TE AsylGH Erkenntnis 2013/04/30 A7 415819-1/2010

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Veröffentlicht am 30.04.2013
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Spruch

A7 415.819-1/2010/10E

 

IM NAMEN DER REPUBLIK!

 

Der Asylgerichtshof hat durch den Richter Mag. Kopp als Vorsitzenden und die Richterin Mag. Höller als Beisitzerin über die Beschwerde des XXXX,

 

XXXX geb., StA. von Somalia, gegen Spruchpunkt I des Bescheides des Bundesasylamtes vom 20.9.2010, Zl. 08 11.921-BAG, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

In Erledigung der Beschwerde wird der bekämpfte Spruchpunkt I des Bescheides gemäß

 

§ 66 Abs. 2 AVG behoben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesasylamt zurückverwiesen.

Text

Entscheidungsgründe:

 

Der Beschwerdeführer behauptet, Staatsangehöriger von Somalia und am 27.11.2008 (illegal) in das Bundesgebiet eingereist zu sein, und stellte am selben Tag einen Antrag auf internationalen Schutz.

 

Der Beschwerdeführer wurde in weiterer Folge am 27.11.2008 von einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes und am 20.10.2009 vor dem Bundesasylamt niederschriftlich zu seinen Fluchtgründen einvernommen, wobei er im Wesentlichen vorbrachte, er gehöre dem kleinen Stamm der "XXXX", der zur Gruppe der "XXXX" gehöre, an, der nicht bewaffnet sei, weshalb der Asylwerber überfallen worden sei. Wäre er Angehöriger eines großen Stammes, wäre er nicht überfallen worden. So hätten ihn zwei Männer in ihre Gewalt gebracht und von ihm Geld gefordert. Nach einer Woche habe er entkommen können und habe schließlich die Flucht angetreten.

 

Das Bundesasylamt, Außenstelle Graz, wies dann den Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten mit Bescheid vom 20.9.2010, Zahl: 08 11.921-BAG, gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 ab

 

(Spruchpunkt I). Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 wurde dem Beschwerdeführer der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II) und ihm gemäß

 

§ 8 Abs. 4 AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis 20.9.2011 erteilt (Spruchpunkt III). Das Bundesasylamt begründete seine abweisende Entscheidung im Wesentlichen damit, dass Verfolgungshandlungen insbesondere mit einem allfälligen Anknüpfungspunkt zur Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) nicht glaubhaft gemacht worden seien und eine gezielte Verfolgung aus Gründen der GFK im konkreten Fall nicht festzustellen sei. Die Zugehörigkeit zum namhaft gemachten Stamm der "XXXX" - das Bundesasylamt ging von der somalischen Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers aus - wurde jedoch nicht mit der erforderlichen Nachvollziehbarkeit widerlegt. Eingehende Feststellungen zur speziellen Lage der "XXXX" - das Bundesasylamt traf nämlich bloß Feststellungen zu den "XXXX" - und eine diesbezügliche Auseinandersetzung unterblieben dann im Bescheid des Bundesasylamtes.

 

Gegen Spruchpunkt I des oben genannten Bescheides erhob der Asylwerber fristgerecht Beschwerde.

 

Der Asylgerichtshof hat erwogen:

 

Gemäß § 28 Abs. 1 AsylGHG, BGBl. I Nr. 4/2008, nimmt der Asylgerichtshof mit 1.7.2008 seine Tätigkeit auf. Das Bundesgesetz über den unabhängigen Bundesasylsenat (UBASG), BGBl. I Nr. 77/1997, zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 100/2005, tritt mit 1.7.2008 außer Kraft.

 

Gemäß § 23 Abs. 1 AsylGHG idF BGBl. I Nr. 147/2008 sind auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof, soweit sich aus dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100, nicht anderes ergibt, die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 (AVG), BGBl. Nr. 51, mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffs "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt.

 

Gemäß § 9 leg.cit. entscheidet der Asylgerichtshof in Senaten, sofern bundesgesetzlich nicht die Entscheidung durch Einzelrichter oder verstärkte Senate (Kammersenate) vorgesehen ist.

