TE Vfgh Erkenntnis 2013/3/16 SV2/12

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Veröffentlicht am 16.03.2013
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Index

39/01 Finanzinstitutionen, Währungsabkommen

Norm

Vertrag zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM-Vertrag) Art3, Art5, Art8, Art9, Art19, Art25, Art32, Art34, Art35, Art37
B-VG Art140a
B-VG Art7 Abs1
B-VG Art9 Abs2
B-VG Art13 Abs2
B-VG Art18 Abs1
B-VG Art49 Abs2
B-VG Art50, Art50a, Art50b, Art50c
B-VG Art76 Abs1
B-VG Art126b Abs5
B-VG Art142
AEUV Art125
GOG NR §20c, §21, §23, §32f, §32h ff, Anlage 3 (ESM-Informationsordnung)
BGBlG 2004 §5
VfGG §66 Z2

Leitsatz

Abweisung der Anträge der Kärntner Landesregierung auf Feststellung der Rechts- bzw Verfassungswidrigkeit des ESM-Vertrags samt Auslegungserklärung, in eventu einzelner seiner Bestimmungen; vorgebrachte Bedenken betreffend eine Unionsrechtswidrigkeit sowie Bedenken im Hinblick auf den Gleichheitsgrundsatz, das Gebot eines nachhaltig geordneten Haushalts, den Grundsatz der Sparsamkeit, Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit der Verwaltungsführung als auch der Überschreitung des verfassungsgesetzlich zulässigen Maßes der Übertragung einzelner Hoheitsrechte auf internationale Organe nicht zutreffend; Auslegungserklärung nicht als gesetzesändernd oder gesetzesergänzend zu qualifizieren; innerstaatliche Genehmigung des Nationalrates daher nicht erforderlich

Spruch

Die Anträge werden abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Antragsvorbringen, Vorverfahren und mündliche Verhandlung

1. Die Kärntner Landesregierung beantragt, gemäß Art140a B-VG festzustellen,

"dass

1.              der Vertrag zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus zwischen dem Königreich Belgien, der Bundesrepublik Deutschland, der Republik Estland, Irland, der Hellenischen Republik, dem Königreich Spanien, der Französischen Republik, der Italienischen Republik, der Republik Zypern, dem Großherzogtum Luxemburg, Malta, dem Königreich der Niederlande, der Republik Österreich, der Portugiesischen Republik, der Republik Slowenien, der Slowakischen Republik und der Republik Finnland, BGBI. III Nr 138/2012, samt der 'Auslegungserklärung' der Vertreter der Vertragsparteien vom
27. September 2012, BGBI. III Nr 138/2012, zur Gänze rechts- bzw. verfassungswidrig ist,

2.              in eventu: dass

a)              Art5 Abs6 litb und die Wortfolge '..., sofern der Gouverneursrat nicht unter besonderen Umständen eine anderweitige Ausgabe beschließt' in Art8 Abs2 letzter Satz des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus

und/oder

b)              Art9 Abs2 und 3 und die Wortfolge '..., der nach Maßgabe des Artikels 9 Absatz 3 abgerufen wird' in Art25 Abs1 litc sowie Art25 Abs2 und 3 des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus

              oder in eventu:

Art9 Abs2 und die Wortfolge '2 oder' in Art25 Abs2 erster Satz des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus

              oder in eventu:

Art9 Abs3 und die Wortfolge '..., der nach Maßgabe des Artikels 9 Absatz 3 abgerufen wird' in Art25 Abs1 litc sowie die Wortfolge 'oder 3' in Art25 Abs2 erster Satz des Vertrags zur Einrichtung des EuropäischenStabilitätsmechanismus

und/oder

c)              die Wortfolge 'und beschließen, sie zu ändern' in Art19 des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus

und/oder

d)              Art25 Abs2 und 3 […] des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus

und/oder

e)              die Wortfolge 'der Vorsitzende des Gouverneursrats, die Mitglieder des
Gouverneursrats,' in Art35 Abs1 und die Wortfolge 'des Vorsitzenden des
Gouverneursrats, der Mitglieder des Gouverneursrats,' in Art35 Abs2 des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus

und/oder

f)              die Wortfolge 'und sämtliche Unterlagen, die sich im Eigentum oder im Besitz des ESM befinden' in Art32 Abs5 des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus

und/oder

g)              die Wortfolge 'Mitglieder und' in Art34 erster Satz des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus

und/oder

h)              die 'Auslegungserklärung' der Vertreter der Vertragsparteien vom 27. September 2012, BGBl III Nr 138/2012,

rechts- bzw. verfassungswidrig ist."

2. Zur Begründung ihrer Antragslegitimation verweist die Kärntner Landesregierung auf Art140a iVm Art140 Abs1 zweiter Satz B-VG und Art139 Abs1 zweiter Satz B-VG und darauf, dass der Vertrag zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus (im Folgenden: ESMV) als gesetzesrangiger Staatsvertrag im Bundesgesetzblatt unter BGBl III 138/2012 kundgemacht und am 27. September 2012 in Kraft getreten ist.

3.1. In der Sache begründet die Kärntner Landesregierung ihren Hauptantrag wie folgt (Zitat ohne Hervorhebungen im Original):

"[…] Zu den Verfassungsmäßigkeitsbedenken:

1. Zum Antrag auf Feststellung, dass der gegenständliche Staatsvertrag samt 'Auslegungserklärung' zur Gänze rechts- bzw. verfassungswidrig ist:

1.a.) Bedenken zur Transformation der 'Auslegungserklärung'

In der mit BGBl III Nr 138/2012 erfolgten Kundmachung des Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus (im Folgenden kurz: ESMV) wird nach einleitender Promulgationsklausel der Genehmigungsbeschluss des Nationalrates gemäß Art50 Abs1 Z1 B-VG, der Beschluss zur Sonderkundmachung anderer Sprachfassungen dieses Staatsvertrages gemäß Art49 Abs2 B-VG und der Vertragstext in deutscher Sprachfassung verlautbart. In der Kundmachung wird in weiterer Folge über das Datum der Hinterlegung der Ratifikationsurkunde durch die Republik Österreich, über das In-Kraft-Treten des Staatsvertrages und darüber informiert, welche anderen Vertragsparteien nach Mitteilung des Generalsekretärs des Rates der Europäischen Union den gegenständlichen Staatsvertrag ratifiziert, angenommen oder genehmigt haben. Im Anschluss an diese Informationen wird vor Fertigung der Kundmachung Folgendes verlautbart:

'Ferner haben die Vertreter der Vertragsparteien, die am 27. September 2012 in Brüssel zusammengetreten sind, folgende Auslegungserklärung vereinbart:

Art8 Abs5 des Vertrages zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus (im Folgenden 'Vertrag') begrenzt sämtliche Zahlungsverpflichtungen der ESM-Mitglieder aus dem Vertrag in dem Sinne, dass keine Vorschrift des Vertrags so ausgelegt werden kann, dass sie ohne vorherige Zustimmung des Vertreters des Mitglieds und Berücksichtigung der nationalen Verfahren zu einer Zahlungsverpflichtung führt, die den Anteil am genehmigten Stammkapital des jeweiligen ESM-Mitglieds gemäß der Festlegung in Anhang II des Vertrags übersteigt.

Art32 Abs5, Art34 und Art35 Abs1 des Vertrages stehen der umfassenden Unterrichtung der nationalen Parlamente gemäß den nationalen Vorschriften nicht entgegen.

Die oben genannten Punkte stellen eine wesentliche Grundlage für die Zustimmung der vertragschließenden Staaten dar, durch die Bestimmungen des Vertrags gebunden zu sein.'

Der Text dieser — im Gefolge des Urteils des Bundesverfassungsgerichts der Bundesrepublik Deutschland vom 12. September 2012 (BVerfG, 2 BvR 1390/12) — von den Vertretern der Vertragsparteien des ESMV am 27. September 2012 vereinbarten 'Auslegungserklärung' war naturgemäß noch nicht Inhalt der Regierungsvorlage (1731 BlgStenProtNR XXIV.GP) und damit nicht Gegenstand der Beschlussfassung des Nationalrates am 4. Juli 2012 bzw. des Bundesrates am 6. Juli 2012. Allerdings wurde dieses Dokument nachträglich keiner parlamentarischen Genehmigung gemäß Art50 B-VG zugeführt, sondern ohne Genehmigung in dem am 28. September 2012 ausgegebenen Bundesgesetzblatt unter einem mit dem ESMV verlautbart.

