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41 INNERE ANGELEGENHEITENNorm
B-VG Art83 Abs2Leitsatz
Entzug des gesetzlichen Richters durch Abweisung des Antrags eines afghanischen Asylwerbers auf internationalen Schutz und Ausweisung wegen unrichtiger Zusammensetzung des Spruchkörpers des Asylgerichtshofes im Hinblick auf den geltend gemachten Fluchtgrund eines drohenden sexuellen MissbrauchsSpruch
I. Der Beschwerdeführer ist durch die angefochtene Entscheidung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.
Die Entscheidung wird aufgehoben.
II. Der Bund (Bundeskanzler) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.400,- bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. Sachverhalt, Beschwerdevorbringen und Vorverfahren
1. Der Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger, reiste am 5. Dezember 2010 nach Österreich ein und stellte am selben Tag als Minderjähriger einen Antrag auf internationalen Schutz. Nach seinen Fluchtgründen befragt, gab der Beschwerdeführer im Zuge seiner Erstbefragung an, in seiner Heimat von einem lokalen Machthaber entführt worden zu sein, um von ihm sexuell missbraucht zu werden. Dem Beschwerdeführer sei aber rechtzeitig die Flucht gelungen. Im Rahmen einer Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 27. Dezember 2010 antwortete der Beschwerdeführer auf die Frage: "Warum haben Sie Ihren Herkunftsstaat verlassen?" mit "sexuelle Übergriffe an Minderjährige[n]". Nach einer weiteren Einvernahme am 1. März 2011 erließ das Bundesasylamt am 20. Mai 2011 einen Bescheid, mit dem die Anträge auf Zuerkennung von Asyl bzw. subsidiärem Schutz abgewiesen und der Beschwerdeführer nach Afghanistan ausgewiesen wurde. Begründet wurde dieser Bescheid im Wesentlichen damit, dass das Vorbringen des Beschwerdeführers unglaubwürdig sei.
2. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde an den Asylgerichtshof. Dort wurde die Rechtssache der Gerichtsabteilung C/1, bestehend aus einer vorsitzenden Richterin und einem Richter, zugeteilt. Mit Schreiben vom 18. Oktober 2011 schränkte der rechtsfreundlich vertretene Beschwerdeführer die Beschwerde auf die Fragen des subsidiären Schutzes und der Ausweisung ein. Nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 24. April 2012 wies der Asylgerichtshof mit Entscheidung vom 31. Juli 2012 die Beschwerde ab und ordnete die Ausweisung des Beschwerdeführers aus dem Bundesgebiet an. Der Asylgerichtshof begründete die Abweisung des Antrags auf subsidiären Schutz damit, dass dem aus der Provinz Baghlan stammenden Beschwerdeführer in Kabul jedenfalls keine Gefahr seitens afghanischer Sicherheitskräfte drohe und er deshalb jedenfalls dorthin zurückkehren könne, wo er mit Hilfeleistung durch seine in Kabul ansässigen Verwandten rechnen könne.
3. Gegen diese Entscheidung des Asylgerichtshofes richtet sich die vorliegende auf Art144a B-VG gestützte Beschwerde, in der der Beschwerdeführer die Verletzung in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten geltend macht. Der Asylgerichtshof legte die Verwaltungsakten vor, verzichtete auf eine Gegenschrift, verwies auf die Begründung in der angefochtenen Entscheidung und beantragt, die Beschwerde abzuweisen.
II. Erwägungen
Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:
1. Das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter wird durch den Bescheid einer Verwaltungsbehörde verletzt, wenn die Behörde eine ihr gesetzlich nicht zukommende Zuständigkeit in Anspruch nimmt oder wenn sie in gesetzwidriger Weise ihre Zuständigkeit ablehnt, etwa indem sie zu Unrecht eine Sachentscheidung verweigert (zB VfSlg. 15.482/1999, 15.858/2000, 16.079/2001 und 16.737/2002). Das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter wird insbesondere dann verletzt, wenn eine an sich zuständige, aber nicht dem Gesetz entsprechend zusammengesetzte Kollegialbehörde entschieden hat (zB VfSlg. 10.022/1984, 14.731/1997, 15.588/1999, 15.668/1999, 15.731/2000 und 16.572/2002).
1.1. Der Beschwerdeführer hat im vorliegenden Fall mit seinem Vorbringen im Zuge der Erstbefragung und der Einvernahmen vor dem Bundesasylamt zwar nicht behauptet, dass er bereits Opfer eines sexuellen Übergriffs geworden sei, wohl aber, dass er mit seiner Flucht der drohenden Gefahr, andernfalls Opfer von sexuellem Missbrauch zu werden, habe entgehen wollen.
