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40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AVG §66 Abs4;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Degischer und die Hofräte Dr. Kail und Dr. Bernegger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Thalhammer, über die Beschwerde der GA in S, vertreten durch Dr. BH, Rechtsanwalt in L, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom 13. Mai 1997, Zl. UVS- 04/A/40/00060/97, betreffend eine Baustrafe (weitere am Verfahren beteiligte Partei: Wiener Landesregierung), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Die Bundeshauptstadt Wien hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 12.830,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die Beschwerdeführerin ist Miteigentümerin des Hauses Wien, P-Straße 32. Mit Bescheid des Magistrates der Stadt Wien, Magistratsabteilung 37 (im Folgenden: MA 37), vom 20. Mai 1987 wurde der Beschwerdeführerin der Auftrag erteilt:
1.) Binnen zwei Wochen nach Zustellung dieses Bescheides
a) die Dacheindeckung des Mitteltraktes niederschlagsdicht in Stand zu setzen,
b) das Geländer der Stiege III im Bereich des Dachgeschoßes anzubringen und
c) den Stiegenlauf der Stiege I vom Erdgeschoß zum ersten Stock in Stand setzen zu lassen.
2.) Binnen sechs Monaten nach Rechtskraft dieses Bescheides
a) den Verputz des Krönungsgesimses der Fronten Praterstraße und Tempelgasse in Stand zu setzen,
b) das Mauerwerk sämtlicher Rauchfangköpfe des Vordertraktes in Stand setzen zu lassen.
Die Behörde stellte fest, dass die Dacheindeckung des Mitteltraktes schadhaft war, weil einige Ziegel gebrochen waren bzw. fehlten. Beim Stiegenlauf der Stiege I seien im Bereich des Erdgeschoßes die Fugen zwischen den Stufen ausgebrochen, sodass die Steinstufen nur an zwei Punkten aufgelagert seien, wodurch eine wesentliche Verringerung der Tragfähigkeit gegeben sei. Die angeführten Schäden stellten eine Verschlechterung des ursprünglichen konsens- und bauordnungsgemäßen Zustandes des Hauses dar und müssten als Baugebrechen im Sinne des § 129 Abs. 2 und 4 der BauO für Wien angesehen werden.
Bezüglich aller Punkte dieses Bauauftrages wurde ein Verwaltungsstrafverfahren eingeleitet, wobei der Magistrat der Stadt Wien, Magistratisches Bezirksamt (im Folgenden: MBA), der Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 13. Mai 1991 vorhielt (in der Urschrift dieses Schreibens findet sich ein ausdrücklicher Verweis auf den Bauauftrag aus 1987), dass sie es unterlassen hätte, die in diesem Bauauftrag geforderten Instandsetzungsmaßnahmen durchzuführen, und daher eine Verwaltungsübertretung nach § 129 Abs. 2 in Verbindung mit § 135 der BauO für Wien begangen hätte. In ihrer Rechtfertigung dazu vom 24. Mai 1991 verwies die Beschwerdeführerin insbesondere auf eine von einer Firma R. in den Jahren 1987/1988 durchgeführte Großdachreparatur mit einer kompletten Sanierung.
Über diesbezügliche Anfrage durch das MBA vom 19. August 1991 erklärte die MA 37 mit Schreiben vom 8. November 1994, dass dem Bauauftrag Punkt 1b und Punkt 2b noch immer nicht entsprochen worden sei, die übrigen Punkte des Auftrages aber bereits erfüllt worden seien. Mit Schreiben vom 7. November 1994 zeigte die MA 37 dem MBA an, dass die Beschwerdeführerin von den im Bescheid vom 20. Mai 1987 festgestellten Baugebrechen nach einer Überprüfung am 3. November 1994 die Anordnungen in den Punkten 1b und 2a nicht erfüllt hätte. Dass das eingeleitete Strafverfahren hinsichtlich der Punkte 1a) und 1c) des Bauauftrages eine unmittelbare Fortsetzung gefunden hätte, ist dem Akt nicht zu entnehmen.