Dass der 'Auslegungserklärung' jedenfalls völkerrechtliche Relevanz zukommt, wird durch folgende Umstände belegt: Mit E-Mail vom 27. September 2012, das im Wege der Verbindungsstelle der Bundesländer den Landesamtsdirektoren zur Kenntnis gebracht wurde, teilte die Ständige Vertretung Österreichs bei der EU mit, dass in einer Sitzung der Vertreter der ESM-Vertragsparteien die in der Beilage angeschlossene Erklärung ohne Diskussion angenommen worden sei. Als Beilage war ein Ratsdokument vom 26. September 2012 angeschlossen, in dem u.a. Folgendes ausgeführt wird:

'On 14 September, the Eurogroup agreed, that the parties to the Treaty could, as a follow-up to the above mentioned judgement [Anmerkung: das Urteil des deutschen Bundesverfassungsgerichts vom 12. September 2012 betreffend Vereinbarkeit des Ratifikationsgesetzes zum ESMV mit der Verfassung], adopt a declaration interpreting how certain provisions of the Treaty should be applied once it enters into force, the elements of which constitute an essential basis for the consent of the contracting States to be bound by the provisions of the Treaty. The Presidency will, on behalf of all Parties, notify accordingly the General Secretariat of the Council in its quality of the Depositary of the Treaty.'

Im genannten Ratsdokument ist in der Folge der vorbereitete Text der Erklärung in den einzelnen Vertragssprachen wiedergegeben, wobei auffällt, dass — sieht man von einem anderen Datum des Treffens ab — die Erklärung mit dem Satz eingeleitet wird, dass die Vertreter der Vertragsparteien des ESMV 'agree on the following interpretative declaration' ('vereinbaren folgende Auslegungserklärung'). Danach folgt der im Bundesgesetzblatt wiedergegebene Text mit dem bemerkenswerten Schlusssatz, die Erklärungspunkte zu Art8 Abs5, Art32 Abs5, Art34 und Art35 Abs1 [ESMV] […] 'stellen eine wesentliche Grundlage für die Zustimmung der vertragschließenden Staaten dar, durch die Bestimmungen des Vertrags gebunden zu sein.'

Damit ist die Intention ersichtlich, der im erwähnten Urteil des deutschen Bundesverfassungsgerichts aufgenommenen Maßgabe Rechnung zu tragen, dass der [ESMV] [...] nur ratifiziert werden darf,

'wenn zugleich völkerrechtlich sichergestellt wird, dass

[…] die Regelung des Artikel 8 Absatz 5 Satz 1 des Vertrages zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus sämtliche Zahlungsverpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland aus diesem Vertrag der Höhe nach auf die in Anhang Il des Vertrages genannte Summe in dem Sinne begrenzt, dass keine Vorschrift dieses Vertrages so ausgelegt werden kann, dass für die Bundesrepublik Deutschland ohne Zustimmung des deutschen Vertreters höhere Zahlungsverpflichtungen begründet werden;

[…] die Regelungen der Artikel 32 Absatz 5, Artikel 34 und Artikel 35 Absatz 1 des Vertrages zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus nicht der umfassenden Unterrichtung des Bundestages und des Bundesrates entgegenstehen.'

In der Begründung führte das Bundesverfassungsgericht aus, die Bundesrepublik Deutschland müsse 'deutlich zum Ausdruck bringen, dass sie an den ESM-Vertrag insgesamt nicht gebunden sein kann, falls sich der von ihr geltend gemachte Vorbehalt als unwirksam erweisen sollte' (vgl. BVerfG, 2 BvR 1390/12, Abs253 und 259).

Aus dem Vorgesagten ergibt sich, dass die 'Auslegungserklärung' auf einer Vereinbarung der Vertragsparteien beruht und ihr — unter dem Eindruck des Urteils des Bundesverfassungsgerichts — besondere völkerrechtliche Relevanz für die Auslegung und Anwendung des ESMV beigemessen wird, ja die Bindung an den ESMV und damit das Schicksal dieses Vertrages von der Beachtung der Erklärungspunkte abhängig gemacht werden. Die Vertragsstaaten haben damit die 'Auslegungserklärung' in einen untrennbaren Zusammenhang mit dem ESMV gestellt.

Angesichts ihrer völkerrechtlichen Beachtlichkeit erscheint daher befremdlich, dass die 'Auslegungserklärung', die ebenfalls von der Republik Österreich mitgetragen wird, ohne parlamentarische Genehmigung abgegeben ('vereinbart') und innerstaatlich nicht einer ordnungsgemäßen Transformation gemäß Art50 B-VG unterzogen wurde. Dies widerspricht der herrschenden Staatspraxis zu Art50 B-VG, wie sie sonst im Fall von völkerrechtlichen Vorbehalten bzw. interpretativen Erklärungen üblicherweise eingehalten wird. Zu dieser Praxis führen Cede/Brand (Der völkerrechtliche Vertrag — Ein Leitfaden für die österreichische Praxis, Occasional Paper der Diplomatischen Akademie, 2/1997, S. 15) im Einzelnen aus:

'In Österreich erfahren Vorbehalte und interpretative Erklärungen innerstaatlich dasselbe rechtliche Schicksal wie der betreffende Vertrag selbst. Vorbehalte oder interpretative Erklärungen, die Österreich anlässlich der Ratifikation eines multilateralen Übereinkommens abzugeben beabsichtigt, werden verfahrensmäßig in der gleichen Weise wie der Vertrag, auf den sie Bezug haben, behandelt. Bei Staatsverträgen gemäß Art50 B-VG werden allfällige Vorbehalte oder interpretative Erklärungen zusammen mit dem Übereinkommen dem parlamentarischen Genehmigungsverfahren unterzogen. In aller Regel genehmigt das Parlament die ihm geschäftsordnungsgemäß übermittelten völkerrechtlichen Instrumente pauschal und vorbehaltslos. Von dieser Staatspraxis wurde jedoch in seltenen Einzelfällen abgewichen, in denen der Nationalrat beispielsweise die von der Bundesregierung vorgeschlagenen interpretativen Erklärungen in Vorbehalte umgeändert hat. Dies erfolgte etwa im Rahmen des Genehmigungsverfahrens der Zusatzprotokolle zu den Genfer Abkommen vom 12. August 1949 über den Schutz der Opfer internationaler bewaffneter Konflikte (Protokoll I) und nichtinternationaler bewaffneter Konflikte (Protokoll II) (BGBl Nr 527/1982).'

Unter der Prämisse, dass ein Staatsvertrag nach Art50 B-VG eine parlamentarische Rechtssatzform darstellt erachtet es Öhlinger für folgerichtig, einseitige völkerrechtliche Rechtsgeschäfte, die in einem formalen Zusammenhang mit einem Staatsvertrag stehen (wie etwa Vorbehalte und interpretative Erklärungen), als 'Akte der Modifikation eines parlamentarisch genehmigten bzw. zu genehmigenden Staatsvertrages ebenfalls der parlamentarischen Genehmigung zu unterwerfen. Dies impliziert die Subsumtion solcher Akte unter den Staatsvertragsbegriff des B-VG' (vgl. Öhlinger, in: Korinek/Holoubek, Österreichisches Bundesverfassungsrecht, zu Art50 B-VG, Rz 14). lm Hinblick auf die Gleichstellung der gesetzeskoordinierten Staatsverträge mit den formellen Bundesgesetzen gehe die österreichische Praxis — so Öhlinger — nicht nur verfassungsrechtlich korrekt von der parlamentarischen Genehmigungsbedürftigkeit eines Vorbehalts aus, sondern auch davon, dass der Nationalrat einen Vorbehalt abändern und sogar auf seine Initiative hin beschließen dürfe (a.a.O., Rz 101).

