) das tatsächliche Bestehen des Familienlebens;
c) die Schutzwürdigkeit des Privatlebens;
d) der Grad der Integration;
e) die Bindungen zum Herkunftsstaat des Fremden;
f) die strafgerichtliche Unbescholtenheit;
g) Verstöße gegen die öffentliche Ordnung insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts;
h) die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren;
i) die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.
Würde ihre Durchführung aus Gründen, die in der Person des Asylwerbers liegen und die nicht von Dauer sind, Art. 3 EMRK verletzen, so ist gemäß § 10 Abs. 3 AsylG 2005 gleichzeitig mit der Ausweisung auszusprechen, dass die Durchführung für die notwendige Zeit aufzuschieben ist.
Gemäß § 10 Abs. 5 AsylG 2005 ist über die Zulässigkeit der Ausweisung jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß § 10 Abs. 2 Z 2 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Ausweisung ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Ausweisung schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein gemeinschaftsrechtliches Aufenthaltsrecht oder unbefristetes Niederlassungsrecht (§§ 45 und 48 oder §§ 51 ff NAG) verfügen, unzulässig wäre.
Nach Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutze der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.
Ob eine Verletzung des Rechts auf Schutz des Privat- und Familienlebens iSd Art. 8 EMRK vorliegt, hängt nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte sowie des Verfassungs- und Verwaltungsgerichtshofes jeweils von den konkreten Umständen des Einzelfalles ab. Die Regelung erfordert eine Prüfung der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit des staatlichen Eingriffes; letztere verlangt eine Abwägung der betroffenen Rechtsgüter und öffentlichen Interessen. In diesem Sinn wird eine Ausweisung nicht erlassen werden dürfen, wenn ihre Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden (und seiner Familie) schwerer wiegen würden als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von ihrer Erlassung.
Bei dieser Interessenabwägung sind - wie in § 10 Abs. 2 Z 2 AsylG 2005 idF BGBl. I 29/2009 unter Berücksichtigung der Judikatur der Gerichtshöfe öffentlichen Rechts ausdrücklich normiert wird - insbesondere die Art und Dauer des bisherigen Aufenthalts und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war, das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens, die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, der Grad der Integration des Fremden, die Bindungen zum Heimatstaat, die strafgerichtliche Unbescholtenheit, Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts sowie die Frage zu berücksichtigen, ob das Privat- und Familienleben in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren (vgl. VfGH 29.9.2007, B 1150/07; 12.6.2007, B 2126/06; VwGH 26.6.2007, 2007/01/0479; 26.1.2006, 2002/20/0423).
Nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes kommt den Normen, die die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regeln, aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung (Artikel 8 Abs. 2 EMRK) ein hoher Stellenwert zu (VwGH 16.01.2001, Zl. 2000/18/0251, u.v.a.).
Die Beschwerdeführerin ist wohl erst seit knapp fünf Jahre in Österreich aufhältig und war ihre Einreise illegal, sie hat jedoch die zwischenzeitlich verstrichene Zeit dazu genutzt, sich ausgezeichnet in Österreich zu integrieren:
Sie hat mehrere Deutschkurse besucht, eine Prüfung im Niveau A2 und sogar B1 absolviert und ist stetig bemüht, ihre Deutschkenntnisse im Selbststudium zu verbessern. Der erkennende Senat konnte sich im Zuge der mündlichen Beschwerdeverhandlung persönlich von ihren sehr guten Deutschkenntnissen überzeugen. Der Beschwerdeführerin ist es überdies gelungen, sich während des laufenden Asylverfahrens nachhaltig an ihrem Aufenthaltsort zu integrieren und ein breites soziales Beziehungsnetz aufzubauen. Auch wenn sie keiner regelmäßigen Berufstätigkeit nachgeht, arbeitet sie in einem Projekt der Caritas mit bzw. betreut ehrenamtlich eine schizophreniekranke Frau und engagiert sich in der Pfarrgemeinde und singt im Kirchenchor mit (ohne Angehörige der römisch-katholischen Glaubensgemeinschaft zu sein). Die Beschwerdeführerin wird in den in das Verfahren eingebrachten, zahlreichen Empfehlungsschreiben übereinstimmend als engagierte, hilfsbereite und aufgeschlossene Person beschrieben. Zumal sie mit Schreiben vom 31.05.2013 eine Einstellungszusage in einem Textilunternehmen für den Fall des Vorliegens der arbeitsmarktrechtlichen Voraussetzungen in Vorlage bringen konnte, ist auch davon auszugehen, dass die Beschwerdeführerin, die bislang aus Mitteln der Grundversorgung unterstützt wurde, in Hinkunft selbsterhaltungsfähig sein wird. Ihr Lebenslauf zeigt auch, dass sie immer bemüht war, sich durch eigene Arbeit in verschiedensten Berufen selbst zu erhalten. Schließlich ist sie im Bundesgebiet strafgerichtlich nicht in Erscheinung getreten. Auch die Marktgemeinde XXXX, ihr ehemaliger Wohnort, vertreten durch den Bürgermeister, hat bereits im Jahre 2011 ihr Interesse am Verbleib der Beschwerdeführerin und ihrer Schwester dokumentiert.