Am 16. Februar 1995 fragte das MBA bei der MA 37 an, ob seit der letzten Überprüfung vom 8. November 1994 hinsichtlich der festgestellten Baugebrechen eine Veränderung eingetreten sei. In einem Aktenvermerk vom 13. Juni 1996 hielt das MBA nach einer telefonischen Rücksprache mit einem Werkmeister der MA 37 fest, welchen Punkte des Bescheides vom 20. Mai 1987 noch nicht entsprochen worden sei. Es handle sich um die Punkte 1a und 1c dieses Bescheides.
Im Rahmen des hier gegenständlichen Strafverfahrens erging vom MBA am 25. Juni 1996 die Aufforderung an die Beschwerdeführerin, sich zu rechtfertigen, dass sie es unterlassen hätte,
1. die Dacheindeckung des Mitteltraktes niederschlagsdicht in Stand zu setzen und
2. den Stiegenlauf auf der Stiege I vom Erdgeschoss zum ersten Stock in Stand zu setzen.
Dazu fand am 18. Juli 1996 vor der Strafbehörde erster Instanz eine Verhandlung statt, bei der die Beschwerdeführerin einen Kostenvoranschlag zur Reparatur des Daches des Mitteltraktes vorlegte und ankündigte, sie werde eine Auftragsbestätigung und den voraussichtlichen Termin der Durchführung umgehend übermitteln. Sie verwies auch darauf, dass andere (Instandsetzungs-)Arbeiten vordringlicher gewesen wären. Man hätte ursprünglich geglaubt, dass es einen Rohrbruch gegeben hätte, jedoch sei dann festgestellt worden, dass ein Dachschaden vorliege. Bei der großen Dachreparatur 1989 sei vom Spengler ein Provisorium installiert worden, was aber erst jetzt bekannt geworden sei. Den Handlauf (diesbezüglich lag ein offenbares Missverständnis auf Seiten der Beschwerdeführerin bezüglich des instandzusetzenden Stiegenlaufes vor) habe sie nicht als so notwendig empfunden, da ohnehin eine Eisenstange vorhanden gewesen sei und nur die Holzummantelung fehlte.
In der Folge wurde das Schreiben der Spenglerei A. vom 18. Juli 1996 übermittelt, wonach in der Lohnwoche 30 die Arbeiten vorgenommen würden. Allerdings teilte die MA 37 mit Schreiben vom 13. Jänner 1997 mit, dass die Situation die gleiche wie zur Zeit der Anzeigelegung sei.
Mit Straferkenntnis vom 24. Jänner 1997 wurde die Beschwerdeführerin schuldig erkannt, sie hätte als Eigentümerin des gegenständlichen Hauses insoferne nicht für die Erhaltung der Baulichkeit und der dazugehörigen Anlagen in einem der Baubewilligung und den Vorschriften der Bauordnung für Wien entsprechenden Zustand gesorgt, als sie es in der Zeit vom 7. Juni 1994 bis 28. Mai 1996 unterlassen habe,
1. die Dacheindeckung des Mitteltraktes niederschlagsdicht in Stand zu setzen und
2. den Stiegenlauf auf der Stiege I vom Erdgeschoss zum ersten Stock in Stand zu setzen.
Sie habe dadurch § 129 Abs. 2 in Verbindung mit § 135 der BauO für Wien verletzt, weshalb wegen dieser Verwaltungsübertretung über die Beschwerdeführerin eine Geldstrafe von S 60.000,-- und eine Ersatzfreiheitsstrafe verhängt wurde. Außerdem wurde sie zum Kostenersatz verpflichtet.
In der Begründung verwies die Strafbehörde erster Instanz auf die Anzeige der Baupolizei und auf die Verantwortung der Beschwerdeführerin. Die Verletzung der Instandhaltungspflicht habe während des Tatzeitraumes bestanden, sodass in objektiver Hinsicht der Tatbestand erfüllt sei. Das Baugebrechen sei über fast zwei Jahre mit Wissen der Beschwerdeführerin unbehoben geblieben und hätten sich ihre Aktivitäten auf das Einholen von Kostenvoranschlägen und auf eine fruchtlos gebliebene Auftragsvergabe beschränkt. Die Verwaltungsübertretungen schädigten in nicht unerheblichem Maße das Interesse an der Aufrechterhaltung des guten Bauzustandes städtischer Gebäude, sodass der Unrechtsgehalt nicht gering sei; bei der Strafbemessung sei auf die verwaltungsstrafrechtliche Unbescholtenheit und auf das geringe Einkommen der Beschwerdeführerin und ihre Sorgepflichten für einen noch nicht berufstätigen Sohn Rücksicht genommen worden.
