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16/02 RundfunkNorm
ORF-G §32 Abs1Leitsatz
Verletzung des ORF im Recht auf Meinungsäußerungs- und Rundfunkfreiheit durch Feststellung einer Verletzung der im ORF-Gesetz normierten Freiheit der journalistischen Berufsausübung durch die Aufforderung eines Chefredakteurs in einer E-Mail an journalistische Mitarbeiter zur Vermeidung der Bezeichnung des Attentäters von Oslo als christlichen FundamentalistenRechtssatz
Der ORF ist (als Stiftung öffentlichen Rechts) Träger des Grundrechts der Rundfunkfreiheit. Ebenso wie die Gestaltung von Sendungsinhalten durch einzelne journalistische Mitarbeiter fällt auch die Einflussnahme auf den Inhalt der Berichterstattung durch leitende programmgestaltende Mitarbeiter in den Schutzbereich der Rundfunkfreiheit des ORF. Im Beschwerdefall hat ein Chefredakteur eine E-Mail an journalistische Mitarbeiter geschickt, die zumindest vertretbarerweise als eine solche Einflussnahme gewertet werden kann. Die Feststellung der belangten Behörde, dass die beschwerdeführende Partei dadurch das ORF-G verletzt hat, bildet daher einen Eingriff in deren Rundfunkfreiheit.
Die belangte Behörde ging auf der Grundlage des Wortlauts der E-Mail denkmöglich davon aus, dass die in Rede stehende E-Mail eine - mit der Erwartung der Einhaltung verbundene - Anweisung an die mit der betreffenden Berichterstattung befassten journalistischen Mitarbeiter und nicht lediglich ein Ersuchen oder eine Anregung darstellt. Die belangte Behörde konnte daher annehmen, dass die E-Mail eine solche Intensität der Einflussnahme aufwies, die Voraussetzung dafür ist, dass eine Verletzung des §32 ORF-G in Betracht kommt. Insofern ist der Behörde kein in die Verfassungssphäre reichender Vollzugsfehler vorzuwerfen.
Soweit die belangte Behörde aber von einem Verstoß gegen die Freiheit der journalistischen Berufsausübung nach §32 Abs1 ORF-G ausgeht, unterstellt sie dieser Bestimmung einen verfassungswidrigen Inhalt.
Journalistische Mitarbeiter des ORF genießen die aus Art10 EMRK abzuleitende Freiheit der journalistischen Berufsausübung, die durch das BVG-Rundfunk konkretisiert wird.
Die Freiheit der journalistischen Berufsausübung ist nicht schrankenlos, sondern ihrerseits durch die Rundfunkfreiheit des ORF und insbesondere das Objektivitätsgebot begrenzt. Die Kollision zwischen der individuellen Freiheit der einzelnen journalistischen Mitarbeiter und der ihr insoweit entsprechenden Schutzpflicht einerseits und der Rundfunkfreiheit des ORF andererseits ist durch Abwägung der Interessen im Rahmen von Art10 Abs2 EMRK zum Ausgleich zu bringen; vgl auf einfachgesetzlicher Ebene §33 ORF-G und das auf seiner Grundlage ergangene Redakteursstatut.
Gestützt auf seine Rundfunkfreiheit ist der ORF unter Wahrung der Meinungsfreiheit des einzelnen journalistischen Mitarbeiters jedenfalls berechtigt, auf Sendungsinhalte Einfluss zu nehmen, soweit dies zur Einhaltung der dem ORF verfassungsgesetzlich aufgegebenen Verpflichtung zur Objektivität und Unparteilichkeit der Berichterstattung und zur Berücksichtigung der Meinungsvielfalt erforderlich ist.
Der ORF und die dem einzelnen Mitarbeiter vorgesetzten Organe dürfen - jenseits der Entscheidung, ob ein bestimmter von einem journalistischen Mitarbeiter gestalteter Beitrag überhaupt gesendet wird - auf den Inhalt der Sendung nicht dergestalt Einfluss nehmen, dass Tatsachenmitteilungen in Nachrichtensendungen unterdrückt werden müssen, bestimmte Quellen, wie zB Agenturmeldungen, nicht ausgewertet werden dürfen oder bereits recherchierte Fakten unberücksichtigt bleiben müssen.
Als Voraussetzung für die Feststellung einer Verletzung des ORF-G muss begründbar sein, dass die Freiheit der journalistischen Berufsausübung in unverhältnismäßiger Weise beschränkt wurde, etwa dadurch, dass die Annahme zutrifft, eine anweisende Person habe aus dem Motiv gehandelt, Informationen über bestimmte Tatsachen zu unterdrücken.
Diesen Anforderungen genügt der angefochtene Bescheid nicht.
Die belangte Behörde hätte angesichts der verfassungsrechtlichen Vorgaben dartun müssen, weshalb es mit den Vorgaben des §32 Abs1 ORF-G und damit des Art10 EMRK und des ArtI Abs2 BVG-Rundfunk unvereinbar gewesen sei, beim damaligen Nachrichtenstand auf die Vermeidung der Bezeichnung des Attentäters von Oslo als christlichen Fundamentalisten hinzuwirken. Auch kann dem angefochtenen Bescheid nicht entnommen werden, weshalb in der E-Mail die Anweisung enthalten sein soll, Tatsachen bei der Berichterstattung außer Acht zu lassen; so enthalten die Feststellungen der belangten Behörde auch lediglich eine einzige Meldung der Austria Presseagentur, wonach die Internetseite des Tatverdächtigen eine christlich-fundamentalistische Haltung erkennen lasse.
Vor diesem Hintergrund konnte die belangte Behörde bei verfassungskonformem Verständnis des §32 Abs1 ORF-G nicht davon ausgehen, dass die Aufforderung durch den für die Sendung verantwortlichen Redakteur, eine bestimmte Formulierung nicht zu verwenden, die Freiheit der journalistischen Mitarbeiter in einem Ausmaß beeinträchtigt hätte, das die Feststellung einer Verletzung des ORF-G rechtfertigen würde.
Schlagworte
Rundfunk, Meinungsäußerungsfreiheit, Rundfunkfreiheit, ObjektivitätsgebotEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2013:B518.2012Zuletzt aktualisiert am
08.08.2014