TE Vfgh Erkenntnis 2013/3/1 WI-16/12

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Veröffentlicht am 01.03.2013
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Index

50 GEWERBERECHT
50/05 Kammern der gewerblichen Wirtschaft

Norm

B-VG Art141 Abs1 lita
VfGG §70 Abs1
WirtschaftskammerG 1998 §88 Abs5

Leitsatz

Stattgabe der Wahlanfechtung und Aufhebung der Urwahl in einen Fachgruppenausschuss der Wirtschaftskammer Wien infolge rechtswidriger Streichung eines Bewerbers vom Wahlvorschlag der Anfechtungswerberin wegen Doppelkandidatur; Durchführung des für den Fall von Mehrfachkandidaturen vorgesehenen Verfahrens nicht nachvollziehbar bzw nicht überprüfbar

Spruch

              I. Der Wahlanfechtung wird stattgegeben.

              II. Die Urwahl in den Ausschuss der Fachgruppe 108 - Landesinnung Wien der Tischler und der Holzgestaltenden Gewerbe der Wirtschaftskammer Wien vom 27. Februar bis 2. März 2010 wird ab dem Zeitpunkt des Verstreichens der Frist für die Einbringung von Wahlvorschlägen aufgehoben.

Begründung

Entscheidungsgründe:

              I. Sachverhalt, Anfechtungsvorbringen und Vorverfahren

              1. Wahlverfahren

              1.1. Vom 27. Februar bis 2. März 2010 fanden die Urwahlen in die Ausschüsse der Fachgruppen der Wirtschaftskammer Wien, darunter die Fachgruppe 108 - Landesinnung Wien der Tischler und der Holzgestaltenden Gewerbe der Wirtschaftskammer Wien, statt. Am 12. März 2010 wurden die Wahlergebnisse in der Zeitung "Wiener Wirtschaft" als Veröffentlichungsorgan der Wirtschaftskammer Wien verlautbart.

              1.2. Die Wählergruppe "FPÖ pro Mittelstand - Freiheitliche und Unabhängige" (in der Folge: FPÖ pro Mittelstand) erstattete am 15. Jänner 2010 einen Wahlvorschlag, auf dem die Bewerber Martin S. und Heinz S. aufschienen. Dem Wahlvorschlag beigeschlossen war u.a. eine mit 12. Jänner 2010 datierte "Unterstützungserklärung" des Heinz S., in der dieser erklärte, den Wahlvorschlag der FPÖ pro Mittelstand für die Wahl des Ausschusses der Fachgruppe "Tischlereiinnung" 108 zu unterstützen.

              Am 1. Dezember 2009 erstattete die Wählergruppe "Unabhängige Wiener Tischler" einen Wahlvorschlag, auf dem neben weiteren Bewerbern auch Heinz S. als Bewerber aufschien. Im vorgelegten Wahlakt findet sich eine mit 19. Oktober 2009 datierte "Zustimmungs- und Unterstützungserklärung" des Heinz S., die u.a. folgende Erklärung enthält:

              "Gemäß §88 Abs3 WKG und §11 Abs4 WKWO gebe ich mit meiner eigenhändigen Unterschrift die Zustimmung zur Aufnahme in die Bewerberliste der oben bezeichneten Wählergruppe für die Wahl des Ausschusses der genannten Fachorganisation/Spartenvertretung/ Spartenkonferenz. Ich erkläre, die Bedingungen der §§73 Abs6-8 und 85 Abs3-5 WKG zu erfüllen und im Falle meiner Wahl das Mandat anzunehmen. Gleichzeitig unterstütze ich diesen Wahlvorschlag, auf dem ich kandidiere."

              (Zitat ohne die im Original enthaltene Fußnote)

              1.3. In der Folge teilte die Hauptwahlkommission den Zustellungsbevollmächtigten der Wählergruppe Unabhängige Wiener Tischler und der Wählergruppe FPÖ pro Mittelstand mit Schreiben jeweils vom 16. Jänner 2010 mit, dass deren Wahlvorschläge Mängel u.a. dahingehend aufwiesen, dass Heinz S. als Bewerber auch auf anderen Wahlvorschlägen aufscheine und ersucht worden sei, binnen drei Tagen bekanntzugeben, für welchen Wahlvorschlag er kandidiere. Im Wahlakt befindet sich weiters ein mit 16. Jänner 2010 datiertes Schreiben, mit dem der Bewerber Heinz S. gemäß §88 Abs5 Wirtschaftskammergesetz (WKG) aufgefordert wird, binnen drei Tagen nach Zustellung dieses Schreibens schriftlich zu erklären, für welchen Wahlvorschlag er sich entscheide; andernfalls würde er von allen Wahlvorschlägen gestrichen werden. Zustellnachweise dieser Schreiben sind dem vorgelegten Wahlakt nicht zu entnehmen.

