TE AsylGH Erkenntnis 2013/05/06 D13 428105-1/2012

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 06.05.2013
beobachten
merken
Spruch

D13 428105-1/2012/5E

 

IM NAMEN DER REPUBLIK!

 

Der Asylgerichtshof hat durch den Richter Dr. Dajani als Vorsitzenden und den Richter Mag. Auttrit als Beisitzer über die Beschwerde des XXXX, StA. Russische Föderation, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 04.07.2012, FZ. 12 02.400-BAT, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

In Erledigung der Beschwerde wird der bekämpfte Bescheid behoben und die Angelegenheit gemäß § 66 Abs. 2 AVG zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesasylamt zurückverwiesen.

Text

Entscheidungsgründe:

 

I. Verfahrensgang und Sachverhalt:

 

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der Russischen Föderation und Angehöriger der tschetschenischen Volksgruppe, reiste am 23.02.2012 gemeinsam mit seiner Mutter, XXXX (Zl. D13 428025-1/2012) illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 28.02.2012 einen Antrag auf internationalen Schutz (in weiterer Folge auch als Asylantrag bezeichnet).

 

Hierzu wurde der Beschwerdeführer am 28.02.2012 von Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt, wobei er hinsichtlich seiner Fluchtgründe angab, er habe zu Hause keine Ruhe gehabt, da seine Schwester im Jahr 2002 in Moskau bei einem Terrorangriff an der Tötung von Menschen beteiligt gewesen und selbst ums Lebens gekommen sei. Der Vater des Beschwerdeführers sei im Jahr 2006 von der Polizei abgeholt worden und sei seither verschollen. Ein Bruder des Beschwerdeführers sei bereits nach Österreich geflüchtet. Weil der Beschwerdeführer der letzte Mann der Familie sei, seien sie jetzt auf ihn losgegangen. Im Falle seiner Rückkehr fürchte er umgebracht zu werden.

 

Die niederschriftliche Einvernahme beim Bundesasylamt, Außenstelle Traiskirchen, am 25.04.2012 musste abgebrochen werden, da der Beschwerdeführer die russische Dolmetscherin nicht ausreichend verstanden hat und angab, die russische Sprache nur schlecht zu beherrschen.

 

Der Beschwerdeführer wurde am 23.05.2012 vom Bundesasylamt, Außenstelle Traiskirchen, im Beisein eines geeigneten Dolmetschers für die tschetschenische Sprache niederschriftlich einvernommen und wiederholte im Wesentlichen sein bisheriges Fluchtvorbringen. Außer den Besuchen durch KADYROVS Truppen habe er keine Probleme gehabt. Der Beschwerdeführer sei oft von diesen Leuten aufgesucht worden. Sie haben ihn sogar in der Schule besucht. Nach dem Urteil in Straßburg im Oktober 2011 seien sie insgesamt drei Mal gekommen. Die Männer haben nach dem Bruder und dem Aufenthaltsort des Vaters gefragt. Sie haben den Beschwerdeführer mitnehmen wollen. Seine Mutter habe das aber durch Schreien und Weinen verhindert.

 

Abschließend wurden dem Beschwerdeführer und seiner Mutter - die zu diesem Zweck in den Einvernahmeraum geholt wurde - aktuelle Länderberichte zur Lage im Herkunftsstaat zur Kenntnis gebracht.

 

Mit Bescheid vom 04.07.2012, Zahl: 12 02.400-BAT, wies das Bundesasylamt den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 ab und erkannte dem Beschwerdeführer den Status des Asylberechtigten nicht zu (Spruchpunkt I.). Weiters erkannte das Bundesasylamt dem Beschwerdeführer den Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation gemäß § 8 Abs.1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 leg. cit. nicht zu (Spruchpunkt II.) und wies den Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs. 1 leg. cit. aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Russische Föderation aus (Spruchpunkt III.).

