TE AsylGH Erkenntnis 2013/05/06 S6 428734-2/2013

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Veröffentlicht am 06.05.2013
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Spruch

S6 428.734-2/2013/2E

 

IM NAMEN DER REPUBLIK!

 

Der Asylgerichtshof hat durch die Richterin Dr. SINGER als Einzelrichterin über die Beschwerde der XXXX, geb. XXXX, StA. der Russischen Föderation, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 15.03.2013, Zl. 12 18.914-EAST Ost, zu Recht erkannt:

 

I. Die Beschwerde wird gemäß §§ 5 und 10 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 idgF, als unbegründet abgewiesen.

 

II. Gemäß § 41 Abs. 6 AsylG 2005 idgF wird festgestellt, dass die Ausweisung zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides rechtmäßig war.

Text

Entscheidungsgründe:

 

I. Verfahrensgang und Sachverhalt:

 

I.1. Der Verfahrensgang vor der erstinstanzlichen Behörde ergibt sich aus dem erstinstanzlichen Verwaltungsakt.

 

Die Beschwerdeführerin ist Staatsangehörige der Russischen Föderation und stellte am 18.07.2012 den ersten Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.

 

Die erkennungsdienstliche Behandlung ergab, dass sie laut EURODAC-Treffer bereits in Polen/XXXX am 08.07.2012 einen Asylantrag stellte. Polen hat am 20.07.2012 seine Zustimmung zur Wiederaufnahme der Beschwerdeführerin gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. c der VO (EG) Nr. 343/2003 des Rates (Dublin-II-VO) erklärt.

 

Der Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz wurde seitens der erstinstanzlichen Behörde mit Bescheid vom 09.08.2012, Zahl 12 09.023-EAST Ost, gemäß § 5 Abs. 1 AsylG ohne in die Sache einzutreten als unzulässig zurückgewiesen und wurde Polen gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. c der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates (Dublin II) für zuständig erklärt. Gleichzeitig wurde die Beschwerdeführerin gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Polen ausgewiesen und ihre Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in letztgenannten Mitgliedstaat gemäß § 10 Abs. 4 AsylG für zulässig erklärt.

 

Die dagegen fristgerecht erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 07.09.2012 zu Zl. S6 428.734-1/2012/2E als unbegründet abgewiesen.

 

Am 05.12.2012 wurde die Beschwerdeführerin nach Polen überstellt.

 

I.2. Am 31.12.2012 stellte die Beschwerdeführerin den gegenständlichen zweiten Antrag auf internationalen Schutz in Österreich und wurde am selben Tag erstbefragt. Über Nachfrage, warum sie neuerlich einen Asylantrag in Österreich stelle, meinte die Antragstellerin, dass sich ihr Gesundheitszustand nach der Abschiebung nach Polen verschlechtert und sie dort keine ausreichende medizinische Versorgung erhalten habe. Sie leide an Asthma und Hepatitis C, habe einen Gehirntumor und müsse verschiedene Medikamente nehmen. Aus diesem Grund sei sie auf die Pflege und Unterstützung ihres in Österreich lebenden Sohnes angewiesen. Zudem hätten ihr die Ärzte in Österreich gesagt, sie hätte mit einer Lebenserwartung von ein bis zwei Jahren zu rechnen, sollte sie die neunmonatige Therapie zur Behandlung von Hepatitis C nicht abschließen. Zu ihrem Aufenthalt in Polen führte die Antragstellerin aus, sich in zwei verschiedenen Lagern befunden und bislang keine Entscheidung über ihren Folgeantrag in Polen erhalten zu haben. Aus gesundheitlichen Gründen habe sie Polen schließlich verlassen und sei mit dem Zug von XXXX nach XXXX gefahren. Sie möchte hier bei ihrem einzigen Sohn bleiben.

 

Am 04.01.2013 übermittelte das Bundesasylamt ein Ersuchen um Wiederaufnahme der Antragstellerin gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. c der VO (EG) Nr. 343/2003 des Rates an Polen. Am 08.01.2013 wurde der Beschwerdeführerin nachweislich die Mitteilung des Bundesasylamtes gemäß § 29 Abs. 3 Z 4 AsylG zur Kenntnis gebracht, wonach beabsichtigt sei, ihren Antrag auf internationalen Schutz zurückzuweisen, da Konsultationen mit Polen geführt werden würden. Polen hat sich mit Schreiben vom 08.01.2013 bereit erklärt, die Asylwerberin auf der Grundlage des Art. 16 Abs. 1 lit. d der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates (Dublin II) wiederaufzunehmen.

 

Mit Schreiben vom 15.01.2013 übermittelte die bevollmächtigte Vertretung der Beschwerdeführerin einen Meldezettel sowie einen Ambulanzbefund des Landeskrankenhauses XXXX, in welchem die Diagnosen: chron. Hepatitis C, Subtyp II; Hyperlipidämie, Asthma bronchiale, Hirntumor aufscheinen. Des Weiteren wird darin festgehalten, dass vor Beginn der erwünschten Hepatitis-C-Kombinationstherapie geklärt sein müsse, ob die Beschwerdeführerin für mindestens neun Monate im Einzugsbereich des Krankenhauses aufhältig sein werde (AS 89).

 

Am 16.01.2013 wurde der Beschwerdeführerin das Informationsblatt gem. § 23 Abs. 9 AsylG ausgefolgt (AS 103 bis 105).

