TE Vfgh Beschluss 2013/2/25 G91/12

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Veröffentlicht am 25.02.2013
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Index

60 ARBEITSRECHT
60/02 Arbeitnehmerschutz

Norm

B-VG Art140 Abs1 / Individualantrag
KinderbetreuungsgeldG §24 Abs2

Leitsatz

Zurückweisung des Individualantrags auf Aufhebung einer Bestimmung des Kinderbetreuungsgeldgesetzes betreffend die Voraussetzungen für den Bezug des einkommensabhängigen Kinderbetreuungsgeldes infolge Zumutbarkeit der Erwirkung eines Bescheides

Spruch

              Der Antrag wird zurückgewiesen.

Begründung

Begründung:

              I. Anlassverfahren und Antragsvorbringen

              1. Mit ihrem auf Art140 Abs1 B-VG gestützten Antrag begehrt die Antragstellerin, den Abs2 des §24 des Kinderbetreuungsgeldgesetzes (KBGG), BGBl. I 103/2001 in der Fassung der Kundmachung BGBl. I 139/2011, in eventu jeweils die Wortfolge "zuvor mindestens 6 Monate andauernden", als verfassungswidrig aufzuheben.

              2. Zu dem dem Antrag zugrunde liegenden Sachverhalt bringt die Antragstellerin zusammengefasst vor, sie sei zunächst nach der Geburt ihres ersten Kindes bis Oktober 2001 in Karenz und nach Ende der Karenzzeit beim Arbeitsmarktservice gemeldet gewesen. Im Herbst 2011 sei die Schwangerschaft für das zweite Kind eingetreten, die Schutzfrist (absolutes Beschäftigungsverbot) sollte am 5. April 2012 beginnen. Ab November 2011 habe sie wieder gearbeitet. Der Antragstellerin sei aufgrund der bis zum 31. Dezember 2011 in Geltung stehenden Rechtslage im Herbst 2011 die (richtige) Auskunft erteilt worden, dass aufgrund ihrer sechsmonatigen Erwerbstätigkeit vor der Geburt - unter Einrechnung der Schutzfrist - die Anspruchsvoraussetzungen für die einkommensabhängige Variante des Kinderbetreuungsgeldes erfüllt seien. Die Neuregelung sei Anfang Dezember 2011 im Nationalrat beschlossen worden. Die Tochter der Antragstellerin sei am 31. Mai 2012 geboren worden.

              Aufgrund der Änderung der Rechtslage ergebe sich für die Antragstellerin die Rechtsfolge, dass sie die erforderlichen sechs Monate der ununterbrochenen Erwerbstätigkeit vor der Schutzfrist nicht erbringen könne. Die Antragstellerin erfülle daher aufgrund einer während der Dauer der Schwangerschaft eingetretenen Gesetzesänderung, die der Nationalrat Anfang Dezember 2011 beschlossen habe, nicht mehr die Voraussetzungen für den Bezug des einkommensabhängigen Kinderbetreuungsgeldes. Sie könne nur mehr auf die geringer dotierte Pauschalvariante ausweichen.

              3. Zur Begründung ihrer Antragslegitimation bringt die Antragstellerin zusammengefasst vor, sie habe am 31. Mai 2012 eine Tochter geboren und wolle entsprechend der ihr erteilten Auskunft wie geplant einkommensabhängiges Kinderbetreuungsgeld beziehen. Die Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen für das einkommensabhängige Kinderbetreuungsgeld sei für Geburten ab dem 1. Jänner 2012 anhand von §24 KBGG in der Fassung BGBl. I 139/2011 zu prüfen, welche Bestimmung daher präjudiziell sei. Der Antrag auf einkommensabhängiges Kinderbetreuungsgeld sei vom zuständigen Krankenversicherungsträger bereits in der Weise vorerledigt worden, dass der Antragstellerin die Möglichkeit eingeräumt worden sei, mittels "Antrag auf Umstieg von einkommensabhängigem Kinderbetreuungsgeld" auf die Pauschalvariante "12+2" umzusteigen, andernfalls der Antrag abgewiesen werde.