 

Im Verfahrensgang wurden die Einvernahmen der Mutter des Beschwerdeführers, XXXX (AIS-Zl. 12 02.399-BAT) wiedergegeben. Feststellungen wurden ebenfalls zu "XXXX" getroffen und beweiswürdigend wurde kurz zusammengefasst Folgendes ausgeführt: Dem Vorbringen habe nicht glaubhaft entnommen werden können, dass sie tatsächlich aus den genannten Gründen die Heimat verlassen habe. Die Angaben zur Verfolgungssituation seien aufgrund grundlegender Ungereimtheiten nicht glaubhaft. Sie habe angegeben, dass ihre Tochter beim Attentat auf das Theater in Moskau im Jahr 2002 beteiligt gewesen sei. Seither haben sie mit den russischen Behörden Probleme gehabt. Auch ihr Ehemann sei 2006 verschwunden. Diesbezüglich habe sie Klage beim EGMR eingereicht und seither haben sich die Probleme verstärkt. Die Polizei sei immer wieder zu ihnen nach Hause gekommen und habe versucht den Sohn der Beschwerdeführerin mitzunehmen. Die Beschwerdeführerin habe die Mitnahmen jedoch durch Schreien und Weinen verhindert. Dieses Vorbringen sei keinesfalls glaubwürdig und könne nur als Konstrukt gewertet werden, welches mit tatsächlichen Ereignissen nicht vereinbar sei. Es sei nicht glaubwürdig, dass der Sohn der Beschwerdeführerin Probleme mit den Behörden bekommen habe, da er zum Zeitpunkt des Attentates im Jahr 2002 erst 11 Jahre alt gewesen sei, die Tochter der Beschwerdeführerin damals ums Leben gekommen sei und kein weiterer Kontakt zu terroristischen Kreisen erkennbar sei. Einvernahmen unmittelbar nach diesem Vorfall mögen noch im Bereich des realen liegen, zehn Jahre danach jedoch eine Verschlechterung der Lage vorzubringen, sei in den Bereich einer Mär anzusiedeln. Die Beschwerdeführerin habe angegeben, dass ihre Verwandten gesagt haben, sie solle gemeinsam mit ihrem Sohn ausreisen, da es für sie gefährlich werden könne. Tatsächlich sei aber ihren Ausführungen keine Bedrohungssituation zu entnehmen. Dass die Bedrohungssituation intensiver als noch vor ein paar Jahren gewesen sei, habe sie nicht darlegen können. Aber auch der Umstand, dass der Ehemann "verschwunden" sei, könne mit der Teilnahme der Tochter am Attentat nicht in Einklang gebracht werden. Dass der Ehemann aufgrund der Vorlage der Schriftstücke in Russland offensichtlich ein Problem gehabt habe und danach nicht mehr heimgekommen sei, sei offenkundig. Weshalb gerade die Beschwerdeführerin dadurch insbesondere betroffen wäre, sei weder ihr noch ihrem Sohn zu entlocken gewesen.

 

Für das Beschwerdeverfahren vor dem Asylgerichtshof wurde dem Beschwerdeführer mit Verfahrensanordnung vom 05.07.2012 gemäß § 63 Abs. 2 AVG die ARGE-Rechtsberatung Diakonie und Volkshilfe amtswegig zur Seite gestellt.

 

Mit Schriftsatz vom 20.07.2012 wurde fristgerecht Beschwerde erhoben. Der Beschwerdeführer wiederholte im Wesentlichen sein bisheriges Vorbringen und monierte, dass sein Bescheid (sowie jener seiner Mutter) fehlerhaft erlassen worden sei. Im Bescheidkopf seien nämlich der Name und die Daten seiner Mutter angegeben, in der Begründung werde jedoch ausschließlich nur noch auf seinen Fall eingegangen. Er sei daher der Meinung, dass es sich um einen mangelhaften Bescheid handle, der daher nicht ordnungsgemäß an ihn zugstellt worden sei. Sicherheitshalber bringe er dennoch eine Beschwerde ein. Er habe sein Vorbringen detailreich und widerspruchsfrei geschildert. Wie bereits erwähnt, habe seine Mutter (und seine Großmutter väterlicherseits als Zweitklägerin) den Fall vom Verschwinden seines Vaters vor den EGMR gebracht, wobei ihr am XXXX durch das Urteil Recht gegeben worden sei. Die belangte Behörde sei jedoch mit keinem Wort auf dieses Urteil eingegangen und habe dies auch nicht als Beweismittel herangezogen. Das Bundesasylamt sei jedoch verpflichtet, von Amts wegen den Sachverhalt zu erforschen.