 

Mit Schreiben vom 17.01.2013 informierte das Bundesasylamt darüber, dass im gegenständlichen Fall kein faktischer Abschiebeschutz gem. § 12 a Abs. 1 gewährt werde.

 

Am 21.02.2013 wurde die Beschwerdeführerin nach Polen überstellt.

 

Das Bundesasylamt hat mit dem verfahrensgegenständlichen angefochtenen Bescheid vom 15.03.2013, Zl. 12 18.914-EAST Ost, den Antrag auf internationalen Schutz der Beschwerdeführerin ohne in die Sache einzutreten gem. § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass für die Prüfung des gegenständlichen Antrages auf internationalen Schutz gem. Art. 16 Abs. 1 lit. d der Verordnung Nr. 343/2003 (EG) des Rates Polen zuständig sei. Gleichzeitig wurde die Genannte gem. § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Polen ausgewiesen und gem. § 10 Abs. 4 AsylG festgestellt, dass die Abschiebung nach Polen zulässig sei.

 

Das Bundesasylamt traf in diesem Bescheid u.a. Feststellungen zum polnischen Asylverfahren, zur Situation von Dublin-II-Asylwerbern, zur Praxis des Non-Refoulement-Schutzes sowie zur allgemeinen und zur medizinischenVersorgung von Asylwerbern in Polen.

 

In der Beweiswürdigung wurde festgehalten, dass im Verfahren kein im besonderen Maße substantiiertes, glaubhaftes Vorbringen betreffend das Vorliegen besonderer, bescheinigter außergewöhnlicher Umstände, die die Gefahr einer Verletzung des Art. 3 EMRK im Falle einer Überstellung nach Polen ernstlich möglich erscheinen lassen, hervorgekommen sei. Die Regelvermutung des § 5 Abs. 3 AsylG treffe daher zu. Es habe sich kein Anlass für die Ausübung des Selbsteintrittsrechts des Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO ergeben. Im Übrigen sei der Gesundheitszustand der Beschwerdeführerin bereits in ihrem Erstverfahren umfassend geprüft worden. Aus dem gesamten vorliegenden Sachverhalt ergebe sich kein Hinweis auf anstehende und dringliche ärztliche Behandlungen, beispielsweise in Form von Operationen oder sonstigen unaufschiebbaren ärztlichen Behandlungen. Zudem sei auf die Feststellungen zu Polen hinzuweisen, woraus eindeutig ersichtlich sei, dass in Polen Behandlungsmöglichkeiten bestünden, diese auch zugänglich seien und die medizinische Versorgung für Asylwerber gewährleistet sei, so dass auch unter Verweis auf die Judikatur des EGMR auch eine eventuell behauptete psychische Störung oder ein physische Gebrechen einer Überstellung nach Polen in keinster Weise im Wege stünde. Die Ausweisung nach Polen sei auch im Hinblick auf Art. 8 EMRK zulässig.

 

Gegen diesen Bescheid hat die Antragstellerin fristgerecht durch ihre bevollmächtigte Vertretung Beschwerde erhoben und darin im Wesentlichen geltend gemacht, dass sie in Polen keine medizinische Betreuung erhalten und sich ihr gesundheitlicher Zustand dort sogar noch verschlechtert hätte. In Österreich wiederum könnte sie eine adäquate Pflege durch ihren hier lebenden Sohn und dessen Familie bekommen. Die belangte Behörde habe es jedoch verabsäumt, zu beurteilen, welchen Einfluss ein Zusammenleben und die Pflege durch die Familie der Beschwerdeführerin auf ihren Gesundheitszustand haben könnte. Das Bundesasylamt habe sich nicht mit der konkreten Situation der Beschwerdeführerin auseinandergesetzt, womit eine rechtliche Auseinandersetzung mit ihrem Vorbringen nicht möglich gewesen sei.

 

II. Der Asylgerichtshof hat durch die zuständige Richterin über die gegenständliche Beschwerde wie folgt erwogen:

 

1. Verfahrensgang und Sachverhalt ergeben sich aus dem vorliegenden Verwaltungsakt.

 

2. Rechtlich ergibt sich Folgendes:

 

2.1. Mit Datum 01.01.2006 ist das neue Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl in Kraft getreten (AsylG idF BGBL. I Nr. 100/2005) und ist somit auf alle ab diesem Zeitpunkt gestellten Anträge auf internationalen Schutz, sohin auch auf den vorliegenden, anzuwenden.

 

2.2. Gemäß § 23 Abs. 1 AsylGHG idF BGBl. I. Nr. 147/2008 sind auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof, sofern sich aus dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100, nicht anderes ergibt, die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 (AVG), BGBl. Nr. 51, mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffs "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt.

 

2.3. Gemäß § 5 Abs. 1 AsylG ist ein nicht gemäß § 4 AsylG erledigter Asylantrag als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder aufgrund der Verordnung Nr. 343/2003 (EG) des Rates vom 18.02.2003 zur Prüfung des Asylantrages zuständig ist. Mit dem Zurückweisungsbescheid hat die Asylbehörde auch festzustellen, welcher Staat zuständig ist.

