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72 WISSENSCHAFT, HOCHSCHULENNorm
B-VG Art18 Abs2Leitsatz
Gesetzwidrigkeit einer Bestimmung der Verordnung über die nach dem Studienförderungsgesetz 1992 dem Studienort gleichzusetzenden Gemeinden betreffend den Studienort Hagenberg wegen Beurteilung der verkehrsgünstigen Lage allein an Hand der Verhältnisse im motorisierten IndividualverkehrSpruch
I. §24 der Verordnung des Bundesministers für Wissenschaft und Forschung über die nach dem Studienförderungsgesetz 1992 dem Studienort gleichzusetzenden Gemeinden, BGBl. Nr. 604/1993 idF BGBl. Nr. 632/1995, wird als gesetzwidrig aufgehoben.
II. Die Aufhebung tritt mit Ablauf des 31. August 2013 in Kraft.
III. Der Bundesminister für Wissenschaft und Forschung ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Bundesgesetzblatt II verpflichtet.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. Anlassverfahren, Prüfungsbeschluss und Vorverfahren
1. Beim Verfassungsgerichtshof ist zu B17/12 eine auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde anhängig, der folgender Sachverhalt zugrunde liegt:
Nach dem Abschluss eines Bakkalaureatsstudiums
studiert die Beschwerdeführerin an der Fachhochschule Hagenberg (Mühlviertel). Die Beschwerdeführerin, deren Eltern in Graz bzw. Bad Mitterndorf ihren Wohnsitz haben, bewohnte während ihres Erststudiums eine Wohnung in Linz, die sie während des Folgestudiums in Hagenberg beibehielt. Mit angefochtenem Bescheid wurde ihrem Antrag auf Zuerkennung einer erhöhten Studienbeihilfe für das Studienjahr 2010/2011 nicht stattgegeben, da sie nur dann Anspruch auf erhöhte Studienbeihilfe gemäß §26 Abs2 Z4 des Bundesgesetzes über die Gewährung von Studienbeihilfen und anderen Studienförderungsmaßnahmen (Studienförderungsgesetz 1992 - in Folge: StudFG), BGBl. 305 idF BGBl. I 135/2009, hätte, wenn sie am Studienort oder in einer dem Studienort gleichzusetzenden Gemeinde wohnte. Gemäß §24 der Verordnung des Bundesministers für Wissenschaft und Forschung über die nach dem Studienförderungsgesetz 1992 dem Studienort gleichzusetzenden Gemeinden, BGBl. 604/1993 idF
BGBl. 632/1995, sei die Gemeinde Linz nicht dem Studienort Hagenberg gleichzusetzen.
2. Bei der Behandlung der Beschwerde sind beim Verfassungsgerichtshof Bedenken ob der Gesetzmäßigkeit des §24 der Verordnung des Bundesministers für Wissenschaft und Forschung über die nach dem Studienförderungsgesetz 1992 dem Studienort gleichzusetzenden Gemeinden, BGBl. 604/1993 idF BGBl. 632/1995, entstanden. Der Verfassungsgerichtshof hat daher mit Beschluss vom 26. November 2012 von Amts wegen ein Verordnungsprüfungsverfahren betreffend §24 der oben genannten Verordnung eingeleitet.
3. Der Verfassungsgerichtshof ist im Prüfungsbeschluss (vorläufig) davon ausgegangen, dass die belangte Behörde bei Erlassung des angefochtenen Bescheides die in Prüfung gezogene Verordnungsbestimmung angewendet hat.
Der Verfassungsgerichtshof führte seine Bedenken ob der Gesetzmäßigkeit der in Prüfung gezogenen Verordnungsbestimmung wie folgt aus:
"[...] [D]er Bundesminister für Wissenschaft und Forschung [hat] im Einvernehmen mit dem Bundesminister für soziale Sicherheit und Generationen durch Verordnung jene Gemeinden zu bezeichnen, die wegen ihrer verkehrsgünstigen Lage zum Studienort diesem gleichgesetzt werden können (§26 Abs4 StudFG). Damit soll offenbar erreicht werden, dass auch Studierende, denen die tägliche Rückkehr zum Wohnort der Eltern nicht zumutbar ist, den Anspruch auf erhöhte Studienbeihilfe nicht verlieren, wenn sich ihr Wohnsitz zwar nicht direkt am Studienort befindet, aber in einer Gemeinde liegt, die im Hinblick auf die Verkehrssituation dem Studienort gleichgestellt werden kann. Gegen dieses Konzept bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken; es wäre vielmehr anscheinend verfassungsrechtlich bedenklich, wenn der Anspruch auf erhöhte Studienbeihilfe von dem - formalen - Kriterium abhängig gemacht würde, dass Studierende unmittelbar am Studienort ihren Wohnsitz begründen, weil die Motivation für die Erhöhung der Studienbeihilfe - Abgeltung des erhöhten Aufwandes für eine Unterkunft außerhalb des elterlichen Wohnsitzes - genauso zutrifft, wenn diese Unterkunft sich nicht unmittelbar am Studienort, sondern in dessen Nähe befindet.
