TE Vfgh Erkenntnis 2013/2/22 U999/12

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Veröffentlicht am 22.02.2013
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Index

41 INNERE ANGELEGENHEITEN
41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht,
Asylrecht

Norm

B-VG Art83 Abs2
B-VG Art129e Abs2
AsylG 2005 §3, §8, §10, §20 Abs2, §34 Abs4, §41 Abs7, §61
AsylGHG §9, §11
VfGG §88, §88a

Leitsatz

Entzug des gesetzlichen Richters durch Abweisung des Antrags einer Asylwerberin auf internationalen Schutz in nichtöffentlicher Sitzung wegen unrichtiger Zusammensetzung des Spruchkörpers des Asylgerichtshofes; zuständigkeitsbegründende Wirkung der Behauptung eines Eingriffs in die sexuelle Selbstbestimmung; inhaltliche Entscheidung über das Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung durch ein mit Richtern desselben Geschlechts besetztes Organ zu treffen

Spruch

              I. Die Beschwerdeführerin ist durch die angefochtene Entscheidung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.

              Die Entscheidung wird aufgehoben.

              II. Der Bund (Bundeskanzler) ist schuldig, der Beschwerdeführerin zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 2.420,- bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

              I. Sachverhalt, Beschwerdevorbringen und Vorverfahren

              1. Die Beschwerdeführerin, eine Staatsangehörige der Demokratischen Bundesrepublik Nepal, reiste am 2. Mai 2011 illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 4. Mai 2011 einen Antrag auf internationalen Schutz, wobei sie als Fluchtgrund im Wesentlichen angab, dass sie im Oktober 2010 von ihr unbekannten Männern entführt, mehrere Tage festgehalten und vergewaltigt worden wäre, ehe er ihr über Katar die Flucht nach Österreich gelungen sei. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 4. November 2011 wurde der Antrag der Beschwerdeführerin auf Zuerkennung des Staus der Asylberechtigten gemäß §3 AsylG 2005 abgewiesen, wurde der Beschwerdeführerin der Status einer subsidiär Schutzberechtigten gemäß §8 leg.cit. nicht zuerkannt und wurde sie gemäß §10 leg.cit. nach Nepal ausgewiesen. Das Bundesasylamt begründete seine Entscheidung im Wesentlichen mit der mangelnden Glaubwürdigkeit der von der Beschwerdeführerin vorgebrachten Fluchtgründe. Die gegen den Bescheid des Bundesasylamtes fristgerecht erhobene Berufung, in der neuerlich die Entführung und Vergewaltigung der Beschwerdeführerin als fluchtauslösendes Ereignis vorgebracht wurde, wies der Asylgerichtshof am 18. April 2012 ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung gemäß §§3, 8 und 10 AsylG 2005 ab. Begründend wird in Bezug auf das Vorbringen zur behaupteten Vergewaltigung - zusammengefasst - ausgeführt, dass dieses aufgrund nicht hinreichend substantiierter, widersprüchlicher und unplausibler Angaben insgesamt unglaubwürdig wäre.

              2. In ihrer gegen diese Entscheidung gerichteten und nach Bewilligung der Verfahrenshilfe eingebrachten, auf Art144a B-VG gestützten Beschwerde rügt die Beschwerdeführerin die Verletzung in ihren Rechten gemäß Art2 und 8 EMRK, die inhaltliche Rechtswidrigkeit der Entscheidung des Asylgerichtshofes und eine Verletzung der Manuduktionspflicht. Begründend wird u.a. vorgebracht, dass die Aussagen der Beschwerdeführerin über den Ablauf ihrer Entführung und Misshandlung im Kern konsistent geblieben wären; etwaige kleinere Widersprüche, die vom Asylgerichtshof als Indiz für die Unglaubwürdigkeit des Fluchtvorbringens herangezogen wurden, seien auf eine grundsätzliche Nervosität der Beschwerdeführerin gegenüber Behörden und auf ihre mathematischen Schwächen zurückzuführen. Eine polizeiliche Anzeige der Vergewaltigung in ihrer Heimat sei für die Beschwerdeführerin nicht infrage gekommen, weil dies für sie und ihre Familie ein hohes Risiko dargestellt hätte. Aufgrund der gesellschaftlichen Traditionen in Nepal hätten Frauen zudem oft keine Möglichkeit, sich gegen männliche Übergriffe mit rechtlichen Mitteln zur Wehr zu setzen.

