TE Vwgh Erkenntnis 2013/3/21 2012/23/0032

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Veröffentlicht am 21.03.2013
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
19/05 Menschenrechte;
41/02 Asylrecht;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

FrPolG 2005 §66;
FrPolG 2005 §86 Abs1;
FrPolG 2005 §87;
MRK Art8 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl sowie die Hofräte Dr. Robl, Dr. Sulzbacher, Mag. Haunold und Mag. Feiel als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Pitsch, über die Beschwerde des B in W, vertreten durch Dr. Herbert Pochieser, Rechtsanwalt in 1070 Wien, Schottenfeldgasse 2-4/2/23, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 15. Jänner 2010, Zl. SD 646/06, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbots, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein serbischer Staatsangehöriger, reiste am 28. April 2002 nach Österreich ein. Am 19. November 2003 heiratete er eine österreichische Staatsbürgerin. Im Hinblick auf diese Ehe wurde ihm ein - zuletzt bis 25. Juli 2006 verlängerter - Aufenthaltstitel erteilt. Über einen Verlängerungsantrag vom 23. Juni 2006 wurde nicht mehr entschieden.

Mit Urteil des Landesgerichtes Eisenstadt vom 21. Jänner 2006 wurde der Beschwerdeführer wegen des Verbrechens der Schlepperei nach § 103 Abs. 1 und 3 erster und zweiter Fall Fremdengesetz 1997 und des Vergehens des Gebrauchs fremder Ausweise nach § 231 Abs. 2 StGB zu einer Freiheitsstrafe von zwölf Monaten, wobei ein Teil von acht Monaten bedingt nachgesehen wurde, rechtskräftig verurteilt. Dem Urteil lag zu Grunde, dass der Beschwerdeführer mit Mittätern die rechtswidrige Einreise von Fremden in einen Mitgliedstaat der Europäischen Union gegen Entlohnung zwischen EUR 500,-- und EUR 4.000,-- pro Person gefördert hatte, indem er im Mai bzw. August 2005 insgesamt sieben Fremde von Ungarn nach Österreich begleitet bzw. mit dem Pkw chauffiert und ihnen in diesem Zusammenhang teilweise fremde Reisepässe zur Verfügung gestellt hatte.

Im Hinblick auf diese Verurteilung erließ die Bundespolizeidirektion Wien mit Bescheid vom 19. Mai 2006 gegen den Beschwerdeführer gemäß § 87 iVm § 86 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) ein auf die Dauer von zehn Jahren befristetes Aufenthaltsverbot.

Mit dem angefochtenen Bescheid vom 15. Jänner 2010 gab die belangte Behörde der dagegen erhobenen Berufung keine Folge und bestätigte den erstinstanzlichen Bescheid gemäß § 66 Abs. 4 AVG.

Begründend führte die belangte Behörde nach Darstellung des Sachverhalts zusammengefasst aus, dass auf den Beschwerdeführer wegen seiner Ehe mit einer österreichischen Staatsbürgerin § 86 Abs. 1 FPG anzuwenden sei. Danach sei die Erlassung eines Aufenthaltsverbots nur zulässig, wenn auf Grund des persönlichen Verhaltens des Beschwerdeführers die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet sei und dieses Verhalten eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstelle, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berühre. Von dieser Voraussetzung könne im vorliegenden Fall ausgegangen werden. Der Beschwerdeführer habe "zahlreiche Fremde" für einen nicht bloß geringen Vermögensvorteil nach Österreich geschleppt und dabei unter Aufwendung "besonders hoher krimineller Energie" die Notlage der geschleppten Personen ausgenützt.

Im Hinblick auf den inländischen Aufenthalt des Beschwerdeführers seit April 2002 und seiner hier bestehenden familiären Bindungen zu seiner Ehefrau, seinem Bruder und seiner Schwester ging die belangte Behörde von einem mit dem Aufenthaltsverbot verbundenen relevanten Eingriff in sein Privat- und Familienleben aus. Dessen ungeachtet sei die Erlassung des Aufenthaltsverbots zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten und im Grunde des § 66 Abs. 1 FPG zulässig. Das strafbare Verhalten des Beschwerdeführers zeige deutlich, dass er nicht gewillt sei, die für ihn maßgebenden Rechtsvorschriften einzuhalten, sodass eine Verhaltensprognose keinesfalls zu seinen Gunsten gestellt werden könne. Der Beschwerdeführer könne sich weiters nicht mit Erfolg auf eine aus seinem Aufenthalt ableitbare relevante Integration berufen. Diese erfahre bereits dadurch, dass die dafür erforderliche soziale Komponente durch sein strafbares Verhalten erheblich an Gewicht gemindert werde, eine wesentliche Relativierung. Auch eine berufliche Integration liege, obwohl er regelmäßig einer Arbeit nachgegangen sei, nicht vor, weil seine Beschäftigungsverhältnisse von einem ständigen Arbeitgeberwechsel geprägt seien. Außerdem habe er regelmäßig auch Arbeitslosengeld bezogen. Den solcherart geschmälerten privaten und familiären Interessen stehe das genannte hoch zu veranschlagende öffentliche Interesse gegenüber, sodass die Auswirkungen des Aufenthaltsverbots auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers und seiner Familie keinesfalls schwerer wiegen würden als die gegenläufigen öffentlichen Interessen und damit die nachteiligen Folgen einer Abstandnahme von dieser Maßnahme. Auch im Rahmen des Ermessens könne der weitere Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet nicht in Kauf genommen werden. Im Hinblick auf die Verwerflichkeit der Schlepperei, insbesondere angesichts der Ausnützung der Notlage der geschleppten Personen, könne vor dem Hintergrund des dargestellten Gesamt(fehl)verhaltens des Beschwerdeführers ein Wegfall des für die Erlassung des Aufenthaltsverbots maßgeblichen Grundes nicht vor Verstreichen des festgesetzten Zeitraums (von zehn Jahren) erwartet werden.