Wenn §26 Abs4 StudFG in diesem Zusammenhang auf jene Gemeinden abstellt, die wegen ihrer verkehrsgünstigen Lage dem Studienort gleichgesetzt werden können, so ist auch dagegen aus verfassungsrechtlicher Sicht nichts einzuwenden. Der Verfassungsgerichtshof hat aber (vorläufig) das Bedenken, dass der Verordnungsgeber bei der Interpretation dieser Bestimmung
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und somit bei der Auswahl der betreffenden (gleichzusetzenden) Gemeinden - von einem unsachlichen Gesichtspunkt auszugehen scheint. Wie der Bundesminister für Wissenschaft und Forschung in seiner Gegenschrift vorbringt, ist die verkehrsgünstige Lage einer Gemeinde bei der Verordnungserlassung schematisch an Hand der Erreichbarkeit im motorisierten Individualverkehr (Fahrzeit maximal 20 Minuten) ermittelt worden. Damit hat der Verordnungsgeber aber ein Kriterium verwendet, das für sich allein nicht geeignet sein dürfte, das gesetzgeberische Ziel - Berücksichtigung des erhöhten Wohnungsaufwandes von Studierenden, die außerhalb des elterlichen Wohnortes studieren (müssen) - in sachgerechter Weise umzusetzen. Der Verfassungsgerichtshof ist vorderhand der Meinung, dass eine Festlegung der 'verkehrsgünstig gelegenen' Gemeinden allein an Hand der Verhältnisse im motorisierten Individualverkehr mit dem Konzept und den Zielsetzungen des Studienförderungsrechts nicht vereinbar sein dürfte. Gerade bei Studierenden, die Leistungen nach dem Studienförderungsrecht in Anspruch nehmen wollen, dürfte nämlich davon auszugehen sein, dass sie die verkehrsgünstige Lage ihres Wohnortes im Verhältnis zum Studienort nicht nach den Gegebenheiten im motorisierten Individualverkehr, sondern nach anderen Kriterien - insbesondere der Situation am Wohnungsmarkt und der Anbindung an öffentliche Verkehrsmittel
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beurteilen. Der Verfassungsgerichtshof geht zumindest vorläufig davon aus, dass aus der Sicht solcher Studierenden eine verkehrsgünstige Lage auch dann noch bejaht wird, wenn die Entfernung jenseits der 20-Minuten-Grenze des motorisierten Individualverkehrs liegt, jedoch im Hinblick auf die Situation der öffentlichen Verkehrsmittel einerseits, der Vorteile des Wohnungsmarktes andererseits noch vertretbar erscheint. Es ist für den Verfassungsgerichtshof vorderhand auch nicht nachvollziehbar, warum die Frage, ob eine Wohnsitzbegründung am Studienort erforderlich bzw. die tägliche Rückkehr zum Wohnort der Eltern zumutbar ist (§26 Abs3 StudFG), nach ganz anderen Gesichtspunkten beurteilt wird als die Frage der dem Studienort 'gleichzusetzenden Gemeinden' (§26 Abs4 leg.cit.). Daraus dürfte sich aber ergeben, dass bei der Bestimmung der 'verkehrsgünstigen Lage' im Sinn des §26 Abs4 StudFG auch andere Kriterien als bloß die Erreichbarkeit im motorisierten Individualverkehr herangezogen werden müssen.
Sollte daher - wie der Bundesminister für
Wissenschaft und Forschung in seiner Gegenschrift angibt - dem §24 der Verordnung über die nach dem Studienförderungsgesetz 1992 dem Studienort gleichzusetzenden Gemeinden jene Auswahl an Gemeinden zugrunde liegen, von denen aus der Studienort Hagenberg im motorisierten Individualverkehr in nicht mehr als 20 Minuten erreichbar ist, dann dürfte die Bestimmung insoweit gesetzwidrig sein."
4. Der Bundesminister für Wissenschaft und Forschung erstattete im Verfahren eine Äußerung, in der er Folgendes vorbringt (Zitat ohne die darin enthaltenen Hervorhebungen):
"Das Studienförderungsgesetz 1992 geht bei der Berechnung der Höchststudienbeihilfe von einem höheren Betrag gemäß §26 Abs2 Z4 aus. Dieser gilt für Studierende, die aus Studiengründen einen Wohnsitz im Gemeindegebiet des Studienortes haben, weil der Wohnsitz der Eltern vom Studienort so weit entfernt ist, dass die tägliche Hin- und Rückfahrt zeitlich nicht zumutbar ist. Durch eine Verordnungsermächtigung in §26 Abs3 StudFG wird die Festlegung jener Gemeinden, von denen die tägliche Hin- und Rückfahrt vom und zum Studienort zeitlich nicht zumutbar ist, in die Verordnungskompetenz des zuständigen Bundesministers übertragen. Die Verordnung wird durch den zweiten Satz dieser Gesetzesbestimmung näher determiniert: 'Eine Fahrzeit von mehr als je einer Stunde zum und vom Studienort unter Benützung der günstigsten öffentlichen Verkehrsmittel ist keinesfalls mehr zumutbar'.
§26 Abs2 Z4 StudFG verlangt die Begründung eines Wohnsitzes 'im Gemeindegebiet des Studienortes', um den Anspruch auf eine höhere Studienbeihilfe zu vermitteln. Da es nach den Gegebenheiten des Wohnungsmarktes für Studierende häufig kostengünstiger ist, nicht direkt im Gemeindegebiet des Studienortes den Wohnsitz zu begründen, sondern in der Nähe der Studienortsgemeinde, legt §26 Abs4 StudFG eine weitere Verordnungsermächtigung fest. Demnach soll auch die Begründung eines Wohnsitzes in Gemeinden in einer 'verkehrsgünstigen Lage zum Studienort' dazu führen, dass die höhere Studienbeihilfe gemäß §26 Abs2 Z4 gebührt.
Aus dieser unterschiedlichen Textierung der Verordnungsermächtigungen ergibt sich jedenfalls, dass der Gesetzgeber für die Verordnung gemäß §26 Absatz 4 StudFG nicht zwingend die Orientierung an öffentlichen Verkehrsmitteln verlangt. Die unterschiedliche Festlegung der Kriterien für die 'zumutbaren' Gemeinden und für die 'gleichzusetzenden' Gemeinden wird vom Gesetzestext daher durchaus ermöglicht.
In den folgenden Ausführungen wird zunächst die Abgrenzungen zwischen den beiden Verordnungsermächtigungen in §26 Abs3 und §26 Abs4 unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Ziele der Gesetzesbestimmung analysiert. Anschließend wird ein Blick auf die historische Entwicklung der Verordnungsermächtigung für die 'gleichzusetzenden' Gemeinden im Studienförderungsgesetz 1992 und in der vorhergehenden Regelung im Studienförderungsgesetz 1983 geworfen. Schließlich werden Überlegungen über die Auswirkungen der unterschiedlichen Maßstäbe für die Festlegung der in den Verordnungen genannten Gemeinden angestellt.
1. Das StudFG 1992 geht grundsätzlich davon aus, dass von staatlicher Seite nur die notwendigen, nicht von privater Seite zu tragenden Kosten eines Studiums von der öffentlichen Hand finanziert werden.
Dies kommt primär dadurch zum Ausdruck, dass die Höhe der Studienbeihilfe von der sozialen Situation der antragstellenden Studierenden abhängig ist. Es wird daher jeweils im Einzelfall das Einkommen der Eltern (allenfalls des Ehegatten) sowie die Familiensituation (Zahl und Alter weiterer unterhaltberechtigter Geschwister) berücksichtigt.
Da die Wohnkosten regelmäßig auch einen wesentlichen Anteil der Studienkosten ausmachen, übernimmt die öffentliche Hand solche Wohnkosten nur dann, wenn der Betrieb des Studiums wegen der Entfernung zum Studienort vom Wohnort der Eltern aus nicht mehr zumutbar ist.
Dies bedeutet, dass die Wohnkosten nicht generell für jede/n Studierende/n durch einen pauschalierten höheren Betrag der Studienbeihilfe ersetzt werden, sondern nur dann, wenn nach der allgemeinen Lebenserfahrung die tägliche Anreise zum Studienort und die Heimreise vom Studienort so viel Zeit in Anspruch nimmt, dass die für das Studium zur Verfügung stehende Zeit gravierend reduziert wird und darunter der Studienfortgang leiden könnte.
Die Entscheidung eines Studierenden, eine eigene
Wohnung zu beziehen und zu finanzieren, wird also nicht in jedem Fall durch die öffentliche Hand gefördert, sondern nur dann, wenn dies im Sinne eines ernsthaften und zügig betriebenen Studiums, wie es das StudFG vorsieht, notwendig ist.
Das StudFG umschreibt im §26 Abs3 durch die Festlegung einer Ein-Stunden-Grenze mit öffentlichen Verkehrsmitteln als Obergrenze allgemein die Zumutbarkeit einer täglichen Fahrt zum Studienort und überträgt die explizite Aufzählung der Orte, von denen die Anreise zu den möglichen Studienorten konkret jeweils zumutbar ist, einer Verordnung.
In den auf Basis dieser Verordnungsermächtigung ergangenen Verordnungen werden im Hinblick auf einen konkreten Studienort immer jeweils jene Gemeinden aufgezählt, von denen die tägliche Reise zum und vom Studienort zeitlich noch zumutbar ist. Beim Studium in einem konkreten Studienort und dem Wohnort der Eltern in einer der jeweils als 'zumutbar' bezeichneten Gemeinden besteht kein Anspruch auf eine erhöhte Studienbeihilfe. Aus Sicht potentieller Studienbeihilfenbezieherlnnen ist es daher von Vorteil, wenn die Zahl der 'zumutbaren' Gemeinden je Studienort möglichst gering ist.
§26 Abs4 StudFG berücksichtigt - wie oben ausgeführt - die Tatsache, dass es für Studierende oft schwierig ist, direkt im Gemeindegebiet des Studienortes eine kostengünstige Wohnungsmöglichkeit zu finden.
Insbesondere in Hinblick auf die zahlreichen
kleineren Standorte von Fachhochschulen ist es angemessen, zunehmend auch nahe gelegene Gemeinden als solche zu bezeichnen, die gemäß §26 Abs2 Z. 4 StudFG als Wohnsitzgemeinde einen Anspruch auf eine höhere Studienbeihilfe begründen.
Schon aus der Textierung der beiden Verordnungsermächtigungen ergibt sich, dass der Kreis der Gemeinden gemäß §26 Abs4 StudFG enger zu ziehen ist als jener gemäß §26 Abs3 StudFG. Während die Verordnung gemäß §26 Abs3 StudFG jene Gemeinden anführt, aus denen die tägliche Anreise 'zeitlich noch zumutbar' ist, handelt es sich bei den Gemeinden gemäß §26 Abs4 StudFG um solche, die 'wegen ihrer verkehrsgünstigen Lage zum Studienort diesem gleichgesetzt werden können'.
Mit anderen Worten bilden die Gemeinden gemäß §26
Absatz 4 StudFG eine Teilmenge der Gemeinden gemäß §26 Absatz 3 StudFG: Jede Gemeinde, die wegen ihrer verkehrsgünstigen Lage dem Studienort gleichzusetzen ist, liegt in einer zeitlich zumutbaren Entfernung für die tägliche An- und Abreise zum und vom Studienort; umgekehrt ist dies nicht der Fall.
Die Nennung möglichst vieler Gemeinden in der Verordnung gemäß §26 Abs4 StudFG ist für potentielle Studienbeihilfenbezieherlnnen jedenfalls von Vorteil (im Unterschied zur Verordnung gemäß §26 Abs3 StudFG).
Die Aufnahme einer Gemeinde in die Verordnung gemäß §26 Abs4 StudFG führt nämlich potentiell zur Vermittlung eines Anspruches auf einen höhere Studienbeihilfe, während die Nennung einer Gemeinde in der Verordnung gemäß §26 Absatz 3 StudFG dazu führt, dass kein Anspruch auf eine höhere Studienbeihilfe besteht, wenn der elterliche Wohnsitz in dieser Gemeinde liegt.
Unter Berücksichtigung dieser Interessenslage hat
sich der Verordnungsgeber bei den Vorarbeiten zu den jeweiligen Verordnungen, die sich auf die tatsächlichen Verkehrsverbindungen beziehen, jeweils von der Tendenz leiten lassen, in der Verordnung unter Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben ein möglichst günstiges Ergebnis für Studienbeihilfenbezieherlnnen vorzusehen.
Während die Verordnungsermächtigung im §26 Absatz 3 StudFG die Berücksichtigung der Fahrpläne öffentlicher Verkehrsmittel zwingend nahelegt, ist dies in der Verordnungsermächtigung des §26 Absatz 4 StudFG nicht der Fall.
2. Die Verordnungsermächtigung des §26 Abs4 des Studienförderungsgesetzes 1992, BGBl. Nr. 305/1992, hat eine Vorgängerbestimmung im Studienförderungsgesetz 1983. §13 Absatz 5 StudFG 1983, BGBl. Nr. 436 lautete:
'(5) Der Bundesminister für Wissenschaft und Forschung hat im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Unterricht, Kunst und Sport und dem Bundesminister für Gesundheit und Umweltschutz durch Verordnung jene an den Studienort angrenzenden Gemeinden zu bezeichnen, die wegen ihrer verkehrsgünstigen Lage zum Studienort geeignet sind, gemäß Absatz 2 litc gleichgesetzt zu werden.'
Diese Bestimmung wurde im Wesentlichen in das Studienförderungsgesetz 1992 übernommen, allerdings wurde das Wort 'angrenzenden' aus der Nachfolgebestimmung entfernt. Diese geringfügige Änderung ermöglichte es, auch jene Gemeinden gleichzusetzen, die keine gemeinsame Gemeindegrenze mit dem Studienort haben, aber so nahe zu diesem liegen, dass auch eine Wohnsitzbegründung in dieser Gemeinde als praktisch gleichwertig mit einer Wohnsitzbegründung im Studienort anzusehen ist. Damit wurde der Kreis der durch Verordnung näher festzulegenden 'gleichzusetzenden' Gemeinden erheblich erweitert, weil das Kriterium der gemeinsamen Gemeindegrenze mit dem Studienort weg fiel. Es blieb lediglich die Determination der verkehrsgünstigen Lage zum Studienort. Bei der Erlassung der auf §26 Abs4 des Studienförderungsgesetzes 1992 basierenden Verordnung des Bundesministers für Wissenschaft und Forschung über die nach dem Studienförderungsgesetz 1992 gleichzusetzenden Gemeinden, die erstmals durch die Verordnung BGBl. Nr. 604/1993 erfolgte, wurde eine Studie des Österreichischen Institutes für Raumplanung (ÖIR) als Grundlage herangezogen. Diese Studie überprüfte die Erreichbarkeitsverhältnisse im motorisierten Individualverkehr und legte als Obergrenze für die Fahrzeit zwanzig Minuten fest. Dies führte etwa in Hinblick auf den Studienort Wien (gegenüber der früheren Verordnung gemäß §13 Abs5 StudFG 1983) zu einer Ausweitung der Zahl der gleichgesetzten Gemeinden auf das Dreifache, beim Studienort Linz auf das Doppelte. Der Studienort Hagenberg war in dieser Fassung der Verordnung noch nicht aufgenommen.
Durch die Schaffung zusätzlicher Studienorte insbesondere als Folge des neuen Fachhochschul-Studiengesetzes musste die Verordnung in den folgenden Jahren mehrfach novelliert werden. Eine erste Ausweitung erfolgte 1995 durch die Verordnung BGBl. Nr. 632/1995. In dieser Verordnung wurde nunmehr auch der Studienstandort Hagenberg aufgenommen. §24 der Verordnung nennt jene Gemeinden, die Hagenberg gleichzusetzen sind. Basis war eine neuerliche Studie des ÖIR, nunmehr auf die neuen Studienorte bezogen, mit denselben Kriterien.
Bei der Vorbereitung einer Novelle der Verordnung im Jahr 2004, die eine neuerliche Erweiterung wegen weiterer Standorte von Fachhochschulen brachte, wurden durch eine Studie des ÖIR sowohl die Verkehrsanbindung der neuen Studienorte untersucht als auch - zehn Jahre nach Erlassung der ersten Verordnung - jene der schon bisher genannten Studienorte. Bei dem Studienort Hagenberg kam es auch nach dieser Methode zu keiner Änderung der gleichgesetzten Gemeinden.
3. Wie oben dargestellt, liegt es im Interesse der Studierenden, wenn der Verordnungsgeber den Kreis der gleichgesetzten Gemeinden nicht zu eng zieht.
Erfahrungsgemäß sind die Fahrzeiten im motorisierten Individualverkehr bei kleinen Gemeinden, wie etwa Hagenberg, die im öffentlichen Verkehr mit Regionalbahnen und Bussen angefahren werden, erheblich kürzer als im öffentlichen Verkehr. Zieht man als Maßstab die Fahrzeiten im Individualverkehr heran, kommt man zu einem größeren Kreis von gleichzusetzenden Gemeinden, als wenn man die oft wesentlich höheren Fahrzeiten des öffentlichen Verkehrs heranzieht. Für Studierende mit Anspruch auf Studienbeihilfe ist es daher nur von Vorteil, wenn für die Gleichsetzung zwischen dem vom Studierenden gewählten Wohnort und dem Studienort die Fahrzeiten im Individualverkehr als Maßstab herangezogen werden.
Die Beschwerdeschrift im gegenständlichen Fall
verkennt diese Interessenslage. Sie macht zwar durchaus berechtigt geltend, dass sozial bedürftige Studierende häufiger mit den öffentlichen Verkehrsmitteln als im motorisierten Individualverkehr zum Studienort anreisen. Diese Argumentation übersieht aber, dass die Einbeziehung der Fahrzeiten im Individualverkehr, wie sie die Studien des ÖIR zur Erreichbarkeit von Studienorten vornehmen, nicht zu einer Verschlechterung der Lage der Studierenden, sondern im Gegenteil zu einer Verbesserung führen.
Die Intention des Verordnungsgebers war darauf ausgerichtet, unter Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben ein günstiges Ergebnis für potentielle Studienbeihilfenbezieherlnnen zu erzielen, nicht aber, diese nach unsachlichen Kriterien von einer Studienbeihilfe oder höheren Studienbeihilfe auszuschließen.
Nach Ansicht der verordnungserlassenden Behörde ist es durch den Gesetzestext keineswegs zwingend vorgegeben, für beide Verordnungen die Fahrzeiten im öffentlichen Verkehr heranzuziehen. Vielmehr ist die unterschiedliche Textierung - §26 Absatz 3 StudFG nimmt auf die öffentlichen Verkehrsmittel Bezug, §26 Absatz 4 StudFG hingegen nicht - geradezu ein Indiz dafür, dass eine differenzierte Beurteilung der faktischen Voraussetzungen zulässig ist. Die Frage der zeitlichen Differenzierung zwischen der 'gleichgesetzten' und der 'noch zumutbaren' Gemeinde liegt im Gestaltungsspielraum des Verordnungsgebers, wobei jedoch auf Grund der Textierung die Zahl der Gemeinden in den Verordnungen gemäß §26 Abs3 StudFG eindeutig größer sein muss als jene in der Verordnung gemäß §26 Abs4 StudFG.
Die Festlegung der Grenze für gleichzusetzenden Gemeinden mit maximal 20 Minuten Fahrzeit im Individualverkehr kann nach Ansicht der verordnungserlassenden Behörde nicht als Regelungsexzess gewertet werden, sondern liegt innerhalb der Grenzen des zulässigen normativen Gestaltungsspielraumes.
Bezogen auf den konkreten Fall vermag der Hinweis in der Beschwerdeschrift, dass mit öffentlichen Verkehrsmitteln die Fahrzeit von Hagenberg nach Linz zwischen 38 und 51 Minuten liegt, nicht dazu beizutragen, dass die Gemeinde Linz als dem Studienort Hagenberg gleichzusetzende Gemeinde zu bezeichnen wäre. Wenn in der Beschwerdeschrift daraus abgeleitet wird, dass es sich um eine 'mittlere verkehrsgünstige' Gemeinde handelt, so schließt diese Feststellung die Gleichsetzung nach dem Wortlaut des §26 Absatz 4 StudFG geradezu aus. Wie sich aus der Textierung ergibt, soll die Verkehrsgünstigkeit eine Gleichsetzung der Wohnsitzgemeinde mit der Studienortsgemeinde rechtfertigen. Eine solche Gleichsetzung ist aber nach dem Verständnis der verordnungserlassenden Behörde nur dann gerechtfertigt, wenn diese Verkehrsgünstigkeit in einem höheren Ausmaß vorliegt, als bloß 'mittelmäßig' zu sein."
5. Die Beschwerdeführerin des Anlassverfahrens erstattete ebenfalls eine Äußerung, in der sie vorbringt, die Intention des §26 Abs2 Z4 und Abs4 StudFG sei, Studierenden, die auf Grund der Unzumutbarkeit der Fahrt vom elterlichen Wohnort zum Studienort ihren Wohnsitz an einen Ort verlegt hätten, von dem die Fahrt zum Studienort zumutbar sei, eine höhere Studienbehilfe zu gewähren. Die ratio legis verknüpfe die Begriffe der Zumutbarkeit und der Verkehrsgünstigkeit; die zeitliche Zumutbarkeit der Hin- und Rückfahrt zum Studienort sei nicht nur für die Beurteilung der Zumutbarkeit nach §26 Abs3 StudFG, sondern auch für die Beurteilung der Verkehrsgünstigkeit gemäß §26 Abs4 StudFG entscheidend. Das Kriterium der Erreichbarkeit im motorisierten Individualverkehr binnen 20 Minuten sei jedenfalls unsachlich, weil es sonstige infrastrukturelle Bedingungen, wie die Verkehrsanbindung und die Größe des Wohnungsmarktes am Studienort oder in dessen Nähe außer Acht lasse.
II. Rechtslage
1. §26 StudFG, BGBl. 305/1992 idF BGBl. I 135/2009, lautet wie folgt:
"Höchststudienbeihilfen
Allgemeine Höchststudienbeihilfe
§26. (1) Die Höchststudienbeihilfe beträgt -
unbeschadet eines Erhöhungszuschlages gemäß §30 Abs5 - monatlich 424 Euro (jährlich 5 088 Euro), soweit im Folgenden nichts Anderes festgelegt ist.
(2) Die Höchststudienbeihilfe beträgt - unbeschadet eines Erhöhungszuschlages gemäß §30 Abs5 - monatlich 606 Euro (jährlich 7 272 Euro) für
1. Vollwaisen,
2. verheiratete Studierende und Studierende in eingetragener Partnerschaft,
3. Studierende, die zur Pflege und Erziehung
mindestens eines Kindes gesetzlich verpflichtet sind, und
4. für Studierende, die aus Studiengründen einen Wohnsitz im Gemeindegebiet des Studienortes haben, weil der Wohnsitz der Eltern vom Studienort so weit entfernt ist, dass die tägliche Hin- und Rückfahrt zeitlich nicht zumutbar ist; leben die Eltern nicht im gemeinsamen Haushalt, so ist der Wohnsitz jenes Elternteiles maßgebend, mit dem der Studierende zuletzt im gemeinsamen Haushalt gelebt hat. Dies gilt nicht für Studierende von Fernstudien.
(3) Von welchen Gemeinden diese tägliche Hin- und Rückfahrt zeitlich noch zumutbar ist, hat der Bundesminister für Bildung, Wissenschaft und Kultur durch Verordnung festzulegen. Eine Fahrzeit von mehr als je einer Stunde zum und vom Studienort unter Benützung der günstigsten öffentlichen Verkehrsmittel ist keinesfalls mehr zumutbar.
(4) Der Bundesminister für Bildung, Wissenschaft und Kultur hat im Einvernehmen mit dem Bundesminister für soziale Sicherheit und Generationen durch Verordnung jene Gemeinden zu bezeichnen, die wegen ihrer verkehrsgünstigen Lage zum Studienort diesem gleichgesetzt werden können."
2. Der zur Gänze in Prüfung gezogene §24 der Verordnung des Bundesministers für Wissenschaft und Forschung über die nach dem Studienförderungsgesetz 1992 dem Studienort gleichzusetzenden Gemeinden, BGBl. 604/1993 idF
BGBl. 632/1995, lautet wie folgt:
"Dem Studienort Hagenberg im Mühlviertel sind wegen ihrer verkehrsgünstigen Lage folgende Gemeinden gleichzusetzen:
Engerwitzdorf, Gallneukirchen, Katsdorf, Kefermarkt, Neumarkt im Mühlkreis, Pregarten, Ried in der Riedmark, Tragwein, Unterweitersdorf, Wartberg ob der Aist."
III. Erwägungen
1. Prozessvoraussetzungen
Der im Prüfungsbeschluss geäußerten Annahme, dass die in Prüfung gezogene Bestimmung anzuwenden ist, tritt der Bundesminister für Wissenschaft und Forschung in seiner im Verordnungsprüfungsverfahren erstatteten Äußerung nicht entgegen. Es ist auch sonst nichts hervorgekommen, was gegen die Zulässigkeit des Verordnungsprüfungsverfahrens spräche. Das Verordnungsprüfungsverfahren ist daher zulässig.
2. In der Sache
Die Bedenken des Verfassungsgerichtshofes haben sich als zutreffend erwiesen:
2.1. Die Äußerung des Bundesministers für
Wissenschaft und Forschung läuft im Wesentlichen darauf hinaus, dass es für Studierende mit Anspruch auf Studienbeihilfe von Vorteil sei, wenn für die Gleichsetzung zwischen dem vom Studierenden gewählten Wohnort und dem Studienort die Fahrzeit im Individualverkehr als Maßstab herangezogen würde. Die Festlegung der Grenze für gleichzusetzende Gemeinden mit maximal 20 Minuten Fahrzeit im Individualverkehr könne nicht als Regelungsexzess gewertet werden, sondern liege "innerhalb der Grenzen des zulässigen normativen Gestaltungsspielraumes".
2.2. Damit verkennt der Bundesminister für
Wissenschaft und Forschung die im Prüfungsbeschluss des Verfassungsgerichtshofes dargelegten Bedenken. Der Bundesminister geht zwar zu Recht davon aus, dass ihm bei der Festlegung der "verkehrsgünstig gelegenen" Gemeinden (im Sinne des §26 Abs4 StudFG) ein bestimmter Gestaltungsspielraum zusteht. Der Verfassungsgerichtshof bleibt jedoch bei seiner bereits im Prüfungsbeschluss (vorläufig) dargelegten Auffassung, dass eine Beurteilung der verkehrsgünstigen Lage allein an Hand der Verhältnisse im motorisierten Individualverkehr - und darüber hinaus mit einer starren zeitlichen Grenze von 20 Minuten - mit dem Konzept und den Zielsetzungen des Studienförderungsrechts nicht vereinbar ist. Der Verordnungsgeber hat bei Festlegung der dem Studienort gleichzusetzenden Gemeinden vielmehr die Gesamtsituation des jeweils konkreten Studienortes zu beurteilen. Dabei hat er zu berücksichtigen, dass sich gerade für Studierende, die Leistungen nach dem Studienförderungsrecht in Anspruch nehmen wollen, die verkehrsgünstige Lage ihres Wohnortes im Verhältnis zum Studienort nicht nur aus den Gegebenheiten im motorisierten Individualverkehr, sondern in Bezug auf den konkreten Studienort auch aus anderen Kriterien - insbesondere den Studienbedingungen und dem Angebot am Wohnungsmarkt in Verbindung mit einer günstigen Anbindung an öffentliche Verkehrsmittel - ergeben kann. Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen ist angesichts der Gesamtsituation des Studienortes Hagenberg davon auszugehen, dass Linz eine dem Studienort Hagenberg gleichzusetzende Gemeinde im Sinne des §26 Abs4 StudFG darstellt.
2.3. Da - wie der Bundesminister für Wissenschaft und Forschung in seiner Äußerung darlegt - dem §24 der Verordnung über die nach dem Studienförderungsgesetz 1992 dem Studienort gleichzusetzenden Gemeinden jene Auswahl an Gemeinden zugrunde liegt, von denen aus der Studienort Hagenberg im motorisierten Individualverkehr in nicht mehr als 20 Minuten erreichbar ist, hat der Verordnungsgeber bei der Festlegung der "verkehrsgünstig gelegenen" Gemeinden einzig das für sich alleine unsachliche Kriterium der Gegebenheiten des motorisierten Individualverkehrs herangezogen, weshalb diese Bestimmung zur Gänze gesetzwidrig ist.
IV. Ergebnis und damit zusammenhängende Ausführungen
1. §24 der Verordnung des Bundesministers für Wissenschaft und Forschung über die nach dem Studienförderungsgesetz 1992 dem Studienort gleichzusetzenden Gemeinden, BGBl. 604/1993 idF BGBl. 632/1995, ist daher als gesetzwidrig aufzuheben.
2. Die Bestimmung einer Frist für das Außerkrafttreten der aufgehobenen Verordnungsstelle gründet sich auf Art139 Abs5 letzter Satz B-VG.
3. Die Verpflichtung des Bundesministers für Wissenschaft und Forschung zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung und des damit im Zusammenhang stehenden weiteren Ausspruchs erfließt aus Art139 Abs5 erster Satz B-VG und §60 Abs2 VfGG iVm §4 Abs1 Z4 BGBlG.
4. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
Schlagworte
Hochschulen, Studienbeihilfen, VfGH / VerwerfungsumfangEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2013:V89.2012Zuletzt aktualisiert am
28.03.2013