 

Gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG ist die Zurückweisung eines Antrages nach Maßgabe der § 10 Abs. 3 und Abs. 4 AsylG mit einer Ausweisung zu verbinden. Die Dublin II-VO ist eine Verordnung des Rechts der Europäischen Union, die Regelungen über die Zuständigkeit zur Prüfung von Asylanträgen von Drittstaatsangehörigen trifft. Sie gilt also nicht für mögliche Asylanträge von EU-Bürgern, ebenso wenig ist sie auf Personen anwendbar, denen bereits der Flüchtlingsstatus zuerkannt wurde. Das wesentliche Grundprinzip ist jenes, dass den Drittstaatsangehörigen in einem der Mitgliedstaaten das Recht auf ein faires, rechtsstaatliches Asylverfahren zukommt, jedoch nur ein Recht auf ein Verfahren in einem Mitgliedstaat, dessen Zuständigkeit sich primär nicht aufgrund des Wunsches des Asylwerbers, sondern aufgrund der in der Verordnung festgesetzten hierarchisch geordneten Zuständigkeitskriterien ergibt.

 

Es ist daher zunächst zu überprüfen, welcher Mitgliedstaat nach den hierarchisch aufgebauten (Art. 5 Abs. 1 Dublin II-VO) Kriterien der Art. 6-12 bzw. 14 und Art. 15 Dublin II-VO, beziehungsweise nach dem Auffangtatbestand des Art. 13 Dublin II-VO zur inhaltlichen Prüfung zuständig ist.

 

Im gegenständlichen Fall wurde festgestellt, dass die Beschwerdeführerin zunächst in Polen einen Asylantrag gestellt, diesen jedoch wieder zurückgezogen und sich nach Österreich begeben hat. Unter Zugrundelegung des festgestellten Sachverhaltes kommt nach den Kriterien der Dublin II-VO deren Art. 16 Abs. 1 lit. d (iVm Art. 13) für die Wiederaufnahme in Betracht. Dies wird jedenfalls auch durch die ausdrückliche Zustimmung Polens zur Rückübernahme der Beschwerdeführerin gem. Art. 16 Abs. 1 lit. d Dublin II VO offenkundig. Gründe für eine mittlerweile eingetretene Unzuständigkeit Polens sind nicht ersichtlich.

 

Es sind auch aus der Aktenlage keine Hinweise ersichtlich, wonach die Führung der Konsultationen im gegenständlichen Fall derart fehlerhaft erfolgt wäre, sodass von Willkür im Rechtssinn zu sprechen wäre und die Zuständigkeitserklärung des zuständigen Mitgliedstaates wegen Verletzung der gemeinschaftsrechtlichen Verfahrensgrundsätze aus diesem Grund ausnahmsweise keinen Bestand haben könnte (Filzwieser, Subjektiver Rechtsschutz und Vollziehung der Dublin II-VO - Gemeinschaftsrecht und Menschenrechte, migraLex, 1/2007, 22ff; vgl. auch das Gebot der Transparenz im "Dublin-Verfahren", VwGH 23.11.2006, Zl. 2005/20/0444). Das Konsultationsverfahren erfolgte mängelfrei.

 

2.4. Das Bundesasylamt hat ferner von der Möglichkeit der Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO keinen Gebrauch gemacht. Es war daher noch zu prüfen, ob von diesem Selbsteintrittsrecht im gegenständlichen Verfahren ausnahmsweise zur Vermeidung einer Verletzung der EMRK zwingend Gebrauch zu machen gewesen wäre.

 

Der VfGH hat mit Erkenntnis vom 17.06.2005, Zl. B 336/05-11 festgehalten, die Mitgliedstaaten hätten kraft Unionsrecht nicht nachzuprüfen, ob ein anderer Mitgliedstaat generell sicher sei, da eine entsprechende normative Vergewisserung durch die Verabschiedung der Dublin II-VO erfolgt sei, dabei aber gleichzeitig ebenso ausgeführt, dass eine Nachprüfung der grundrechtlichen Auswirkungen einer Überstellung im Einzelfall unionsrechtlich zulässig und bejahendenfalls das Selbsteintrittsrecht nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO zwingend geboten sei.

 

Die Judikatur des VwGH zu den Determinanten dieser Nachprüfung lehnt sich richtigerweise an die Rechtsprechung des EGMR an und lässt sich wie folgt zusammenfassen: Die bloße Möglichkeit einer dem Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung in jenem Staat, in den ein Fremder abgeschoben werden soll, genügt nicht, um die Abschiebung des Fremden in diesen Staat als unzulässig erscheinen zu lassen. Wenn keine Gruppenverfolgung oder sonstige amtswegig zu berücksichtigende notorische Umstände grober Menschenrechtsverletzungen in Mitgliedstaaten der EU in Bezug auf Art. 3 EMRK vorliegen (VwGH 27.09.2005, Zl. 2005/01/0313), bedarf es zur Glaubhaftmachung der genannten Bedrohung oder Gefährdung konkreter auf den betreffenden Fremden bezogener Umstände, die gerade in seinem Fall eine solche Bedrohung oder Gefährdung im Fall seiner Abschiebung als wahrscheinlich erscheinen lassen (VwGH 26.11.1999, Zl 96/21/0499, VwGH 09.05.2003, Zl. 98/18/0317; vgl auch VwGH 16.07.2003, Zl. 2003/01/0059): "Davon abgesehen liegt es aber beim Asylwerber, besondere Gründe, die für die reale Gefahr eines fehlenden Verfolgungsschutzes im zuständigen Mitgliedstaat sprechen, vorzubringen und glaubhaft zu machen. Dazu wird es erforderlich sein, dass der Asylwerber ein ausreichend konkretes Vorbringen erstattet, warum die Verbringung in den zuständigen Mitgliedstaat gerade für ihn die reale Gefahr eines fehlenden Verfolgungsschutzes, insbesondere einer Verletzung von Art. 3 EMRK, nach sich ziehen könnte, und er die Asylbehörden davon überzeugt, dass der behauptete Sachverhalt (zumindest) wahrscheinlich ist." (VwGH 23.01.2007, Zl. 2006/01/0949).