 

Der Beschwerde liegt ein handschriftlich in russischer Sprache verfasstes Schreiben des Beschwerdeführers bei. Er sei mit der Gerichtsentscheidung nicht einverstanden, weil er einen Beweis vom EGMR und vom Rechtsschutzzentrum "MEMORIAL" und auch ein Foto habe.

 

Mit Schreiben vom 14.02.2013 legte der Beschwerdeführer ein Zertifikat über einen absolvierten Deutschkurs vor.

 

Mit Schreiben vom 27.03.2013 übermittelte der Beschwerdeführer einen aktuellen psychologischen Befund, wonach er an einer Sprachstörung leide.

 

II. Der Asylgerichtshof hat erwogen:

 

1.1. Gemäß § 23 Abs. 1 AsylGHG idF BGBl. I Nr. 147/2008 sind - soweit sich aus dem AsylG 2005 nichts anderes ergibt - auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof die Bestimmungen des AVG mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffes "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt.

 

1.2. Gemäß § 66 Abs. 2 AVG kann die Berufungsbehörde (hier: der Asylgerichtshof), so der ihr (hier: ihm) vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint, den angefochtenen Bescheid beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an eine im Instanzenzug untergeordnete Behörde zurückverweisen.

 

Gemäß § 66 Abs. 3 AVG kann die Berufungsbehörde (hier: der Asylgerichtshof) jedoch die mündliche Verhandlung und unmittelbare Beweisaufnahme auch selbst durchführen, wenn hiermit eine Ersparnis an Zeit und Kosten verbunden ist.

 

1.3. Der Verwaltungsgerichtshof hat mit Erkenntnis vom 21.11.2002, Zl. 2002/20/0315, zur Anwendung des § 66 Abs. 2 AVG durch den Unabhängigen Bundesasylsenat ausgeführt:

 

"Im Berufungsverfahren vor der belangten Behörde ist gemäß § 23 AsylG und Art. II Abs. 2 Z 43a EGVG (unter anderem) § 66 AVG anzuwenden. Nach § 66 Abs. 1 AVG in der Fassung BGBl. I Nr. 158/1998 hat die Berufungsbehörde notwendige Ergänzungen des Ermittlungsverfahrens durch eine im Instanzenzug untergeordnete Behörde durchführen zu lassen oder selbst vorzunehmen. Außer dem in § 66 Abs. 2 AVG erwähnten Fall hat die Berufungsbehörde, sofern die Berufung nicht als unzulässig oder verspätet zurückzuweisen ist, gemäß § 66 Abs. 4 AVG immer in der Sache selbst zu entscheiden.

(...)

 

Die Berufungsbehörde darf eine kassatorische Entscheidung nicht bei jeder Ergänzungsbedürftigkeit des Sachverhaltes, sondern nur dann treffen, wenn der ihr vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint. Die Berufungsbehörde hat dabei zunächst in rechtlicher Gebundenheit zu beurteilen, ob angesichts der Ergänzungsbedürftigkeit des ihr vorliegenden Sachverhaltes die Durchführung einer mündlichen Verhandlung als ¿unvermeidlich erscheint'. Für die Frage der Unvermeidlichkeit einer mündlichen Verhandlung im Sinne des § 66 Abs. 2 AVG ist es aber unerheblich, ob eine kontradiktorische Verhandlung oder nur eine Vernehmung erforderlich ist (vgl. etwa das Erkenntnis vom 14. März 2001, Zl. 2000/08/0200; zum Begriff ¿mündliche Verhandlung' iSd § 66 Abs. 2 AVG siehe auch die Nachweise im Erkenntnis vom heutigen Tag, Zl. 2000/20/0084).

 

Der Gesetzgeber hat in Asylsachen ein zweiinstanzliches Verfahren (mit nachgeordneter Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts) eingerichtet, wobei der belangten Behörde die Rolle einer ¿obersten Berufungsbehörde' zukommt (Art. 129c Abs. 1 B-VG). In diesem Verfahren hat bereits das Bundesasylamt den gesamten für die Entscheidung über den Asylantrag relevanten Sachverhalt zu ermitteln und es ist gemäß § 27 Abs. 1 AsylG grundsätzlich verpflichtet, den Asylwerber dazu persönlich zu vernehmen. Diese Anordnungen des Gesetzgebers würden aber unterlaufen, wenn es wegen des Unterbleibens eines Ermittlungsverfahrens in erster Instanz zu einer Verlagerung nahezu des gesamten Verfahrens vor die Berufungsbehörde käme und die Einrichtung von zwei Entscheidungsinstanzen damit zur bloßen Formsache würde. Es ist nicht im Sinne des Gesetzes, wenn die Berufungsbehörde, statt ihre (umfassende) Kontrollbefugnis wahrnehmen zu können, jene Behörde ist, die erstmals den entscheidungswesentlichen Sachverhalt ermittelt und einer Beurteilung unterzieht.