              Die Antragstellerin müsse den Antrag auf Kinderbetreuungsgeld jedweder Variante bei sonstigem teilweisen Anspruchsverlust spätestens innerhalb von sechs Monaten ab Anspruchsbeginn (Geburt bzw. Ende des Wochengeldbezugs) einbringen (§4 KBGG). Ein Antrag der Antragstellerin auf einkommensabhängiges Kinderbetreuungsgeld sei von der zuständigen Gebietskrankenkasse bescheidförmig abzuweisen, da der Wortinterpretation der Vorrang gebühre und der Wortlaut keine durch Auslegung zu beseitigenden Zweifel zulasse. Die Antragstellerin hätte sodann die Möglichkeit, gegen den abweisenden Bescheid im Wege der sukzessiven Kompetenz Klage beim zuständigen Arbeits- und Sozialgericht einzubringen. Durch die Klage würde zwar der Bescheid im Umfang der Anfechtung außer Kraft treten, jedoch hätte die Antragstellerin auch ein klagsabweisendes Urteil zu gewärtigen. Erstmals im Rahmen einer Berufung hiergegen bestünde für die Antragstellerin die Möglichkeit, ihre Bedenken gegen die Verfassungskonformität des §24 KBGG vorzutragen und einen durch das Oberlandesgericht zu stellenden Antrag auf Gesetzesprüfung durch den Verfassungsgerichtshof anzuregen.

              Im gegenständlichen Fall lägen besondere, außergewöhnliche Umstände vor, die die Zulässigkeit des Individualantrages begründen würden: Die Antragstellerin habe derzeit keinen Anspruch auf einkommensabhängiges Kinderbetreuungsgeld. Da der Krankenversicherungsschutz als Annex zum Bezug des Kinderbetreuungsgeldes ausgestattet sei, habe sie auch keinen eigenen Krankenversicherungsschutz (§28 KBGG). Dieser Zustand würde für die gesamte Dauer des ordentlichen Verfahrens aufrecht bleiben. Zur Vermeidung dieser Situation könne sie nur auf die angebotene Pauschalvariante umsteigen, womit jedoch der derzeit geltend gemachte Anspruch auf einkommensabhängiges Kinderbetreuungsgeld verfahrensrechtlich abschließend erledigt wäre. Der Antragstellerin sei der Umstieg auf die Pauschalvariante somit nicht möglich. Es treffe zwar zu, dass der Antragstellerin für die Umstiegserklärung eine Frist von drei Jahren gesetzlich eingeräumt sei (§24d KBGG), aber daraus sei für die Antragstellerin nichts gewonnen.

              Da sie für die gesamte Dauer eines ordentlichen Verfahrens weder einen Kinderbetreuungsgeldbezug noch einen eigenen Krankenversicherungsschutz habe, sei die Antragstellerin gezwungen, den durch die Gesetzesänderung aktuell und unerwartet bewirkten Entfall des (höheren) einkommensabhängigen Kinderbetreuungsgeldes bzw. den fehlenden Versicherungsschutz durch Fortsetzung bzw. Ausdehnung ihrer bisherigen Erwerbstätigkeit auszugleichen. Eine Vorschussleistung zumindest in Höhe der Pauschalvariante "12 + 2" für die Verfahrensdauer sei gesetzlich nicht vorgesehen. Da das KBGG abhängig von der Bezugsvariante des Kinderbetreuungsgeldes unterschiedliche Zuverdienstgrenzen normiere, würde sich die Antragstellerin für die gesamte Dauer des ordentlichen Verfahrens in Unsicherheit über die für sie geltende Zuverdienstgrenze befinden. Sie hätte entweder einen Verlust zu gewärtigen, weil sie die Zuverdienstmöglichkeiten nicht ausgeschöpft hätte (im Fall einer letztlich zum Tragen kommenden Pauschalvariante) oder einen Verlust, weil sie Zuverdienstgrenzen überschritten hätte und daher zur Rückzahlung des Kinderbetreuungsgeldes verpflichtet werden würde (im Fall des letztlich zum Tragen kommenden einkommensabhängigen Kinderbetreuungsgeldes).

              Die Aufschiebung dieser Entscheidung über Erwerbsmöglichkeiten der Antragstellerin über einen längeren als den unbedingt erforderlichen Zeitraum eines Normprüfungsverfahrens, insbesondere im Wege eines Zivilverfahrens, stelle eine unverhältnismäßige Härte und Beschränkung der Erwerbsfreiheit der Antragstellerin dar, welche die Zulässigkeit des Individualantrages rechtfertige. Dem entsprechend sei es vom Verfassungsgerichtshof aufgrund der damit einhergehenden Kostenbelastung auch für unzumutbar erachtet worden, umfangreiche Planunterlagen erstellen zu lassen, um die Rechtswidrigkeit eines Flächenwidmungsplanes geltend zu machen (VfSlg. 9361/1982).

