Zl. S15 435.420-1/2013/5E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Der Asylgerichtshof hat durch die Richterin Mag. Höller als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXX, XXX, StA. Nigeria, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 17.05.2013, Zl. 13 05.517-EAST-Ost, zu Recht erkannt:
Der Beschwerde wird gemäß § 41 Abs. 3 zweiter Satz AsylG 2005 idF BGBl. I Nr. 38/2011 (AsylG) stattgegeben und der bekämpfte Bescheid behoben.
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang und Sachverhalt:
1. Der minderjährige Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Nigeria. Er reiste illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 27.04.2013 einen Antrag auf internationalen Schutz.
2. Anlässlich des gegenständlichen Asylverfahrens hat der Beschwerdeführer bei der niederschriftlichen Erstbefragung am 28.04.2013 bei der Polizeiinspektion EAST Ost in Traiskirchen vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes angegeben, dass er im Jänner des Jahres 2012 mit einem PKW von XXX nach XXX gereist sei. Von dort sei er schlepperunterstützt mit einem PKW nach XXX gereist. Nach einem Aufenthalt von ca. 1 Woche sei er schlepperunterstützt mit einem Schiff in den Libanon gefahren. Im Libanon sei er in einem Haus für 2 Tage untergebracht gewesen. Anschließend sei der Beschwerdeführer mit einem PKW/Taxi bis zur Grenze in die Türkei gereist. Die Grenze in die Türkei hätte er zu Fuß überquert. In weiterer Folge sei er mit einem PKW nach Istanbul gefahren. In Istanbul hätte er ca. 2 Wochen in einem Schlepperquartier verbracht. Danach wäre der Beschwerdeführer mit einem Schiff wieder schlepperunterstützt nach Griechenland gefahren. In Oristiada/Griechenland sei er von der Polizei aufgegriffen worden, ihm seien die Fingerabdrücke abgenommen worden und er sei fotografiert worden. Danach sei er von der Polizei in ein Lager namens Alagapon gebracht worden, wo er auch einen Asylantrag gestellt hätte. Der Beschwerdeführer hätte von den griechischen Behörden keine Hilfe bekommen und ca. 8 Monate auf der Straße in Athen gelebt. Vor etwa zwei Monaten wäre er zu Fuß nach Mazedonien gegangen und weiter über Serbien nach Ungarn. Auf der serbisch/ungarischen Grenze sei er von der ungarischen Polizei aufgegriffen worden, es wären ihm die Fingerabdrücke abgenommen worden, er sei fotografiert worden und hätte einen Asylantrag gestellt. Anschließend sei er in einem Flüchtlingslager namens XXX untergebracht worden. Nach ca. einer Woche, am 26.04.2013, hätte er dieses Lager verlassen und sei mit einem Zug nach Budapest gefahren und von dort aus mit einem weiteren Zug bis in eine ihm unbekannte Stadt in Österreich. In den Abendstunden des 27.04.2013 sei er auf einem ihm unbekannten Bahnhof angekommen. Am Bahnhof hätte er nach dem Weg zum Flüchtlingslager gefragt. Der Beschwerdeführer gab an, in Griechenland und Ungarn einen Asylantrag gestellt zu haben. Von beiden Ländern hätte es keine Entscheidung gegeben.
3. Bei seiner erkennungsdienstlichen Behandlung ergab sich, dass der Beschwerdeführer am 04.07.2012 in Griechenland im Zuge einer Asylantragstellung und am 16.04.2013 in Ungarn im Zuge einer Asylantragstellung erkennungsdienstlich behandelt wurde.
4. Am 01.05.2013 wurde dem Beschwerdeführer, sowie am 30.04.2013 seinem gesetzlichen Vertreter, die beabsichtigte Vorgehensweise des Bundesasylamtes zur Kenntnis gebracht, seinen Antrag auf internationalen Schutz zurückzuweisen sowie das Führen von Dublin Konsultationen mit Ungarn.
5. Mit schriftlicher Erklärung vom 07.05.2013, beim Bundesasylamt eingelangt am 07.05.2013, stimmte Ungarn dem Wiederaufnahmeersuchen gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. c der Dublin II VO ausdrücklich zu.
6. Am 17.05.2013 wurde der Beschwerdeführer beim Bundesasylamt, Erstaufnahmestelle Ost, niederschriftlich einvernommen. Er gab an, dass sich seine Eltern in Nigeria befinden würden und er am 02.08.1995 geboren sei.
7. Mit dem angefochtenen Bescheid des Bundesasylamtes wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Absatz 1 Asylgesetz 2005, BGBl I Nr. 100/2005 (AsylG) idgF, als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass für die Prüfung Antrages auf internationalen Schutz gemäß Artikel 16 Abs. 1 lit. c der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates Ungarn zuständig sei. Gleichzeitig wurde der Beschwerdeführer gemäß § 10 Absatz 1 Ziffer 1 AsylG 2005 aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Ungarn ausgewiesen, und gemäß § 10 Absatz 4 AsylG festgestellt, dass seine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Ungarn zulässig sei.