In Bezug auf die gemeinsame Abgabe der gegenständlichen 'Auslegungserklärung' durch die Vertreter der Vertragsparteien vom 27. September 2012 wurde — wie oben dargestellt — unter Missachtung bundesverfassungsrechtlicher Erfordernisse (Genehmigung des Nationalrates unter Mitwirkung des Bundesrates nach Art50 B-VG) die parlamentarische Genehmigung und damit die Einhaltung einer innerstaatlichen Erzeugungsbedingung unterlassen. Da die 'Auslegungserklärung' den Inhalt des gesetzesrangigen ESMV modifiziert (Anwendung des Art8 Abs5 [ESMV] [...] zur Begrenzung sämtlicher Zahlungsverpflichtungen, so auch aus Art25 Abs2 erster Satz ESMV; Begründung einer Ausnahme in Art32 Abs5, Art34 und Art35 Abs1 ESMV zugunsten der umfassenden Unterrichtung nationaler Parlamente; beachte untenstehende Ausführungen unter Pkt. 2.d. und 2.f. und g.) kann ferner davon ausgegangen werden, dass diese — nicht gesetzeskoordinierte (mithin verordnungsrangige) — Erklärung (schlicht) gesetzwidrig ist (vgl. Öhlinger, a.a.O. Rz 60). Ferner erscheint die Kundmachung der 'Auslegungserklärung' im BGBI. III Nr 138/2012 nach Art49 Abs2 B-VG verfassungswidrig, weil sie, obschon nicht parlamentarisch genehmigt, unter einem mit dem nach Art50 Abs1 B-VG genehmigten ESMV unter dem gemeinsamen 'Kopf' der Promulgationsklausel und dem unter Z1 wiedergegebenen Genehmigungsbeschluss des Nationalrates gemäß Art50 Abs1 Z1 B-VG verlautbart worden ist; zum anderen auch deshalb, weil für die anderen Sprachfassungen der bloß in deutscher Sprache verlautbarten 'Auslegungserklärung' eine Beschlussfassung über die Sonderkundmachung gemäß Art49 Abs2 zweiter Satz B-VG — entgegen dem Wortlaut des im 'Kopf' unter Z2 wiedergegebenen Beschlusses des Nationalrates — unterblieben ist.

Da die 'Auslegungserklärung' ausdrücklich 'vereinbart' wurde und nicht im Sinne des Art2 Abs1 litd WVK in Form einer einseitigen Erklärung bei der Unterzeichnung, Ratifikation, Annahme oder Genehmigung eines Vertrags oder beim Beitritt abgegeben wurde, liegt es nahe, in diesem Dokument eine Zusatzvereinbarung zum ESMV zu erblicken, die mit diesem in einem inhaltlich untrennbaren Zusammenhang steht. Erklärtermaßen bilden die materiellen Punkte der 'Auslegungserklärung' eine 'wesentliche Grundlage für die Zustimmung der vertragschließenden Staaten [...], durch die Bestimmungen des Vertrags gebunden zu sein.' Unter (impliziter) Bezugnahme auf die 'clausula rebus sic stantibus' als Grund zur Beendigung des ESMV gemäß Art62 Abs1 lita des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge [WVK], BGBI. 40/1980, ist damit zum Ausdruck gebracht worden, dass die völkerrechtliche Bindungswirkung des gesamten ESMV mit den inhaltlichen Maßgaben der 'Auslegungserklärung' stehen und fallen solle (nach Art44 Abs2 WVK kann ein nach der WVK anerkannter Grund dafür, einen Vertrag u.a. zu beenden, grundsätzlich nur hinsichtlich des gesamten Vertrages geltend gemacht werden). Aus diesen Gründen wird im Licht der oben dargelegten verfassungsrechtlichen Bedenken beantragt, die Rechtswidrigkeit des gesamten Transformats (ESMV samt 'Auslegungserklärung') festzustellen.

1.b.) Bedenken betreffend den Staatsvertragsinhalt als solchen

In einer Presseaussendung vom 17. Juli 2012, veröffentlicht auf der Homepagedes Bundespräsidenten, führte Bundespräsident Dr. Heinz Fischer Folgendes aus […]:

'Bundespräsident Dr. Heinz Fischer hat heute am 17. Juli 2012 auf Basis der einschlägigen Bestimmungen der Österreichischen Bundesverfassung und nach sorgfältiger Prüfung aller Gesichtspunkte die von der Bundesregierung und vom Parlament genehmigten Staatsverträge betreffend den sogenannten Fiskalpakt und den Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) ratifiziert.

Überzeugende oder gar zwingende, Gründe, die im Sinne, der herrschenden Staatsrechtslehre eine Verweigerung der Ratifizierung erforderlich machen würden, nämlich offenkundige Verfassungswidrigkeit in verfahrensrechtlicher oder materieller Hinsicht, liegen nicht vor.

Außerdem ist darauf zu verweisen, dass eine von der Opposition gewünschte und in Vorbereitung befindliche Überprüfung durch den Verfassungsgerichtshof nur dann möglich ist, wenn der Bundespräsident das Ratifikationsverfahren durch seine Unterschrift abgeschlossen hat.

In diesem Zusammenhang muss auch auf einen gravierenden Unterschied der Rechtlage zwischen Deutschland und Österreich hingewiesen werden: Ein Vorgehen wie in Deutschland, wonach der Bundespräsident eine Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes abwartet, ist in Österreich nicht möglich, weil der Bundespräsident in Deutschland mit der Ratifizierung auf eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes warten kann, während in. Österreich die Ratifizierung durch den Bundespräsidenten die Voraussetzung für eine Befassung des Verfassungsgerichtshofes ist.

Der Bundespräsident hält darüber hinaus eine Verstärkung der finanzpolitischen Zusammenarbeit zwischen den Euro-Staaten für unverzichtbar, um die Krise zu überwinden und die europäische Wirtschaft aus ihrer schwierigen Situation herauszuführen.'

In einer Begründung zu dieser Aussendung wird unter anderem Folgendes ausgeführt […]:

[…] Die beiden nunmehr dem österreichischen Bundespräsidenten zur Ratifizierung vorliegenden Verträge über Fiskalpakt und ESM sind Staatsverträge, die zwischen den genannten 25 bzw. 17 europäischen Staaten abgeschlossen wurden. Es besteht kein Zweifel daran, dass der Bundespräsident bei der Entscheidung über die Ratifizierung eines Staatsvertrages — analog zur Regelung über die Beurkundung von Bundesgesetzen in Art47 Abs1 B-VG — auch zur Prüfung der Frage verpflichtet ist, ob dieser verfassungsmäßig zustande gekommen ist.

[…]

Eine offenkundige Verfassungswidrigkeit im Sinne der herrschenden Lehre liegt nicht vor. Es gibt bisher auch keine einschlägige Vorjudikatur des Verfassungsgerichtshofes. Entsprechend der herrschenden Lehre liegt daher kein Grund vor, der eine Verweigerung der Ratifizierung rechtfertigen würde.

[...]

Zum verfassungsmäßigen Zustandekommen des ESM wurden seitens der Staatsrechtslehrer, die sich zum Fiskalpakt geäußert haben, keine ins Gewicht fallenden Bedenken geäußert und die Mehrheit im Parlament war in Folge der Zustimmung der Grünen Parlamentsfraktion wesentlich größer. Auch bei der Überprüfung durch die Präsidentschaftskanzlei sind keine entsprechenden Bedenken hervorgekommen.'

Dieses Kommuniqué lässt darauf schließen, dass der Bundespräsident als das nach Art65 Abs1 erster Satz B-VG staatsvertragsabschlussbefugte Organ — wohl auf Grund eines Missverständnisses dieser Zuständigkeit und offenbar in Verwechslung mit der Funktion der Beurkundung im Verfahren der Bundesgesetzgebung nach Art47 Abs1 B-VG — nur eine Art Grobprüfung auf 'offenkundige' Verfassungswidrigkeiten vorgenommen hat und sich, da er solche nicht zu erkennen vermochte, gar zur Ratifikation des ESMV verhalten gesehen hat. Damit hat der Bundespräsident den ESMV ratifiziert, ohne dabei von der ihm zukommenden Befugnis Gebrauch zu machen, im Staatsvertragsabschlussverfahren (nicht offenkundige) Verfassungswidrigkeiten aufzugreifen und einen bestimmten Staatsvertrag entgegen einem Vorschlag nach Art67 Abs1 B-VG eben nicht abzuschließen.

