TE Vfgh Beschluss 2012/12/13 B1338/12 ua

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Veröffentlicht am 13.12.2012
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Index

10 VERFASSUNGSRECHT
10/07 Verfassungsgerichtshof, Verwaltungsgerichtshof,
Asylgerichtshof

Norm

VfGG §34
ZPO §530 Abs1, §534
Datenschutz-Richtlinie 95/46/EG
EUV Art4 Abs3

Leitsatz

Abweisung des Antrags auf Wiederaufnahme von Verfahren nach einem Urteil des EuGH betreffend den Verstoß organisationsrechtlicher Bestimmungen der Datenschutzkommission gegen Unionsrecht; Rechtslage zum Zeitpunkt der verfahrensbeendenden Beschlüsse anzuwenden

Spruch

              Der Antrag wird abgewiesen.

Begründung

Begründung:

              1. Mit dem vorliegenden, am 5. November 2012 eingebrachten Antrag begehrt der Einschreiter die Wiederaufnahme der mit hg. Beschluss vom 28. Februar 2006, B1298/05, sowie mit hg. Beschluss vom 11. Oktober 2006, B1378/06, abgeschlossenen Verfahren. Mit den genannten Beschlüssen hatte der Verfassungsgerichtshof jeweils die Behandlung der Beschwerden des (nunmehrigen) Antragstellers gegen zwei Bescheide der Datenschutzkommission abgelehnt. In den beiden Beschwerden hatte der Antragsteller die mit der Richtlinie 95/46/EG unvereinbare Organisation der Datenschutzkommission gerügt und damit einen Verstoß gegen das Grundrecht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter gemäß Art83 Abs2 B-VG geltend gemacht.

              2. Der Einschreiter begründet seinen Antrag mit dem Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 16. Oktober 2012, Rs. C-614/10, Kommission/Österreich: Aufgrund einer Vertragsverletzungsklage der Europäischen Kommission entschied der Gerichtshof der Europäischen Union, dass die Republik Österreich "dadurch gegen ihre Verpflichtung aus Artikel 28 Abs1 Unterabs. 2 der Richtlinie 95/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. Oktober 1995 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr verstoßen [hat], dass sie nicht alle Vorschriften erlassen hat, die erforderlich sind, damit die in Österreich bestehende Rechtslage in Bezug auf die Datenschutzkommission dem Kriterium der Unabhängigkeit genügt".

              3. Im Einzelnen führt der Einschreiter zur Begründung seines Antrages Folgendes aus:

              "3 Rechtsfolgen des Urteils vom 16.10.2012

              Nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes durchbricht Unionsrecht auch die Rechtskraft von nationalen Entscheidungen (EUGH-Urteil Ciola vom 29.04.1999, Rs. C-224/97).

              Umso mehr ist dies dort der Fall, wo, wie hier, kein durch die Entscheidung begünstigter privater Rechtsträger existiert, dessen Vertrauen auf die Rechtskraft innerstaatlicher Entscheidungen zu schützen wäre.

              Schon nach dem Urteil Simmenthal II vom 9.3.1978,

Rs. 106/77, Slg. 1978, 629, hat jedes Gericht in jeder Lage des Verfahrens unionsrechtswidriges nationales Recht zu eliminieren und alle vorhandenen Rechtsmittel und Rechtsmittelmöglichkeiten anzuspannen, um einen dem Gemeinschaftsrecht entsprechenden Rechtszustand herzustellen.

              Der Europäische Gerichtshof unterscheidet in seiner Rechtsprechung von Fall zu Fall, in welchen Fällen Rückwirkung in der Form eintritt, dass durch den Wegfall der anzuwendenden Norm des nationalen Rechts Rückwirkung in dem Sinn eintritt, dass auch die Rechtsfolgen der seinerzeitigen Entscheidung zu beseitigen sind.

              Neben dem bereits erwähnten Gesichtspunkt, ob von der Entscheidung begünstige private Rechtsträger existieren (was hier nicht der Fall ist), stellt der Europäische Gerichtshof fallweise darauf ab, ob der jeweils Betroffene seinerseits die Rechtsverletzung selbst geltend gemacht hat oder nicht.

              Unter Punkt 3 seines Urteiles vom 9. März 2000, Rechtssache C- 437/97 (Getränkesteuer) hat der Europäische Gerichtshof entschieden:

              'Niemand kann sich auf Artikel 3 Absatz 2 der Verbrauchsteuerrichtlinie berufen, um Ansprüche betreffend Abgaben, wie die Steuer auf alkoholische Getränke, die vor Erlass des Urteiles des Europäischen Gerichtshofes in der Rechtssache C437/97 entrichtet wurden oder fällig geworden sind, geltend zu machen, es sei denn, er hätte vor diesem Zeitpunkt Klage erhoben oder einen entsprechenden Rechtsbehelf eingelegt.'

              Der Beschwerdeführer hat in beiden Fällen vor dem Verfassungsgerichtshof umfangreich die (offenkundige) Unvereinbarkeit der Organisation der Datenschutzkommission mit der Datenschutzrichtlinie geltend gemacht und jeweils eine Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofes beantragt. (Wären diese offenkundig gebotenen Vorabentscheidungen eingeholt worden, wäre es nicht zu den Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofes gekommen.

              Der Beschwerdeführer stellt daher den

Antrag

              auf Wiederaufnahme des Verfahrens aus jedem in Betracht kommenden Rechtsgrund der §§529 und 530 ZPO iVm §§34 und 35 VfGG, allenfalls angespannt um unionsrechtlich gebotene Analogien und analoge Rechtsanwendungen

              in eventu, auf Neudurchführung des verfassungsgerichtlichen Verfahrens wegen Wegfalls der seinerzeitigen Entscheidungsgrundlage in Folge unionsrechtlicher Verdrängung.