              3. Der belangte Asylgerichtshof legte die Gerichts- und Verwaltungsakten vor, nahm jedoch von der Erstattung einer Gegenschrift Abstand.

              4. Mit Eingabe vom 29. Jänner 2013 beantragte der antragstellende Rechtsanwalt, welcher der beschwerdeführenden Partei im gegenständlichen Verfahren als Verfahrenhelfer beigegeben worden ist, den Ersatz von Barauslagen in Höhe von insgesamt € 25,-, die sich aus € 5,- an Telefonkosten und € 20,- an Kopierkosten zusammensetzen würden.

              II. Rechtslage

              §20 AsylG 2005 lautet:

"Einvernahmen von Opfern bei Eingriffen in die sexuelle Selbstbestimmung

              §20. (1) Gründet ein Asylwerber seine Furcht vor Verfolgung (Art1 Abschnitt A Z2 der Genfer Flüchtlingskonvention) auf Eingriffe in seine sexuelle Selbstbestimmung, ist er von einem Organwalter desselben Geschlechts einzuvernehmen, es sei denn, dass er anderes verlangt. Von dem Bestehen dieser Möglichkeit ist der Asylwerber nachweislich in Kenntnis zu setzen.

              (2) Für Verfahren vor dem Asylgerichtshof gilt Abs1 nur, wenn der Asylwerber den Eingriff in seine sexuelle Selbstbestimmung bereits vor dem Bundesasylamt oder in der Beschwerde behauptet hat. Diesfalls ist eine Verhandlung von einem Einzelrichter desselben Geschlechts oder einem aus Richtern desselben Geschlechts bestehenden Senat durchzuführen. Ein Verlangen nach Abs1 ist spätestens gleichzeitig mit der Beschwerde zu stellen.

              (3) Abs1 gilt nicht für Verfahren vor dem Kammersenat.

              (4) Wenn der betroffene Asylwerber dies wünscht, ist die Öffentlichkeit von der Verhandlung eines Senates oder Kammersenates auszuschließen. Von dieser Möglichkeit ist er nachweislich in Kenntnis zu setzen. Im Übrigen gilt §67e AVG."

              III. Erwägungen

              Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

              1. Das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter wird durch den Bescheid einer Verwaltungsbehörde verletzt, wenn die Behörde eine ihr gesetzlich nicht zukommende Zuständigkeit in Anspruch nimmt oder wenn sie in gesetzwidriger Weise ihre Zuständigkeit ablehnt, etwa indem sie zu Unrecht eine Sachentscheidung verweigert (zB VfSlg. 15.482/1999, 15.858/2000, 16.079/2001 und 16.737/2002). Das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter wird insbesondere dann verletzt, wenn eine an sich zuständige, aber nicht dem Gesetz entsprechend zusammengesetzte Kollegialbehörde entschieden hat (zB VfSlg. 10.022/1984, 14.731/1997, 15.588/1999, 15.668/1999, 15.731/2000 und 16.572/2002).

              Der dem Art87 Abs3 B-VG nachgebildete Art129e Abs2 zweiter Satz B-VG statuiert auch für den Asylgerichtshof den "Grundsatz der festen Geschäftsverteilung" (vgl. VfSlg. 18.594/2008). Hier wie dort dient dieses Rechtsinstitut in erster Linie der Stärkung der Unabhängigkeit der davon betroffenen staatlichen Organe. Darüber hinaus steht diese Einrichtung aber auch in engem Zusammenhang mit dem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter im Sinne des Art83 Abs2 B-VG, worunter nach ständiger Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes - über die Gerichtsbarkeit hinaus - ganz allgemein ein "auf den Schutz und die Wahrung der gesetzlich begründeten Behördenzuständigkeit" gerichtetes Recht (VfSlg. 2536/1953) zu verstehen ist. Im Geltungsbereich des verfassungsgesetzlich geregelten Prinzips der festen Geschäftsverteilung bedeutet diese Garantie darüber hinaus auch das Recht auf eine Entscheidung durch den gemäß der Geschäftsverteilung zuständigen Organwalter; in diesem Sinne handelt es sich bei der Geschäftsverteilung um eine - zuständigkeitsbegründende - Rechtsvorschrift (vgl. VfSlg. 14.985/1997; VfGH 29.11.2011, U1913-1915/10).