1.2. §20 Abs1 AsylG 2005 bestimmt, dass jener
Asylwerber von Personen desselben Geschlechts einzuvernehmen ist, der seine Furcht vor Verfolgung auf "Eingriffe in seine sexuelle Selbstbestimmung [gründet]". Dazu heißt es in den Materialien (siehe RV 952 BlgNR 22. GP, 45):
"Ausdrücklich wird normiert, dass Asylwerber, die behaupten Opfer von sexuellen Misshandlung zu sein oder solchen Gefahren ausgesetzt zu werden, von Personen desselben Geschlechts einzuvernehmen sind. In diesem Sinne hat etwa das Exekutiv-Komitee für das Programm des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen die Staaten aufgefordert, wo immer dies notwendig ist, ausgebildete weibliche Anhörer in den Verfahren zur Feststellung des Flüchtlingsstatus zur Verfügung zu stellen, und den entsprechenden Zugang der weiblichen Asylsuchenden zu diesen Verfahren, auch wenn die Frauen von männlichen Familienmitgliedern begleitet werden, zu sichern (Beschluss Nr. 64 [XLI] über Flüchtlingsfrauen und Internationalen Rechtsschutz lita Abschnitt iii). Dass die Gefahr, vergewaltigt oder sexuell misshandelt zu werden, in aller Regel unter den Tatbestand des Art1 Abschnitt A der Genfer Flüchtlingskonvention fällt, liegt auf der Hand und Bedarf keiner weiteren Erörterung (vgl. dazu insbesondere den Beschluss des Exekutiv-Komitees für das Programm des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen Nr. 73 [XLIV] betreffend Rechtsschutz für Flüchtlinge und sexuelle Gewalt). Unberührt bleibt von der Neufassung der Bestimmung die Absicht des Gesetzgebers hiermit internationale Beschlüsse umzusetzen (in diesem Sinne auch VwGH Erk. 2001/01/0402 vom 03.12.2003); daher sind, wenn es notwendig und möglich ist, etwa auch weibliche Dolmetscher für entsprechende Verfahren zu bestellen."
1.3. Daraus ergibt sich, dass der Gesetzgeber (wenngleich vor dem Hintergrund des häufigeren Falles weiblicher Betroffener) unter Bezugnahme auf und in Entsprechung von Empfehlungen in einschlägigen internationalen Dokumenten die Anordnung treffen wollte, dass die Einvernahme bzw. gemäß §20 Abs2 AsylG 2005 auch die Verhandlungsführung vor dem Asylgerichtshof schon dann durch Personen desselben Geschlechts durchzuführen ist, wenn die Flucht aus dem Heimatstaat nicht mit bereits stattgefundenen, sondern mit Furcht vor sexuellen Übergriffen begründet wurde.
1.4. Da der Beschwerdeführer schon vor dem Bundesasylamt einen derartigen Fluchtgrund des drohenden sexuellen Missbrauchs geltend gemacht und die Durchführung des Verfahrens durch andere Richter nicht gemäß §20 Abs2 letzter Satz AsylG 2005 spätestens in der Beschwerde an den Asylgerichtshof verlangt hat, hätte seine Beschwerde daher einem Senat mit Richtern desselben Geschlechts zugeteilt werden müssen. Der nachträglich eingetretene Umstand, dass der Beschwerdeführer seine Beschwerde während des Verfahrens vor dem Asylgerichtshof auf die Fragen des subsidiären Schutzes und der Ausweisung einschränkte, ändert nichts an der bereits ursprünglich gegebenen Unrichtigkeit der Senatszusammensetzung.
1.5. Da der Asylgerichtshof durch einen aus einer vorsitzenden Richterin und einem beisitzenden Richter bestehenden Senat über die Beschwerde entschieden hat, wurde der Beschwerdeführer somit in seinem Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt (vgl. VfGH 27.9.2012, U688/12 ua).
2. Zur Vermeidung überflüssigen Verfahrensaufwandes weist der Verfassungsgerichtshof im Übrigen auf Folgendes hin:
2.1. Für die zur Prüfung der Notwendigkeit
subsidiären Schutzes erforderliche Gefahrenprognose ist bei einem nicht landesweiten bewaffneten Konflikt (vgl. §8 Abs1 AsylG 2005) auf den tatsächlichen Zielort des Beschwerdeführers bei einer Rückkehr abzustellen. Kommt die Herkunftsregion des Beschwerdeführers als Zielort wegen der dem Beschwerdeführer dort drohenden Gefahr nicht in Betracht, kann er nur unter Berücksichtigung der dortigen allgemeinen Gegebenheiten und seiner persönlichen Umstände auf eine andere Region des Landes verwiesen werden (vgl. §11 Abs2 AsylG 2005, zB VfGH 11.10.2012, U677/12).
2.2. Soweit der Asylgerichtshof im vorliegenden Fall erkennbar davon ausgeht, dass eine Gefährdung des Beschwerdeführers im Sinne des Art3 EMRK in seiner Heimatprovinz nicht auszuschließen ist und er daher untersucht hat, ob der Beschwerdeführer über ein ausreichendes soziales Netz in Kabul verfügt, wird sich der Asylgerichtshof im fortgesetzten Verfahren - anders als dies bislang der Begründung der angefochtenen Entscheidung entnommen werden kann - in einer nachvollziehbaren Beweiswürdigung mit dem Vorbringen des Beschwerdeführers auseinanderzusetzen haben, wonach dieser in Kabul mit der Unterstützung durch Verwandte aus den von ihm näher dargelegten Gründen nicht rechnen könne. Erst auf der Grundlage einer solchen Beweiswürdigung werden sodann die im Sinne des §11 Abs2 AsylG 2005 erforderlichen Feststellungen zu treffen sein.
III. Ergebnis und damit zusammenhängende Ausführungen
Die angefochtene Entscheidung ist daher aufzuheben.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§88a iVm 88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 400,- enthalten.
Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
Schlagworte
Asylrecht, Behördenzuständigkeit, Behördenzusammensetzung, Asylgerichtshof, AusweisungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2013:U1674.2012Zuletzt aktualisiert am
28.03.2013