              1.4. Am 12. Februar 2010 wurden in der Zeitung

"Wiener Wirtschaft" die "eingereichten gültigen Wahlvorschläge" verlautbart, wobei für die vorliegende

Fachgruppe folgende Listen genannt wurden: Liste 1:

Burgstaller, Greif - ÖSTERREICHISCHER WIRTSCHAFTSBUND;

Liste 2: Sozialdemokratischer Wirtschaftsverband (SWV) Liste 2 - Vejvancicky; Liste 3: Parteifreie Wahlgemeinschaft FACHLISTE

DER GEWERBLICHEN WIRTSCHAFT - RING FREIHEITLICHER

WIRTSCHAFTSTREIBENDER; Liste 4: GRÜNE WIRTSCHAFT (GRÜNE); Liste 5: Unabhängige Wiener Tischler; Liste 6: "FPÖ pro Mittelstand" - Freiheitliche und Unabhängige. Der Bewerber Heinz S. schien dabei auf keinem Wahlvorschlag auf.

              1.5. Nach Durchführung der Wahl vom 27. Februar bis 2. März 2010 wurde das Wahlergebnis von der Hauptwahlkommission am 12. März 2010 in der Zeitung "Wiener Wirtschaft" verlautbart, wobei auf die Liste 1: Burgstaller, Greif - ÖSTERREICHISCHER WIRTSCHAFTSBUND zehn Mandate, auf die Liste 2: Sozialdemokratischer Wirtschaftsverband (SWV) Liste 2 - Vejvancicky drei Mandate, auf die Liste 3: Parteifreie Wahlgemeinschaft FACHLISTE DER GEWERBLICHEN WIRTSCHAFT - RING FREIHEITLICHER WIRTSCHAFTSTREIBENDER ein Mandat und auf die Liste 5: Unabhängige Wiener Tischler zwei Mandate entfielen.

              2. Verfahren vor den Wahlbehörden

              2.1. Das am 12. März 2010 verlautbarte Ergebnis der Wahl in den Ausschuss der vorliegenden Fachgruppe sowie dessen Ermittlung wurden vom Zustellungsbevollmächtigten der Wählergruppe FPÖ pro Mittelstand mit Einspruch gemäß §98 WKG bekämpft. Mit Bescheid der Hauptwahlkommission der Wirtschaftskammer Wien vom 2. September 2010 wurde der Einspruch der Wählergruppe abgewiesen.

              2.2. Gegen diesen Bescheid erhob die Wählergruppe FPÖ pro Mittelstand durch ihren Zustellungsbevollmächtigten Beschwerde gemäß §98 Abs4 WKG. Das Verfahren über diese Beschwerde wurde mit Bescheid des Bundesministers für Wirtschaft, Familie und Jugend vom 5. September 2011 auf Grund bei der Staatsanwaltschaft Wien laufender Ermittlungen wegen behaupteten Wahlkartenbetruges ausgesetzt. In der Folge wurden mit Bescheid des Bundesministers für Wirtschaft, Familie und Jugend vom 17. Juli 2012 der Aussetzungsbescheid aufgehoben, die Anträge auf Einsicht in die Wahlkartenakte sowie die Abstimmungsverzeichnisse und Stimmzettel gemäß §19 Wirtschaftskammer-Wahlordnung (in der Folge: WKWO) zurückgewiesen und die Anträge auf Aufhebung des Bescheides der Hauptwahlkommission sowie auf Ungültigerklärung der Wirtschaftskammerwahl 2010 in Wien in der vorliegenden Fachgruppe und auf Neuausschreibung dieser Wahl gemäß §98 WKG abgewiesen.

              Begründend wurde im Hinblick auf die Streichung des Bewerbers Heinz S. vom Wahlvorschlag der Wählergruppe FPÖ pro Mittelstand ausgeführt, dass - entgegen deren Behauptung - Heinz S. mit Schreiben der Hauptwahlkommission vom 16. Jänner 2010 aufgefordert worden sei, bekanntzugeben, für welchen Wahlvorschlag er sich entscheide; eine solche Erklärung sei nicht abgegeben worden.