Die Beschwerdeführerin ist schon früh Waise geworden und verfügt über keine Verwandten oder sonstige Bindungen zum Herkunftsstaat und hat sich auch in die österreichische Gesellschaft durch Annahme eines westlich-europäischen Lebensstils integriert. Das beweist unter anderem auch ihre Unterstützung durch das katholische Pfarramt ihrer Heimatgemeinde in Österreich (obwohl sie selbst Moslemin ist) sowie die zahlreichen Unterstützungserklärungen von Gemeindebürgern, die bezeugen, dass die Beschwerdeführerin in die örtliche Gemeinschaft hervorragend integriert ist. Auch wenn die Beschwerdeführerin den überwiegenden Teil ihres Lebens im Herkunftsland verbracht hat und weiterhin die Sprache ihres Mutterlandes beherrscht und daher davon ausgegangen werden kann, dass sie ihrem Kulturkreis nicht völlig entrückt ist, muss dennoch gesagt werden, dass sie überzeugend dargetan hat, aufgrund des zwischenzeitlichen Zeitablaufs keine intensivere Bindung zu Dagestan mehr zu haben, zumal sie dort auch über keine näheren Angehörigen verfügt und im Gegensatz dazu ihre einzigen Familienangehörigen (Schwester mit Kindern) in Österreich leben; diese verfügen infolge der Entscheidung des Asylgerichtshofes vom 10.09.2012 auch über eine rechtmäßige dauerhafte Aufenthaltsberechtigung für das Bundesgebiet, sodass nicht von deren Rückkehr in das Herkunftsland gemeinsam mit der Beschwerdeführerin ausgegangen werden kann. Sie verfügt im Herkunftsland über keine Unterkunftsmöglichkeit und würde zudem aufgrund ihres fortgeschrittenen Alters nur schwer eine neuerliche Beschäftigung finden. Mangels vorhandenen sozialen Netzwerks in Dagestan würde eine Resozialisierung im speziellen Fall der Beschwerdeführerin als alleinstehende ältere Frau mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden sein.
Es handelt sich bei der Beschwerdeführerin um den ersten Asylantrag und ist eine gewisse Verzögerung des Verfahrens durch Richterwechsel in Folge Mutterschaftskarenz eingetreten, die aber jedenfalls nicht der Beschwerdeführerin zuzurechnen ist.
Wenn auch die Beschwerdeführerin seinerzeit illegal nach Österreich eingereist ist und ihr Privat- und Familienleben in einem Zeitpunkt entstanden ist, in dem sie sich des unsicheren Aufenthaltsstatus hätte bewusst sein müssen, so ist im Beschwerdefall zugunsten der Beschwerdeführerin das zwischenzeitig entstandene große private Beziehungsumfeld, sowie der Umstand, dass ihre gesamte "Familie" in Österreich lebt (bei Unzumutbarkeit einer Fortsetzung dieser Beziehungen im Heimatstaat) in Verbindung mit dem zwischenzeitlich erlangten hohen Grad an Integration und den sehr guten Deutschkenntnissen der Beschwerdeführerin hervorzuheben.
In einer Gesamtabwägung aller Umstände war daher zu befinden, dass im vorliegenden Fall die privaten Interessen der Beschwerdeführerin an einem Verbleib in Österreich aufgrund ihrer nachhaltigen Integration und des fehlenden sozialen Netzwerkes in Dagestan die öffentlichen Interessen an einer Rückführung in den Herkunftsstaat überwiegen.
Eine Ausweisung würde die Beschwerdeführerin daher in nicht gerechtfertigter Weise in ihrem Recht auf Privat- und Familienleben iSd Art. 8 EMRK verletzen.
Da die maßgeblichen Umstände in ihrem Wesen nicht bloß vorübergehend sind, war die Ausweisung auf Dauer für unzulässig zu erklären (in diesem Sinne auch schon AsylGH vom 11.08.2009, Zl. B5 241.319-2/2009/3E, AsylGH vom 29.10.2009, Zl. D8 263154-0/2008/20E, AsylGH vom 09.11.2009, Zl. D7 242438-9/2008/20E, AsylGH vom 27.10.2009, Zl. E3 249.769-2/2009/5E, AsylGH vom 29.01.2010 D3 400226-1/2008/15E, u.a.).
Es wird ihr daher gem. § 44a Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz von Amts wegen seitens der Fremdenpolizeibehörde ein Aufenthaltstitel zu erteilen sein.