 

Die Vorlage allgemeiner Berichte ersetzt dieses Erfordernis in der Regel nicht (vgl. VwGH 17.02.1998, Zl. 96/18/0379; EGMR Mamatkulov & Askarov v Türkei, Rs 46827, 46951/99, 71-77), eine geringe Anerkennungsquote, eine mögliche Festnahme im Falle einer Überstellung ebenso eine allfällige Unterschreitung des verfahrensrechtlichen Standards des Art. 13 EMRK sind für sich genommen nicht ausreichend, die Wahrscheinlichkeit einer hier relevanten Menschenrechtsverletzung darzutun. Relevant wäre dagegen etwa das Vertreten von mit der GFK unvertretbaren rechtlichen Sonderpositionen in einem Mitgliedstaat oder das Vorliegen einer massiv rechtswidrigen Verfahrensgestaltung im individuellen Fall, wenn der Asylantrag im zuständigen Mitgliedstaat bereits abgewiesen wurde (Art. 16 Abs. 1 lit. e Dublin II-VO). Eine ausdrückliche Übernahmeerklärung des anderen Mitgliedstaates hat in die Abwägung einzufließen (VwGH 31.03.2005, Zl. 2002/20/0582, VwGH 31.05.2005, Zl. 2005/20/0025, VwGH 25.04.2006, Zl. 2006/19/0673), ebenso andere Zusicherungen der europäischen Partnerstaaten Österreichs

 

2.5. Weiterhin hatte der Asylgerichtshof folgende Umstände zu berücksichtigen:

 

Bei entsprechender Häufung von Fällen, in denen in Folge Ausübung des Selbsteintrittsrechts die unionsrechtliche Zuständigkeit nicht effektuiert werden kann, kann eine Gefährdung des "effet utile" Grundsatzes des Unionsrechts entstehen.

 

Zur effektiven Umsetzung des Unionsrechtes sind alle staatlichen Organe kraft Unionsrecht verpflichtet.

 

Der Verordnungsgeber der Dublin II-VO, offenbar im Glauben, dass sich alle Mitgliedstaaten untereinander als "sicher" ansehen können, wodurch auch eine Überstellung vom einen in den anderen Mitgliedstaat keine realen Risken von Menschenrechtsverletzungen bewirken könnte (vgl. insbesondere den 2. Erwägungsgrund der Präambel der Dublin II-VO), hat keine eindeutigen verfahrens- oder materiellrechtlichen Vorgaben für solche Fälle getroffen, diesbezüglich lässt sich aber aus dem Gebot der menschenrechtskonformen Auslegung des Unionsrechts und aus Beachtung der unionsrechtlichen Verfahrensgrundrechte ableiten, dass bei ausnahmsweiser Verletzung der EMRK bei Überstellung in einen anderen Mitgliedstaat eine Überstellung nicht stattfinden darf. Die Beachtung des Effizienzgebots (das etwa eine pauschale Anwendung des Selbsteintrittsrechts oder eine innerstaatliche Verfahrensgestaltung, die Verfahren nach der Dublin II-VO umfangreicher gestaltet als materielle Verfahren, verbietet) und die Einhaltung der Gebote der EMRK stehen daher bei richtiger Anwendung nicht in Widerspruch (Filzwieser, migraLex, 1/2007, 18ff, Filzwieser/Sprung, Dublin II-VO³, K8-K13. zu Art. 19).

 

Die allfällige Rechtswidrigkeit von Unionsrecht kann nur von den zuständigen unionsrechtlichen Organen, nicht aber von Organen der Mitgliedstaaten rechtsgültig festgestellt werden. Der EGMR hat jüngst festgestellt, dass der Rechtsschutz des Unionsrechts regelmäßig den Anforderungen der EMRK entspricht (30.06.2005, Bosphorus Airlines v Irland, Rs 45036/98).

 

Es bedarf sohin europarechtlich eines im besonderen Maße substantiierten Vorbringens und des Vorliegens besonderer vom Antragsteller bescheinigter außergewöhnlicher Umstände, um die grundsätzliche europarechtlich gebotene Annahme der "Sicherheit" der Partnerstaaten der Europäischen Union als einer Gemeinschaft des Rechts im individuellen Fall erschüttern zu können. Diesem Grundsatz entspricht auch die durch das AsylG 2005 eingeführte gesetzliche Klarstellung des § 5 Abs. 3 AsylG, die Elemente einer Beweislastumkehr enthält. Es trifft zwar ohne Zweifel zu, dass Asylwerber in ihrer besonderen Situation häufig keine Möglichkeit haben, Beweismittel vorzulegen (wobei dem durch das Institut des Rechtsberaters begegnet werden kann), und dies mitzubeachten ist (VwGH, 23.01.2007, Zl. 2006/01/0949), dies kann aber nicht pauschal dazu führen, die vom Gesetzgeber - im Einklang mit dem Unionsrecht - vorgenommene Wertung des § 5 Abs. 3 AsylG überhaupt für unbeachtlich zu erklären (dementsprechend in ihrer Undifferenziertheit verfehlt, Feßl/Holzschuster, AsylG 2005, 225ff). Eine Rechtsprechung, die in Bezug auf Mitgliedstaaten der EU faktisch höhere Anforderungen entwickelte, als jene des EGMR in Bezug auf Drittstaaten wäre jedenfalls unionsrechtswidrig.