8. Gegen den Bescheid des Bundesasylamtes wurde fristgerecht Beschwerde erhoben. In der Beschwerde wird vorgebracht, dass sich die rechtliche Beurteilung der belangten Behörde im gegenständlichen Fall als verfehlt erweise, da der EuGH derzeit in einem Vorlageverfahren folgende den Fall des Beschwerdeführers berührende Vorlagefrage prüfe. "Wenn ein Asylwerber, bei dem es sich um einen unbegleiteten Minderjährigen ohne einen sich rechtmäßig in einem anderen Mitgliedstaat aufhaltenden Familienangehörigen handelt, in mehr als einem Mitgliedstaat Asyl beantragt hat, welcher Mitgliedstaat ist dann nach Art. 6 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 zur Prüfung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrages zuständig ist (ABl. L 50, S.1), für die Entscheidung über den Asylantrag zuständig?" (Vorabentscheidungsersuchen des Vereinigten Königreichs an den EuGH betreffend die Anwendung von Art. 6 Abs. 2 der Dublin II - Verordnung - Rechtssache C-648/11; siehe auch den Schlussantrag des Generalanwaltes unter Punkt VI Beilage 1 zur Zulässigkeit der Vorlagefrage). Weiters rügt der Beschwerdeführer die soziale Lage von Flüchtlingen in Ungarn. Die Beschwerde verband der Beschwerdeführer mit dem Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung.
9. Die gegenständliche Beschwerde samt Verwaltungsakt langte am 05.06.2013 beim Asylgerichtshof ein.
10. Mit Beschluss des Asylgerichtshofes vom 07.06.2013, Zl. S15 435.420-1/2013/2Z, wurde der Beschwerde des Beschwerdeführers gemäß § 37 Abs. 1 AsylG 2005 BGBl. I Nr. 100/2005 idgF die aufschiebende Wirkung zuerkannt.
II. Der Asylgerichtshof hat durch die zuständige Richterin wie folgt erwogen:
1. Der Beschwerdeführer ist minderjährig und unbegleitet, reiste aus Nigeria kommend über verschiedene Staaten letztlich über Griechenland und Ungarn in den Bereich der Mitgliedstaaten ein, wo er am 10.04.2013 erstmals einen Asylantrag stellte. Ungarn trat inhaltlich in das Verfahren ein, jedoch wartete der Beschwerdeführer das Verfahren dort nicht ab, sondern reiste illegal in das österreichische Bundesgebiet weiter, wo er am 27.04.2013 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz stellte. Ungarn stimmte dem Wiederaufnahmeersuchen gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. c der Dublin II VO ausdrücklich zu. Ein ihn betreffendes Asylverfahren ist in Ungarn anhängig. Der Beschwerdeführer hat keinen sich im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats rechtmäßig aufhaltenden Familienangehörigen und hat nunmehr in mehr als einem Mitgliedstaat einen Asylantrag gestellt. Derzeit hält er sich seit seiner letzten Asylantragstellung in Österreich auf.
2. Die Feststellungen zum Reiseweg des Beschwerdeführers, zu seinem Aufenthalt in Ungarn sowie Österreich, zu seinen Asylantragstellungen sowie zu seinen persönlichen Verhältnissen ergeben sich aus dem eigenen Vorbringen des Beschwerdeführers iZm der damit im Einklang stehenden Aktenlage. Dass Ungarn ins Asylverfahren inhaltlich eintrat, ergibt sich aus der ausdrücklichen Zustimmungserklärung Ungarns.
3. Rechtlich ergibt sich Folgendes:
3.1. Mit 01.01.2006 ist das AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005, in Kraft getreten und ist auf alle ab diesem Zeitpunkt gestellten Asylanträge idgF anzuwenden.
Im gegenständlichen Fall wurde der Antrag auf internationalen Schutz nach diesem Zeitpunkt gestellt, weshalb § 5 AsylG 2005 idF BGBl. I Nr. 38/2011 zur Anwendung gelangt.
3.2. Zur Frage der Zuständigkeit eines anderen Staates (Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides):
a) Gemäß § 5 Abs. 1 AsylG ist ein nicht gemäß § 4 erledigter Antrag auf internationalen Schutz als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder aufgrund der Dublin II-VO zur Prüfung des Asylantrages oder des Antrages auf internationalen Schutz zuständig ist. Mit dem Zurückweisungsbescheid hat die Behörde auch festzustellen, welcher Staat zuständig ist. Gemäß § 5 Abs. 2 AsylG ist auch nach Abs. 1 vorzugehen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder auf Grund der Dublin II-VO dafür zuständig ist zu prüfen, welcher Staat zur Prüfung des Asylantrages oder des Antrages auf internationalen Schutz zuständig ist. Gemäß § 5 Abs. 3 AsylG ist, sofern nicht besondere Gründe, die in der Person des Asylwerbers gelegen sind, glaubhaft gemacht werden oder bei der Behörde offenkundig sind, die für die reale Gefahr des fehlenden Schutzes vor Verfolgung sprechen, davon auszugehen, dass der Asylwerber in einem Staat nach Abs. 1 Schutz vor Verfolgung findet.
Gemäß § 41 Abs. 3 erster Satz AsylG ist in einem Verfahren über eine Beschwerde gegen eine zurückweisende Entscheidung und die damit verbundene Ausweisung § 66 Abs. 2 AVG nicht anzuwenden. Ist der Beschwerde gegen die Entscheidung des Bundesasylamts im Zulassungsverfahren stattzugeben, ist das Verfahren gemäß § 41 Abs. 3 zweiter Satz AsylG zugelassen. Der Beschwerde gegen die Entscheidung im Zulassungsverfahren ist gemäß § 41 Abs. 3 letzter Satz AsylG auch stattzugeben, wenn der vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint.
Nach Art. 2 Buchst. c, d und h Dublin II-VO bezeichnet der Ausdruck
"c) ¿Asylantrag' den von einem Drittstaatsangehörigen gestellten Antrag, der als Ersuchen um internationalen Schutz eines Mitgliedstaats im Sinne [des am 28. Juli 1951 in Genf unterzeichneten Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge] angesehen werden kann. ...
d) ¿Antragsteller' bzw. ¿Asylbewerber' den Drittstaatsangehörigen, der einen Asylantrag eingereicht hat, über den noch nicht endgültig entschieden worden ist;
...
h) ¿unbegleiteter Minderjähriger' unverheiratete Personen unter 18 Jahren, die ohne Begleitung eines für sie nach dem Gesetz oder dem Gewohnheitsrecht verantwortlichen Erwachsenen in einen Mitgliedstaat einreisen, solange sie sich nicht tatsächlich in der Obhut eines solchen Erwachsenen befinden ..."
Die Dublin II-VO sieht in den Art. 6 bis 14 des Kapitels III Zuständigkeitskriterien vor, die gemäß Art. 5 Abs. 1 Dublin II-VO in der im Kapitel III genannten Reihenfolge Anwendung finden. Gemäß Art. 5 Abs. 2 Dublin II-VO wird bei der Bestimmung des nach diesen Kriterien zuständigen Mitgliedstaats von der Situation ausgegangen, die zu dem Zeitpunkt gegeben ist, zu dem der Asylbewerber seinen Antrag zum ersten Mal in einem Mitgliedstaat stellt. Gemäß Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO kann jeder Mitgliedstaat einen von einem Drittstaatsangehörigen eingereichten Asylantrag prüfen, auch wenn er nach den in dieser Verordnung festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist. Der betreffende Mitgliedstaat wird dadurch zum zuständigen Mitgliedstaat im Sinne dieser Verordnung und übernimmt die mit dieser Zuständigkeit einhergehenden Verpflichtungen.
Art. 6 Dublin II-VO lautet:
"Handelt es sich bei dem Asylbewerber um einen unbegleiteten Minderjährigen, so ist der Mitgliedstaat, in dem sich ein Angehöriger seiner Familie rechtmäßig aufhält, für die Prüfung seines Antrags zuständig, sofern dies im Interesse des Minderjährigen liegt.
Ist kein Familienangehöriger anwesend, so ist der Mitgliedstaat, in dem der Minderjährige seinen Asylantrag gestellt hat, zuständig."
Der EuGH hat in seinem Urteil vom 06.06.2013, C 648/11, folgendes ausgesprochen:
"Der Art. 6 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist, ist dahin auszulegen, dass er unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens, in denen ein unbegleiteter Minderjähriger, der keinen sich im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats rechtmäßig aufhaltenden Familienangehörigen hat, in mehr als einem Mitgliedstaat einen Asylantrag gestellt hat, denjenigen Mitgliedstaat als ¿zuständigen Mitgliedstaat¿ bestimmt, in dem sich dieser Minderjährige aufhält, nachdem er dort einen Asylantrag gestellt hat."
Unter Zugrundelegung des festgestellten Sachverhaltes, wonach es sich bei dem Beschwerdeführer um einen unbegleiteten Minderjährigen handelt, der keinen sich im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats rechtmäßig aufhaltenden Familienangehörigen hat, und der unterdessen in mehr als einem Mitgliedstaat einen Asylantrag gestellt hat, er sich durchgehend und aktuell nach seiner letzten Asylantragstellung in Österreich hier aufhält, ist nach Art. 6 Abs. 2 Dublin II-VO vor dem Hintergrund der oben zitierten Judikatur - schon aus diesem Grund - Österreich zur Durchführung des Asylverfahrens zuständig.
b) Bei diesem Ergebnis erübrigt sich eine nähere Erörterung der Frage, ob Österreich selbst im Falle einer Zuständigkeit Ungarns nicht von seinem Selbsteintrittsrecht nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO zur Vermeidung einer Verletzung der EMRK zwingend Gebrauch hätte machen müssen.
Es war somit spruchgemäß zu entscheiden.
3.3. Gemäß § 41 Abs. 4 AsylG konnte von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen werden.