In ihrer dagegen erstatteten Berufung brachte die Beschwerdeführerin vor, dass die abgerutschten Dachziegel des Mitteltraktes und die Rinnen und Maueröffnungen in Stand gesetzt worden seien, und legte dazu eine Rechnung vom 18. Juli 1996 vor. Diese Rechnung der Spenglerei A. betrifft das Einhängen der abgerutschten Dachziegel und Auswechseln der gebrochenen Dachziegel am Mitteltrakt und das Abdichten der Maueröffnungen am Mitteltrakt mit Maschengitter sowie das Abbauen des Provisoriums an der Rinne und das Herstellen eines Stutzens mit Anschluss an ein PVC-Rohr. Der Stiegenlauf auf der Stiege vom Erdgeschoß zum ersten Stock sei von einem Arbeiter ihres Landwirtschaftsbetriebes, der ein gelernter Tischler sei, dahingehend in Stand gesetzt worden, dass alle schrägen Fehlstellen repariert worden seien.
Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung keine Folge und bestätigte das Straferkenntnis mit der Maßgabe, dass die verletzte Rechtsvorschrift richtig "§ 129 Abs. 2 i. V.m. § 135 Abs. 1 und Abs. 3 der BauO für Wien" zu lauten habe.
Die belangte Behörde stellte fest, dass bereits mit Bauauftrag vom 20. Mai 1987 der Beschwerdeführerin aufgetragen worden sei, die nun verfahrensgegenständlichen Baugebrechen binnen zwei Wochen zu beheben. Nach mehreren Anzeigen der Baupolizei wegen unterlassener Behebung weiterer, hier nicht gegenständlicher Baumängel habe der zuständige Vertreter der Magistratsabteilung 37/2 auf Grund seines Schreibens vom 28. Mai 1996 neuerlich mitgeteilt, dass die verfahrensgegenständlichen Baugebrechen bislang nicht behoben worden seien. Die Verantwortung der Beschwerdeführerin, die Gebrechen seien behoben, beziehe sich auf einen Zeitpunkt nach dem hier vorgeworfenen Tatzeitraum. Auf Grund der Erhebungen der Baupolizei und auf Grund des Vorbringens der Beschwerdeführerin stehe ohne Zweifel fest, dass die in Rede stehenden Baugebrechen während des gesamten Tatzeitraumes unbehoben gewesen seien.
Zur subjektiven Tatseite führte die belangte Behörde unter Hinweis auf den Bauauftrag aus dem Jahr 1987 aus, dass die Beschwerdeführerin bereits jahrelang verpflichtet gewesen wäre, alles in ihren Kräften Stehende zu unternehmen, um die Baugebrechen raschest möglich zu beheben. Es könne ihr daher nicht bloß fahrlässiges Verhalten vorgeworfen werden, sondern sei von einem bewussten Inkaufnehmen des Bestehens der Baumängel und damit von vorsätzlichem Verhalten auszugehen.
Zur Strafbemessung führte die belangte Behörde aus, dass der Unrechtsgehalt erheblich sei, weil die gegenständlichen Baugebrechen sowohl das öffentliche als auch das private Interesse an der Erhaltung eines sicheren Gebäudezustandes und damit das Interesse an der Vermeidung von Personengefährdungen gravierend beeinträchtigt habe. Die mit 20 % des Strafrahmens bemessene Geldstrafe erscheine daher selbst bei Berücksichtigung des bereits erstinstanzlich bekannt gegebenen bloß durchschnittlichen Einkommens und des Bestehens der Sorgepflichten tatangemessen und nicht zu hoch, sei doch vom nicht unbedeutenden Vermögen der Berufungswerberin (gegenständliches Eigentum) auszugehen und komme erschwerend sowohl der lange Tatzeitraum als auch eine einschlägige verwaltungsstrafrechtliche Vormerkung hinzu.