(Verfassungs)rechtliche Bedenken gegen den ESMV in seiner Gesamtheit ergeben sich aus Sicht der antragstellenden Landesregierung unter folgenden Aspekten:

Bedenken im Lichte des Unionsrechts und zur Wahl des Transformationsverfahrens

Der ESMV modifiziert die sog. 'No-Bail-out-Klausel' des Art125 Abs1 zweiter Satz AEUV, die ein unmittelbar anwendbares Verbot beinhaltet und nach ihrer Entstehungsgeschichte sowie ihrem Sinn und Zweck die Mitgliedstaaten zu einer disziplinierten Haushaltsführung anhalten soll (vgl. Rodi in: Vedder/Heintschel von Heinegg [Hrsg], Europäisches Unionsrecht1 [2012] Art125 AEUV Rz 1; gleichsinnig etwa Faßbender, NVwZ2010, 800; Kube/Reimer, NJW 2010, 1911 ff.; Hentschelmann, Finanzhilfen im Lichte der No Bailout-Klausel — Eigenverantwortung und Solidarität in der Währungsunion, EuR 2001, 282 ff.). Nach dieser Bestimmung haftet ein Mitgliedstaat nicht für die Verbindlichkeiten der Zentralregierungen, der regionalen oder lokalen Gebietskörperschaften oder anderer öffentlich-rechtlichen Körperschaften, sonstiger Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder öffentlicher Unternehmen eines anderen Mitgliedstaats und tritt nicht für derartige Verbindlichkeiten ein; eine Ausnahme ist nur für eine — hier nicht einschlägige — 'gemeinsame Durchführung eines bestimmten Vorhabens' statuiert.

Mit — auf Art48 Abs6 EUV gestütztem — Beschluss des Europäischen Rates vom 25. März 2011 zur Änderung von Art136 AEUV, ABI. Nr L 91 vom 06.04.2011, S. 1, wird dem Art136 AEUV ein eigener Abs3 angefügt, nach dem die Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist, einen Stabilitätsmechanismus einrichten können, der aktiviert wird, wenn dies unabdingbar ist, um die Stabilität des Euro-Währungsgebietes insgesamt zu wahren; die Gewährung aller erforderlichen Finanzhilfen im Rahmen des Mechanismus wird strengen Auflagen unterliegen. Dieser Beschluss, der nach seinem Art2 erst nach Zustimmung der Mitgliedsstaaten im Einklang mit ihren jeweiligen verfassungsrechtlichen Vorschriften in Kraft treten wird, gehört gegenwärtig noch nicht formell dem Rechtsbestand an (und wurde bislang auch nicht im Bundesgesetzblatt kundgemacht).

Der künftige Art136 Abs3 AEUV mag nach seinem Inkrafttreten allenfalls als unionsrechtliche lex specialis zum Grundsatz der Refinanzierung öffentlicher Defizite über den Kapitalmarkt und insbesondere zum erwähnten 'Bail-out-Verbot' gelten. Im Zeitpunkt der parlamentarischen Genehmigung und Ratifikation des ESMV kam dieser Bestimmung mitnichten primärrechtlicher Charakter zu. Überdies liegt die Annahme nahe, im ESMV einen völkerrechtlichen Vertrag zur 'Ergänzung des unionalen Integrationsprogramms' und mithin gleichsam 'völkerrechtliches Ersatzunionsrecht' (vgl. zu diesen Zitaten BVerfG, 2 BvR 1390/12, Rz 257) zu erblicken. Hiefür sprechen der enge förmliche Konnex zu Titel Vlll AEUV (Wirtschafts- und Währungspolitik) sowie die intensive Einbeziehung von Unionsorganen in die Vollziehung des ESMV. Unter Zugrundelegung einer materiellen Betrachtungsweise wäre es daher angezeigt gewesen, im ESMV einen Staatsvertrag zu erblicken, durch den die vertraglichen Grundlagen der Europäischen Union geändert werden (Art50 Abs1 Z2 B-VG), und ihn somit nach den besonderen Quoren gemäß Art50 Abs4 B-VG zu behandeln. Dies ist jedoch nicht geschehen. Stattdessen hat das Parlament den ESMV lediglich als einen Staatsvertrag nach Art50 Abs1 Z1 und Abs3 B-VG behandelt; es scheint sich damit bei der Wahl des Transformationsverfahrens in verfassungsrechtlich bedenklicher Weise vergriffen zu haben.

Ungeachtet der genannten verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Transformation wirft der ESMV im Licht des künftigen Art136 Abs3 AEUV einige unionsrechtliche Fragen auf. So wird eine Ausnahme zum 'Bail-out-Verbot' des Art125 AEUV nicht explizit zugelassen, obschon der ESM demgegenüber als 'permanenter Stabilitätsmechanismus, der maroden Staaten systematisch unter die Arme greift' (so Cl. Mayer, JRP 2012, 124), eingerichtet wird.

Ferner spricht Art136 Abs3 AEUV abstrakt von einem 'Stabilitätsmechanismus', der aktiviert werden solle, 'wenn dies unabdingbar ist, um die Stabilität des EuroWährungsgebiets insgesamt zu wahren.' Im Unterschied dazu fällt etwa auf, dass Art3 und Art12 Abs1 ESMV ausdrücklich die Zwecksetzung verfolgen, nicht nur die Finanzstabilität des Euro-Währungsgebietes insgesamt zu wahren, sondern auch die seiner Mitgliedstaaten. Im Übrigen muss der Kreis der nach Art12 Abs1 ESMV begünstigten ESM-Mitglieder nicht mit jenem der Euro-Mitgliedstaaten identisch sein (siehe Art48 ESMV und den gegenwärtigen Ratifikationsstand).

Bedenken im Hinblick auf die fachlichen Grundlagen

Ratifikation und Inhalt des ESM erscheinen in mehrfacher Hinsicht unsachlich sowie im Widerspruch zu den (unmittelbar anwendbaren und bindenden) Grundsätzen der sparsamen, wirtschaftlichen und zweckmäßigen Verwaltungsführung (Art126b Abs5 B-VG) und zur Staatszielbestimmung des Art13 Abs2 B-VG betreffend einen nachhaltig geordneten Haushalt.

Die mit dem ESMV bewirkte Kapitalzeichnung der Republik Österreich in der Höhe von ca. 19,5 Mrd. Euro (siehe Anlage II ESMV) erreicht einen Wert in der Höhe von etwa 10% der gegenwärtigen Staatsverschuldung Österreichs. Da das Maß der gebotenen Sorgfalt (insbesondere die Pflicht zur detaillierten Erhebung und Aufbereitung von Entscheidungsgrundlagen; vgl. etwa VfSlg 17.161/2004) mit dem Gewicht der Entscheidung (hier also mit dem eingesetzten Vermögenswert) steigt, wären vor einer Ratifikation des ESMV umfangreiche volkswirtschaftliche Expertisen und Untersuchungen, insbesondere über Alternativen notwendig gewesen. Es ist nicht ersichtlich, dass im Vorfeld der Ratifikation des ESMV durch Österreich eine entsprechende volkswirtschaftliche Grundlagenforschung stattgefunden hätte (siehe dagegen die allgemeine Feststellung des Bundespräsidenten in seinem Kommuniqué vom 17. Juli 2012, wonach eine verstärkte finanzpolitische Zusammenarbeit zwischen den Euro-Staaten 'unverzichtbar' sei).

Nach Art3 erster Satz ESMV bezweckt der ESM, 'Finanzmittel zu mobilisieren und ESM-Mitgliedern, die schwerwiegende Finanzierungsprobleme haben oder denen solche Probleme drohen, unter strikten, dem gewählten Finanzhilfeinstrument angemessenen Auflagen eine Stabilitätshilfe bereitzustellen, wenn dies zur Wahrung der Finanzstabilität des Euro-Währungsgebietes insgesamt und seiner Mitgliedstaaten unabdingbar ist.' Die Konstruktion des ESMV stellt allerdings nicht etwa eine Art 'Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit' dar, was man bei oberflächlicher, am Vertragswortlaut klebender Betrachtung vielleicht unterstellen könnte. Vielmehr handelt es sich um einen 'permanente[n] Stabilitätsmechanismus, der maroden Staaten systematisch unter die Arme greift' (so Cl. Mayer, JRP 2012, 124), ja gleichsam um eine 'societas leonina', innerhalb welcher (volkswirtschaftlich potente) ESM-Mitglieder, die über eine relativ solide und disziplinierte öffentliche Haushaltsführung verfügen, durch ihr 'Einstehen' zugunsten von ESM-Mitgliedern, die schwerwiegende Finanzierungsprobleme haben oder denen solche Probleme drohen, die Mobilisierung von Finanzmitteln und die Bereitstellung von Stabilitätshilfe ermöglichen sollen. In der bisherigen Entwicklung stellt der ESMV lediglich die Fortschreibung und Perpetuierung bisheriger Maßnahmen der Finanzhilfe (für Griechenland, Irland, Portugal, Spanien, Zypern) dar, insbesondere für Staaten, die ihrer unionsrechtlichen Verpflichtungen zur Vermeidung übermäßiger öffentlicher Defizite in der Vergangenheit nicht bzw. unzulänglich nachgekommen sind (siehe Art126 AEUV; Art1 des Protokolls Nr 12 über das Verfahren bei einem übermäßigen Defizit). Die Privilegierung eines rechtswidrig handelnden Staatenkreises, wie sie durch den ESM bewirkt wird, erscheint unsachlich und im Widerspruch zum Gleichheitssatz (vgl. analog VfSlg 14.681/1996).