 

Dieser Gesichtspunkt ist nach Auffassung des Verwaltungsgerichthofes - freilich immer unter ausreichender Bedachtnahme auf das Interesse der Partei an einer raschen Erledigung des Asylverfahrens - bei der Ermessensausübung nach § 66 Abs. 2 und 3 AVG auch einzubeziehen. Unter dem Blickwinkel einer Kostenersparnis für die Partei ist dabei vor allem auch zu beachten, dass die Vernehmung vor dem Bundesasylamt dezentral durch die Außenstellen in den Bundesländern erfolgt, während der Unabhängige Bundesasylsenat - anders als bei den unabhängigen Verwaltungssenaten in den Ländern, für die Vergleichbares auf Landesebene gilt - als zentrale Bundesbehörde in Wien eingerichtet ist (vgl. auch dazu das bereits erwähnte Erkenntnis vom heutigen Tag, Zl. 2000/20/0084)."

 

Weiters hat der Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 17.10.2006, Zl. 2005/20/0459, zur Anwendung des § 66 Abs. 2 AVG durch den Unabhängigen Bundesasylsenat ausgeführt: "Einem zurückweisenden Bescheid iSd § 66 Abs. 2 AVG muss (demnach) auch entnommen werden können, welche Mängel bei der Feststellung des maßgebenden Sachverhaltes im Verfahren vor der Unterbehörde unterlaufen und im Wege der Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung zu beheben sind (vgl. zum Ganzen das Erkenntnis vom 20.4.2006, Zl. 2003/01/0285)."

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat mit Erkenntnis vom 17.3.2009, Zl. 2008/19/0042, zur Ermessensübung iSd § 66 Abs. 2 AVG durch den Unabhängigen Bundesasylsenat erneut auf das Erkenntnis vom 21.11.2002, Zl. 2002/20/0315, verwiesen und dazu ausgeführt:

 

"Hat die Rechtsmittelbehörde festgestellt, dass die von § 66 Abs. 2 AVG geforderten Voraussetzungen zutreffen, so liegt es gemäß § 66 Abs. 2 iVm Abs. 3 AVG in ihrem Ermessen, entweder von der Ermächtigung zur Zurückverweisung Gebrauch zu machen und eine kassatorische Entscheidung zu treffen oder die mündliche Verhandlung selbst durchzuführen und in der Sache zu entscheiden (vgl. Hengstschläger/Leeb, AVG § 66 Rz 19 mit Hinweisen auf die hg. Judikatur). (...)

 

Die Ermessungsentscheidung unterliegt im verwaltungsgerichtlichen Verfahren nur einer eingeschränkten Überprüfung. So liegt im Bereich des verwaltungsbehördlichen Ermessens Rechtswidrigkeit nur dann vor, wenn die Behörde von diesem Ermessen nicht im Sinne des Gesetzes Gebrauch gemacht hat (vgl. dazu etwa Mayer, B-VG, 4. Aufl., Art. 130 II.1.). Dabei obliegt es der Behörde in der Begründung ihres Bescheides die für die Ermessensausübung maßgebenden Umstände und Erwägungen insoweit aufzuzeigen, als dies für die Rechtsverfolgung durch die Parteien des Verwaltungsverfahrens und für die Nachprüfbarkeit des Ermessensaktes in Richtung auf seine Übereinstimmung mit dem Sinn des Gesetzes erforderlich ist (vgl. etwa das hg. Erkenntnis des verstärkten Senates vom 25.3.1980, 3273/78, VwSlg. 10.077A/1980)."