              3. Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof

              3.1. Mit ihrer Wahlanfechtung ficht die Wählergruppe FPÖ pro Mittelstand als Anfechtungswerberin im verfassungsgerichtlichen Verfahren durch ihren zustellungsbevollmächtigten Vertreter gemäß Art141 B-VG der Sache nach die Urwahl in den Ausschuss der Fachgruppe 108 - Landesinnung Wien der Tischler und der Holzgestaltenden Gewerbe der Wirtschaftskammer Wien vom 27. Februar 2010 bis 2. März 2010 an und beantragt, die Wahl für nichtig zu erklären und als rechtswidrig aufzuheben.

              Begründend wird u.a. vorgebracht, dass die Wahlbehörde es rechtswidrig unterlassen habe, das im Falle von Doppelkandidaturen verpflichtende Verfahren des §88 Abs5 WKG einzuhalten. Eine Aufforderung gemäß §88 Abs5 WKG sei an den Doppelkandidaten nicht ergangen. Die von der Hauptwahlkommission gewählte Vorgangsweise, ihre Entscheidung über die Streichung bzw. das Belassen eines Bewerbers auf einer Liste danach zu richten, zu welchem Datum dieser Bewerber Zustimmungserklärungen bzw. Widerrufserklärungen gegenüber einer der Wählergruppen abgegeben habe, finde keine gesetzliche Deckung. Es sei nicht ausgeschlossen, dass diese Rechtswidrigkeit nach Lage des konkreten Falles auf das Wahlergebnis zumindest von Einfluss sein konnte.

              3.2. Der Bundesminister für Wirtschaft, Familie und Jugend legte dem Verfassungsgerichtshof die Wahlakten vor und erstattete eine Gegenschrift, in der er beantragt, "die Beschwerde als unbegründet abzuweisen".

              II. Erwägungen

              Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige (s. VfGH 1.3.2013, WI-5/12) - Anfechtung erwogen:

              Die Anfechtungswerberin führt als Rechtswidrigkeit des Wahlverfahrens u.a. ins Treffen, dass der Bewerber Heinz S. rechtswidrigerweise - nämlich ohne Durchführung eines Verfahrens gemäß §88 Abs5 WKG - wegen Doppelkandidatur vom Wahlvorschlag der Anfechtungswerberin gestrichen worden sei. Eine Aufforderung gemäß §88 Abs5 WKG sei an den Doppelkandidaten nicht ergangen.

              Der Verfassungsgerichtshof hat in seinen

Erkenntnissen vom 1.3.2013, WI-5/12 und WI-14/12, ausgesprochen, dass eine Rechtswidrigkeit des Verfahrens zur Urwahl in den Ausschuss einer Fachgruppe der Wirtschaftskammer u. a. dann vorliegt, wenn im Falle des Aufscheinens eines Bewerbers auf mehreren Wahlvorschlägen das in §88 Abs5 WKG festgelegte und verpflichtend durchzuführende Verfahren nicht bzw. nicht in nachvollziehbarer Weise durchgeführt worden ist. Insbesondere ist es erforderlich, dass auf Grund der vorgelegten Wahlakten überprüft werden kann, ob eine Aufforderung an den auf zwei Wahlvorschlägen aufscheinenden Bewerber gemäß §88 Abs5 WKG diesem tatsächlich zugekommen ist. Da diese Voraussetzung im vorliegenden Fall nicht gegeben ist, erweist sich die Streichung des Bewerbers Heinz S. vom Wahlvorschlag der Anfechtungswerberin als rechtswidrig. Vor dem Hintergrund des vorliegenden Falles ist es auch nicht ausgeschlossen, dass diese Rechtswidrigkeit auf das Wahlergebnis von Einfluss sein konnte (s. VfGH 1.3.2013, WI-5/12 und WI-14/12).

              III. Ergebnis und damit zusammenhängende Ausführungen

              1. Der Wahlanfechtung der Anfechtungswerberin ist

daher schon aus diesem Grund stattzugeben und die Urwahl in den Ausschuss der Fachgruppe 108 - Landesinnung Wien der Tischler und der Holzgestaltenden Gewerbe der Wirtschaftskammer Wien vom 27. Februar bis 2. März 2010 ab dem Zeitpunkt des Verstreichens der Frist für die Einbringung von Wahlvorschlägen aufzuheben.

              2. Bei dieser Sach- und Rechtslage erübrigt sich ein Eingehen auf das restliche Antragsvorbringen.

              3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

VfGH / Wahlanfechtung, Wahlen, berufliche Vertretungen, Wirtschaftskammern, Wahlvorschlag

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2013:WI16.2012

Zuletzt aktualisiert am

28.03.2013
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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