 

Gemäß § 61 Abs. 1 AsylG 2005 entscheidet der Asylgerichtshof in Senaten oder, soweit dies in Abs. 3 vorgesehen ist, durch Einzelrichter über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesasylamtes und über Beschwerden wegen Verletzung der Entscheidungspflicht des Bundesasylamtes. Gemäß Abs. 3 entscheidet der Asylgerichtshof durch Einzelrichter über Beschwerden gegen zurückweisende Bescheide wegen Drittstaatssicherheit gemäß § 4, wegen Zuständigkeit eines anderen Staates gemäß § 5 und wegen entschiedener Sache gemäß

 

§ 68 Abs. 1 AVG sowie über die mit diesen Entscheidungen verbundene Ausweisung.

 

Gemäß § 18 Abs. 1 AsylG 2005 haben das Bundesasylamt und der Asylgerichtshof in allen Stadien des Verfahrens von Amts wegen darauf hinzuwirken, dass die für die Entscheidung erheblichen Angaben gemacht oder lückenhafte Angaben über die zur Begründung des Antrages geltend gemachten Umstände vervollständigt, die Beweismittel für diese Angaben bezeichnet oder die angebotenen Beweismittel ergänzt und überhaupt alle Aufschlüsse gegeben werden, welche zur Begründung des Antrages notwendig erscheinen. Erforderlichenfalls sind Beweismittel auch von Amts wegen beizuschaffen. Gemäß Abs. 2 ist im Rahmen der Beurteilung der Glaubwürdigkeit des Vorbringens eines Asylwerbers auf die Mitwirkung im Verfahren Bedacht zu nehmen.

 

Gemäß § 15 AsylG 2005 hat ein Asylwerber am Verfahren nach diesem Bundesgesetz mitzuwirken; insbesondere hat er ohne unnötigen Aufschub seinen Antrag zu begründen und alle zur Begründung des Antrags auf internationalen Schutz erforderlichen Anhaltspunkte über Nachfrage wahrheitsgemäß darzulegen. Weiters hat er bei Verfahrenshandlungen und Untersuchungen durch einen Sachverständigen persönlich und rechtzeitig zu erscheinen, und an diesen mitzuwirken sowie unter anderen auch dem Bundesasylamt oder dem Asylgerichtshof alle ihm zur Verfügung stehenden Dokumente und Gegenstände am Beginn des Verfahrens, oder soweit diese erst während des Verfahrens hervorkommen oder zugänglich werden, unverzüglich zu übergeben, soweit diese für das Verfahren relevant sind.

 

Gemäß § 66 Abs. 2 AVG kann die Berufungsbehörde, wenn der ihr vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint, den angefochtenen Bescheid beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an eine im Instanzenzug untergeordnete Behörde zurückverweisen. Gemäß Abs. 3 leg. cit. kann die Berufungsbehörde jedoch die mündliche Verhandlung und unmittelbare Beweisaufnahme auch selbst durchführen, wenn hiemit eine Ersparnis an Zeit und Kosten verbunden ist.

 

Auch der Asylgerichtshof ist zur Anwendung des § 66 Abs. 2 AVG berechtigt (vgl. dazu VwGH 21.11.2002, 2002/20/0315, und 21.11.2002, 2000/20/0084). Eine kassatorische Entscheidung darf von der Berufungsbehörde nicht bei jeder Ergänzungsbedürftigkeit des Sachverhaltes, sondern nur dann getroffen werden, wenn der ihr vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint. Die Berufungsbehörde hat dabei zunächst in rechtlicher Gebundenheit zu beurteilen, ob angesichts der Ergänzungsbedürftigkeit des ihr vorliegenden Sachverhaltes die Durchführung einer mündlichen Verhandlung als "unvermeidlich erscheint". Für die Frage der Unvermeidlichkeit einer mündlichen Verhandlung im Sinne des § 66 Abs. 2 AVG ist es aber unerheblich, ob eine kontradiktorische Verhandlung oder nur eine Vernehmung erforderlich ist (vgl. etwa VwGH 14.3.2001, 2000/08/0200; zum Begriff "mündliche Verhandlung" im Sinne des § 66 Abs. 2 AVG siehe VwGH 21.11.2002, 2000/20/0084).