 

Der Verfassungsgesetzgeber hat nunmehr den Unabhängigen Bundesasylsenat durch den Asylgerichtshof als nachprüfendes gerichtsförmiges Kontrollorgan mit umfassender Kontrollbefugnis ersetzt. Bereits aufgrund der genannten Bestimmungen des B-VG und der in ihnen erkennbar vom Verfassungsgesetzgeber vorgesehenen Kontinuität ergibt sich, dass der Asylgerichtshof die Funktion des Unabhängigen Bundesasylsenates vollständig übernimmt. Die oben genannten Kriterien, die der Verwaltungsgerichtshof für die Anwendung des § 66 Abs. 2 AVG im Asylverfahren aufgestellt hat, müssen sohin auch für das vor dem Asylgerichtshof zu führende Verfahren gelten, welcher als Nachfolger des Unabhängigen Bundesasylsenat über Bescheide der Verwaltungsbehörden in Asylsachen erkennt und somit eine überprüfende Funktion wahrnimmt. Auch für das Verfahren vor dem Asylgerichtshof bleibt sohin festzuhalten, dass die Funktion des Asylgerichtshofes als Kontrollorgan ausgehöhlt würde und die Einrichtung des nunmehr vorgesehenen Verfahrenszuges an den Asylgerichtshof zur Formsache würde, wenn das notwendige Ermittlungsverfahren vollständig vor den Asylgerichthof verlagert würde, weil es das Bundesasylamt ablehnt, auf das Vorbringen des Asylwerbers sachgerecht einzugehen.

 

2. Dem Bundesasylamt ist anzulasten, dass es sich in der Begründung des angefochtenen Bescheides nicht ordnungsgemäß mit dem Vorbringen des Beschwerdeführers auseinandergesetzt hat, und zwar aus folgenden Gründen:

 

2.1. Zunächst ist einmal - abgesehen von der nicht ordnungsgemäßen Auseinandersetzung mit dem Vorbringen des Beschwerdeführers - zu bemängeln, dass dem Bundesasylamt bei der Bescheiderlassung schwerwiegende Fehler unterlaufen sind. So stimmt der Bescheidadressat (Spruch) nicht mit dem Verfahrensgang, den Feststellungen und den Ausführungen in der Beweiswürdigung überein. Konkret bedeutet dies, dass der Beschwerdeführer zwar einen an ihn adressierten Bescheid erhalten hat, der Inhalt des Bescheides bezieht sich aber auf das Vorbringen der Mutter des Beschwerdeführers, XXXX (AIS- Zl. 12 02.399-BAT). Umgekehrt gilt das Gleiche für den Bescheid der Mutter des Beschwerdeführers.

 

Im fortgesetzten Verfahren ist die belangte Behörde daher angehalten, besondere Sorgfalt walten zu lassen und darauf zu achten, dass Spruch und Verfahrensgang denselben Asylwerber betreffen.

 

2.2. Dem Bundesasylamt muss auch insbesondere vorgeworfen werden, dass es sich mit dem vom Beschwerdeführer bzw. seiner Mutter vorgelegten Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte vom XXXX nicht ausreichend auseinandergesetzt hat. Der Beschwerdeführer bzw. seine Mutter bringen vor, dass die Mutter sowie deren Schwiegermutter nach dem Verschwinden des Vaters des Beschwerdeführers - der seit einem Termin bei den tschetschenischen Behörden im Jahr 2006 nicht mehr aufgetaucht sei - mithilfe der Menschenrechtsorganisation MEMORIAL Klage beim EGMR gegen den russischen Staat erhoben haben. Das Verfahren sei zugunsten des Beschwerdeführers bzw. seiner Mutter ausgegangen. Nach der Erlassung des Urteiles haben der Beschwerdeführer und seine Mutter Probleme mit den russischen Behörden bekommen und seien von diesen bedroht worden.

 