 

In Bezug auf Griechenland wurde seitens des erkennenden Gerichtshofes bereits seit längerem in zahlreichen Entscheidungen faktisch nicht mehr von einer generellen Annahme der Sicherheit ausgegangen und eine umso genauere Einzelfallprüfung durchgeführt. Der EGMR hat in diesem Kontext mit Urteil vom 21.01.2011 in der Rechtssache M.S.S. vs Belgien/Griechenland (30696/09) klargelegt, dass fehlende Unterkunft in Verbindung mit einem langwierigen Asylverfahren (welches selbst schwerwiegende Mängel aufweist) unter dem Aspekt des Art. 3 EMRK relevant sein kann (vgl insb. Rz 263 des zitierten Urteils). Ein entsprechend weiter Prüfungsumfang in Bezug auf relevante Bestimmungen der EMRK (Art. 3, 8 und 13) ist daher unter dem Hintergrund einer Berichtslage wie zu Griechenland angebracht (wodurch auch die "effet utile"-Argumentation einzelfallbezogen relativiert wird) - was der herrschenden Praxis des AsylGH entspricht (anders wie die in Rz 351 und 352 des zitierten Urteils beschriebene Situation im belgischen Verfahren). Eine solche Berichtslage liegt zum hier zu prüfenden Dublinstaat nun in einer Gesamtschau nicht vor, ebenso wenig eine vergleichbare Empfehlung von UNHCR (wie jene zu Griechenland), von Überstellungen abzusehen.

 

Nichtsdestotrotz hat der AsylGH - unter Berücksichtigung dieser Unterschiede zu Griechenland - auch im gegenständlichen Fall nachfolgend untersucht, ob die Anwendung des Selbsteintrittsrechts aus Gründen der EMRK angezeigt ist. Im Lichte der eben getroffenen Ausführungen zur Auslegung des Art. 3 EMRK ist nicht erkennbar und wurde auch nicht behauptet, dass die Grundrechtscharta der EU für den konkreten Fall relevante subjektive Rechte verliehe, welche über jene durch die EMRK gewährleisteten, hinausgingen.

 

Unter diesen Prämissen war nun zu prüfen, ob die Rechtsmittelwerberin im Falle der Zurückweisung ihres Antrages auf internationalen Schutz und ihrer Ausweisung nach Polen gem. §§ 5 und 10 AsylG - unter Bezugnahme auf ihre persönliche Situation - in ihren Rechten gem. Art. 3 und 8 EMRK verletzt werden würde, wobei der Maßstab des "real risk" anzulegen ist.

 

2.6. Kritik am polnischen Asylwesen/der Situation in Polen:

 

Hiezu ist festzuhalten, dass kein konkretes Vorbringen ergangen ist, das geeignet wäre anzunehmen, dass der rechtliche und faktische Standard der polnischen Asylverfahren eine Verletzung fundamentaler Menschenrechte erkennen ließe.

 

Relevant wären im vorliegenden Zusammenhang schon bei einer Grobprüfung erkennbare grundsätzliche schwerwiegende Defizite im Asylverfahren des zuständigen Mitgliedstaates (also etwa:

grundsätzliche Ablehnung aller Asylanträge oder solcher bestimmter Staatsangehöriger oder Angehöriger bestimmter Ethnien; kein Schutz vor Verfolgung "Dritter", kein Rechtsmittelverfahren). Solche Mängel (die bei einem Mitgliedstaat der Europäischen Union nicht vorausgesetzt werden können, sondern zunächst einmal mit einer aktuellen individualisierten Darlegung des Antragstellers plausibel zu machen sind, dies im Sinne der Regelung des § 5 Abs. 3 AsylG 2005) sind schon auf Basis der Feststellungen des Bundesasylamtes nicht erkennbar und auch in der Beschwerde nicht substantiiert vorgebracht worden. Konkretes detailliertes Vorbringen, das geeignet wäre, anzunehmen, dass Polen in Hinblick auf russische AsylwerberInnen unzumutbare rechtliche Sonderpositionen vertreten würde, ist nicht erstattet worden. Hinweise auf konkrete individuelle Vulnerabilität im Verhältnis der polnischen Asylbehörden zu gerade dieser Beschwerdeführerin sind weder aus der Aktenlage ersichtlich noch wurden diese im Beschwerdeschriftsatz vorgebracht. Offenkundige Zweifel der Integrität der so mit der Beschwerdeführerin durchgeführten Asyl - und fremdenrechtlichen Verfahren ergeben sich aus der individuellen Aktenlage daher nicht.

 

Dem Asylgerichtshof liegen keine Hinweise auf eine allgemein menschenrechtswidrige Behandlung von Asylwerbern im zuständigen Mitgliedstaat, noch Hinweise darauf vor, dass das Asylverfahren in Polen mit der GFK bzw. der Status-, Verfahrens- oder Aufnahmerichtlinie der EU allgemein oder in der Rechtspraxis in Widerspruch stünden. Es liegen auch keine Informationen über Erkenntnisse von Gerichten anderer Mitgliedstaaten vor, wonach Überstellungen in den zuständigen Mitgliedstaat der EMRK widersprächen.

 

Was das Vorbringen der Beschwerdeführerin anbelangt, wonach die Bedingungen in den polnischen Lagern schlecht gewesen seien, ist ihr unter Verweis auf die erstinstanzlichen Länderfeststellungen entgegenzuhalten, dass den Asylbehörden keine Hinweise dafür vorliegen, dass die Unterbringungsmodalitäten von Asylwerbern in Polen die vorgegebenen EU-Standards qualifiziert unterschreiten würden. So erhalten Asylwerber in einem Zentrum drei Mahlzeiten täglich, Taschengeld, weiteres Taschengeld für Hygieneprodukte, Geld für Kleider und Schuhe, Reisespesen für das Asylverfahren und medizinische Gründe, kostenlose Polnisch-Kurse usw.

 

Weitere Umstände, die darauf schließen ließen, dass die Beschwerdeführerin in Polen einer unmenschlichen Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK ausgesetzt wäre, sind vor dem Hintergrund der erstinstanzlichen Feststellungen ebenso wenig vorhanden, wie dass ihr Polen entsprechenden Schutz versagen würde, sofern ihr im Heimatstaat unmenschliche Behandlung drohen würde. Konkret besteht kein Anhaltspunkt dafür, dass die Beschwerdeführerin im Zuge einer sogenannten "ungeprüften Kettenabschiebung" in ihr Heimatland, also in die Russische Föderation, zurückgeschoben werden könnte. Die bloße gegenteilige unbelegte Behauptung kann in Bezug auf Polen zum Entscheidungszeitpunkt keine weiteren - vom Asylgerichtshof aufzugreifenden - Ermittlungsnotwendigkeiten der Verwaltungsbehörde auslösen.

 

2.7. Mögliche Verletzung des Art. 8 EMRK:

 

Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Der Eingriff einer öffentlichen Behörde in Ausübung dieses Rechts ist gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

 

Zu den in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) zu Art. 8 EMRK entwickelten Grundsätzen zählt unter anderem auch, dass das durch Art. 8 EMRK gewährleistete Recht auf Achtung des Familienlebens, das Vorhandensein einer "Familie" voraussetzt. Ein Recht auf Familienleben gem. Art. 8 EMRK kann sich nicht nur in Bezug auf die Kernfamilie ergeben, sondern auch auf andere verwandtschaftliche Verhältnisse (wie bspw. zwischen erwachsenen Geschwistern), insofern bestimmte Voraussetzungen einer hinreichend stark ausgeprägten Nahebeziehung erfüllt sind. Diese Voraussetzungen sind u.a. gegenseitige finanzielle Abhängigkeit, ein gemeinsamer Wohnsitz sowie sonstige Abhängigkeit wie beispielsweise gegenseitige Pflege.

 

Im vorliegenden Fall gibt die Beschwerdeführerin an, dass in Österreich ihr einziger Sohn leben würde, der sich - nicht zuletzt aufgrund ihres Gesundheitszustandes - um sie kümmern könne. Besondere, über die normalen Beziehungen zwischen erwachsenen Verwandten hinausgehende Umstände zu ihrem in Österreich aufhältigen Sohn können jedoch nicht erkannt werden. Dies vor allem vor dem Hintergrund, dass sich der erwachsene Sohn der Beschwerdeführerin dem Akteninhalt zufolge bereits seit 2004 in Österreich befindet, eine eigene Familie hat und ihm die Antragstellerin erstmals im Jahr 2012 (in welchem sie den ersten Antrag auf internationalen Schutz in Österreich stellte) nachgereist ist. Es ist somit offensichtlich, dass in der Zwischenzeit - abgesehen von einem allfälligen telefonischen oder brieflichen Kontakt bzw. Kontakt auf anderem elektronischen Wege - schon allein aufgrund der örtlichen Distanz keine intensive enge Bindung bestanden haben kann. Daran vermag auch der kurzweilige Aufenthalt im Rahmen des ersten Rechtsganges nichts zu ändern.

 

Sofern die Beschwerdeführerin angibt, pflegebedürftig zu sein und die Unterstützung ihres Sohnes zu benötigen, ist auszuführen, dass sich aus dem Akteninhalt (so auch aus dem Ambulanzbefund vom 07.01.2013) aktuell kein solcher Pflegebedarf ergibt, der einen Selbsteintritt Österreich unabdingbar machen würde. Dem ärztlichen Schreiben kann nicht entnommen werden, dass eine ständige Pflege und Betreuung der Beschwerdeführerin (durch ihren Sohn bzw. dessen Familie) zwingend notwendig wäre, um ihr Überleben zu sichern.

 

Das Bundesasylamt hat eine persönliche Befragung der Beschwerdeführerin vorgenommen und auch Einblick in den Akt zum vorherigen Asylverfahren genommen, womit die Kritik in der Beschwerde - die belangte Behörde hätte sich nicht mit der konkreten Situation der Antragstellerin auseinandergesetzt - ins Leere geht. Vielmehr hat sich das Bundesasylamt auf Basis einer tauglichen Sachverhaltsgrundlage mit jenen für den gegenständlichen Fall relevanten Angaben befasst und stimmt der Asylgerichtshof den Ergebnissen des angefochtenen Bescheides zu.

 

Es wird nicht verkannt, dass eine Zusammenführung für die Beteiligten vorteilhaft und aus humanitären Gesichtspunkten nicht zu beanstanden wäre, ein rechtlicher Zwang, den der Asylgerichtshof rechtlich sanktionieren müsste, liegt aber im Sinne der oben durchgeführten Erwägungen nicht vor.