Gegen die Sachlichkeit der Regelungen des ESMV spricht ferner der Umstand, dass Österreich als 'Hochsteuerland', dessen Abgabenquote rund 42 % (2011) beträgt, an einem Finanzhilfsinstrumentarium für Staaten teilnimmt, die zumindest teilweise eine erheblich niedrigere Abgabenquote bzw. eine weniger effektive Finanzverwaltung aufweisen (wie dies etwa im Falle Griechenlands notorisch ist; vgl. etwa Knopp, NVwZ2011, 1481). So liegen die Abgabenquoten dringender Kandidaten für ESM-Hilfen deutlich niedriger als jene Österreichs ([…]): Griechenland 31,6 %, Irland 28,9 %, Portugal 33,2 %, Spanien 31,1 % und Zypern 36,2 %. Mithin läuft der ESMV für die Republik Österreich letztlich darauf hinaus, mittels nationaler Abgabenerträge die Stabilitätshilfe von ESM-Mitgliedern zu finanzieren, die über eine deutlich niedrigere Abgabenquote bzw. über geringere Steuermoral verfügen.

Eine weitere systemische Unsachlichkeit des ESMV kann in der Divergenz der Belasteten- und Begünstigtenkreise erblickt werden, weil am ESM lediglich die Euro-Staaten teilnehmen, nicht jedoch andere EU-Mitglieder (wie etwa das Vereinigte Königreich) oder sonstige europäische Staaten (wie etwa die Schweiz), die von 'Rettungspaketen' zur Hintanhaltung potenzieller volkswirtschaftlicher Verwerfungen jedenfalls profitieren (man denke beispielhaft an die Schweizer Exportindustrie und britische Investmentfonds), die jedoch ihrerseits keinen Haftungsbeitrag zu leisten haben. Die Beschränkung des Kreises der Vertragsparteien des ESMV erscheint mithin grob unsachlich. Zwar wird nicht verkannt, dass souveräne Staaten nicht zu einer Mitwirkung gezwungen werden können, jedoch wäre es für Österreich naheliegend gewesen, sich nicht auf die überproportionale Übernahme von Haftungsanteilen im ESM einzulassen.

Abschluss und Inhalt des ESMV erscheinen ferner unsachlich, weil sie der Staatszielbestimmung des Art13 Abs2 B-VG, einen nachhaltig geordneten Haushalt anzustreben, sowie Art126 Abs1 AEUV und Art1 des Protokolls (Nr 12) über das Verfahren bei einem übermäßigen Defizit (sog. 'Maastrichtkriterien') zuwiderlaufen. Ferner wird — schon mangels volkswirtschaftlicher Grundlagenforschung (siehe oben) — dem Gebot der sparsamen, wirtschaftlichen und zweckmäßigen Verwaltungsführung (Art126b Abs5 B-VG) nicht hinreichend Rechnung getragen. Österreichs Schuldenstand liegt mit 74,2 % des BIP deutlich über dem höchstzulässigen Schuldenstand von 60 % des BIP. Mit der Teilnahme am ESM und der Erfüllung der Verpflichtungen nach Art8 Abs4 ESMV entfernt sich Österreich noch erheblich weiter von der Grenze unionsrechtlich zulässiger Staatsverschuldung und von der verfassungsrechtlichen Zielsetzung eines nachhaltig geordneten Haushalts. Hinzu kommt die Unwägbarkeit der Nachschusspflicht gemäß Art8 Abs4 letzter Satz ESMV, die unter den Bedingungen des ESMV jederzeit möglich ist. Die Erfüllung dieser Verpflichtung könnte auch in eine Zeitphase fallen, in der — aus welchen Gründen auch immer — in Österreich eine außerordentliche Budgetsituation herrscht und die damit als 'Unzeit' zu qualifizieren ist. Die jederzeit mögliche Nachforderung eines kurzfristig bereitzustellenden Geldbetrages in der Höhe von 18 Mrd. Euro (gemessen am derzeitigen Bundeshaushalt sind dies ca. 30% der Bundeseinnahmen) würde offensichtlich die Nachhaltigkeit und Geordnetheit des Bundeshaushaltes gefährden.

Schließlich ist zu bedenken, dass sich der österreichische Bundesgesetzgeber — im Gefolge des Verlustes des AAA-Ratings der Ratingagentur Standard & Poor's — gerade erst im Frühjahr 2012 zu einem weitreichenden 'Konsolidierungspaket 2012 — 2016' (Steuererhöhungen und Einsparungen, einschließlich der Reduktion der staatlichen Bausparförderung; vgl. 1. Stabilitätsgesetz 2012, BGBl I Nr 22/2012, 2. Stabilitätsgesetz 2012, BGBl Nr I 35/2012) veranlasst gesehen hat. Dieses 'Sparpaket' umfasst — gerechnet auf vier Jahre — ein Volumen von rund 26 Mrd. Euro. Nur wenige Monate später geht jedoch die Republik Österreich mit der Ratifikation des ESMV eine Haftungsverpflichtung in der Höhe von ca. 19,5 Mrd. Euro ein. Das skizzierte zeitliche Naheverhältnis zwischen dem 'Konsolidierungspaket 2012 — 2016', dem Verlust des AAA-Ratings sowie der Ratifikation des ESMV legen nahe, dass die Teilnahme am ESM erhebliche Gegensteuerungsmaßnahmen erforderlich gemacht hat. Da sich nach dem Motivenbericht zu Art13 Abs2 B-VG (RV 203 BIgStenProtNR XXIII. GP, S. 5) die Staatszielbestimmung zu nachhaltig geordneten Haushalten gerade auf eine Haushaltsführung richtet, 'die mittel- bis langfristig ohne erhebliche Gegensteuerungsmaßnahmen aufrecht erhaltbar ist', wird evident, dass das Eingehen der Verpflichtungen des ESMV der Verfassungsvorgabe eines nachhaltig geordneten Haushaltes widerspricht.

Bedenken im Hinblick auf die Übertragung von Hoheitsrechten

Insbesondere folgende Hoheitsrechte werden durch den [ESMV] [...] an internationale Organe übertragen:

?              der Abruf von genehmigtem, nicht eingezahltem Stammkapital gemäß Art9 Abs1 bis 3 ESMV (zur Sanktionierung siehe Art4 Abs8 ESMV);

?              die Erhöhung des genehmigten Stammkapitals gemäß Art10 ESMV und die damit verbundene Änderung von Art8 und Anhang II ESMV;

?              Delegation von Aufgaben an die Europäische Kommission im Benehmen mit der EZB (Art13 Abs1 und 3 ESMV);

?              Dispositionen über die ebenfalls durch die Republik Österreich zur Verfügung gestellten Kapitalanteile (passim; siehe insbesondere Art13 Abs2 und Art14 ffESMV);

?              Erlassung von Leitlinien für Modalitäten der einzelnen Finanzhilfefazilitäten (siehe die Art14 Abs4, 15 Abs4, 16 Abs4, 17 Abs4 und 18 Abs5 ESMV);

?              Änderung der Liste der Finanzhilfeinstrumente nach den Art14 bis 18 ESMV (Ergänzung um nicht näher determinierte, weitere Instrumente) durch Beschluss des Gouverneursrats (siehe Art19 ESMV);

?              Überwachung der Einhaltung der Auflagen, die bei Gewährung der Finanzhilfefazilität auferlegt wurden (siehe Art13 Abs7 ESMV);

?              der jederzeit mögliche und verbindliche revidierte erhöhte Kapitalabruf gemäß Art25 Abs2 ESMV;

?              die Entscheidung über alle Auslegungs- und Streitfragen aus dem völkerrechtlichen Vertragsverhältnis. Hiebei sind (außerösterreichischen) zwischenstaatlichen Einrichtungen folgende Befugnisse übertragen:

o               Alle Fragen der Auslegung und Anwendung des ESMV und der ESM-Satzung zwischen Österreich und dem ESM oder zwischen ESM-Mitgliedern werden dem Direktorium des ESM vorgelegt (Art37 Abs1).

o               Über Streitigkeiten betreffend die Auslegung und Anwendung des ESMV zwischen Österreich und dem ESM und/oder weiteren ESM-Mitgliedern entscheidet der Gouverneursrat (Art37 Abs2); dies gilt gleichfalls für Streitigkeiten darüber, ob Beschlüsse von ESM-Organen mit dem ESMV vereinbar sind. Wenn solche Entscheidungen Österreich betreffen, käme Österreich im Gouverneursrat kein Stimmrecht zu (Art37 Abs2 letzter Satz ESMV).

o               Über die Rechtmäßigkeit von Entscheidungen des Gouverneursrats urteilt der EuGH endgültig und für die Streitparteien 'verbindlich' mit Folgeleistungspflicht (Art37 Abs3 ESMV).

Auslegungs- und Streitbeilegungsregelungen erfassen zentrale Fragen des ESMV, wie beispielsweise die Nachschusspflicht bei Zahlungsunfähigkeit einzelner Mitglieder (Art25 Abs2 ESMV) oder die Änderung (Ausweitung) der Finanzhilfeinstrumente des ESM (Art19 ESMV).

Mit der dargestellten Übertragung einer Vielzahl von Hoheitsrechten an internationale Organe wird das Maß 'einzelner' übertragbarer Hoheitsrechte im Sinne des Art9 Abs2 B-VG erheblich überschritten. Die Übertragung von Hoheitsrechten fällt umso mehr ins Gewicht, als der ESMV einerseits ein Austritts- oder Kündigungsrecht nicht vorsieht und andererseits einzelne der an die ESM-Organe erteilten Ermächtigungen einer inhaltlichen Determinierung entbehren und damit auf eine formatgesetzliche Delegation hinauslaufen (siehe die Eventualanträge zu Art8 Abs2 letzter er Setz und Art, 19 ESMV). Der ESMV erscheint daher auch im Licht des Art, 9 Abs2 B-VG — und zwar mangels Herauslösbarkeit: in seiner Gesamtheit – verfassungswidrig."

3.2. Ihre Eventualanträge begründet die Kärntner Landesregierung folgendermaßen (Zitat ohne die im Original enthaltenen Hervorhebungen):

"a) Zum Eventualantrag, Art5 Abs6 litb und die Wortfolge "..., sofern der Gouverneursrat nicht unter besonderen Umständen eine anderweitige Ausgabe beschließt' in Art8 Abs2 letzter Satz ESMV als verfassungswidrig festzustellen:

Während nach Art8 Abs2 zweiter Satz ESMV Anteile des genehmigten Stamm-kapitals am anfänglich gezeichneten Stammkapital zum Nennwert ausgegeben werden, eröffnet der letzte Satz dieser Bestimmung die Möglichkeit, andere Anteile nicht zum Nennwert, sondern zum Ausgabekurs auszugeben; dies 'unter besonderen Umständen', wenn der Gouverneursrat im gegenseitigen Einver-nehmen die Auflage neuer Anteile zu anderen Konditionen als zum Nennwert beschließt (Art5 Abs6 litb ESMV).

Diese besondere Dispositionsbefugnis des Gouverneursrats kann im Extremfall dazu führen, den Haftungsrahmen der Mitgliedstaaten nach Art8 Abs5 erster Satz ESMV, der auf deren Anteile am Stammkapital 'zum Ausgabekurs' und nicht zum Nennwert abstellt, in extenso auszureizen, ohne dass es einer Änderung des ESMV oder einer Veränderung des genehmigten Stammkapitals nach Art10 Abs1 in Verbindung mit Art5 Abs6 litd ESMV durch einvernehmlichen Beschluss des Gouverneursrats bedürfte.

Entgegen der Vorgabe des Art50a B-VG, wonach der Nationalrat in Angelegen-heiten des ESM mitwirkt, wird für den Fall der Beschlussfassung des Gouverneursrats nach Art5 Abs6 litb und Art8 Abs2 letzter Satz ESMV eine Mitwirkungsbefugnis des Nationalrates nicht vorgesehen, zumal die abschlie-ßend geregelten Zustimmungserfordernisse des Nationalrates nach Art50b B-VG diesen besonderen Fall nicht berücksichtigen. In Ermangelung parlamentari-scher Informations- und Mitwirkungsbefugnisse in Bezug auf die Auflage neuer Anteile zu anderen Konditionen nach Art5 Abs6 litb und Art8 Abs2 letzter Satz ESMV besteht daher ein Widerspruch zu Art50a B-VG.

Zudem erscheint die Wortfolge 'unter besonderen Umständen' in Art8 Abs2 letzter Satz ESMV infolge ihrer inhaltlichen Unbestimmtheit im Licht des Legali-tätsprinzips (Art18 Abs1 B-VG) verfassungsrechtlich bedenklich, weil sie dem Gouverneursrat einen weitreichenden Vollzugsspielraum einräumt. Vielmehr würde eine Ausweitung der Haftungs- bzw. Zahlungspflicht der Vertragsparteien des [ESMV] [...] über die Erhöhung des Ausgabekurses einen dem Regelungsgegenstand adäquaten (strengeren) Determinierungsgrad verlangen, als er mit der bestehenden Formulierung 'unter besonderen Umständen' erreicht wird. Art9 Abs2 B-VG ermächtigt zwar — in Durchbrechung des Staatsorganisationsrechts — zur Übertragung einzelner Hoheitsrechte auf zwischenstaatliche Einrichtungen, dispensiert jedoch nicht von den materiellen Anforderungen des österreichi-schen Verfassungsrechts, wie hier dem Legalitätsprinzip.

b) Zu den Eventualanträgen, Art9 Abs2 und 3 ESMV und bezughabende Wortfolgen in Art25 Abs1 litc und in Abs2 sowie Abs3 ESMV als verfas-sungswidrig festzustellen:

Neben der Befugnis des Gouverneursrats, nach Art9 Abs1 ESMV genehmigtes nicht eingezahltes Kapital jederzeit abzurufen und den ESM-Mitgliedern eine angemessene Frist für dessen Einzahlung zu setzen, werden das Direktorium bzw. der Geschäftsführende Direktor nach Art9 Abs2 und Abs3 ESMV er-mächtigt, genehmigtes nicht eingezahltes Kapital abzurufen.

Nach Art9 Abs2 ESMV kann das Direktorium genehmigtes nicht eingezahltes Kapital durch Beschluss mit einfacher Mehrheit abrufen und den ESM-Mitgliedern eine angemessene Frist für dessen Einzahlung setzen; dies, um die Höhe des eingezahlten Kapitals wiederherzustellen, wenn diese durch das Auf-fangen von Verlusten unter den in Art8 Abs2 [ESMV] [...] festgelegten Betrag abgesunken ist. Nach Art9 Abs3 erster Satz ESMV ruft der Geschäftsführende Direktor genehmigtes nicht eingezahltes Kapital rechtzeitig ab, damit der ESM bei planmäßigen oder sonstigen fälligen Zahlungsverpflichtungen gegenüber Gläubigern des ESM nicht in Verzug gerät. ESM-Mitglieder sind nach Art9 Abs3 letzter Satz ESMV 'unwiderruflich und uneingeschränkt' verpflichtet, das vom Geschäftsführenden Direktor abgerufene Kapital innerhalb von sieben Tagen ab Erhalt der Aufforderung einzuzahlen.

Während der Gouverneursrat nach Art9 Abs1 i.V.m. Art5 Abs6 litc ESMV einen Kapitalabruf 'im gegenseitigen Einvernehmen' und damit im Konsens aller (stimmberechtigten) ESM-Mitglieder zu beschließen hat, können Kapitalabrufe, die nach Art9 Abs2 oder 3 durch das Direktorium oder den Geschäftsführen-den Direktor vorgenommen werden, auch gegen den Willen eines ESM-Mitglieds erfolgen. Ein widerstrebendes ESM-Mitglied müsste freilich seiner Zahlungsver-pflichtung nachkommen, andernfalls es nach Art4 Abs8 ESMV eine Aussetzung sämtlicher Stimmrechte bis zum Zahlungszeitpunkt zu gewärtigen hätte.

Die Möglichkeit, dass die Republik Österreich im Fall eines Kapitalabrufs nach Art9 Abs2 oder 3 ESMV unter Umständen auch gegen ihren Willen zur Einzah-lung verhalten wäre, kann dazu führen, dass die Mitwirkungsbefugnis des Nationalrates in Angelegenheiten des ESM nach Art50a und Art50b Z2 B-VG leer läuft.

Die Regelung des Art9 Abs2 ESMV steht im Widerspruch zu Art50a B-VG, weil infolge des Erfordernisses der einfachen Mehrheit eine Ablehnung durch den österreichischen Vertreter im Gouverneursrat — anders als im Abstimmungsver-fahren nach Art9 Abs1 ESMV — nicht automatisch eine positive Beschlussfassung über den Kapitalabruf verhindert, jedoch dem Nationalrat eine effektive Mitwirkung in Bezug auf eine solche Beschlussfassung verwehrt ist. Ebenso begegnet ein Kapitalabruf gemäß Art9 Abs3 ESMV verfassungsrechtlichen Bedenken nach Art50a und Art50b Z2 B-VG, nachdem in diesem Zusammenhang nicht einmal ein Abstimmungsverfahren und damit die Mitwirkung des österreichischen Vertreters vorgesehen ist, sondern die Alleinzuständigkeit des Geschäftsführenden Direktors zum Tragen kommt. Dass der Bundesverfassungsgesetzgeber bei der Beschlussfassung der Art50a ff. B-VG die Fallkonstellationen des Art9 Abs2 und 3 [ESMV] [...] stillschweigend in Kauf genommen hätte, ist nicht ersichtlich, zumal er die Mitwirkung des Nationalrates in Bezug auf Entscheidungen der Organe des ESM regeln wollte, die potenziell weitreichende Auswirkungen auf den österreichischen Bundeshaushalt haben können (vgl. den Bericht des Verfassungsausschusses, 1878 d.B. StenProtNR XXIV. GP, S. 2); zudem ging er — offenbar irrtümlich — von der Prämisse aus, dass für den Kapitalabruf gemäß Art50b Z2 B-VG ein Dringlichkeitsabstimmungsverfahren analog zu Art4 Abs4 ESMV nicht vorgesehen sei (siehe a.a.O., S. 3 und 5). Nachdem für die Mitwirkung des Nationalrates in Angelegenheiten gemäß Art9 Abs2 und 3 [ESMV] [...] verfassungsrechtliche (Ausnahme-)Regelungen nicht vorgesehen worden sind, erscheinen die genannten staatsvertraglichen Bestimmungen mit Verfassungswidrigkeit belastet.

Die Eventualanträge beziehen sich auf jeweils bezughabende Wortfolgen in Art25 Abs1 litc, Art25 Abs2 und Abs3 ESMV, zumal die genannten Bestimmun-gen auf Art9 Abs2 bzw. Abs3 ESMV abstellen und mit diesen in einem unauflösbaren Zusammenhang stehen.

c) Zum Eventualantrag, die Wortfolge 'und beschließen, sie zu ändern' in Art19 ESMV als verfassungswidrig festzustellen:

Nach Art19 ESMV kann der Gouverneursrat die in den Art14 bis 18 ESMV vorgesehene Liste der Finanzhilfeinstrumente überprüfen und beschließen, sie zu ändern. Zu welchem Zweck, unter welchen Voraussetzungen bzw. in welcher Form die Befugnis zur Änderung des Finanzhilfeinstrumentariums stattfinden soll, bleibt im Einzelnen unbestimmt.

Art9 Abs2 B-VG ermächtigt zwar — in Durchbrechung des Staatsorganisations-rechts — zur Übertragung einzelner Hoheitsrechte auf zwischenstaatliche Einrichtungen, dispensiert jedoch nicht von den materiellen Anforderungen des österreichischen Verfassungsrechts, wie hier dem Legalitätsprinzip. Das durch den ESM nutzbare Finanzhilfeinstrumentarium, das letztlich haushaltsrelevante Belastungen für die Republik Österreich als Vertragspartei des ESMV auslösen kann, würde nach einem dem Regelungsgegenstand adäquaten (strengeren) Determinierungsgrad verlangen.

d) Zum Eventualantrag, Art25 Abs2 und 3 ESMV als verfassungswidrig festzu-stellen:

Falls ein ESM-Mitglied die auf Grund eines Kapitalabrufs gemäß Art9 Abs2 oder 3 [ESMV] [...] erforderliche Einzahlung nicht vornimmt, bestimmt Art25 Abs2 erster Satz ESMV, dass an alle ESM-Mitglieder ein revidierter erhöhter Kapitalabruf ergeht, um sicherzustellen, dass der ESM die Kapitaleinzahlung in voller Höhe erhält. Sowohl Wortlaut, Zweck (Hintanhaltung einer Kapitalunterdeckung des ESM) als auch die Systematik dieser Bestimmung (im Regelungszusammenhang des Art25 ESMV mit der Überschrift 'Deckung von Verlusten') deuten darauf hin, dass Art25 Abs2 erster Satz ESMV — als eine Art 'Nachschusspflicht' —eine lex specialis zur haftungsbeschränkenden Regelung des Art, 8 Abs5 erster Satz ESMV darstellt ('Die Haftung eines jeden ESM-Mitglieds bleibt unter allen Umständen auf seinen Anteil am genehmigten Stammkapital zum Ausgabekurs begrenzt.'; siehe ferner Anhang II ESMV, wonach die Kapitalzeichnung der Republik Österreich auf 19 483 800 000,— Euro lautet).

Da Zweifel über die Reichweite der Einzahlungspflicht nach Art2, 5 Abs2 erster Satz ESMV bestehen, wird damit das nach dem Legalitätsprinzip nach Art18 Abs1 B-VG verfassungsrechtlich gebotene Maß inhaltlicher Bestimmtheit unter-schritten. Diese Regelungsunschärfe wiegt umso schwerer, als sich ein Staatsorgan, das den Grundsätzen der Wirtschaftlichkeit, Sparsamkeit und Zweckmäßigkeit gemäß Art126b Abs5 B-VG verpflichtet ist und nach Art13 Abs2 B-VG einen nachhaltig geordneten Haushalt anzustreben hat, — angesichts der gravierenden finanziellen Implikationen einer die Haftungsbeschränkung nach Anhang II ESMV möglicherweise überschreitenden Zahlungsverpflichtung — nicht auf die Vereinbarung einer derartigen staatsvertraglichen Regelung einlassen hätte dürfen.

Dass die von den Vertretern der Vertragsparteien am 27. September 2012 ver-einbarte 'Auslegungserklärung' Zweifel an einer Begrenzung sämtlicher Zahlungsverpflichtungen gemäß Art8 Abs5 ESMV auf eine innerstaatlich rechtsverbindliche Weise ausräumt, wird auf Grund der zu dieser Erklärung (oben unter Pkt. 1.a.) zur Transformation der 'Auslegungserklärung' dargelegten Bedenken bestritten.

Der vorliegende Eventualantrag bezieht sich überdies auf Art25 Abs2 zweiter und letzter Satz und Abs3 ESMV, weil die genannten Bestimmungen mit Art25 Abs2 erster Satz ESMV in einem unauflösbaren Zusammenhang stehen.

e) Zum Eventualantrag die Wortfolge 'der Vorsitzende des Gouverneursrats, die Mitglieder des Gouverneursrats,' in Art35 Abs1 ESMV und die Wortfolge 'des Vorsitzenden des Gouverneursrats, der Mitglieder des Gouverneursrats,' in Art35 Abs2 ESMV als verfassungswidrig festzustellen:

Innerhalb des ESM kommen dem Gouverneursrat nach Art5 Abs6 und 7 ESMV wesentliche Entscheidungsbefugnisse zu. Nach Art5 Abs1 ESMV ernennt jedes ESM-Mitglied ein Mitglied des Gouverneursrats, wobei das Mitglied des Gouver-neursrats 'ein Regierungsmitglied des jeweiligen ESM-Mitglieds mit Zuständigkeit für die Finanzen' ist. Der Vorsitz des Gouverneursrats wird nach Art5 Abs2 ESMV entweder dem Präsidenten der Euro-Gruppe übertragen oder aus dem Kreis der Mitglieder des Gouverneursrats gewählt. Art35 Abs1 ESMV bestimmt, dass im Interesse des ESM unter anderem der Vorsitzende des Gouverneursrats sowie die Mitglieder des Gouverneursrats Immunität von der Gerichtsbarkeit hinsichtlich ihrer in amtlicher Eigenschaft vorgenommenen Handlungen und Unverletzlichkeit hinsichtlich ihrer amtlichen Schriftstücke und Unterlagen genießen.