              II. Rechtslage

              1. §24 KBGG hatte vor seiner mit BGBl. I 139/2011 erfolgten Novellierung nachstehenden Wortlaut:

"Kinderbetreuungsgeld als Ersatz des Erwerbseinkommens Anspruchsberechtigung

              §24. (1) Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld nach

diesem Abschnitt hat ein Elternteil (Adoptivelternteil, Pflegeelternteil) für sein Kind (Adoptivkind, Pflegekind), sofern

              1. die Anspruchsvoraussetzungen nach §2 Abs1 Z1, 2, 4 und 5 erfüllt sind,

              2. dieser Elternteil in den letzten 6 Kalendermonaten unmittelbar vor der Geburt des Kindes, für das Kinderbetreuungsgeld bezogen werden soll, durchgehend erwerbstätig gemäß Abs2 war, wobei sich Unterbrechungen von insgesamt nicht mehr als 14 Kalendertagen nicht anspruchsschädigend auswirken und

              3. dieser Elternteil während des Bezuges des Kinderbetreuungsgeldes keine Erwerbseinkünfte, erzielt, wobei sich ein Gesamtbetrag an maßgeblichen Einkünften (§8 Abs1) von nicht mehr als 5.800 € pro Kalenderjahr nicht schädlich auswirkt, und keine Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung erhält.

              (2) Unter Erwerbstätigkeit im Sinne dieses Bundesgesetzes versteht man die tatsächliche Ausübung einer in Österreich sozialversicherungspflichtigen Erwerbstätigkeit. Als der Ausübung einer sozialversicherungspflichtigen Erwerbstätigkeit gleichgestellt gelten Zeiten der vorübergehenden Unterbrechung dieser Erwerbstätigkeit während eines Beschäftigungsverbotes nach dem Mutterschutzgesetz 1979 (MSchG), BGBl. Nr. 221, oder gleichartigen anderen österreichischen Rechtsvorschriften, sowie Zeiten der vorübergehenden Unterbrechung dieser Erwerbstätigkeit zum Zwecke der Kindererziehung während Inanspruchnahme einer Karenz nach dem MSchG oder Väter-Karenzgesetz (VKG), BGBl. Nr. 651/1989, oder gleichartigen anderen österreichischen Rechtsvorschriften, bis maximal zum Ablauf des zweiten Lebensjahres eines Kindes."

              2. §24 KBGG idF BGBl. I 139/2011 lautet (die mit dem Eventualantrag angefochtenen Wortfolgen des im Hauptantrag angefochtenen Abs2 sind hervorgehoben):

"Kinderbetreuungsgeld als Ersatz des Erwerbseinkommens Anspruchsberechtigung

              §24. (1) Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld nach

diesem Abschnitt hat ein Elternteil (Adoptivelternteil, Pflegeelternteil) für sein Kind (Adoptivkind, Pflegekind), sofern

              1. die Anspruchsvoraussetzungen nach §2 Abs1 Z1, 2, 4 und 5 erfüllt sind,

              2. dieser Elternteil in den letzten 6 Kalendermonaten unmittelbar vor der Geburt des Kindes, für das Kinderbetreuungsgeld bezogen werden soll, durchgehend erwerbstätig gemäß Abs2 war sowie in diesem Zeitraum keine Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung erhalten hat, wobei sich Unterbrechungen von insgesamt nicht mehr als 14 Kalendertagen nicht anspruchsschädigend auswirken, und

              3. dieser Elternteil während des Bezuges des Kinderbetreuungsgeldes keine Erwerbseinkünfte, erzielt, wobei sich ein Gesamtbetrag an maßgeblichen Einkünften (§8 Abs1) von nicht mehr als 6 100 € pro Kalenderjahr nicht schädlich auswirkt, und keine Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung erhält.

              (2) Unter Erwerbstätigkeit im Sinne dieses Bundesgesetzes versteht man die tatsächliche Ausübung einer in Österreich sozialversicherungspflichtigen Erwerbstätigkeit. Als der Ausübung einer sozialversicherungspflichtigen Erwerbstätigkeit gleichgestellt gelten Zeiten der vorübergehenden Unterbrechung dieser zuvor mindestens 6 Monate andauernden Erwerbstätigkeit während eines Beschäftigungsverbotes nach dem Mutterschutzgesetz 1979 (MSchG), BGBl. Nr. 221, oder gleichartigen anderen österreichischen Rechtsvorschriften, sowie Zeiten der vorübergehenden Unterbrechung dieser zuvor mindestens 6 Monate andauernden Erwerbstätigkeit zum Zwecke der Kindererziehung während Inanspruchnahme einer Karenz nach dem MSchG oder Väter-Karenzgesetz (VKG), BGBl. Nr. 651/1989, oder gleichartigen anderen österreichischen Rechtsvorschriften, bis maximal zum Ablauf des zweiten Lebensjahres eines Kindes."