In den angefochtenen Bescheiden des Beschwerdeführers und seiner Mutter hat sich das Bundesasylamt aber praktisch überhaupt nicht mit dem Vorbringen und den vorgelegten Schriftstücken (Urteil des EGMR sowie Schriftstücke der Staatsanwaltschaft GROSNY) auseinandergesetzt. In der Beweiswürdigung finden sich zu diesem Thema lediglich die Sätze, es sei offensichtlich, dass der Vater des Beschwerdeführers aufgrund der Vorlage der Schriftstücke durch die Mutter in Russland offensichtlich ein Problem gehabt habe und danach nicht mehr heimgekommen sei. Weshalb gerade der Beschwerdeführer und seine Mutter dadurch betroffen wären, sei weder dem Beschwerdeführer noch seiner Mutter zu entlocken gewesen. Diese Vorgehensweise bzw. Aussage der belangten Behörde ist für den erkennenden Senat des Asylgerichtshofes aber nicht verständlich. Der Beschwerdeführer und seine Mutter haben ausdrücklich angegeben, dass sie - insbesondere nach der Urteilsfällung des EGMR - massive Probleme mit den russischen Behörden bekommen haben. Es wäre daher Aufgabe des Bundesasylamtes gewesen, sich mit dem vorgelegten Urteil des EGMR ausführlich auseinanderzusetzen, den Beschwerdeführer und seine Mutter eingehend dazu zu befragen und herauszufinden, wie sich das genannte Urteil auf die Situation des Beschwerdeführers und seine Mutter im Herkunftsstaat ausgewirkt hat und ob - in Zusammenschau mit dem Vorbringen des Beschwerdeführers und seiner Mutter - daraus eine asylrelevante Verfolgungsgefahr ableitbar ist bzw. eine solche glaubwürdig gemacht werden konnte. Das Bundesasylamt wird daher im fortgesetzten Verfahren auch Länderberichte heranzuziehen haben, die über die Situation von Personen Auskunft geben, die ein Verfahren gegen Russland beim EGMR eingeleitet (und gewonnen) haben.

 

Da sich das Bundesasylamt in seiner Beweiswürdigung somit inhaltlich fast gar nicht mit dem Vorbringen des Beschwerdeführers - konkret dem vorgelegten EGMR- Urteil - auseinandergesetzt hat, war es jedoch auch nicht in der Lage, die Unglaubwürdigkeit des diesbezüglichen Vorbringens des Beschwerdeführers ordnungsgemäß festzustellen.

 

2.3. Angesichts obiger Erwägungen ist als maßgebend festzuhalten, dass im Verfahren vor dem Bundesasylamt schwere Mängel aufgetreten sind, die von formalen Fehlern über fehlende Ermittlungen bis zu mangelhaften Begründungen im erstinstanzlichen Bescheid reichen.

 

2.4. Im weiterzuführenden Verfahren wird das Bundesasylamt folglich das Vorbringen des Beschwerdeführers eingehend und umfassend zu würdigen haben, wobei eine abschließende Beurteilung der Angaben des Beschwerdeführers auf dessen Asylrelevanz nur nach Abhaltung einer Einvernahme erfolgen kann, in welcher dem Beschwerdeführer die Gelegenheit geboten wird, ausführlich und abschließend seine Fluchtgründe zu schildern.

 

Aufgrund des mangelhaften Ermittlungsverfahrens fehlt eine ausreichende Beurteilungsgrundlage. Da für die Lösung der Frage, ob der Beschwerdeführer der Gefahr einer Verfolgung iSd GFK ausgesetzt ist, die Durchführung eines ordentlichen Ermittlungsverfahrens notwendig ist, hätte es im konkreten Fall jedenfalls weitergehender Ermittlungen zum Vorbringen des Beschwerdeführers bedurft.

 

Die aufgezeigten Mängel sind wesentlich, weil vorweg nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Vermeidung der Mängel zu einem für den Beschwerdeführer günstigeren Ergebnis hätte führen können. Fest steht, dass das Bundesasylamt den Sachverhalt im gegenständlichen Fall so mangelhaft ermittelt hat, dass die Durchführung oder Wiederholung einer Einvernahme unvermeidlich erscheint.

 

Der zuständige Senat des Asylgerichtshofes ist der Ansicht, dass die schweren Mängel vom Bundesasylamt zu sanieren sind, da im gegenteiligen Fall der Großteil des Ermittlungsverfahrens vor dem Asylgerichtshof als gerichtliche Beschwerdeinstanz verlagert würde und somit - im Lichte der oben zitierten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes - der zweiinstanzliche Verfahrensgang unterlaufen würde.

 

Aus den dargelegten Gründen ist gemäß § 66 Abs. 2 AVG der o.a. Bescheid zu beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesasylamt zurückzuverweisen.

 

2.5. Es war somit spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte
Beweiswürdigung, Ermittlungspflicht, Kassation, mangelnde Sachverhaltsfeststellung, wesentlicher Verfahrensmangel
Zuletzt aktualisiert am
10.05.2013
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten