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50 GEWERBERECHTNorm
B-VG Art141 Abs1 litaLeitsatz
Stattgabe der Wahlanfechtung und Aufhebung der Urwahl in einen Fachgruppenausschuss der Wirtschaftskammer Wien infolge rechtswidriger Streichung einer Bewerberin vom Wahlvorschlag der Anfechtungswerberin wegen Doppelkandidatur ohne Durchführung des für den Fall von Mehrfachkandidaturen vorgesehenen VerfahrensSpruch
I. Der Wahlanfechtung wird stattgegeben.
II. Die Urwahl in den Ausschuss der Fachgruppe 601B - Fachgruppe Wien der Kaffeehäuser der Wirtschaftskammer Wien vom 27. Februar bis 2. März 2010 wird ab dem Zeitpunkt des Verstreichens der Frist für die Einbringung von Wahlvorschlägen aufgehoben.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. Sachverhalt, Anfechtungsvorbringen und Vorverfahren
1. Wahlverfahren
1.1. Vom 27. Februar bis 2. März 2010 fanden die Urwahlen in die Ausschüsse der Fachgruppen der Wirtschaftskammer Wien, darunter die Fachgruppe 601B - Fachgruppe Wien der Kaffeehäuser der Wirtschaftskammer Wien, statt. Am 12. März 2010 wurden die Wahlergebnisse in der Zeitung "Wiener Wirtschaft" als Veröffentlichungsorgan der Wirtschaftskammer Wien verlautbart.
1.2. Die Wählergruppe "FPÖ pro Mittelstand - Freiheitliche und Unabhängige" (in der Folge: FPÖ pro Mittelstand) erstattete am 15. Jänner 2010 einen Wahlvorschlag, auf dem die Bewerber Walter B., Michael G., Christian A., Alfred S., Christian F., Michaela P., Margareta P., Gerhard C., Rosemarie G., Verena P., Michaela S. und Vladimir V. aufschienen. Dem Wahlvorschlag beigeschlossen war u.a. eine mit 27. Oktober 2009 datierte "Zustimmungs- und Unterstützungserklärung" der Margarete [sic!] P., die u.a. folgende Erklärung enthielt:
"Gemäß §88 Abs3 WKG und §11 Abs4 WKWO gebe ich mit meiner eigenhändigen Unterschrift die Zustimmung zur Aufnahme in die Bewerberliste der oben bezeichneten Wählergruppe für die Wahl des Ausschusses der genannten Fachorganisation / Spartenvertretung / Spartenkonferenz. Ich erkläre, die Bedingungen der §§73 Abs6-8 und 85 Abs3-5 WKG zu erfüllen und im Falle meiner Wahl das Mandat anzunehmen. Weiters lege ich das Gelöbnis gem. §22 Abs7 GO ab. Gleichzeitig unterstütze ich diesen Wahlvorschlag, auf dem ich [...] kandi[d]iere. Gleichzeitig widerrufe ich alle bisher erteilten Zustimmungs- und Unterstützungserklärungen."
(Zitat ohne die im Original enthaltenen Hervorhebungen und Fußnoten)
Am selben Tag erstattete auch die Wählergruppe "Parteifreie Wahlgemeinschaft FACHLISTE DER GEWERBLICHEN WIRTSCHAFT - RING FREIHEITLICHER WIRTSCHAFTSTREIBENDER" (in der Folge: RFW) einen Wahlvorschlag, auf dem neben weiteren Bewerbern auch Margareta P. als Bewerberin aufschien. Dem Wahlvorschlag beigeschlossen war u.a. eine mit 14. Oktober 2009 datierte "Zustimmungs- und Unterstützungserklärung" der Margareta P., die u.a. folgende Erklärung enthielt:
"Gemäß §88 Abs3 Z2 WKG gebe ich mit meiner
eigenhändigen Unterschrift die Zustimmung zur Aufnahme in die Bewerberliste der Wählergruppe für die Wahl des Ausschusses der genannten Fachgruppe / Fachvertretung. Ich erkläre, die Bedingungen der §§73 Abs3-8 und 85 Abs3 und 4 WKG zu erfüllen und im Falle meiner Wahl das Mandat anzunehmen. Gleichzeitig unterstütze ich gemäß §88 Abs3 Z1 WKG den Wahlvorschlag, auf dem ich kandidiere."
(Zitat ohne die im Original enthaltenen Hervorhebungen und Fußnoten)
Am 12. Jänner 2010 - also noch vor Einbringung der Wahlvorschläge - langte bei der Hauptwahlkommission der Wirtschaftskammer Wien (in der Folge: Hauptwahlkommission) ein mit 8. Jänner 2010 datiertes Schreiben der Margareta P. ein, in dem diese "nochmals" erklärte, dass sie sich entschlossen habe, bei der Wirtschaftskammerwahl 2010 für die Liste RFW zu kandidieren und allfällige andere Zustimmungserklärungen ungültig seien.
1.3. In der Folge teilte die Hauptwahlkommission dem Zustellungsbevollmächtigten der Wählergruppe FPÖ pro Mittelstand mit Schreiben vom 16. Jänner 2010 näher bezeichnete Mängel des Wahlvorschlages mit; hinsichtlich einer "Doppelkandidatur" von Margareta P. wurde in diesem Schreiben jedoch nichts erwähnt.
1.4. Am 12. Februar 2010 wurden in der Zeitung
"Wiener Wirtschaft" die "eingereichten gültigen Wahlvorschläge" verlautbart, wobei für die vorliegende Fachgruppe folgende Listen genannt wurden: Liste 1: Berndt Querfeld - ÖSTERREICHISCHER WIRTSCHAFTSBUND; Liste 2:
Sozialdemokratischer Wirtschaftsverband (SWV) Liste 2 - Ferstl; Liste 3: Parteifreie Wahlgemeinschaft FACHLISTE DER
GEWERBLICHEN WIRTSCHAFT - RING FREIHEITLICHER
WIRTSCHAFTSTREIBENDER; Liste 4: GRÜNE WIRTSCHAFT (GRÜNE); Liste 5: "FPÖ pro Mittelstand" - Freiheitliche und Unabhängige. Die Bewerberin Margareta P. schien dabei auf dem Wahlvorschlag des RFW, nicht aber auf jenem der FPÖ pro Mittelstand auf.
1.5. Nach Durchführung der Wahl vom 27. Februar bis 2. März 2010 wurde das Wahlergebnis von der Hauptwahlkommission am 12. März 2010 in der Zeitung "Wiener Wirtschaft" verlautbart, wobei auf die Liste 1: Berndt Querfeld - ÖSTERREICHISCHER WIRTSCHAFTSBUND elf Mandate und auf die Liste 2: Sozialdemokratischer Wirtschaftsverband (SWV) Liste 2 - Ferstl zehn Mandate entfielen.
2. Verfahren vor den Wahlbehörden
2.1. Das am 12. März 2010 verlautbarte Ergebnis der Wahl in den Ausschuss der vorliegenden Fachgruppe sowie dessen Ermittlung wurden vom Zustellungsbevollmächtigten der Wählergruppe FPÖ pro Mittelstand mit Einspruch gemäß §98 Wirtschaftskammergesetz (in der Folge: WKG) bekämpft. Mit Bescheid der Hauptwahlkommission der Wirtschaftskammer Wien vom 2. September 2010 wurde der Einspruch der Wählergruppe abgewiesen.
2.2. Gegen diesen Bescheid erhob die FPÖ pro
Mittelstand durch ihren Zustellungsbevollmächtigten Beschwerde gemäß §98 Abs4 WKG. Das Verfahren über diese Beschwerde wurde mit Bescheid des Bundesministers für Wirtschaft, Familie und Jugend vom 5. September 2011 auf Grund bei der Staatsanwaltschaft Wien laufender Ermittlungen wegen behaupteten Wahlkartenbetruges ausgesetzt. In der Folge wurden mit Bescheid des Bundesministers für Wirtschaft, Familie und Jugend vom 22. Juli 2012 der Aussetzungsbescheid aufgehoben, die Anträge auf Einsicht in die Wahlkartenakte sowie die Abstimmungsverzeichnisse und Stimmzettel gemäß §19 Wirtschaftskammer-Wahlordnung zurückgewiesen und die Anträge auf Aufhebung des Bescheides der Hauptwahlkommission sowie auf Ungültigerklärung der Wirtschaftskammerwahl 2010 in Wien in der vorliegenden Fachgruppe und auf Neuausschreibung dieser Wahl gemäß §98 WKG abgewiesen.
Begründend wurde im Hinblick auf die Streichung der Bewerberin Margareta P. vom Wahlvorschlag der Wählergruppe FPÖ pro Mittelstand ausgeführt, dass eine Aufforderung gemäß §88 Abs5 WKG nicht notwendig gewesen sei, weil sich die Bewerberin schon zuvor eindeutig geäußert habe, auf welcher der beiden Listen sie kandidieren wollte, und zwar durch die am 12. Jänner 2010 bei der Hauptwahlkommission eingelangte Zustimmungs- und Unterstützungserklärung vom 8. Jänner 2010.
3. Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof
3.1. Mit ihrer Wahlanfechtung ficht die Wählergruppe FPÖ pro Mittelstand als Anfechtungswerberin im verfassungsgerichtlichen Verfahren durch ihren zustellungsbevollmächtigten Vertreter gemäß Art141 B-VG der Sache nach die Urwahl in den Ausschuss der Fachgruppe 601B - Fachgruppe Wien der Kaffeehäuser der Wirtschaftskammer Wien vom 27. Februar 2010 bis 2. März 2010 an und beantragt, die Wahl für nichtig zu erklären und als rechtswidrig aufzuheben.
Begründend wird u.a. vorgebracht, dass die Wahlbehörde es rechtswidrig unterlassen habe, das im Falle von Doppelkandidaturen verpflichtende Verfahren des §88 Abs5 WKG einzuhalten. Die von der Hauptwahlkommission gewählte Vorgangsweise, ihre Entscheidung über die Streichung bzw. das Belassen eines Bewerbers auf einer Liste danach zu richten, zu welchem Datum dieser Bewerber Zustimmungserklärungen bzw. Widerrufserklärungen gegenüber einer der Wählergruppen abgegeben habe, finde keine gesetzliche Deckung. Es sei nicht ausgeschlossen, dass diese Rechtswidrigkeit nach Lage des konkreten Falles auf das Wahlergebnis zumindest von Einfluss sein konnte.
3.2. Der Bundesminister für Wirtschaft, Familie und Jugend legte dem Verfassungsgerichtshof die Wahlakten vor und erstattete eine Gegenschrift, in der er beantragt, "die Beschwerde als unbegründet abzuweisen". Begründend wird - in Bezug auch auf weitere beim Verfassungsgerichtshof anhängige Anfechtungen von Urwahlen in die Ausschüsse von Fachgruppen der Wirtschaftskammer Wien - u.a. ausgeführt, dass die Hauptwahlkommission davon ausgegangen sei, dass bei den in Rede stehenden Doppelkandidaturen keine Fälle des §88 Abs5 WKG vorgelegen seien, weil die Wahlwerber zwar auf mehreren Listen aufgeschienen seien, aber unmittelbar vor der Wahl schriftlich erklärt hätten, für die Liste RFW kandidieren zu wollen (und ihre Zustimmungs- und Unterstützungserklärungen für andere Listen zurückzuziehen). Diese Schreiben seien als ausdrückliche Willenserklärungen zu qualifizieren, die man gemäß §88 Abs5 WKG hätte einfordern müssen, sodass es eines solchen Verfahrens nicht mehr bedurft hätte. Das Mängelbehebungsverfahren des §88 Abs5 WKG sei nur bei unklaren Situationen durchzuführen, nicht aber dann, wenn ein Wahlwerber in unmittelbarem zeitlichem Zusammenhang vor der Wahl bekanntgegeben habe, für welche Liste er zu kandidieren beabsichtige.
II. Erwägungen
Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige (s. VfGH 1.3.2013, WI-5/12) - Anfechtung erwogen:
Die vorliegende Anfechtung entspricht inhaltlich in allen entscheidungswesentlichen Belangen der dem Erkenntnis VfGH 1.3.2013, WI-5/12, zugrunde liegenden Anfechtung, die ebenfalls eine gleichartige Rechtswidrigkeit eines Wahlverfahrens zum Ausschuss einer Fachgruppe der Wirtschaftskammer Wien behauptet.
Der Verfassungsgerichtshof kann sich daher darauf beschränken, auf die Entscheidungsgründe seines Erkenntnisses VfGH 1.3.2013, WI-5/12, hinzuweisen; aus diesem ergibt sich auch für den vorliegenden Fall, dass die Streichung der Bewerberin Margareta P. vom Wahlvorschlag der Anfechtungswerberin wegen Doppelkandidatur ohne Durchführung des in solchen Fällen vorgesehenen Verfahrens gemäß §88 Abs5 WKG eine Rechtswidrigkeit des Wahlverfahrens darstellt, die auch Einfluss auf das Wahlergebnis haben konnte.
III. Ergebnis und damit zusammenhängende Ausführungen
1. Der Wahlanfechtung der Anfechtungswerberin ist
daher schon aus diesem Grund stattzugeben und die Urwahl in den Ausschuss der Fachgruppe 601B - Fachgruppe Wien der Kaffeehäuser der Wirtschaftskammer Wien vom 27. Februar bis 2. März 2010 ab dem Zeitpunkt des Verstreichens der Frist für die Einbringung von Wahlvorschlägen aufzuheben.
2. Bei dieser Sach- und Rechtslage erübrigt sich ein Eingehen auf das restliche Antragsvorbringen.
3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
Schlagworte
VfGH / Wahlanfechtung, Wahlen, berufliche Vertretungen, Wirtschaftskammern, WahlvorschlagEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2013:WI6.2012Zuletzt aktualisiert am
28.03.2013