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90/02 Kraftfahrgesetz 1967, FührerscheingesetzNorm
FührerscheinG §7 Abs1, §7 Abs3 Z4, §26 Abs3, §32 Abs1Leitsatz
Keine Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte durch (befristete) Entziehung der Lenkberechtigung aufgrund einer rechtskräftigen Strafverfügung wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung; kein Strafcharakter der EntziehungsmaßnahmeSpruch
Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt, Beschwerdevorbringen und Vorverfahren
1. Mit Strafverfügung der Bezirkshauptmannschaft Kirchdorf an der Krems vom 23. März 2012 wurde über den Beschwerdeführer gemäß §52 lita Z10a iVm §99 Abs2e Straßenverkehrsordnung (im Folgenden: StVO) eine Geldstrafe verhängt, weil er die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h um 55 km/h überschritten hat. Gegen diese Strafverfügung hat der Beschwerdeführer keinen Einspruch erhoben, weshalb sie in Rechtskraft erwachsen ist.
2. Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Braunau am Inn vom 25. Juni 2012 wurde dem Beschwerdeführer gemäß §26 Abs3 Z1 iVm §7 Abs3 Z4 Führerscheingesetz (im Folgenden: FSG) und §32 Abs1 Z1 FSG die Lenkberechtigung für die Klassen A und B für die Dauer von zwei Wochen entzogen, für die Dauer der Entziehung der Lenkberechtigung das Recht aberkannt, von einem ausländischen Führerschein in Österreich Gebrauch zu machen und für die Dauer der Entziehung der Lenkberechtigung das Lenken von vierrädrigen Leichtkraftfahrzeugen und Invalidenkraftfahrzeugen verboten.
2.1. Die gegen diesen Bescheid erhobene Berufung wurde mit Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Oberösterreich (im Folgenden: UVS Oberösterreich) vom 23. Juli 2012 abgewiesen. Der UVS Oberösterreich führt unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes aus, dass die Behörde, die über die Entziehung der Lenkberechtigung entscheidet, an die rechtskräftige Strafverfügung gebunden sei. Eine selbständige Beurteilung des Verhaltens des Beschwerdeführers sei dem UVS Oberösterreich verwehrt und die Berufung daher abzuweisen.
2.2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der die Verletzung in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten behauptet wird. Der angefochtene Bescheid verletze den Beschwerdeführer im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz, in den durch Art6 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten sowie im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein effektives Rechtsmittel. Der angefochtene Bescheid verstoße auch gegen das Rechtsstaatsprinzip. Die Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte wird im Wesentlichen damit begründet, dass der UVS Oberösterreich sich an die rechtskräftige Strafverfügung gebunden erachte. Damit könne aber im Verfahren über die Entziehung der Lenkberechtigung kein umfassendes Vorbringen mehr erstattet werden, obwohl die Strafverfügung ohne ein die Garantien des Art6 EMRK gewährleistendes Verfahren erlassen werde. Das Rechtsmittel im Entziehungsverfahren sei somit nicht mehr effektiv, und der UVS Oberösterreich verliere mangels voller Kognitionsbefugnis seine Tribunalqualität.
3. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet.
II. Rechtslage
1. Die maßgeblichen Bestimmungen des Führerscheingesetzes, BGBl I 120/1997 idF BGBl I 61/2011, lauten auszugsweise:
"Verkehrszuverlässigkeit
§7. (1) Als verkehrszuverlässig gilt eine Person, wenn nicht auf Grund erwiesener bestimmter Tatsachen (Abs3) und ihrer Wertung (Abs4) angenommen werden muss, dass sie wegen ihrer Sinnesart beim Lenken von Kraftfahrzeugen
1. die Verkehrssicherheit insbesondere durch rücksichtsloses Verhalten im Straßenverkehr oder durch Trunkenheit oder einen durch Suchtmittel oder durch Medikamente beeinträchtigten Zustand gefährden wird, oder
2. sich wegen der erleichternden Umstände, die beim Lenken von Kraftfahrzeugen gegeben sind, sonstiger schwerer strafbarer Handlungen schuldig machen wird.
(2) Handelt es sich bei den in Abs3 angeführten Tatbeständen um Verkehrsverstöße oder strafbare Handlungen, die im Ausland begangen wurden, so sind diese nach Maßgabe der inländischen Rechtsvorschriften zu beurteilen.
(3) Als bestimmte Tatsache im Sinn des Abs1 hat insbesondere zu gelten, wenn jemand:
1. bis 3. […]
4. die jeweils zulässige Höchstgeschwindigkeit im Ortsgebiet um mehr als 40 km/h oder außerhalb des Ortsgebiets um mehr als 50 km/h überschritten hat und diese Überschreitung mit einem technischen Hilfsmittel festgestellt wurde;
5. bis 15. […]
(4) Für die Wertung der in Abs1 genannten und in Abs3 beispielsweise angeführten Tatsachen sind deren Verwerflichkeit, die Gefährlichkeit der Verhältnisse, unter denen sie begangen wurden, die seither verstrichene Zeit und das Verhalten während dieser Zeit maßgebend, wobei bei den in Abs3 Z14 und 15 genannten bestimmten Tatsachen die seither verstrichene Zeit und das Verhalten während dieser Zeit nicht zu berücksichtigen ist.
(5) Strafbare Handlungen gelten jedoch dann nicht als bestimmte Tatsachen im Sinne des Abs1, wenn die Strafe zum Zeitpunkt der Einleitung des Verfahrens getilgt ist. Für die Frage der Wertung nicht getilgter bestimmter Tatsachen gemäß Abs3 sind jedoch derartige strafbare Handlungen auch dann heranzuziehen, wenn sie bereits getilgt sind.
(6) Für die Beurteilung, ob eine strafbare Handlung gemäß Abs3 Z6 litb, 7, 9 letzter Fall oder 13 wiederholt begangen wurde, sind vorher begangene Handlungen der gleichen Art selbst dann heranzuziehen, wenn sie bereits einmal zur Begründung des Mangels der Verkehrszuverlässigkeit herangezogen worden sind, es sei denn, die zuletzt begangene Tat liegt länger als zehn Jahre zurück. Die Auflage der ärztlichen Kontrolluntersuchungen gemäß Abs3 Z12 gilt als nicht eingehalten, wenn der Befund oder das ärztliche Gutachten nicht innerhalb einer Woche nach Ablauf der festgesetzten Frist der Behörde vorgelegt wird.
(7) Wurde ein Verstoß gegen Auflagen gemäß Abs3 Z12 begangen, so hat die Behörde, in deren Sprengel die Übertretung begangen wurde, die Wohnsitzbehörde unverzüglich von diesem Umstand zu verständigen.
(8) Die Verkehrszuverlässigkeit ist von der das Verfahren führenden Behörde zu beurteilen. Zu diesem Zweck hat diese Behörde in den Fällen der Erteilung oder Ausdehnung der Lenkberechtigung bei der Wohnsitzbehörde anzufragen, ob und gegebenenfalls welche Delikte für diesen Antragsteller vorliegen.
5. Abschnitt
Entziehung, Einschränkung und Erlöschen der Lenkberechtigung
Allgemeines
§24. (1) Besitzern einer Lenkberechtigung, bei denen die Voraussetzungen für die Erteilung der Lenkberechtigung (§3 Abs1 Z2 bis 4) nicht mehr gegeben sind, ist von der Behörde entsprechend den Erfordernissen der Verkehrssicherheit
1. die Lenkberechtigung zu entziehen oder
2. die Gültigkeit der Lenkberechtigung durch Auflagen, Befristungen oder zeitliche, örtliche oder sachliche Beschränkungen einzuschränken. Diesfalls ist gemäß §13 Abs5 ein neuer Führerschein auszustellen.
Für den Zeitraum einer Entziehung der Lenkberechtigung für die Klassen A, B oder F ist auch das Lenken von vierrädrigen Leichtkraftfahrzeugen unzulässig, es sei denn es handelt sich
1. um eine Entziehung gemäß §24 Abs3 achter Satz oder
2. um eine Entziehung der Klasse A mangels gesundheitlicher Eignung, die ausschließlich mit dem Lenken von einspurigen Kraftfahrzeugen zusammenhängt.
(2) Die Entziehung oder Einschränkung der Lenkberechtigung kann auch nur hinsichtlich bestimmter Klassen ausgesprochen werden, wenn der Grund für die Entziehung oder Einschränkung nur mit der Eigenart des Lenkens dieser bestimmten Klasse zusammenhängt. Die Entziehung bestimmter Klassen ist, wenn zumindest noch eine weitere Lenkberechtigung aufrecht bleibt, in den Führerschein einzutragen. Eine Entziehung der Lenkberechtigung für die Klasse B zieht jedenfalls eine Entziehung für die Klassen C (C1) und D nach sich, eine Entziehung einer der Klassen C (C1) oder D zieht die Entziehung der jeweils anderen Klasse nach sich.
(3) bis (6) […]
Sonderfälle der Entziehung
§26. (1) Wird beim Lenken oder Inbetriebnehmen eines Kraftfahrzeuges erstmalig eine Übertretung gemäß §99 Abs1b StVO 1960 begangen, so ist, wenn es sich nicht um einen Lenker eines Kraftfahrzeuges der Klasse C oder D handelt und zuvor keine andere der in §7 Abs3 Z1 und 2 genannten Übertretungen begangen wurde, die Lenkberechtigung für die Dauer von einem Monat zu entziehen. Wenn jedoch
1. auch eine der in §7 Abs3 Z4 bis 6 genannten Übertretungen vorliegt, oder
2. der Lenker bei Begehung dieser Übertretung einen Verkehrsunfall verschuldet hat,
so hat die Entziehungsdauer mindestens drei Monate zu betragen.
Wenn jedoch eine der in §7 Abs3 Z3 genannten Übertretungen vorliegt, so hat die Entziehungsdauer mindestens sechs Monate zu betragen. §25 Abs3 zweiter Satz ist in allen Fällen sinngemäß anzuwenden.
(2) Wird beim Lenken oder Inbetriebnehmen eines Kraftfahrzeuges
1. erstmalig ein Delikt gemäß §99 Abs1 StVO 1960 begangen, so ist die Lenkberechtigung auf die Dauer von mindestens sechs Monaten zu entziehen,
2. ein Delikt gemäß §99 Abs1 StVO 1960 innerhalb von fünf Jahren ab der Begehung eines Deliktes gemäß §99 Abs1 StVO 1960 begangen, ist die Lenkberechtigung auf mindestens zwölf Monate zu entziehen,
3. ein Delikt gemäß §99 Abs1a oder 1b StVO 1960 innerhalb von fünf Jahren ab der Begehung eines Deliktes gemäß §99 Abs1 StVO 1960 begangen, ist die Lenkberechtigung auf mindestens acht Monate zu entziehen,
4. erstmalig ein Delikt gemäß §99 Abs1a StVO 1960 begangen, so ist die Lenkberechtigung auf die Dauer von mindestens vier Monaten zu entziehen,
5. ein Delikt gemäß §99 Abs1 StVO 1960 innerhalb von fünf Jahren ab der Begehung eines Deliktes gemäß §99 Abs1a StVO 1960 begangen, ist die Lenkberechtigung auf mindestens zehn Monate zu entziehen,
6. ein Delikt gemäß §99 Abs1a StVO 1960 innerhalb von fünf Jahren ab der Begehung eines Deliktes gemäß §99 Abs1a StVO 1960 begangen, ist die Lenkberechtigung auf mindestens acht Monate zu entziehen,
7. ein Delikt gemäß §99 Abs1b StVO 1960 innerhalb von fünf Jahren ab der Begehung eines Deliktes gemäß §99 Abs1a StVO 1960 begangen, ist die Lenkberechtigung auf mindestens sechs Monate zu entziehen. §25 Abs3 zweiter Satz ist sinngemäß anzuwenden.
(2a) Im Falle der erstmaligen Begehung einer in §7 Abs3 Z3 genannten Übertretung hat die Entziehungsdauer mindestens sechs Monate zu betragen, sofern nicht gemäß Abs2 eine längere Entziehungsdauer auszusprechen ist. Eine nach Ablauf von zwei Jahren seit der letzten Übertretung begangene derartige Übertretung gilt als erstmalig begangen.
(3) Im Falle der erstmaligen Begehung einer in §7 Abs3 Z4 genannten Übertretung - sofern die Übertretung nicht geeignet war, besonders gefährliche Verhältnisse herbeizuführen oder nicht mit besonderer Rücksichtslosigkeit gegenüber anderen Straßenbenützern begangen wurde (§7 Abs3 Z3) oder auch eine Übertretung gemäß Abs1 oder 2 vorliegt - hat die Entziehungsdauer
1. zwei Wochen,
2. wenn die jeweils zulässige Höchstgeschwindigkeit im Ortsgebiet um mehr als 60 km/h oder außerhalb des Ortsgebiets um mehr als 70 km/h überschritten worden ist, sechs Wochen,
3. wenn die jeweils zulässige Höchstgeschwindigkeit im Ortsgebiet um mehr als 80 km/h oder außerhalb des Ortsgebiets um mehr als 90 km/h überschritten worden ist, drei Monate
zu betragen. Bei wiederholter Begehung einer derartigen Übertretung innerhalb von zwei Jahren hat die Entziehungsdauer, sofern in keinem Fall eine Qualifizierung im Sinne der Z2 oder 3 gegeben ist sechs Wochen, sonst mindestens sechs Monate zu betragen. Eine nach Ablauf von zwei Jahren seit der letzten Übertretung begangene derartige Übertretung gilt als erstmalig begangen.
(4) Eine Entziehung gemäß Abs3 darf erst ausgesprochen werden, wenn das Strafverfahren in erster Instanz durch Strafbescheid abgeschlossen ist. Bei erstmaligen Entziehungen gemäß Abs3 darf die Behörde keine begleitenden Maßnahmen anordnen, es sei denn, die Übertretung erfolgte durch einen Probeführerscheinbesitzer.
(5) Eine Übertretung gemäß Abs1 oder 2 gilt als erstmalig, wenn eine vorher begangene Übertretung der gleichen Art zum Zeitpunkt der Begehung der neuerlichen Übertretung getilgt ist."
2. §99 Abs2e StVO, BGBl 159/1960 idF BGBl I 59/2011, lautet:
"§99. Strafbestimmungen.
(1) bis (2d) […]
(2e) Eine Verwaltungsübertretung begeht und ist mit einer Geldstrafe von 150 bis 2180 Euro, im Fall ihrer Uneinbringlichkeit mit Arrest von 48 Stunden bis zu sechs Wochen, zu bestrafen, wer die jeweils zulässige Höchstgeschwindigkeit im Ortsgebiet um mehr als 40 km/h oder außerhalb des Ortsgebiets um mehr als 50 km/h überschreitet.
(3) bis (7) […]"
III. Erwägungen
Der Verfassungsgerichtshof hat über die – zulässige – Beschwerde erwogen:
1. Bedenken gegen die dem angefochtenen Bescheid zugrunde liegenden Bestimmungen wurden weder in der Beschwerde vorgebracht noch sind beim Verfassungsgerichtshof aus Anlass des vorliegenden Falles Bedenken entstanden (vgl. auch VfSlg 16.855/2003).
Der Beschwerdeführer ist daher durch den angefochtenen Bescheid nicht wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.
2. In der Beschwerde wird zunächst geltend gemacht, die Entziehung der Lenkberechtigung sei eine "Strafe" iSd Art6 EMRK. Dies ergebe sich schon aus der bisherigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte und werde durch die jüngste Judikatur des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte bestätigt.
2.1. Der Verfassungsgerichtshof hat in seiner bisherigen Judikatur (vgl. VfSlg 16.855/2003), von der abzugehen auch im Hinblick auf die vom Beschwerdeführer zitierte neueste Judikatur des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte kein Anlass besteht, Folgendes ausgesprochen:
"Im Erkenntnis VfSlg 15431/1999 hat der VfGH die zweiwöchige Entziehung der Lenkberechtigung als 'administrative Sicherungsmaßnahme'- und nicht als Strafe - angesehen und dazu ausgeführt (damals zu §73 Abs3 KFG 1967, der Vorgängerbestimmung des §26 Abs3 FSG): '... Auch wenn für sich allein betrachtet diese Maßnahme in ihrer Wirkung für den einzelnen einer Strafe gleichkommen kann, verändert dies nichts an der Qualifikation als Maßnahme und ist die Dauer der Entziehung im Hinblick auf den Zweck dieser Maßnahme nicht unsachlich.' Der VfGH bleibt - gerade auch vor dem Hintergrund der seither ergangenen Rechtsprechung des EGMR - bei seiner schon im zitierten Erkenntnis vertretenen Auffassung, wonach es sich bei der Entziehung der Lenkberechtigung nicht um eine Strafe handelt: Bei der Beurteilung der Frage, ob auch Maßnahmen der Entziehung der Lenkberechtigung als Strafe im Sinne des Art6 EMRK anzusehen sind, nimmt die Judikatur des EGMR - worauf der VwGH in seinen Anträgen ausdrücklich verweist - keine eindeutige und allgemein gültige Abgrenzung vor, sondern zieht vielmehr ganz unterschiedliche Aspekte in die jeweilige Beurteilung des Einzelfalls mit ein. Zur Frage, ob dem Entzug der Lenkberechtigung ein 'ahndender und abschreckender Effekt' innewohnt, ist festzustellen, daß eine solche Entziehung zwar erst ausgesprochen werden darf, wenn 'das Strafverfahren in erster Instanz durch Strafbescheid abgeschlossen ist' (§26 Abs7 FSG) und somit von der materiellen Feststellung des Verschuldens des Kfz-Lenkers abhängig ist, nicht jedoch vom Grad des Verschuldens. Eine Entziehungsmaßnahme, die erst nach Abschluß eines erstinstanzlichen Verwaltungsstrafverfahrens auszusprechen ist, ist aus den schon oben dargestellten Gründen nicht auf einen 'sofortigen Sicherungseffekt' im Sinne einer Maßnahme der polizeilichen Gefahrenabwehr gerichtet. Sie hat vielmehr auch erzieherischen Effekt. Ihr kommt daher die Funktion eines auf einen längeren Zeitraum ausgelegten, der Verkehrserziehung dienenden Sicherungsinstruments zu. Mag einer solchen Erziehungsmaßnahme auch eine gewisse Nähe zum 'ahndenden und tadelnden' Charakter des Verwaltungsstrafrechts nicht abzusprechen sein, so reicht diese Wirkung aber für sich allein gesehen nicht aus, ihr gänzlich Strafcharakter beizumessen (vgl. auch die Unzulässigkeitsentscheidung des EGMR im Fall Blokker vom 7.11.2000, ÖJZ2002/8, in der der EGMR bei Beurteilung einer Maßnahme zur Verkehrserziehung zusätzlich noch auf die Schwere des Eingriffs abstellt und zur Schlußfolgerung gelangt, daß sie einer Strafe nicht gleichzustellen ist). Es fehlt der Entziehungsmaßnahme jenes Maß an 'Schwere und Intensität', bei dem sie im Lichte der Rechtsprechung zu Art6 EMRK (und zu Art4 des 7. ZPEMRK) als Strafe im verfassungsrechtlichen Sinn anzusehen wäre. Im Gegensatz zu jenen Rechtsfolgen, die der EGMR in dem vom VwGH herangezogenen Urteil (im Fall Malige, vom 23.9.1998, ÖJZ1999/22) zu beurteilen hatte, mangelt es den hier zur Rede stehenden Entziehungsmaßnahmen nämlich schon insofern an Gewicht, als diese befristet sind und nicht (wie im Fall Malige) auf eine definitive Ungültigkeit der Lenkberechtigung ausgerichtet sind. Dementsprechend hat der EGMR im Fall Escoubet (vgl. EGMR 28.10.1999, ÖJZ2000/11), bei dem es um die befristete Entziehung der Lenkberechtigung ging, eine solche Eingriffsintensität verneint. […]"
2.2. An dieser Auffassung ändern auch die Urteile des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte im Fall Wagner (EGMR 6.10.2011, Fall Wagner, Appl. 43490/08) und im Fall Toma (EGMR 24.1.2012, Fall Toma, Appl. 1051/06) nichts: Im Fall Wagner hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte – in Fortführung der Judikatur zum Fall Malige – ausgesprochen, dass der automatische Punkteabzug, der letztlich zum Verlust der Lenkberechtigung führen kann, nach einer Verurteilung wegen der Überladung eines Lkw eine Verletzung von Art6 EMRK darstelle, weil der Betroffene über diese Folge der Verurteilung nicht informiert worden sei. Im Urteil vom 24. Jänner 2012, Fall Toma, Appl. 1051/06, hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte ausgesprochen, dass die Annullierung der Lenkberechtigung als Folge einer Verurteilung wegen eines Verkehrsdeliktes eine Strafe iSd Art6 bzw. Art7 EMRK ist.
Da die den genannten Fällen zugrundeliegende Rechtslage mit der österreichischen Rechtslage nicht vergleichbar ist, besteht für den Verfassungsgerichtshof keine Veranlassung, von seiner Rechtsprechung abzugehen.
3. Der Beschwerdeführer versucht die Verletzung zahlreicher weiterer verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte damit zu begründen, dass die belangte Behörde sich an die rechtskräftige Strafverfügung gebunden erachtet. Es könne daher im Verfahren über die Entziehung der Lenkberechtigung nichts mehr vorgebracht werden, was gegen die Strafbarkeit des Beschwerdeführers spricht. Mit dieser Bindung an die Strafverfügung nehme sich der UVS Oberösterreich selbst seine Tribunalqualität. Ein effektives Rechtsmittel stehe dem Beschwerdeführer nicht zur Verfügung, weil die angenommene Bindungswirkung keinen Spielraum für eine eigenständige Beurteilung der Sach- und Rechtslage durch die Berufungsbehörde im Verfahren über die Entziehung der Lenkberechtigung lasse.
3.1. Gemäß §7 Abs3 FSG stellt unter anderem die Übertretung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit eine "bestimmte Tatsache" iSd §7 Abs1 FSG dar (zur verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit dieser Regelung vgl. VfSlg 15.431/1999). Die Entscheidung, ob eine solche "bestimmte Tatsache" vorliegt, ist daher für die Behörden im Verfahren über die Entziehung der Lenkberechtigung eine Vorfrage iSd §38 AVG (vgl. zur früheren Rechtslage VfSlg 10.375/1985, aber auch die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zB VwGH 18.01.2000, 99/11/0299; 24.04.2001, 2001/11/0101). Sofern die Verwaltungsstrafbehörde darüber rechtskräftig entschieden hat, entfaltet diese Entscheidung über die Vorfrage Bindungswirkung gegenüber der Führerscheinbehörde. Diese Bindungswirkung ist allerdings mit jener, welche sich aus dem mit Erkenntnis VfSlg 12.504/1990 aufgehobenen §268 ZPO ergab, nicht vergleichbar.
Daran ändert auch der Umstand nichts, dass sich im vorliegenden Fall die Entziehung auf eine rechtskräftige Strafverfügung stützt. Es wäre dem Beschwerdeführer nämlich freigestanden, diese zu bekämpfen und im Verwaltungsstrafverfahren alles ihm dienlich Scheinende vorzubringen.
Ebensowenig lässt sich die Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte damit begründen, dass der Beschwerdeführer nicht auf die Entziehung der Lenkberechtigung in der Strafverfügung hingewiesen wurde. Durch den fehlenden Hinweis wurde der Beschwerdeführer weder faktisch noch rechtlich gehindert, alle ihm zur Verfügung stehenden Mittel zu ergreifen, um die Strafverfügung der Bezirkshauptmannschaft Kirchdorf an der Krems zu bekämpfen.
Das im Verfahren über die Entziehung der Lenkberechtigung zur Verfügung stehende Rechtsmittel ist entgegen den Beschwerdebehauptungen nicht wirkungslos. So kann etwa die Berufungsbehörde die Frage beurteilen, ob tatsächlich eine rechtskräftige Bestrafung des Betroffenen vorliegt.
3.2. Der Beschwerdeführer wurde somit durch die Annahme der Bindung an die rechtskräftige Strafverfügung nicht in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten – somit auch nicht in durch die GRC garantierten Rechten – verletzt.
4. In der Beschwerde wird weiters vorgebracht, der Beschwerdeführer sei durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf eine mündliche Verhandlung verletzt worden.
4.1. Wie unter Punkt 2. ausgeführt, stellt die Entziehung der Lenkberechtigung keine Strafe iSd Art6 EMRK dar, sondern eine administrative Maßnahme. Eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts auf eine mündliche Verhandlung gemäß Art6 EMRK kommt daher nicht in Betracht.
5. Schließlich erachtet sich der Beschwerdeführer durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt, weil das Verbot des Lenkens von vierrädrigen Leichtkraftfahrzeugen und Invalidenkraftfahrzeugen nicht hätte ausgesprochen werden dürfen. Der UVS Oberösterreich habe insoweit §32 Abs1 FSG denkunmöglich angewendet und das Tatbestandsmerkmal "entsprechend den Erfordernissen der Verkehrssicherheit" nicht geprüft. Außerdem sei der angefochtene Bescheid mangelhaft begründet.
5.1. Angesichts der verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit der angewendeten Rechtsvorschriften und des Umstandes, dass kein Anhaltspunkt dafür besteht, dass die Behörde diesen Vorschriften fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt hat, könnte der Beschwerdeführer im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz nur verletzt worden sein, wenn die Behörde Willkür geübt hätte.
Ein willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außer-Acht-Lassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 8808/1980 mwN, 14.848/1997, 15.241/1998 mwN, 16.287/2001, 16.640/2002).
5.2. Ein solcher in die Verfassungssphäre eingreifender Fehler ist der belangten Behörde aber nicht vorzuwerfen. Gemäß §32 Abs1 FSG hat die Behörde Personen, die nicht verkehrszuverlässig iSd §7 FSG sind "entsprechend den Erfordernissen der Verkehrssicherheit" das Lenken eines vierrädrigen Leichtkraftfahrzeuges oder Invalidenkraftfahrzeuges ausdrücklich zu verbieten (§32 Abs1 Z1 FSG). Der Beschwerdeführer ist auf Grund einer erwiesenen bestimmten Tatsache gemäß §7 Abs3 Z4 FSG nicht verkehrszuverlässig. Dass der UVS Oberösterreich das Verbot gemäß §32 Abs1 Z1 FSG für den Erfordernissen der Verkehrssicherheit entsprechend hält, ist aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht zu beanstanden.
5.3. Der angefochtene Bescheid ist darüber hinaus ausreichend und denkmöglich begründet.
5.4. Der Beschwerdeführer wurde daher auch nicht im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt.
IV. Ergebnis und damit zusammenhängende Ausführungen
1. Die behauptete Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte hat sohin nicht stattgefunden.
2. Das Verfahren hat auch nicht ergeben, dass der Beschwerdeführer in von ihm nicht geltend gemachten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt wurde. Angesichts der Unbedenklichkeit der angewendeten Rechtsgrundlagen ist es auch ausgeschlossen, dass er in seinen Rechten wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm verletzt wurde.
Die Beschwerde ist daher abzuweisen.
3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
Schlagworte
Straßenpolizei, Geschwindigkeitsüberschreitung, Kraftfahrrecht, Lenkberechtigung, Strafe (Verwaltungsstrafrecht), Verwaltungsverfahren, Vorfrage, Bindung (der Verwaltungsbehörden an Tatbestandsmerkmale)European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2013:B1103.2012Zuletzt aktualisiert am
08.08.2014