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten erwogen:

Vorauszuschicken ist, dass der Verwaltungsgerichtshof den angefochtenen Bescheid auf Basis der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt seiner Erlassung zu überprüfen hat. Wird daher im Folgenden auf Bestimmungen des FPG Bezug genommen, so handelt es sich dabei um die im Jänner 2010 geltende Fassung.

Der Beschwerdeführer ist infolge seiner Ehe Familienangehöriger (§ 2 Abs. 4 Z 12 FPG) einer Österreicherin. Wie die belangte Behörde richtig erkannte, gelten gemäß § 87 zweiter Satz FPG für diese Personengruppe die Bestimmungen für begünstigte Drittstaatsangehörige u.a. nach § 86 FPG. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gegen den Beschwerdeführer ist gemäß § 86 Abs. 1 FPG daher nur zulässig, wenn auf Grund des persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellten, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Bei der Beurteilung, ob die Annahme iSd § 86 Abs. 1 FPG gerechtfertigt sei, dürfen Änderungen, die gegen den Fortbestand einer Gefährdungsprognose sprechen, nicht ausgeklammert werden (vgl. etwa das Erkenntnis vom 22. November 2012, Zl. 2011/23/0455, mwN).

Würde durch ein Aufenthaltsverbot in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist es gemäß § 60 Abs. 6 FPG iVm § 66 Abs. 1 FPG nur zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Bei dieser Beurteilung ist unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalls eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen, insbesondere unter Berücksichtigung der im § 66 Abs. 2 FPG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 66 Abs. 3 FPG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen.

Der Beschwerdeführer bringt zu den dargelegten Gesichtspunkten vor, dass schon der Umstand, dass die belangte Behörde beinahe vier Jahre nicht über die Berufung entschieden habe, gegen das von ihr herangezogene öffentliche Interesse an der Aufenthaltsbeendigung spreche. Die Tat liege jetzt etwa fünf Jahre zurück. Seit dieser - seiner einzigen - Verurteilung zu einer überwiegend bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe habe er auch keine Straftat mehr gesetzt. Die belangte Behörde habe aber auch ohne Beweisverfahren oder die Gewährung von Parteiengehör die wiederholte Arbeitslosigkeit und den Bezug von Arbeitslosengeld als mangelnde Integration am Arbeitsmarkt gewertet. Dabei habe sie nicht berücksichtigt, dass der Beschwerdeführer in der Baubranche tätig sei und es sich um saisonale Arbeitslosigkeiten ohne eigenes Verschulden gehandelt habe. Vielmehr hätte die belangte Behörde auf Grund seiner langjährigen Berufstätigkeit, seiner Integration, seiner familiären Bindungen zu seinen Geschwistern mit österreichischer Staatsbürgerschaft und seiner Ehefrau, mit der er mehr als sechs Jahre verheiratet sei, zum Ergebnis kommen müssen, dass ein möglicherweise zum Zeitpunkt der Erlassung des Bescheides erster Instanz gegebenes öffentliches Interesse an der Aufenthaltsbeendigung so weit gemindert sei, dass nunmehr die Verhängung eines Aufenthaltsverbots nicht mehr erforderlich sei. Nun würden die persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich die öffentlichen Interessen an der Aufenthaltsbeendigung überwiegen. Auch die Dauer des Aufenthaltsverbots sei (inzwischen) als unverhältnismäßig anzusehen.

Der gegenständliche Fall gleicht damit insofern, als die belangte Behörde nicht ausreichend begründete, weshalb trotz einer - vom Beschwerdeführer nicht zu vertretenden - Dauer des Berufungsverfahrens von drei Jahren und acht Monaten nach wie vor von einer aktuellen Gefährdung auszugehen und die Verhängung eines auf zehn Jahre befristeten Aufenthaltsverbots erforderlich sei, jenem, der dem Erkenntnis vom 18. Oktober 2012, Zl. 2011/23/0416, zu Grunde lag. Gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG wird insoweit auf die Entscheidungsgründe dieses Erkenntnisses verwiesen. Die belangte Behörde hätte im vorliegenden Fall zu berücksichtigen gehabt, dass der bedingt nachgesehene Teil der Freiheitsstrafe bei Erlassung des angefochtenen Bescheides infolge Ablaufs der Probezeit bereits endgültig nachgesehen war. Die belangte Behörde hätte im Hinblick auf den zwischenzeitig verstrichenen Zeitraum somit jedenfalls das öffentliche Interesse an der Erlassung eines Aufenthaltsverbots als deutlich herabgesetzt ansehen müssen.

Angesichts des Vorbringens und der Dauer des Berufungsverfahrens hätte die belangte Behörde dem Beschwerdeführer vor allem aber Gelegenheit geben müssen, eine für die Gefährdungsprognose und die Interessenabwägung maßgebliche Änderung seiner aktuellen Situation vorzutragen, und ihm zu allfälligen Erhebungsergebnissen rechtliches Gehör zu gewähren gehabt (vgl. die Erkenntnisse vom 21. Februar 2013, Zl. 2011/23/0195, sowie vom 20. Dezember 2012, Zl. 2011/23/0515).

Schon deshalb war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Von der Durchführung der beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 5 und 6 VwGG abgesehen werden.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 21. März 2013

Schlagworte

Besondere Rechtsgebiete

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2013:2012230032.X00

Im RIS seit

22.04.2013

Zuletzt aktualisiert am

02.08.2013
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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