 

Im gegenständlichen Fall hat das Bundesasylamt somit zu Recht das Vorliegen eines Familienlebens im Sinn des Art. 8 EMRK für die Beschwerdeführerin verneint und würde diese bei einer Überstellung nach Polen nicht in ihrem durch Art. 8 EMRK verfassungsrechtlich gewährleistetem Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens verletzt werden.

 

2.8. Medizinische Krankheitszustände; Behandlung in Polen:

 

Unbestritten ist, dass nach der allgemeinen Rechtsprechung des EGMR zu Art. 3 EMRK und Krankheiten, die auch im vorliegenden Fall maßgeblich ist, eine Überstellung nach Polen nicht zulässig wäre, wenn durch die Überstellung eine existenzbedrohende Situation drohte und diesfalls das Selbsteintrittsrecht der Dublin II VO zwingend auszuüben wäre.

 

In diesem Zusammenhang ist vorerst auf ein Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes (VfGH vom 06.03.2008, Zl: B 2400/07-9) zu verweisen, welches die aktuelle Rechtsprechung des EGMR zur Frage der Vereinbarkeit der Abschiebung Kranker in einen anderen Staat mit Art. 3 EMRK festhält (D. v. the United Kingdom, EGMR 02.05.1997, Appl. 30.240/96, newsletter 1997,93; Bensaid, EGMR 06.02.2001, Appl. 44.599/98, newsletter 2001,26; Ndangoya, EGMR 22.06.2004, Appl. 17.868/03; Salkic and others, EGMR 29.06.2004, Appl. 7702/04; Ovdienko, EGMR 31.05.2005, Appl. 1383/04; Hukic, EGMR 29.09.2005, Appl. 17.416/05; EGMR Ayegh, 07.11.2006; Appl. 4701/05; EGMR Goncharova & Alekseytsev, 03.05.2007, Appl. 31.246/06).

 

Zusammenfassend führt der VfGH aus, dass sich aus den erwähnten Entscheidungen des EGMR ergibt, dass im Allgemeinen kein Fremder ein Recht hat, in einem fremden Aufenthaltsstaat zu verbleiben, bloß um dort medizinisch behandelt zu werden, und zwar selbst dann nicht, wenn er an einer schweren Krankheit leidet oder selbstmordgefährdet ist. Dass die Behandlung im Zielland nicht gleichwertig, schwerer zugänglich oder kostenintensiver ist, ist unerheblich, solange es grundsätzlich Behandlungsmöglichkeiten im Zielstaat bzw. in einem bestimmten Teil des Zielstaates gibt. Nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände führt die Abschiebung zu einer Verletzung in Art. 3 EMRK. Solche liegen etwa vor, wenn ein lebensbedrohlich Erkrankter durch die Abschiebung einem realen Risiko ausgesetzt würde, unter qualvollen Umständen zu sterben (Fall D. v. the United Kingdom).

 

Weitere Rechtsprechung des EGMR (N vs UK, 27.05.2008) und Literaturmeinungen (Premiszl, Migralex 2/2008, 54ff, Schutz vor Abschiebung von Traumatisierten in "Dublin-Verfahren") bestätigen diese Einschätzung, wobei noch darauf hinzuweisen ist, dass EU-Staaten verpflichtet sind, die Aufnahmerichtlinie umzusetzen und sohin jedenfalls eine begründete Vermutung des Bestehens einer medizinischen Versorgung besteht.

 

Aus diesen Judikaturlinien des EGMR ergibt sich jedenfalls der für das vorliegende Beschwerdeverfahren relevante Prüfungsmaßstab.

 

Nach der geltenden Rechtslage ist eine Überstellung dann unzulässig, wenn die Durchführung eine in den Bereich des Art. 3 EMRK reichende Verschlechterung des Krankheitsverlaufs oder der Heilungsmöglichkeiten bewirken würde (siehe Feststellungen des Innenausschusses zu § 30 AsylG 2005 in der Stammfassung); dabei sind die von den Asylinstanzen festzustellenden Behandlungsmöglichkeiten im Zielstaat als Hintergrundinformation beachtlich, sodass es sich quasi um eine "erweiterte Prüfung der Transportfähigkeit" handelt.

 

Maßgebliche Kriterien für die Beurteilung der Art. 3 EMRK- Relevanz einer psychischen Erkrankung angesichts einer Abschiebung sind Aufenthalte in geschlossenen Psychiatrien infolge von Einweisungen oder auch Freiwilligkeit, die Häufigkeit, Regelmäßigkeit und Intensität der Inanspruchnahme medizinisch-psychiatrischer Leistungen, die Möglichkeit einer wenn auch gemessen am Aufenthaltsstaat schlechteren medizinischen Versorgung im Zielstaat sowie die vom Abschiebestaat gewährleisteten Garantien in Hinblick auf eine möglichst schonende Verbringung. Rechtfertigen diese Kriterien eine Abschiebung, hat eine denkmögliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes oder ungünstige Entwicklung des Gesundheitszustands außer Betracht zu bleiben, geschweige denn vermag die Verursachung von überstellungsbedingtem mentalen Stress eine Abschiebung unzulässig machen.