              Im wiederaufgenommenen Verfahren wird

beantragt,

              den jeweils angefochtenen Bescheid wegen Fehlens

einer Rechtsgrundlage für die belangte Behörde und Entzug des gesetzlichen Richters aufzuheben [...]".

              4. Gemäß §34 VfGG kann eine Wiederaufnahme des Verfahrens unter anderem in Fällen des Art144 B-VG stattfinden. Für die Wiederaufnahme des Verfahrens gelten nach §35 VfGG sinngemäß die Bestimmungen der ZPO (§§530 ff) (vgl. VfSlg. 8972/1980, 9126/1981, 16.511/2002, 17.286/2004 und 17.908/2006).

              4.1. Voraussetzung für die Zulässigkeit eines Wiederaufnahmeantrags ist nach §530 Abs1 ZPO der Abschluss eines Verfahrens durch "eine die Sache erledigende Entscheidung". Eine solche liegt immer schon dann vor, wenn durch sie das Verfahren beendet wird. Nach ständiger Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes ist ein Beschluss, mit dem die Behandlung einer Beschwerde gemäß Art144 Abs2 B-VG abgelehnt wird - wie in den beiden nach dem Antrag des Einschreiters wieder aufzunehmenden Verfahren -, als verfahrensbeendende Entscheidung im Sinne dieser Bestimmung zu qualifizieren (VfSlg. 16.511/2002, 17.908/2006). Der Einschreiter war Verfahrenspartei in den beiden nach seinem Antrag wieder aufzunehmenden Verfahren und stellt innerhalb der vierwöchigen Frist gemäß §534 ZPO den "Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens aus jedem in Betracht kommenden Rechtsgrund der §§529 und 530 ZPO iVm §§34 und 35 VfGG". Der Antrag auf Wiederaufnahme der Verfahren ist daher zulässig.

              4.2. Der Antrag auf Wiederaufnahme der Verfahren ist allerdings nicht begründet:

              Keiner der Wiederaufnahmetatbestände des §530 Abs1 ZPO zielt ausdrücklich auf Sachverhaltskonstellationen ab, wie sie dem vorliegenden Antrag zugrunde liegen. In Frage kommt daher von vornherein nur - unter sinngemäßer Geltung der ZPO - die analoge Anwendung eines Wiederaufnahmetatbestands in §530 Abs1 ZPO. Die Notwendigkeit einer solchen Analogie kann sich im vorliegenden Fall nur aus dem Unionsrecht ergeben.

              Der Gerichtshof der Europäischen Union anerkennt,

dass die Bestandskraft einer nationalen Entscheidung zur Rechtssicherheit beiträgt, weswegen das Unionsrecht nicht eine grundsätzliche Verpflichtung für eine nationale Behörde aufstellt, eine bestandskräftig gewordene Entscheidung aufzuheben (vgl. EuGH 13.1.2004, C-453/00, Kühne & Heitz). Besondere Umstände können jedoch geeignet sein, eine nationale Behörde nach dem in Art4 Abs3 EUV verankerten Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit zu verpflichten, eine bestandskräftig gewordene Entscheidung zu überprüfen, um insbesondere einer später vom Gerichtshof der Europäischen Union vorgenommenen Auslegung einer einschlägigen Bestimmung des Unionsrechts Rechnung zu tragen. In diesem Zusammenhang sind die Besonderheiten der in Rede stehenden Fälle und Interessen zu berücksichtigen, um einen Ausgleich zwischen dem Erfordernis der Rechtssicherheit und dem der Rechtmäßigkeit im Hinblick auf das Unionsrecht zu finden (vgl. EuGH 4.10.2012, C-249/11, Byankov mwH).

              4.3. Im vorliegenden Fall kann jedoch eine nähere Prüfung dieser unionsrechtlichen Voraussetzungen unterbleiben. Der Verfassungsgerichtshof hätte nämlich in den zur Wiederaufnahme beantragten Verfahren jene Rechtslage anzuwenden, die zum Zeitpunkt der verfahrensbeendenden Beschlüsse vom 28. Februar 2006, B1298/05, und vom 11. Oktober 2006, B1378/06, maßgeblich war, und es wäre ihm verwehrt, die RL 95/46/EG als Prüfungsmaßstab einer Gesetzesprüfung gemäß Art140 B-VG (zur Beseitigung des Verstoßes der organisationsrechtlichen Bestimmungen der Datenschutzkommission gegen Unionsrecht) heranzuziehen (vgl. VfSlg. 15.753/2000, 18.266/2007).

              Schon aus diesem Grund scheidet die analoge Anwendung eines Wiederaufnahmetatbestands gemäß §530 Abs1 ZPO aus.

              5. Der Antrag auf Wiederaufnahme der mit

hg. Beschluss vom 28. Februar 2006, B1298/05, sowie mit hg. Beschluss vom 11. Oktober 2006, B1378/06, abgeschlossenen Verfahren war somit gemäß §538 Abs1 iVm §530 Abs1 ZPO und den §§34 f VfGG in nichtöffentlicher Sitzung abzuweisen.

Schlagworte

VfGH / Wiederaufnahme, EU-Recht Richtlinie, Datenschutz, Analogie, Rechtskraft, VfGH / Prüfungsmaßstab

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2012:B1338.2012

Zuletzt aktualisiert am

21.02.2013
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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