In ihrer dagegen erhobenen Beschwerde erachtet sich die Beschwerdeführerin in ihrem Recht verletzt, nicht bestraft zu werden, sowie in ihrem Recht auf fehlerfreie Handhabung des bei der Festsetzung der Strafe auszuübenden Ermessens. Sie begehrt die Aufhebung des angefochtenen Bescheides wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.
Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und
erstattete eine Gegenschrift.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Der Tatvorwurf hinsichtlich der beiden verfahrensgegenständlichen Gebrechen beruht, was sich aus den vorgelegten Verwaltungsakten und aus dem mehrfachen Hinweis im angefochtenen Bescheid ergibt, eindeutig auf dem Bescheid vom 20. Mai 1987. Was konkret die Schäden am Dach betrifft, hat die Beschwerdeführerin nicht erst jetzt im verwaltungsgerichtlichen Verfahren, sondern schon in ihrer Rechtfertigung vom 24. Mai 1991 auf eine durch eine Firma R. durchgeführte Großdachreparatur mit kompletter Sanierung verwiesen. Selbstverständlich ist es möglich, dass derartige Gebrechen auch nach einer Behebung neuerlich wieder auftreten; insbesondere hinsichtlich des Schadens am Dach ist es ja unbestritten, dass eine auch tatsächlich durchgeführte Reparatur, die den Gegenstand der vorgelegten Rechnung vom 18. Juli 1996 bildete, erforderlich war.
Vorgeworfen wird aber eine Begehung in der Zeit vom 7. Juni 1994 bis 28. Mai 1996. Mit dem Beginn dieses Tatzeitraumes ist die Mitteilung der MA 37 vom 8. November 1994, dass die übrigen Punkte des Auftrages aus 1987, also insbesondere die hier gegenständlichen Punkte 1a und 1c, bereits erfüllt seien, nicht vereinbar. Der Widerspruch zum Aktenvermerk vom 13. Juni 1996, der auf ein Telefonat mit einem Werkmeister der MA 37 verweist, wonach gerade diesen Punkten "noch nicht entsprochen" worden wäre, blieb unaufgeklärt. Es ist zwar richtig, dass die Beschwerdeführerin in ihrer Berufung vor allem dartun wollte, die vorgeworfenen Gebrechen raschest behoben zu haben. Die belangte Berufungsbehörde hatte aber über den gesamten Tatzeitraum, also beginnend mit 7. Juni 1994, zu befinden und mussten von ihr diese Widersprüche im Tatsachenbereich berücksichtigt werden, weil die Berufungsbehörde nach der zufolge § 24 VStG auch im Verwaltungsstrafverfahren anzuwendenden Bestimmung des § 66 Abs. 4 AVG aus Anlass der Berufung die Sache ebenso wie die Behörde erster Instanz nach allen tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkten neu zu überprüfen hat.
Jedenfalls ist hinsichtlich des Schadens am Dach der Beginn des angenommenen Tatzeitraumes mit dem Aktenvermerk vom 8. November 1994 - der der Strafanzeige vom 7. November 1994 entspricht - nicht vereinbar. Der Schaden an der Stiege ist von diesem Aktenvermerk vom 8. November 1994 gleichfalls erfasst; die Beschwerdeführerin ist hier offenkundig einem Missverständnis unterlegen und hat dies mit den Anforderungen an ein Stiegengeländer verwechselt. Was den Aktenvermerk vom 13. Juni 1996 betrifft, wäre allerdings auch hier aufklärungsbedürftig, ob tatsächlich der im Punkt 1c des Bauauftrages vom 20. Mai 1987 und in dessen Begründung näher ausgeführte Mangel an der Stiege (Fugen zwischen den Stufen) gemeint war.
Der einer allfälligen Bestrafung zu Grunde liegende Sachverhalt bedarf daher in einem wesentlichen Punkt einer Ergänzung, weil nicht gesichert angenommen werden kann, dass tatsächlich während des vorgeworfenen Tatzeitraumes, insbesondere von Beginn an, die beiden den Vorwurf bildenden Gebrechen vorgelegen sind. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b VwGG aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am 21. November 2000
Schlagworte
Anwendungsbereich des AVG §66 Abs4 ZustellungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2000:1997050204.X00Im RIS seit
10.01.2001