Die Republik Österreich als ESM-Mitglied wird im Gouverneursrat nach Art5 Abs1 dritter Satz ESMV durch den Bundesminister für Finanzen vertreten. Die Anwendung des Art35 Abs1 ESMV hätte die persönliche Immunität des Bun-desministers für Finanzen in seiner Eigenschaft als Mitglied des Gouverneursrats vor dem Verfassungsgerichtshof als Staatsgerichtshof nach Art142 Abs2 litb B-VG zur Folge. Damit begründet Art35 Abs1 ESMV im Rahmen seines Anwen-dungsbereichs eine Ausnahme zur rechtlichen Verantwortlichkeit eines Mitgliedes der Bundesregierung nach Art76 Abs1 B-VG, wie sie sonst innerhalb des parlamentarischen Regierungssystems die Regel ist. Da für die Tätigkeit des Bundesministers für Finanzen als Mitglied des Gouverneursrats eine bundesver-fassungsrechtliche Ausnahmebestimmung nicht vorgesehen ist, bestehen gegen Art35 Abs1 ESMV verfassungsrechtliche Bedenken. Soweit ersichtlich, wurde der Verpflichtung nach Art35 Abs4 ESMV, eine eigene Umsetzungsmaßnahme (hier: Ausnahmebestimmung) zu erlassen, innerstaatlich bislang nicht nachge-kommen.

Dieselben verfassungsrechtlichen Bedenken gelten für die Fallkonstellation, dass der Bundesminister für Finanzen zum Vorsitzenden des Gouverneursrats bestellt wird.

Weitere verfassungsrechtliche Bedenken, die gegen die Unverletzlichkeit amtli-cher Schriftstücke und Unterlagen des Vorsitzenden des Gouverneursrats sowie der Mitglieder des Gouverneursrats nach Art35 Abs1 ESMV bestehen, werden unten unter Pkt. 2.f. und g. in Bezug auf die verfassungsrechtlich vorgesehenen Informations- und Mitwirkungsrechte des Nationalrates nach Art50a ff. B-VG dargelegt.

Der vorliegende Eventualantrag bezieht sich überdies auf eine mit Art35 Abs1 ESMV inhaltlich korrespondierende Wortfolge in Art35 Abs2 ESMV.

f) und g) Zu den Eventualanträgen, die Wortfolge 'und sämtliche Unterlagen, die sich im Eigentum oder im Besitz des ESM befinden' in Art32 Abs5 sowie die Wortfolge 'Mitglieder und' in Art34 ESMV als verfassungswidrig festzustellen:

Sämtliche Unterlagen, die sich im Eigentum oder im Besitz des ESM befinden, sind nach Art32 Abs5 ESMV unverletzlich. Nach Art34 ESMV dürfen u.a. die Mitglieder des Gouverneursrats keine der beruflichen Schweigepflicht unterliegenden Informationen wei-tergeben. Im Zusammenhang mit der persönlichen Immunität der Organwalter des ESM (u.a. Mitglieder des Gouverneursrats und der Vorsitzende des Gouver-neursrats) sieht Art35 Abs1 [ESMV] [...] die Unverletzlichkeit hinsichtlich ihrer amtlichen Schriftstücke und Unterlagen vor.

Die vorgenannten Bestimmungen gelten absolut und ermangeln einer Ausnah-mevorschrift zugunsten der nationalen Parlamente (Art30 Abs5 ESMV, wonach der Gouverneursrat u.a. den nationalen Parlamenten den jährlichen Prüfbericht des Prüfungsausschusses zugänglich zu machen hat, kann hier außer Betracht bleiben). Sie stehen deshalb im Widerspruch zu den Informations- und Mitwir-kungsrechten des Nationalrates nach Art50a ff. B-VG. Die Beschlussfassung des Nationalrates über eine Ermächtigung des österreichischen Vertreters nach Art50b B-VG und über die Wahrnehmung weiterer Mitwirkungszuständigkeiten nach Art50d Abs2 B-VG setzt nämlich voraus, dass der Nationalrat über dieje-nigen Informationen verfügt, die er für eine Beurteilung der wesentlichen Grundlagen und Folgen seiner Willensbildung benötigt. Dieses umfassende Informationsbedürfnis gilt ebenso für jene ständigen Unterausschüsse des mit der Vorberatung von Bundesfinanzgesetzen betrauten Nationalratsausschusses, denen nach Art50d Abs3 B-VG Zuständigkeiten des Nationalrates nach Art50b und 50d Abs2 B-VG übertragen werden.

Ferner sind den Informationsverpflichtungen der Vollziehung gegenüber dem Nationalrat bzw. den nach Art50d Abs3 B-VG zuständigen Unterausschüssen Einschränkungen fremd, wie sie die Art32 Abs5, 34 und 35 Abs1 ESMV enthal-ten: Art50c Abs1 erster Satz B-VG sieht vor, dass der zuständige Bundesminister den Nationalrat unverzüglich in Angelegenheiten des ESM gemäß den Bestimmungen des Bundesgesetzes über die Geschäftsordnung des Nationalrates zu unterrichten hat (siehe hiezu §1 der Anlage 3 zum Geschäfts-ordnungsgesetz 1975, wonach die Unterrichtung des Nationalrates in Angelegenheiten des ESM 'insbesondere durch Informationen, Dokumente und Vorschläge für Beschlüsse' zu erfolgen hat; zur Dokumentenübermittlung siehe ferner §4 der Anlage 3). Nach Art50c Abs2 letzter Satz B-VG hat der zuständi-ge Bundesminister dem Nationalrat nach der Abstimmung unverzüglich Bericht zu erstatten und ihm gegebenenfalls die Gründe mitzuteilen, aus denen der österreichische Vertreter eine Stellungnahme in Angelegenheiten des ESM nicht berücksichtigt hat (vgl. §2 und — zur Dokumentenübermittlung — §4 der Anlage 3 zum Geschäftsordnungsgesetz 1975). Schließlich hat der zuständige Bundesminister nach Art50c Abs3 B-VG dem Nationalrat regelmäßig über die im Rahmen des ESM getroffenen Maßnahmen zu berichten.

Der nach Art50c Abs1 erster Satz, Abs2 letzter Satz und Abs3 B-VG zuständi-ge Bundesminister, der nach Art5 Abs1 dritter Satz ESMV zugleich österreichischer Vertreter im Gouverneursrat ist, könnte den vorgenannten bundesverfassungsrechtlichen Informationsverpflichtungen — die keine Ausnah-me vorsehen — bei Anwendung der Vorschriften des Art32 Abs5, 34 und 35 Abs1 ESMV nicht voll nachkommen.

Die Vertreter der Vertragsparteien haben zwar am 27. September 2012 in Form einer 'Auslegungserklärung' vereinbart, dass Art32 Abs5, Art34 und Art35 Abs1 [ESMV] [...] der umfassenden Unterrichtung der nationalen Parlamente gemäß den nationalen Vorschriften nicht entgegenstehen. Dass dadurch jedoch die kategorischen Formulierungen der genannten staatsvertraglichen Vorschriften in einer innerstaatlich rechtsverbindlichen Weise eingeschränkt werden, wird auf Grund der zur Transformation der 'Auslegungserklärung' oben unter Pkt. 1.a. dargelegten Bedenken bestritten.

h) Zum Eventualantrag, die 'Auslegungserklärung' als rechtswidrig festzustellen:

Hiezu wird auf die oben unter Pkt. 1.a. zur Transformation der 'Auslegungserklä-rung' geäußerten Bedenken verwiesen."

4. Die Bundesregierung erstattete eine Äußerung, in der sie die Zurückweisung, in eventu die Abweisung der Anträge der Kärntner Landesregierung begehrt.

4.1. Die Bundesregierung stellt zunächst überblicksartig die Rechtslage dar:

"[…] Mit dem Vertrag zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus zwischen dem Königreich Belgien, der Bundesrepublik Deutschland, der Republik Estland, Irland, der Hellenischen Republik, dem Königreich Spanien, der Französi-schen

Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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