TE AsylGH Erkenntnis 2013/07/09 S15 430769-1/2012

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Veröffentlicht am 09.07.2013
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Spruch

Zl. S15 430.769-1/2012/13E

 

IM NAMEN DER REPUBLIK!

 

Der Asylgerichtshof hat durch die Richterin Mag. Höller als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXX, XXX, StA. Sudan, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 12.11.2012, Zl. 12 14.509-EAST-Ost, zu Recht erkannt:

 

Der Beschwerde wird gemäß § 41 Abs. 3 3. Satz AsylG 2005 stattgegeben und der bekämpfte Bescheid wird behoben.

Text

Entscheidungsgründe:

 

I. Verfahrensgang und Sachverhalt:

 

1. Der Beschwerdeführer ist am 11.10.2012 illegal in das Bundesgebiet eingereist.

 

2. Am 11.10.2012 hat der Beschwerdeführer einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt, wobei er angab, den Namen XXX zu führen, Staatsangehöriger des Sudan und am XXX geboren zu sein.

 

3. Anlässlich der niederschriftlichen Befragung am 11.10.2012 vor dem Stadtpolizeikommando Innsbruck vor einem Organwalter des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab der Beschwerdeführer an, sein Heimatland vor ein oder zwei Monaten mit dem Schiff verlassen zu haben. Genauere Angaben dazu könnte er nicht machen. Er hätte im Krieg seine Eltern verloren und im Busch gelebt. Irgendwann hätte er beschlossen nach Libyen zu gehen. Libyen hätte der Beschwerdeführer mit einem kleinen Boot nach Italien verlassen. Er wüsste nicht, wo er in Italien angekommen wäre. Mit dem Zug wäre er Richtung Schweiz gefahren. Er wäre immer wieder aus dem Zug befördert worden, da er kein Ticket gehabt hätte. Er hätte einige Nächte auf Bahnhöfen verbracht und sei mit einem weiteren Zug nach Österreich gefahren. In Innsbruck wäre der Beschwerdeführer dann ausgestiegen und hätte sich zur Polizei durchgefragt. Er hätte in keinem anderen Land um Asyl angesucht. Nach Vorhalt des vorliegenden Eurodac-Treffers vom 04.07.2007 in Italien und vom 05.09.2011 in der Schweiz gab er an, keine weiteren Angaben mehr zu machen.

 

4. Am 17.10.2012 wurde ein Konsultationsverfahren mit der Schweiz eingeleitet.

 

5. Am 19.10.2012 wurde der Beschwerdeführer mit Mitteilung gemäß § 28 Abs. 2 AsylG, schriftlich darüber in Kenntnis gesetzt.

 

6. Mit Schreiben vom 22.10.2012 teilte die Schweiz mit, dass der Beschwerdeführer in der Schweiz unter XXX, StA. Sudan, bekannt sei.

 

7. Mit Schreiben der Schweizer Behörden vom 29.10.2012 stimmte die Schweiz gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. c der Übernahme seiner Person zu.

 

8. Am 09.11.2012 erhielt der Beschwerdeführer die Möglichkeit im Zuge eines Rechtsberatungsgesprächs volle Akteneinsicht in gegenständlichen Verwaltungsakt zu nehmen. Dabei gab er vor einem Organwalter des Bundesasylamtes Folgendes an:

 

V: Sie gaben vor dem BAA an, am 30.12.1995 geboren zu sein. Sie stellten allerdings bereits am 04.07.2007 in Italien einen Asylantrag. Laut Ihren Angaben wären Sie damals erst 11 Jahre alt gewesen. Erkennungsdienstlich behandelt wird man allerdings erst ab einem Alter von 14 Jahren! Weiters teilten die Behörden der Schweiz mit, dass Sie dort mit Geburtsdatum 10.06.1990 registriert sind. Wollen Sie dem BAA nicht Ihr tatsächliches Alter bekannt geben?

 

A: Das was ich bei Ihnen angegeben habe, entspricht der Wahrheit.

 

V: Dann könnten Sie im Jahr 2007 nicht erkennungsdienstlich in Italien behandelt worden sein! Sie wären damals erst 11 Jahre alt gewesen!

 

A: Ich sage die Wahrheit.

 

9. Mit Bescheid vom 12.11.2012 wies das Bundesasylamt den Antrag auf internationalen Schutz des Beschwerdeführers, ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Absatz 1 Asylgesetz 2005, BGBl I Nr. 100/2005 (AsylG) idgF, als unzulässig zurück und stellte fest, dass für die Prüfung des Antrages auf internationalen Schutz gemäß Artikel 16 Abs. 1 lit. c der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates die Schweiz zuständig sei. Gleichzeitig wurde der Beschwerdeführer gemäß § 10 Absatz 1 Ziffer 1 AsylG 2005 aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Schweiz ausgewiesen und festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in die Schweiz gemäß § 10 Absatz 4 AsylG zulässig sei.

 

10. Gegen diesen Bescheid wurde rechtzeitig Beschwerde an den Asylgerichtshof erhoben. Geltend gemacht werden Rechtswidrigkeit infolge unrichtiger rechtlicher Beurteilung sowie infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften und mangelnde Beweiswürdigung. Der Beschwerdeführer hätte wahrheitsgemäß angegeben am XXX geboren zu sein. Das Bundesasylamt wäre allerdings ohne weitere Untersuchungen vorzunehmen von seiner Volljährigkeit ausgegangen. Die Behörde sei nach § 39 Abs. 2 AVG zu einer amtswegigen Ermittlung der entscheidungsrelevanten Sachverhaltselemente verpflichtet. Da das unterlassen worden wäre, sei der Bescheid mit einem nicht unwesentlichen Verfahrensmangel behaftet. Die Beschwerde verband der Beschwerdeführer mit dem Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung.

 

11. Die gegenständliche Beschwerde samt Verwaltungsakt langte am 27.11.2012 beim Asylgerichtshof ein.

 

12. Mit Beschluss vom 04.12.2012, Zl. S15 430.769-1/2012/2Z, hat der Asylgerichtshof der Beschwerde gemäß § 37 Abs. 1 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 idgF, aufschiebende Wirkung zuerkannt.

 

II. Der Asylgerichtshof hat durch die zuständige Richterin über die gegenständliche Beschwerde wie folgt erwogen:

 

1. Verfahrensgang und Sachverhalt ergeben sich aus dem vorliegenden Verwaltungsakt.

 

Gemäß §§ 73 und 75 des Bundesgesetzes über die Gewährung von Asyl, BGBl. I Nr. 100/2005 in der Fassung BGBl. I Nr. 38/2011 (im Folgenden: "AsylG 2005") ist dieses im gegenständlichen Verfahren vollumfänglich anzuwenden.

 

Hinsichtlich des Verfahrens vor dem Asylgerichtshof sind die einschlägigen Bestimmungen des AsylG 2005 und das Bundesgesetz über den Asylgerichtshof, BGBl. I Nr. 4/2008 in der Fassung BGBL I Nr. 147/2008 (in Folge: "AsylGHG") sowie subsidiär das Allgemeine Verwaltungsverfahrensgesetz 1991, BGBl. Nr. 51/1991 in der Fassung BGBl. I Nr. 20/2009 (in Folge: "AVG") anzuwenden. Schließlich war das Bundesgesetz über die Zustellung behördlicher Dokumente, BGBl. Nr. 200/1982 in der Fassung BGBl. I Nr. 5/2008 (im Folgenden: ZustG) maßgeblich.

 

Gemäß § 9 Abs. 1 AsylGHG idgF entscheidet der Asylgerichtshof in Senaten, soweit eine Entscheidung durch einen Einzelrichter oder Kammersenat nicht bundesgesetzlich vorgesehen ist. Gemäß § 61 Abs. 3 und 3a AsylG 2005 entscheidet der Asylgerichtshof über Beschwerden gegen zurückweisende Bescheide nach den §§ 4 und 5 AsylG 2005 und nach § 68 AVG (wie in Verfahren nach § 41a AsylG) durch Einzelrichter. Gemäß § 42 AsylG 2005 entscheidet der Asylgerichtshof bei Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung oder Rechtsfragen, die sich in einer erheblichen Anzahl von anhängigen oder in naher Zukunft zu erwartender Verfahren stellen, sowie gemäß § 11 Abs. 4 AsylGHG, wenn im zuständigen Senat kein Entscheidungsentwurf die Zustimmung des Senates findet, durch einen Kammersenat. Im vorliegenden Verfahren liegt eine Beschwerde gegen eine Entscheidung nach § 5 AsylG 2005 vor, sodass der erkennende Richter als Einzelrichter zur Entscheidung zuständig war.

 

2.1. Gemäß § 5 Abs. 1 AsylG ist ein nicht gemäß § 4 AsylG erledigter Asylantrag als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder aufgrund der Verordnung Nr. 343/2003 (EG) des Rates vom 18.02.2003 zur Prüfung des Asylantrages zuständig ist. Mit dem Zurückweisungsbescheid hat die Asylbehörde auch festzustellen, welcher Staat zuständig ist. Gemäß § 10 Abs 1 Z 1 AsylG ist die Zurückweisung eines Antrages nach Maßgabe der § 10 Abs 3 und Abs 4 AsylG mit einer Ausweisung zu verbinden. Die Dublin II VO ist eine Verordnung des Rechts der Europäischen Union, die Regelungen über die Zuständigkeit zur Prüfung von Asylanträgen von Drittstaatsangehörigen trifft. Sie gilt also nicht für mögliche Asylanträge von EU-Bürgern, ebenso wenig ist sie auf Personen anwendbar, denen bereits der Flüchtlingsstatus zuerkannt wurde. Das wesentliche Grundprinzip ist jenes, dass den Drittstaatsangehörigen in einem der Mitgliedstaaten das Recht auf ein faires, rechtsstaatliches Asylverfahren zukommt, jedoch nur ein Recht auf ein Verfahren in einem Mitgliedstaat, dessen Zuständigkeit sich primär nicht aufgrund des Wunsches des Asylwerbers, sondern aufgrund der in der Verordnung festgesetzten hierarchisch geordneten Zuständigkeitskriterien ergibt.

 

2.1.1. In einem Verfahren nach der Dublin-II-VO ist nicht nur zu prüfen, welcher Mitgliedstaat für die Durchführung des Verfahrens zuständig ist, sondern ist vorweg die Identität des Asylwerbers inklusive dessen Alter zu klären, wobei sich an die Frage des Alters weitreichende Konsequenzen knüpfen.

 

Zur Feststellung des Alters eines Asylwerbers sind hier keine geringeren oder anderen Maßstäbe anzulegen als in anderen Verfahren. Im gegenständlichen Fall gab der Beschwerdeführer in Österreich an, am XXX geboren zu sein. Aus dem Schriftverkehr mit Schweiz ergibt sich, dass der Beschwerdeführer dort mit dem Geburtsdatum XXX als volljährig geführt wurde. Im Bescheid wird festgestellt, dass die Identität des Beschwerdeführers nicht feststehe. Weiters, dass das vom Beschwerdeführer angegebene Alter offensichtlich nicht der Wahrheit entspreche.

 

Das Bundesasylamt ging ohne ein Altersgutachten des Beschwerdeführers einzuholen von falschen Angaben des Beschwerdeführers aus. Das Bundesasylamt trifft keine Feststellungen zum Alter des Beschwerdeführers, hegt jedoch Zweifel an seiner Volljährigkeit, da der Bescheid nicht nur an ihn selbst, sondern auch an seinen gesetzlichen Vertreter zugestellt wurde. Für den Asylgerichtshof ist somit das durchgeführte Ermittlungsverfahren zum Alter des Beschwerdeführers grob mangelhaft.

 

Da die Erstbehörde sohin eine entscheidungsrelevante Vorfrage - nämlich jene der Volljährigkeit bzw. Minderjährigkeit des Beschwerdeführers - nicht hinreichend geklärt hat, war gemäß § 41 Abs. 3 AsylG vorzugehen.

 

Die Klärung der Frage ist vor dem Hintergrund des kürzlich ergangenen Urteils des EuGH vom 06.06.2013 in der Rechtssache C-648/11, wonach für die Prüfung eines Asylantrags eines unbegleiteten Minderjährigen, der in mehr als einem Mitgliedstaat einen Asylantrag gestellt hat, derjenige Mitgliedstaat zuständig ist, in dem sich dieser Minderjährige aufhält, nachdem er dort einen Asylantrag gestellt hat, unabdingbar.

 

2.2. Aus einer Gesamtschau der dargelegten Erwägungen folgt also, dass der gegenständliche Bescheid wegen Mangelhaftigkeit des Verfahrens keinen Bestand haben kann. Aufgrund der nicht erfolgten Altersfeststellung beim Beschwerdeführer konnte seitens der Rechtsmittelbehörde nicht einwandfrei festgestellt werden, ob Volljährigkeit bzw. Minderjährigkeit vorliegt. Dieses Versäumnis der belangten Behörde wird somit von selbiger zu beheben sein, indem diese geeignete Ermittlungsschritte in diese Richtung setzt.

Schlagworte
Altersfeststellung, Ermittlungspflicht, Kassation
Zuletzt aktualisiert am
12.07.2013
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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