 

Die Beschwerdeführerin hat angegeben, an Asthma und Hepatitis C zu leiden sowie einen Gehirntumor zu haben. Diese Angaben konnte sie durch die Vorlage eines Ambulanzbefundes vom 07.01.2013, in der zusätzlich noch die Diagnose der Hyperlipidämie (Fettstoffwechselstörung) aufscheint, belegen. Ungeachtet des Vorliegens der genannten Krankheitsbilder, kann vor dem Hintergrund der zuvor zitierten strengen Judikatur des EGMR nicht erkannt werden, dass eine Überstellung der Beschwerdeführerin nach Polen eine Verletzung der Rechte gem. Art. 3 EMRK darstellen würde, da jedenfalls nicht das Endstadium einer tödlichen Krankheit gegeben ist. Aus dem aktuellen Befund vom 07.01.2013 sind auch keine Hinweise dafür zu entnehmen, dass die Überstellung der Beschwerdeführerin mit unverhältnismäßigen Risiken verbunden wäre bzw. damit eine Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes miteinhergehen würde. Somit war dem in der Beschwerde gestellten Antrag auf Einholung eines Gutachtens zur Untersuchung der physischen und psychischen Situation sowie der Transportfähigkeit der Antragstellerin nicht zu folgen. Am Rande bemerkt, hat die Beschwerdeführerin im gegenständlichen Verfahren keine psychischen Probleme erwähnt und wurden diese auch zu keinem späteren Zeitpunkt - so etwa in der Beschwerde - vorgebracht.

 

Im Übrigen sei auch darauf hingewiesen, dass die Fremdenpolizeibehörde bei der Durchführung der Abschiebung im Fall von bekannten Erkrankungen durch geeignete Maßnahmen dem Gesundheitszustand Rechnung zu tragen hat. Insbesondere wird kranken Personen eine entsprechende Menge der verordneten Medikamente mitgegeben. Anlässlich einer Abschiebung werden von der Fremdenpolizeibehörde auch der aktuelle Gesundheitszustand und insbesondere die Transportfähigkeit beurteilt sowie gegebenenfalls bei gesundheitlichen Problemen die entsprechenden Maßnahmen gesetzt.

 

Die Behauptung der Beschwerdeführerin, in Polen keine ausreichende medizinische Behandlung erhalten zu haben, wurde von ihr nicht belegt und widerspricht den Länderfeststellungen des Bundesasylamtes. Aus diesen geht nämlich hervor, dass jedem Asylwerber das Recht auf dieselbe medizinische Versorgung wie polnischen Staatsbürgern zusteht. Asylwerber haben auch in der Nachbehandlung von Krankheiten das Recht auf medizinische Betreuung nach denselben Regeln wie polnische Staatsbürger. Zudem erhalten sie in Polen die Gesundheitsversorgung auf Kosten der öffentlichen Hand. Sofern die Beschwerdeführerin also zukünftig medizinische Behandlung benötigt, geht der Asylgerichtshof davon aus, dass sie diese in Polen erhalten wird und der entsprechende Standard in Polen im Lichte des Art. 3 EMRK und der dazu erfolgten Rechtsprechung ausreichend ist.

 

Zusammengefasst stellt daher eine Überstellung der Beschwerdeführerin nach Polen keinesfalls eine Verletzung des Art. 3 EMRK und somit auch keinen Anlass zur Ausübung des Selbsteintrittsrechtes Österreichs nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II VO dar.

 

2.9. Ausweisungsentscheidung

 

2.9.1. Hinsichtlich der von der Beschwerdeführerin ebenso bekämpften Ausweisung ist festzuhalten, dass das Bundesasylamt eine korrekte Überprüfung im Sinne der Rechtsprechung vorgenommen hat. Aus der Würdigung zu Spruchpunkt I. folgt hier die Zulässigkeit der Ausweisung, deren sofortiger Vollzug der EMRK nicht widerstreitet. Die Existenz eines schützenswerten Familienlebens, in welches im Sinne des Art. 8 EMRK ein Eingriff unzulässig wäre, wurde bereits verneint. Sonstige außergewöhnliche Integrationsaspekte, welche unter dem Gesichtspunkt eines schützenswerten Privatlebens zu relevieren wären, sind schon aufgrund der kurzen Aufenthaltsdauer der Beschwerdeführerin in Österreich nicht anzunehmen.

 

2.9.2. Gründe für einen Aufschub nach Art. 10 Abs. 3 AsylG sind nicht erkennbar.

 

Die Beschwerdeführerin hat während des Verfahrens keine gesundheitlichen Probleme erkennen lassen, die Anlass wären, an der Überstellungsfähigkeit nach Polen (temporär) zu zweifeln, beziehungsweise - im gegenständlichen Zusammenhang - die Überstellung für eine bestimmte Zeit aufzuschieben. Akut existenzbedrohende Krankheitszustände oder Hinweise einer unzumutbaren Verschlechterung eines Krankheitszustandes, welche im Falle einer Überstellung nach Polen allenfalls im Hinblick auf Art. 3 EMRK Relevanz entfalten könnten, sind der Aktenlage nicht zu entnehmen.

 

Da die Beschwerdeführerin zum Entscheidungszeitpunkt bereits überstellt wurde, war gemäß § 41 Abs. 6 AsylG 2005 festzustellen, dass die Ausweisung zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides rechtmäßig war.

 

2.10. Gemäß § 41 Abs. 4 AsylG konnte von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen werden.

 

Es war somit spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte
Ausweisung, Ausweisung rechtmäßig, familiäre Situation, gesundheitliche Beeinträchtigung, medizinische Versorgung, real risk
Zuletzt aktualisiert am
10.05.2013
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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