              2. Die Beschwerdeführerin hat im Asylverfahren

mehrfach vorgebracht, in ihrem Herkunftsstaat vergewaltigt worden zu sein; sie hat diesbezügliche Angaben sowohl im Verfahren vor dem Bundesasylamt als auch in der Beschwerde an den Asylgerichtshof getätigt. Dass die Angaben zu den näheren Umständen der Vergewaltigung nicht differenzieren, ist für die Beurteilung der Zuständigkeit unmaßgeblich, hat die Beschwerdeführerin doch zu jedem Zeitpunkt des Verfahrens auch diesen Fluchtgrund vorgebracht.

              3. Die Rechtssache wurde der Geschäftsabteilung

"C10", bestehend aus einem männlichen vorsitzenden Richter und einem männlichen beisitzenden Richter, zugewiesen. Unter Berufung auf Art41 Abs7 AsylG 2005 entschied dieser Senat ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit der Begründung, dass der maßgebliche Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt sei; insbesondere hätte das vor dem Bundesasylamt durchgeführte Ermittlungsverfahren nicht den geringsten Zweifel an der fehlenden Asylrelevanz der Angaben der Beschwerdeführerin aufkommen lassen und seien auch in der Beschwerde keine Angaben gemacht worden, die geeignet wären, die Beurteilung der Erstbehörde zweifelhaft erscheinen zu lassen.

              4. Wie der Verfassungsgerichtshof in seinem

Erkenntnis vom 27. September 2012, U688-690/12, ausgesprochen hat, ist eine Rechtssache, in der ein Asylwerber einen Eingriff in seine sexuelle Selbstbestimmung spätestens in der Beschwerde an den Asylgerichtshof geltend macht, - sofern der Asylwerber nichts anderes verlangt - gemäß §20 Abs2 AsylG 2005 gleich bei Beschwerdeanfall (und nicht nur bei Durchführung einer mündlichen Verhandlung) einem Einzelrichter desselben Geschlechts oder einem aus Richtern desselben Geschlechts bestehenden Senat zur Behandlung zuzuweisen.

              4.1. Der Asylgerichtshof hat jedoch durch einen aus einem männlichen Vorsitzenden und einem männlichen beisitzenden Richter bestehenden Senat in nichtöffentlicher Sitzung über die Beschwerde entschieden, weshalb die Beschwerdeführerin in ihrem Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt wurde (vgl. VfGH 27.9.2012, U688-690/12).

              5. Hinsichtlich des Antrages des - der Beschwerdeführerin im gegenständlichen Verfahren als Verfahrenshelfer beigegebenen - Rechtsanwalts auf Ersatz seiner Barauslagen ist Folgendes festzustellen:

              5.1. Im Verfahren nach Art144a B-VG kann gemäß §§88, 88a VfGG der unterliegenden Partei der Ersatz der Prozesskosten auferlegt werden. Regelmäßig anfallende Kosten müssen nicht ziffernmäßig verzeichnet werden und sind durch den Pauschalsatz abgedeckt. Dieser beträgt für Anträge, die seit dem 1. Juli 2008 eingebracht werden, € 2.000,- und deckt sämtliche Vertretungshandlungen ab. Wird nicht der gesamte Pauschalbetrag angesprochen, so ist auch bei vollem Kostenzuspruch nur der Ersatz bis zum tatsächlich angesprochenen Betrag zulässig.

              5.2. Im gegenständlichen Erkenntnis wird der volle Ersatz der begehrten Kosten zugesprochen. Da die angefallenen Barauslagen im zugesprochenen Kostenbetrag enthalten sind, ist der Antrag auf vorläufige Berichtigung von Barauslagen aus Amtsgeldern aus diesem Grund abzuweisen (vgl. u.a. VfSlg. 14.422/1996, 19.041/2010; VfGH 3.5.2011, U1850/10; 28.2.2012, U429/10).

              IV. Ergebnis und damit zusammenhängende Ausführungen

              1. Die Beschwerdeführerin ist somit durch die angefochtene Entscheidung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.

              Die angefochtene Entscheidung war daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen war.

              2. Die Kostenentscheidung beruht auf §88a iVm §88

VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 400,- enthalten.

              3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

Asylrecht, Behördenzuständigkeit, Behördenzusammensetzung, Asylgerichtshof, VfGH / Kosten

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2013:U999.2012

Zuletzt aktualisiert am

28.03.2013
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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