              III. Erwägungen

              1. Der Antrag ist unzulässig.

              1.1. Gemäß Art140 Abs1 B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Verfassungswidrigkeit von Gesetzen auf Antrag einer Person, die unmittelbar durch diese Verfassungswidrigkeit in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, sofern das Gesetz ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides für diese Person wirksam geworden ist.

              1.2. Der Verfassungsgerichtshof hat seit dem Beschluss VfSlg. 8009/1977 in ständiger Rechtsprechung den Standpunkt vertreten, die Antragslegitimation nach Art140 Abs1 letzter Satz B-VG setze voraus, dass durch die bekämpfte Bestimmung die (rechtlich geschützten) Interessen des Antragstellers nicht bloß potentiell, sondern aktuell beeinträchtigt werden müssen und dass der durch Art140 Abs1 B-VG dem Einzelnen eingeräumte Rechtsbehelf dazu bestimmt ist, Rechtsschutz gegen verfassungswidrige Gesetze nur insoweit zu gewähren, als ein anderer zumutbarer Weg hiefür nicht zur Verfügung steht (zB VfSlg. 11.803/1988, 13.871/1994, 15.343/1998, 16.722/2002, 16.867/2003).

              Ein solcher zumutbarer Weg ist nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes u.a. dann gegeben, wenn bereits ein gerichtliches oder verwaltungsbehördliches Verfahren läuft, das dem Betroffenen Gelegenheit zur Anregung einer amtswegigen Antragstellung an den Verfassungsgerichtshof bietet (VfSlg. 13.871/1994 mwN). Dieser Grundsatz gilt auch für den Fall, dass ein Verfahren anhängig war, in welchem der Antragsteller die Möglichkeit hatte, eine amtswegige Antragstellung an den Verfassungsgerichtshof anzuregen (VfSlg. 8890/1980, 12.810/1991). Ein Individualantrag wäre in solchen Fällen nur bei Vorliegen besonderer, außergewöhnlicher Umstände zulässig (VfSlg. 11.344/1987, 11.823/1988). Man gelangte andernfalls zu einer Doppelgleisigkeit des Rechtsschutzes, die mit dem Grundprinzip des Individualantrages als eines bloß subsidiären Rechtsbehelfes nicht in Einklang stünde (VfSlg. 15.626/1999 mwN).

              2. Auch im konkreten Fall steht der Antragstellerin ein derartiger zumutbarer Weg offen:

              2.1. Wie sie nämlich selbst in ihrem Antrag ausführt, wurde ihr vom zuständigen Krankenversicherungsträger bereits mitgeteilt, dass ihr Antrag - wenn sie diesen aufrecht erhalte und einen Umstieg auf die Pauschalvariante ablehne - abgewiesen würde. Es ist der Antragstellerin zumutbar, einen derartigen Bescheid zu erwirken, gegen einen abweisenden Bescheid ein Rechtsmittel zu erheben und beim Gericht zweiter Instanz die Stellung eines Gesetzesprüfungsantrages beim Verfassungsgerichtshof anzuregen, um auf diesem Weg ihre verfassungsrechtlichen Bedenken an den Verfassungsgerichtshof heranzutragen. Auf die Erfolgsaussichten in einem derartigen Verfahren kommt es dabei grundsätzlich nicht an (vgl. VfSlg. 16.870/2003 und die dort zitierte Vorjudikatur).

              2.2. Es liegen auch keine besonderen,

außergewöhnlichen Umstände vor, die es für die Antragstellerin unzumutbar machen würden, bis zur Beendigung des sozialgerichtlichen Verfahrens zuwarten zu müssen.

              2.3. Der Antrag ist daher zurückzuweisen.

              3. Dies konnte gemäß §19 Abs3 Z2 lite VfGG ohne

weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

Schlagworte

VfGH / Individualantrag, Kinderbetreuungsgeld

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2013:G91.2012

Zuletzt aktualisiert am

28.03.2013
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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