TE Vwgh Erkenntnis 2000/11/15 96/08/0113

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Veröffentlicht am 15.11.2000
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Index

62 Arbeitsmarktverwaltung;
66/02 Andere Sozialversicherungsgesetze;

Norm

AlVG 1977 §12 Abs3 litf;
AlVG 1977 §12 Abs4 idF 1994/314;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Knell und die Hofräte Dr. Müller und Dr. Novak als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Hackl, über die Beschwerde des J in W, vertreten durch Dr. Peter Rustler, Rechtsanwalt in 1150 Wien, Mariahilfer Straße 196, gegen den aufgrund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien vom 24. Jänner 1996, Zl. Abt. 12/7022/7100 B, betreffend Arbeitslosengeld, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer - damals Student - beantragte am 18. August 1995 Arbeitslosengeld. Er gab an, zuletzt vom 10. Dezember 1993 bis zum 7. Mai 1994 als Handelsarbeiter bei der B. AG und vom 16. Mai 1994 bis zum 23. Oktober 1994 als Nachtportier beim Hotel F. beschäftigt gewesen zu sein und seit 1992 an der Universität Wien als ordentlicher Hörer zu studieren. Das letzte Dienstverhältnis habe er nicht selbst zwecks Fortsetzung des Studiums freiwillig gelöst.

Mit Bescheid vom 11. September 1995 gab das Arbeitsmarktservice Versicherungsdienste Wien dem Antrag des Beschwerdeführers mangels Arbeitslosigkeit keine Folge. Zur Begründung wurde ausgeführt, der Beschwerdeführer studiere laufend an der Universität Wien und sein letztes Dienstverhältnis vor Eintritt der Arbeitslosigkeit habe nicht die erforderliche Mindestdauer von sechs Monaten parallel zum Studium gehabt.

In seiner Berufung gegen diese Entscheidung machte der Beschwerdeführer geltend, dass er sein Studium durch Beschäftigung finanziere und zwischen den beiden im Antrag genannten Dienstverhältnissen nur ein Zeitraum von einer Woche liege. Der Beschwerdeführer habe also zuletzt - mit dieser einen Unterbrechung - zehn Monate lang neben seinem Studium gearbeitet und erfülle die Voraussetzungen des § 12 Abs. 4 AlVG.

Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung keine Folge. Die belangte Behörde ging von den bescheinigten Angaben des Beschwerdeführers über dessen Studium und seine Beschäftigungsverhältnisse aus und vertrat folgende Rechtsansicht:

"Aus § 12 Abs. 4 AlVG geht hervor, dass der Arbeitslose dem (= Einzahl) und nicht den (= Mehrzahl) Dienstverhältnis, welches unmittelbar vor Eintritt der Arbeitslosigkeit gelegen ist, bereits 'längere Zeit' oblegen gewesen sein muss."

Unter einer "längeren Zeit" sei nach Ansicht der belangten Behörde zumindest ein halbes Jahr zu verstehen. Das letzte Dienstverhältnis des Beschwerdeführers habe aber "keine sechs Monate, sondern nur 161 Tage gedauert", weshalb eine Ausnahme gemäß § 12 Abs. 4 AlVG nicht in Betracht gekommen sei.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde. Darin wird geltend gemacht, der Beschwerdeführer habe die Voraussetzungen des § 12 Abs. 4 AlVG erfüllt.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der die Abweisung der Beschwerde beantragt wird.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Im Erkenntnis vom 7. März 1996, G 72/95 u.a., hat der Verfassungsgerichtshof den vom Verwaltungsgerichtshof in mehreren Beschwerdefällen gestellten Antrag, die auch im vorliegenden Fall anzuwendenden Bestimmungen des § 12 Abs. 3 lit. f und Abs. 4 AlVG als verfassungswidrig aufzuheben, abgewiesen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat sich im Erkenntnis vom 22. Oktober 1996, Zl. 96/08/0125, - unter Einbeziehung der Überlegungen des Verfassungsgerichtshofes, aufgrund derer dieser die verfassungsrechtlichen Bedenken des Verwaltungsgerichtshofes nicht geteilt hat - ausführlich mit der Interpretation des § 12 Abs. 3 lit. f AlVG in der Stammfassung und des § 12 Abs. 4 AlVG in der Fassung der Novelle BGBl. Nr. 817/1993 (die der hier anzuwendenden Fassung der Novelle BGBl. Nr. 314/1994 im maßgebenden Zusammenhang vollkommen gleicht) befasst und ist dabei - soweit es im Beschwerdefall von Bedeutung ist - zum Ergebnis gelangt, dass bezogen auf einen dem "Studium" im Sinne des § 12 Abs. 4 AlVG obliegenden Arbeitslosen für die Dauer seines Studiums die (nicht im Ermessen der Behörde stehende) Zulassung einer Ausnahme (von der im § 12 Abs. 3 lit. f AlVG vorgesehenen Verneinung der Anspruchsvoraussetzung der Arbeitslosigkeit) gemäß § 12 Abs. 4 AlVG die Parallelität von Studium und arbeitslosenversicherungspflichtiger Beschäftigung in mehr als 18 Wochen grundsätzlich im letzten Jahr vor Eintritt der Arbeitslosigkeit voraussetzt. Nach diesem Erkenntnis, auf dessen nähere Begründung gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird, genügt unter dem hier maßgebenden Gesichtspunkt des in der Vergangenheit erbrachten Erweises einer objektiven Vereinbarkeit zwischen Studium und arbeitslosenversicherungspflichtiger Beschäftigung auch ein Werkstudium während mehrerer, im Wesentlichen ununterbrochener arbeitslosenversicherungspflichtiger Beschäftigungsverhältnisse, deren letztes grundsätzlich unmittelbar der Arbeitslosigkeit vorangegangen sein muss und vom Arbeitslosen nicht zwecks Fortsetzung des Studiums freiwillig gelöst worden sein darf.

Mit dieser Interpretation der hier anzuwendenden Rechtslage vor dem Strukturanpassungsgesetz 1996, BGBl. Nr. 201, steht die dem angefochtenen Bescheid zugrunde liegende Rechtsauffassung der belangten Behörde, wonach es nur auf das letzte Dienstverhältnis (= Einzahl) ankomme und die Parallelität von Beschäftigung und Studium während dieses Dienstverhältnisses zumindest sechs Monate betragen haben müsse, nicht im Einklang. Schon das letzte dem Eintritt der Arbeitslosigkeit vorausgegangene Dienstverhältnis des Beschwerdeführers dauerte 23 Wochen, von denen allerdings ein erheblicher Teil auf die Hauptferien entfiel (vgl. zu den Hauptferien etwa das hg. Erkenntnis vom 8. September 1998, Zl. 96/08/0217, mit weiteren Nachweisen). Da der nur acht Tage betragende zeitliche Abstand zwischen den beiden Dienstverhältnissen aber nicht so groß war, dass er der Annahme eines im Wesentlichen ununterbrochenen Werkstudiums entgegenstünde, und das erste der beiden Dienstverhältnisse innerhalb des Jahres vor Eintritt der Arbeitslosigkeit allein schon weit mehr als 20 Wochen dauerte, wobei in diese Zeit keine Hauptferien fielen, waren die Mindestvoraussetzungen für die (nicht im Ermessen der Behörde stehende) Zulassung einer Ausnahme gemäß § 12 Abs. 4 AlVG in Bezug auf die erforderliche Parallelität von Beschäftigung und Studium im Fall des Beschwerdeführers klar überschritten.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 15. November 2000

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2000:1996080113.X00

Im RIS seit

18.10.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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