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat mit Erkenntnissen vom 21.11.2002, Zl. 2002/20/0315, und Zl. 2000/20/0084, grundsätzliche Ausführungen zur Anwendbarkeit des § 66 Abs. 2 AVG im Asylverfahren im Allgemeinen und durch den unabhängigen Bundesasylsenat im Besonderen getätigt.

Dabei hat er im letztgenannten Erkenntnis insbesondere ausgeführt:

 

"Bei der Abwägung der für und gegen eine Entscheidung gemäß § 66 Abs. 2 AVG sprechenden Gesichtspunkte muss nämlich auch berücksichtigt werden, dass das Asylverfahren nicht nur möglichst kurz sein soll. Zur Sicherung seiner Qualität hat der Gesetzgeber einen Instanzenzug vorgesehen, der zur belangten Behörde und somit zu einer gerichtsähnlichen, unparteilichen und unabhängigen Instanz als besonderem Garanten eines fairen Asylverfahrens führt (vgl. bereits das Erkenntnis vom 16. April 2002, Zl. 99/20/0430). Die der belangten Behörde in dieser Funktion schon nach der Verfassung zukommende Rolle einer ¿obersten Berufungsbehörde' (Art. 129c 1 B-VG) wird aber ausgehöhlt und die Einräumung eines Instanzenzuges zur bloßen Formsache degradiert, wenn sich das Asylverfahren einem eininstanzlichen Verfahren vor der Berufungsbehörde nähert, weil es das Bundesasylamt ablehnt, auf das Vorbringen sachgerecht einzugehen und brauchbare Ermittlungsergebnisse in Bezug auf die Verhältnisse im Herkunftsstaat in das Verfahren einzuführen."

 

Da das Bundesasylamt von der somalischen Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers ausging und die Zugehörigkeit des Beschwerdeführers zum von ihm namhaft gemachten Stamm der "XXXX" nicht mit der erforderlichen Nachvollziehbarkeit widerlegt wurde, hätte es umfassender Feststellungen und einer eingehenden Auseinandersetzung mit der (speziellen) Lage der "XXXX" in Somalia im Bescheid des Bundesasylamtes bedurft. Es kann nicht von vornherein gesagt werden, dass die erforderliche Auseinandersetzung für die Beurteilung des Antrages auf internationalen Schutz bedeutungslos wäre. Eine diesbezügliche Asylrelevanz ist im Hinblick auf eine Verfolgung aus in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen nicht von vornherein auszuschließen.

 

Das Verfahren vor dem Bundesasylamt erweist sich daher insgesamt als mangelhaft, so dass die Durchführung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint, wobei es für die Frage der Unvermeidlichkeit einer mündlichen Verhandlung im Sinne des § 66 Abs. 2 AVG unerheblich ist, ob eine kontradiktorische Verhandlung oder nur eine bloße Einvernahme erfolgt (VwGH 21.11.2002, 2000/20/0084 mwN; 21.11.2002, 2002/20/0315;

 

VwGH 11.12.2003, 2003/07/0079).

 

Im Rahmen einer solchen Verhandlung bzw. Einvernahme wäre zur vollständigen Ermittlung des maßgebenden Sachverhaltes auch die Erörterung der Ermittlungsergebnisse mit dem Beschwerdeführer notwendig, um diesem auch das in § 43 Abs. 4 AVG verbürgte Recht zur Stellungnahme zu gewährleisten.

 

Ausgehend von diesen Überlegungen war im vorliegenden Fall das dem Asylgerichtshof gemäß § 66Abs. 2und 3 AVG eingeräumte Ermessen im Sinne einer kassatorischen Entscheidung zu üben.

Schlagworte
Ermittlungspflicht, Kassation, mangelnde Sachverhaltsfeststellung, Volksgruppenzugehörigkeit
Zuletzt aktualisiert am
13.05.2013
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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